FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 15 / Fortsetzung] 3. Die subjektive Seite: Lebensentwürfe und Lebensweisen junger Frauen In diesem Abschnitt wird untersucht, ob und wie junge Frauen sich selber über ihre Geschlechtsrollendefinition direkt oder indirekt ausgrenzen und ausgrenzen lassen und in welcher Weise die Orientierung an der kulturellen Definition von Weiblichkeit für die Beteiligung an Gewerkschaften von Bedeutung sein kann. Dazu wird eine kritische Sicht der Adoleszenztheorien sowie der Befunde über junge Frauen und junge Männer in Jugendstudien vorgenommen.
3.1 Die Adoleszenz als eine Phase der Neuorientierung der Geschlechtsidentität
Ein Blick auf die Jugendforschung zeigt, daß oft die Lebenssituation der Jugendlichen mit der Lebenssituaton junger Männer gleichgesetzt wird: Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind männlicher Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft. Auch in den Theorien über die Adoleszenz wird vor allem die Entwicklung der männlichen Jugendlichen zum Gegenstand der Erörterung. Ein [Seite der Druckausgabe: 16] geschlechtskritischer Ansatz, der nicht nur die Ablösung von der Mutter als Entwicklungsaufgabe definiert, sondern auch danach fragen würde, welche Bedeutung die männliche Geschlechtsrolle für die individuelle Entwicklung in der Adoleszenz spielt, fehlt. Erst in den letzten Jahren wurde dieser Androzentrismus nicht nur kritisiert, sondern auch überwunden: Frauen entwickelten theoretische Ansätze zur Erfassung der spezifisch weiblichen Adoleszenz und führten empirische Untersuchungen über weibliche Lebensentwürfe und Lebensformen durch. Deutlich wird dabei, daß die Adoleszenz, also das Alter von 15 bis zu 30 Jahren, eine Zeit ist, in der schrittweise eine Geschlechtsidentität herausgebildet wird, ein Prozeß, der ohne erkennbaren Abschluß bleibt. Adoleszenz ist vielmehr eine Zeit verstärkter individueller Auseinandersetzung mit den teils als Zumutung, teils als Erleichterung empfundenen Anforderungen, die an die Persönlichkeit gestellt werden und die aus den kulturell definierten Geschlechterbildern stammen. Dabei muß eine Balance zwischen eigenen Vorstellungen, gesellschaftlichen Realitäten und kulturellen Bildern immer wieder neu hergestellt werden. Die biographischen Voraussetzungen dazu verändern sich mit zunehmendem Alter. Unter einer solchen Perspektive ist die Adoleszenz eine Phase, in der die Geschlechtsrolle eine besondere, auch identitätsstiftende Rolle spielen kann, aber nicht muß, in der sich die geschlechtsspezifische Ungleichheit auf der Ebene psychischer Strukturen festigen kann, aber nicht muß. Die Kategorie "junge Frauen" reicht deshalb nicht zur Typisierung von Lebenslage aus. Vielmehr gibt es eine Vielzahl biographisch erklärbarer und situationsspezifischer Formen, mit denen junge Frauen mit den weiblichen Zuschreibungen umgehen. Nicht alle jungen Frauen wehren sich dagegen, daß die Geschlechterhierarchie ein systematisches Muster gesellschaftlicher Systeme ist, das mit Normenkatalogen die soziale Trennung zwischen den Geschlechtern hergestellt wird und sie in Unterordnung und Zweitrangigkeit gehalten werden sollen. Der Annäherungsgrad an die Geschlechtsrollenstereotypen kann auch im Verlauf der Lebensgeschichte variieren. Deshalb sind pauschale Aussagen über die jungen Frauen prinzipiell falsch, können sie doch der einzelnen jungen Frau nie gerecht werden. Typisierende Beschreibungen der weiblichen Jugend geraten in Gefahr, die Geschlechterdifferenz erneut zu konstruieren und zu verstärken, anstatt sie zu kritisieren. [Seite der Druckausgabe: 17] Im folgenden werden dieser Sichtweise entsprechend keine Aussagen über das Sosein der jungen Frauen gemacht, sondern es werden Anforderungen benannt, die junge Erwachsene zu bewältigen haben. Das Geschlecht wird dabei nicht als subjektives Potential gesehen, das es zu entfalten gelte oder als gesellschaftliches Zwangsmuster, dem niemand entrinnen könnte, vielmehr wird es zum Gegenstand, zur individuellen Entwicklungsaufgabe. Die empirisch erhobenen Vorstellungen und Lebensentwürfe männlicher und vor allem weiblicher Jugendlicher werden als Reaktionsweisen interpretiert und als spezifische und wandelbare Muster der Bewältigung dieser Anforderungen verstanden. Die Ablösung von den Eltern und die Neubindung an einen Partner oder eine Partnerin, das ist allgemein beschrieben wohl die gängigste Anforderung dieses Lebensabschnittes. Damit eng verbunden ist die elternunabhängige ökonomische Existenzsicherung. Berufsarbeit und Bindung an eine Frau als versorgende Mutter der Kinder sind dabei für junge Männer noch relativ unhinterfragte gesellschaftliche Muster, während sich das entsprechende Muster für junge Frauen, nämlich die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienarbeit, als extrem konflikthaft erweist. Gerade die unkritische Übernahme der Geschlechtsrollenbilder durch junge Männer birgt für die jungen Frauen die Falle. Entweder fügen sie sich in das traditionelle kleinfamiliäre Muster mit der Reduktion, wenn nicht Aufgabe der Berufsarbeit, also auch der eigenständigen ökonomischen Existenzsicherung oder sie bewegen sich als "Grenzgängerinnen" zwischen dem Wunsch nach Kindern, beruflicher Kontinuität und Partnerschaft. Die Lebensbedingungen der Jugendlichen werden allgemein durch das Zerbröckeln der Sicherungen durch soziale Institutionen charakterisiert, die Postmoderne fordert die individuelle Führung des eigenen Lebens: Den Lebenslauf als Resultat persönlicher Entscheidungen zu betrachten, ist allerdings für viele Jugendliche eine Farce, wenn nicht Zumutung, da sie viele ihrer Vorstellungen, selbst die einer beruflichen Existenzsicherung, bei noch so viel persönlicher Anstrengung gar nicht realisieren können. Dennoch, auch junge Frauen nehmen die Herausforderung an, entwickeln ein starkes Selbstbewußtsein und leben bewußt auch in biographischen Unsicherheiten als Kehrseite ihrer Individualisierungsprozesse (Wohlrab-Sahr 1993). Viele von ihnen lassen sich nicht frühzeitig auf die traditionelle Kleinfamilie ein, schieben generell Schwangerschaften hinaus und gestalten ihre Partnerschaft in neuen Formen: Sie leben allein oder teilen nicht den Alltag mit ihrem Partner oder ihrer [Seite der Druckausgabe: 18] Partnerin, schieben das formale Zeichen einer Bindung, die Eheschließung, länger hinaus und wohnen zunächst eine Weile mit dem Partner ohne Trauschein (Keddi u.a. 1996). Für dieses Leben fehlen Vorbilder. Die Abgrenzung von den Müttern und Vätern ist nicht nur eine entwicklungspsychologisch zu betrachtende Aufgabe der Identitätsbildung, bei der die eigene Definition der Geschlechtsrolle gesucht wird, sie ist auch verbunden mit der Frage nach der konkreten Gestaltung des eigenen Lebens zwischen Arbeit, Freizeit und Partnerbindung. Gerade dafür geben die Mütter oft keine Vorbilder ab. Gesellschaftliche Bilder aktiver, selbstbewußter Frauen fehlen genauso wie die symbolische Repräsentanz dieser Form der Weiblichkeit. Im Osten ist die Erfahrung junger Frauen noch einmal spezifisch: Hier waren die Mütter in der Regel erwerbstätig. Sie trugen eine Dreifachbelastung durch Erwerbs-, Haus- und Betreuungsarbeit, abgestützt allenfalls durch gesetzliche und konkrete gesellschaftliche Hilfen. Nach der Wende mußten sie die Erfahrung machen, daß das Geschlecht zum Ausgrenzungskriterium von Erwerbsarbeit wird. Die jungen Frauen erleben das erste Mal an ihren Müttern und zum Teil auch an sich selbst diese geschlechtsspezifische Diskriminierung. Hier gerät eine bislang feste, gesellschaftlich unterstützte biographische Perspektive ins Wanken: Die Selbstverständlichkeit, mit der die Erwerbsarbeit zum eigenen Leben gehört, gilt nicht mehr, läßt sich oft nur unter enormen Anstrengungen und hohen Belastungen, insbesondere durch hohe Mobilität und Abstriche bei Berufswünschen, einlösen. In der Adoleszenz steht die Neudefinition der Geschlechtsrolle an. Für junge Frauen ist sie heute nicht mehr verbindlich vorgegeben und lebbar. Viele setzen in der Liebesbeziehung zu einem Partner oder einer Partnerin die Priorität und nutzen ihre Energien vor allem für das Gelingen der Zweisamkeit. Andere folgen dem eher männlich konnotierten Muster und legen den größten Wert auf den Beruf und ihre Selbständigkeit. So erweist sich die Geschlechtsrollenorientierung als erheblich sichererer Prädiktor für die Lebensplanung als die Geschlechtszugehörigkeit (Keddi u.a.1996). Allerdings, so zeigen empirische Untersuchungen, die junge Frauen über längere Zeit hinweg begleiten, kann sich die beschriebene Priorisierung individuell im Verlauf des Lebens auch wandeln. Ein verbreitetes Reaktionsmuster ist die Regression auf den Anspruch, für andere ganz da zu sein. Dabei werden die in der Adoleszenz wieder auftauchenden Größen- und Allmachtsphantasien nicht auf die Gestaltung der Welt, sondern auf die Beziehung zum Partner gelenkt und der Rückzug aus der Öffentlichkeit angetreten. Die so gefaßte Weiblichkeit kann zur Orientierung [Seite der Druckausgabe: 19] werden, sie birgt kein gesellschaftliches Konfliktpotential mehr, sie erzeugt allenfalls und häufig Spannungen im Hinblick auf Selbstverwirklichungs- und Autonomiewünsche, die es immer auch gibt und die oft mit steigendem Ausbildungsniveau verbunden sind. Wenn es zutrifft, daß die heute verlängerte Adoleszenz gerade die Zeit der Offenheit der Lebensentwürfe, der Unsicherheit in biographischen Entscheidungssituationen, der Neudefinition der Geschlechterrollen ist, dann ist diese Zeit auch prinzipiell geeignet, die politische Dimension des eigenen Lebens zu erkennen und entsprechend zu handeln. Junge Frauen verlassen im Durchschnitt eher das Elternhaus als junge Männer. Damit ist die Adoleszenz für sie noch stärker als für junge Männer eine Zeit, die nicht mehr so intensiv durch familiäre Einbindungen gekennzeichnet ist. Junge Frauen können sich damit stärker auch von normativen Vorgaben vor allem der Mütter lösen. Für die meisten ist die Umgestaltung dieser Beziehung bedeutsamer als der Wunsch nach einem radikalen Bruch. Das Nicht-Mehr der herkunftsfamiliären Bindungen und das Noch-Nicht der eigenen kleinfamilialen Bindung führt zu einem potentiell experimentellen Lebensgefühl, das nicht einseitig berufliches Engagement, aber auch nicht einseitig eine reine Privatisierung nach sich zieht. Die Beziehungsorientierung als Teil der weiblichen Identitätsbildung kann in dieser Situation auch auf die Berufsarbeit bezogen werden und dort entsprechende Ansprüche begründen. Sie kann auch eine Quelle sensibler Kritik und Distanz zu bestimmten Formen gewerkschaftlicher Organisation werden. Geschlechterdifferenzen lassen sich in der Anspruchsdimension an Arbeit erkennen: Mehr junge Frauen finden kommunikative Aspekte und soziale Integration wichtiger als junge Männer. Damit gibt es für sie eine spezifische Distanzierung von Gewerkschaften, weil sie die Gewerkschaft für das, was ihnen besonders wichtig ist, als nicht zuständig ansehen: Vereinbarkeitsprobleme sind keine prägenden gewerkschaftlichen Politikinhalte, soziale Beziehungen am Arbeitsplatz kein bedeutsamer Gegenstand gewerkschaftlicher Arbeit. Einige junge Frauen erkennen die politische Dimension ihres Lebens, organisieren sich nicht nur, sondern arbeiten auch engagiert in Großorganisationen wie Parteien und Gewerkschaften mit, bringen ihre kritische Blickweise und ihre "Power" ein, andere schrecken aber gerade davor zurück, ziehen sich zurück, wollen gar nicht die politische Brisanz dieser Privatisierung sehen, sind nicht ansprechbar. Offenkundig ist die Nähe der einzelnen Frauen zu dem traditio [Seite der Druckausgabe: 20] nellen Weiblichkeitsbild hier entscheidend: Je mehr eine junge Frau sich an der Frauenrolle orientiert, die durch Attraktion als Sexual- und Beziehungspartnerin, durch Unterordnung und Selbstaufgabe sowie emphatische Partnerschaft gekennzeichnet ist, je mehr sie die Privatheit als originären Gestaltungsraum betrachtet und Männern die öffentlichen Räume überläßt, je mehr sie die zwei Welten der Geschlechter akzeptiert, je weniger wird sie für eine politische Organisation, sei es in der Erwerbsarbeit, sei es im gesellschaftlichen System, engagierbar sein. Je mehr die Bildung der Geschlechtsidentität als Abgrenzungsprozeß im Sinne der polaren Geschlechterrollen verstanden wird, desto schwieriger wird es für weiblich identifizierte junge Frauen, sich aktiv in einer Gewerkschaft zu organisieren. Gewerkschaftspolitik wird als männliches Terrain gesehen, und junge Frauen entwickeln kaum ein eigenständiges politisches Interesse oder verheimlichen es. Sie leben lieber in der weiblichen Unschuld der Ohnmacht und bewahren Männer vor der Konfrontation mit politisch interessierten Frauen. Je stärker junge Frauen dazu gedrängt werden, darauf zu achten, was andere von ihnen halten, je mehr sie gerade von männlicher Wertschätzung abhängig werden, desto mehr werden sie sozial kommunikative Verhaltensweisen und Sensibilität entwickeln, desto ferner wird ihnen aber auch die selbstbewußte Durchsetzung ihrer Interessen. Psychosoziale Problemlagen werden weniger durch eine Wendung nach außen bearbeitet als vielmehr durch Autoaggression. Entwicklungen in der Pubertät führen dann eher zum Nachlassen des Zutrauens in die eigenen Fähigkeiten und Leistungen, zu einem negativen Selbstbild und geringerem Selbstbewußtsein, gute Voraussetzungen, dem inferioren Weiblichkeitsbild zu entsprechen und die Zweitrangigkeit weiblicher Normalität hinzunehmen. Junge Frauen, die sich an der traditionellen Frauenrolle orientieren, werden also eher eine Distanz zu Gewerkschaften entwickeln. Aber auch die doppelte Orientierung, die das gesellschaftliche Frauenbild beinhaltet, erweist sich als Barriere für politisches Engagement. Die ausschließliche Orientierung auf den Beruf im Kontrast zum Kinderwunsch ist keine Lösung für die Vereinbarkeitsproblematik, dem kindlichen Wunsch "ich will beides" folgt oft das erwachsene Kompromißdenken "eines muß wohl zurückstecken". Damit fallen Gewerkschaften als Institutionen zur Sicherung der erwerbsarbeitsbezogenen Interessen eher aus dem Blick. Die aktuelle Berufssituation kann immer auch als vorübergehend erlebt werden. Vorhandene Unzufriedenheit führt dann nicht zu dem Wunsch, etwas zu verändern, sondern zum inneren Rückzug, nicht zur Formulierung eigener Interessen, sondern eher zur [Seite der Druckausgabe: 21] individuellen Neuorientierung. Der sogenannte doppelte Lebensentwurf, also der Anspruch, Beruf, Partnerschaft und Kinder zu vereinbaren, erweist sich als äußerst kompliziert. Das verstärkt das Lebensgefühl junger Frauen, sich noch in einer Übergangsphase zu befinden. Der Beruf muß nicht der Lebensberuf sein, der Partner nicht der Lebenspartner, der Lebensraum nicht der endgültige. In Zeiten solcher Suchbewegungen erscheint die Beteiligung an der gewerkschaftlichen Interessenorganisation weniger wichtig. Obwohl das klassische Drei-Phasen-Modell die relative Bedeutung der Berufsarbeit beinhaltet, und selbst wenn junge Frauen als arbeitsorientiert gelten (Baethge u.a. 1989), also zunächst in einer Ausbildung und Berufsarbeit einen eigenständigen Wert sehen, so bleibt immer die Kinderfrage und die damit verbundene Frage nach der potentiellen Privatisierung der eigenen Arbeitskraft virulent, spitzt sich mit zunehmendem Alter und der Gefahr des allmählichen Verlustes der Gebärfähigkeit zu. Junge Frauen im Osten scheinen dabei noch stärker am Kinderwunsch festzuhalten, selbst wenn sie ihn zunächst aufschieben, während ein Leben ohne Kinder für junge Frauen im Westen eher vorstellbar ist, sein Aufschub kann eher eine endgültige Entscheidung sein. Keddi u.a. sehen auf der Basis ihrer Untersuchungsergebnisse die feste Verankerung der jungen Frauen im Berufsleben als den entscheidenden Punkt zum Verständnis dieser Frauengeneration an und glauben, daß die Flucht in die Mutterschaft nicht mehr droht. Dennoch ist die Form der Verankerung im Berufsleben bei jungen Frauen eine andere als bei jungen Männern: Viele junge Frauen orientieren sich auf beide Bereiche: sie wollen neben der Berufsarbeit auch persönliche Bindungen und Beziehungen und sind bereit, dort viel Energie hinein zu stecken. Es kann zu einer Zerreißprobe führen, wenn sie am Beruf und am Kinderwunsch festhalten. Wenige junge Frauen problematisieren die Geschlechterfrage, sehen ihre individualisierenden Lösungsmuster als politisch an. Die meisten erfahren den Druck zur weiblichen Normalität nur als persönliche Herausforderung. Eine solche Individualisierung der geschlechtsrollenbedingten Konfliktlage läßt sie in der gewerkschaftlichen Organisation keine Hilfe erwarten. Die Orientierung an traditionellen Geschlechtsrollenbildern ist noch verbreitet, wie repräsentative Untersuchungen zeigen (MGFM NRW 1994, Breiderhase 1994). So sind die Prioritäten in den Zukunftswünschen vieler Jugendlichen den Geschlechtsrollen angepaßt: Viele junge Frauen wünschen sich an erster Stelle ein glückliches Familienleben und finanzielle Sicherheit, junge Männer eher [Seite der Druckausgabe: 22] einen sicheren Arbeitsplatz und hohes Einkommen. Familienleben hat bei ihnen einen zweitrangigen Wert.
3.2 Jugendliche Lebensräume und Geschlechterhierarchie
Geschlechtsspezifische Erfahrungsräume gibt es in allen Lebensbereichen, auch in der Freizeit. Junge Frauen verbringen ihre Freizeit an anderen Orten als junge Männer. Ihre Mitgliedschaft in Verbänden und Vereinen ist nicht so hoch wie die der jungen Männer, insbesondere in Sportvereinen. Insgesamt sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Osten nicht so groß wie im Westen (Hoffmann-Lange 1995). Die Jugendgruppe, aber auch die Clique oder Gang ist für junge Männer von größerer Bedeutung. Demgegenüber sind junge Frauen stärker an Zweierbeziehungen interessiert. In diesen Beziehungen engagieren sie sich stark, sie stabilisieren ihre Freunde in deren kritischen Lebensphasen, kultivieren deren Aggressionen, sind sich aber der Macht, die sie dadurch haben, nicht bewußt (Metz-Göckel u.a. 1992). Auch in jugendkulturellen Szenen und Freizeiträumen spiegelt sich die Geschlechterhierarchie. Junge Frauen tun allenfalls das, was junge Männer tun, das Sagen haben aber die jungen Männer, sie üben die Kontrolle aus. Daneben gibt es Versuche junger Frauen, der Dominanz der Jungen zu widerstehen und das zu tun, was ihnen wirklich Spaß macht, zum Beispiel Tanzen und Schminken. Wenn sie dabei durch mädchenspezifische Ansätze in der Jugendarbeit unterstützt werden, gelingt es ihnen, eigene Räume für sich zu schaffen. Wenn Jugendkulturen das Spiegelbild der sozialen und kulturellen Bedingungen und der psychischen Verfassung von Jugendlichen in einer spezifischen Altersphase sind, scheinen bis auf wenige Ausnahmen die traditionellen Geschlechterrollen die Verhaltensorientierung zu geben: In der Techno-Szene scheint der Geschlechtszugehörigkeit wie auch anderen Kriterien potentieller Ausgrenzung - wie Nationalität oder sexuelle Orientierung - weniger Bedeutung zuzukommen. Der ekstatische Tanz egalisiert und die Szene versteht sich als Community unter dem Geist eines friedlich gewaltfreien Lebens. Ansonsten brauchen junge Frauen viel Mut und Unterstützung, wenn sie die Dominanz der jungen Männer und ihre geschlechtsspezifische Behandlung und Position in diesem Setting überwinden wollen. Wenn sie neue Beziehungsmuster und Ge [Seite der Druckausgabe: 23] schlechtsrollendefinitionen durchsetzen wollen und damit gegen das "gender doing" der Jugendkultur angehen wollen, müssen sie zunächst die schmerzhafte Erfahrung machen, daß sie in der Tat auf eine untergeordnete Rolle gedrängt werden. Viele junge Frauen bleiben lieber ganz weg und beschränken sich auf ihr Terrain, die Zweierbeziehung, in der sie oft stärker sind als die jungen Männer, weil sie mehr gelernt haben, Beziehungen und Gefühle ernst zu nehmen und mit ihnen umzugehen verstehen. Eine solche geschlechtsspezifische Priorisierung der Zweierbeziehung ist eine Falle, mit der junge Frauen sich selber aus den öffentlichen Räumen, zu denen im weitesten Sinne auch Gewerkschaften gehören, zurückziehen, nicht etwa um passiv zu sein, aber um sich an anderer Stelle zu engagieren. Der intime Nahbereich erscheint ihnen wichtiger, hier erleben sie sich auch als kompetenter, hier führen sie auch die Auseinandersetzungen um die Geschlechterdefinition. Die aktive Beteiligung in als männlich wahrgenommenen Organisationen, wie sie auch Gewerkschaften sind, stellt die Geschlechtsidentität für Frauen, nicht dagegen für Männer in Frage (Bilden u.a. 1994, Morgenroth 1996). Wenn Frauen sich nicht beteiligen, produzieren sie die symbolische Geschlechterdifferenz. Viele Frauen haben die ihrem Geschlecht zugeschriebene Aberkennung der Fähigkeiten, die man in den Strukturen der Großorganisationen braucht, internalisiert und zum Selbstbild erhoben. Die für jedes Individuum so wichtige Geschlechtsidentität ist dann mit dem Gefühl des "Ich kann das nicht" verbunden. Mit einer solchen Haltung entfernen sie sich von politisch mächtigen Strukturen, schließen sich selber aus und tragen zur Verfestigung der Frauen ausschließenden Strukturen mit bei. Wenn Frauen sich beteiligen, wird ihnen ihr Geschlecht mehr oder weniger zum Problem: Passen sie sich den Männern an, distanzieren sie sich von der symbolischen Geschlechterdifferenz, müssen sie sich auch gegenüber geschlechtsbezogenen Bewertungen immun machen. Wenn Frauen männliche Verhaltensweisen zeigen, die in den bestehenden Strukturen gebraucht werden, um Ziele zu erreichen oder sich durchzusetzen, dann erfahren ihre Verhaltensweisen oft deswegen eine Ablehnung, weil es eine Frau ist, die sie zeigt. Verhält sich ein Mann genauso, wird es als systemkonform geduldet, akzeptiert, das Geschlecht legitimiert das Verhalten. Frauen, die sich jenseits der traditionellen Frauenrolle orientieren und sich an männliches Rollenverhalten anpassen, geraten in die Gefahr, nur über ihre Fachlich- und Sachlichkeit akzeptiert [Seite der Druckausgabe: 24] zu werden, und mit dem Defizit, als Frau versagt zu haben, etikettiert zu werden. Frauen haben oft zwischen zwei Übeln in männlich dominierten Gruppen zu wählen: entweder kopieren sie männliches Verhalten, dann haben sie mit der Sanktion zu leben, die sie als Geschlecht erreicht oder aber sie geben sich als weiblich, werden dann aber gleichzeitig als zweitrangig beurteilt und erleben die Herabsetzung. So müssen sie versuchen, ihre personale Akzeptanz nicht auf weibliche Normalität zu beschränken. Wer aber weniger überzeugend Frau ist, wird deshalb nicht als mehr Mann angesehen, sondern als weniger Mensch. Eine andere Möglichkeit ist, daß Frauen sich beteiligen und an bestimmten Stellen auf ihrer als weiblich etikettierten und weniger akzeptierten Sichtweise beharren. Sie nehmen dann das Risiko in Kauf, die Geschlechterdifferenz deutlich zu machen und die Auseinandersetzung mit männlich geprägten Sichtweisen führen zu müssen. Andere junge Frauen nehmen die Herausforderungen, die mit ihrer adoleszenten Lebensphase verbunden sind, anders auf: sie nutzen den Freiraum, den die Ablösung von familiären Vorbildern schafft, um neue Formen auch der Geschlechtsidentität zu entwickeln. Für sie gibt es keine Festlegungen des Verhaltens, der Selbstpräsentation oder der Einstellungen durch das Geschlecht, sie definieren vielmehr einen Freiraum für sich. Dabei betonen sie gerade nicht die Geschlechterdifferenz sondern verschieben ihren Blick zur Beliebigkeit und zur Unbedeutendmachung dieser Differenz. Sie schaffen sich damit Spielräume, in denen die eigene Identität, die nicht die traditionelle Geschlechtsidentität ist, gelebt werden kann. Diese jungen Frauen dekonstruieren für sich die Geschlechterdifferenz, um die Wahl zu haben. Sie versuchen ein "undoing gender", also eine bewußte Distanzierung zu den Geschlechterbildern zu leben. Wenn sie jenseits der traditionellen Geschlechterbilder etwas Neues versuchen, gehen sie nicht so ohne weiteres in männlich geprägte Apparate, sondern schließen sich lieber Organisationen an, die weniger männlich geprägt sind und in denen auch Männer sich nicht traditionell verhalten. Dies gibt ihnen die Chance, sich ebenfalls nicht an der traditionellen Geschlechtsrolle orientieren zu müssen.
[Seite der Druckausgabe: 25]
3.3. Geschlechterdifferenzen in den Befunden zur Einstellungen zu Politik und zu politischem Interesse
Die zunehmenden gewalttätigen Aktionen rechtsextremer junger Männer haben das jugendpolitische Interesse wiederum auf die Frage nach der Ursache und Verbreitung des neofaschistischen Denkens gelenkt. Die dabei entwickelten Erklärungsmuster für die geringere Beteiligung junger Frauen an rechtsextremen Gruppen und Aktionen bilden eine spezifische Form der Festigung traditioneller Geschlechtsrolleninterpretationen (vgl. Meyer 1993). Jungen Frauen wird ein generell geringeres politisches Interesse unterstellt und daraus geschlossen, daß sie auch weniger gefährdet seien, ins rechtsextreme Lager zu rutschen. Aggressives und brutales Protestverhalten wird als männlich geprägt bezeichnet. So werden die traditionellen Geschlechtsrollenbilder weiter verstärkt. Fragt man aber danach, ob junge Frauen möglicherweise andere Einstellungen oder Protestformen entwickeln, die zwar nicht so öffentlichkeitswirksam, aber mit ähnlicher Destruktionskraft wirken, dann entdeckt man, daß auch junge Frauen stark autoritäre, fremdenfeindliche und gewaltduldende Wertvorstellungen haben können (MGFM NRW 1994). Im Jugendgesundheits-Survey wurde festgestellt, daß der Umgang mit Belastungen geschlechtsspezifisch unterschiedlich erfolgt: Während junge Männer eher zu sozial auffälligem Verhalten neigen, entwickeln sich bei jungen Frauen nach innen gerichtete Störungen (Kolip 1994). Der verbreitete Rückzug in den Privatraum oder gar die vermehrt bei jungen Frauen auftauchenden psychosomatischen Beschwerden müssen als anderes, aber männlichem Protstverhalten vergleichbares politisches Verhalten angesehen werden. Untersuchungen, die das politische Interesse Jugendlicher erfassen wollen und dazu direkte Fragen nach dem Interesse an Politik stellen, kommen zu dem Ergebnis, daß Frauen generell weniger Interesse an Politik haben als Männer. Die relative Bedeutung der Politik im Verhältnis zu anderen Lebensbereichen, das abgefragte Interesse an der Politik ist nicht nur bei Jugendlichen gering, bei Frauen ist es immer noch ein wenig geringer als bei Männern (Gille u.a. 1996). Die empirisch belegte Tatsache, daß früher mehrheitlich junge Frauen zu den politisch Distanzierten gehörten, während heute die Zahl der jungen Männer wächst, die sich ebenfalls als distanziert bezeichnen, wird als "Nachziehen" der jungen Männer interpretiert. Anstatt darin eine kritische Bezugnahme der Jugendlichen zu sehen und die Frage nach der Qualität der Erscheinungsweise [Seite der Druckausgabe: 26] der Politik, die diese so distanziert betrachten, zu stellen, wird die schrumpfende Geschlechterdifferenz und das Abbröckeln männlichen Interesses als Warnzeichen gesehen. Die Tatsache des immer schon geringeren Interesses junger Frauen hat weniger beunruhigt. Die gesellschaftliche Akzeptanz weiblicher Politikenthaltung spiegelt sich auch wieder, wenn auch heute noch jede fünfte junge Frau und jeder dritte junge Mann dem Satz zustimmen "Politik ist Männersache" (MGFM NRW 1994). Zieht man als weitere Variablen zur Erklärung von Unterschieden im politischen Interesse das Alter und die Herkunft heran, zeigen die Statistiken andere differenziertere Zusammenhänge. Generell sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei ostdeutschen Jugendlichen nicht so stark ausgeprägt wie bei westdeutschen. Das politische Interesse der ostdeutschen Frauen ab dem 30. Lebensjahr liegt auf wesentlich höherem Niveau als das der westdeutschen Frauen. Die Abhängigkeit des politischen Interesses vom Bildungsniveau für junge Frauen im Osten wird sehr deutlich: 27% der ostdeutschen jungen Frauen bis 35 Jahre mit einfacher Schulbildung, aber 61% mit höherer Schulbildung interessieren sich für Politik. Wie wenig allerdings das Interesse an Politik abfragbar ist, belegen Studien, die auf das Stichwort verzichten bzw. junge Frauen selber zu Wort kommen lassen. Dann zeigt sich, wie fern die "große Politik" für viele junge Frauen ist, und wie männlich konnotiert sie ist (Jörgens u.a. 1995). Demgegenüber gibt es eine hohe Wertschätzung für Gruppen, die sich um Probleme der sogenannten Dritten Welt oder um die Ökologie kümmern. Interesse an Politik, selbst wenn es artikuliert wird, muß aber nicht identisch sein mit einer bestimmten Parteipräferenz. Fast ein Viertel der politisch interessierten jungen Frauen im Osten geben an, sich keiner politischen Richtung zugehörig zu fühlen. Es gibt keine Untersuchungen, die der oft konstatierten größeren Parteiverdrossenheit, der größeren Enttäuschung über Parteien, insbesondere Politiker und Politikerinnen, und dem stärkeren Gefühl politischer Ohnmacht besonders der jungen Frauen nachginge. Selten wird in der bewußten Abkehr von der männlich dominierten politischen Arena der jungen Frauen eine Politikfähigkeit, die es aufzunehmen gilt, gesehen (Meyer 1992). In den Untersuchungen, die nach interessierenden Themen fragen, gibt es eine deutliche Geschlechterdifferenz, wobei Frauen sich erheblich stärker für das Thema Frieden und Entwicklungshilfe interessieren als gleichaltrige junge Männer. [Seite der Druckausgabe: 27] Das Bild, das durch Einstellungsmessungen und deren statistische Auswertung entsteht, beschreibt junge Frauen einerseits weniger interessiert an dem, was Politik heißt, stärker enttäuscht von den Personen, die sie machen, weniger zufrieden mit den politischen Verhältnissen, in denen sie leben, aber auch stärker an anderen Themen als junge Männer interessiert und verstärkt Mitsprache und Beteiligung fordernd. Faktisch ist die Beteiligung in Parteien bei Jugendlichen sehr gering, bei jungen Frauen noch geringer. Die Geschlechterdifferenz zeigt sich allerdings nicht so, wenn man die wenigen Jugendlichen in neuen sozialen Bewegungen, Initiativen und Aktionsgruppen betrachtet. Hier ist die Beteiligung junger Frauen ebenso hoch wie die junger Männer, teilweise sogar noch höher. Frauen wird oft eine Sympathie für Unkonventionelles zugeschrieben, als sei dies ein weiteres Merkmal, das mit dem Geschlecht gegeben ist. Die starke politische Beteiligung von Frauen in Umbruchsituationen, wie etwa der Zeit der politischen Wende in der damaligen DDR, aber auch in Bewegungen, die sich für Themen einsetzen, die auch im Nahbereich relevant sind oder die eklatante Ungerechtigkeiten in anderen Ländern anprangern, ist bekannt. Unkonventionelle Organisationsformen, die - noch nicht - durch patriarchale Ausschlüsse von Frauen geprägt sind, offene Situationen, in denen Ideen eingebracht werden können und zählen, Normen wie Rücksichtnahme und gegenseitige Achtung, all dies ist unkonventionell, schließt Frauen weder aus noch schreckt es sie ab. Wenn dieses Engagement der jungen Frauen aus ihrer Statusunsicherheit (Heitmeyer 1994) erklärt wird, ohne daß in dieser Statusunsicherheit ein fortschrittliches Moment im Sinne der Überwindung des unterbewerteten gesellschaftlichen Status der Frau gesehen wird, werden junge Frauen wiederum nicht für voll genommen, werden ihre Formen der politischen Beteiligung gemessen an den klassischen konventionellen Formen und für minder bewertet - ein weiteres Beispiel für den Androzentrismus in der Bestimmung dessen, was Politik ist. Das Sinken der Wahlbeteiligung besonders der Zweitwählerinnen, also junger Frauen um die 20 Jahre, hat eine gewisse Bestürzung ausgelöst und genauere Analysen hervorgebracht. Die Statistiken zeigen aber auch ein anderes Bild: Zieht man nämlich andere Kriterien hinzu, zum Beispiel das Alter oder die regionale Herkunft, ergeben sich auch andere Gewichtungen. So hat zum Beispiel Meyer (1993) aufgezeigt, daß selbst die durchschnittlich geringere Wahlbeteiligung der Frauen kein Phänomen ist, das sich mit dem Geschlecht be [Seite der Druckausgabe: 28] gründen ließe: In bestimmten Altersgruppen (25 bis 45 Jahre) haben Frauen eine höhere Wahlbeteiligung als Männer (zum Beispiel bei der Bundestagswahl 1990). Ebenso zeigen Daten aus bestimmten Regionen, daß Frauen in allen Altersgruppen eine höhere Wahlbeteiligung als Männer hatten. Die Geschlechterdifferenz erscheint generell weniger bedeutend als die Altersdifferenz (Eilfort 1994). Alle Jugendlichen haben eine schwächere Wahlbeteiligung als die älteren Generationen. Der Schluß auf geringeres politisches Interesse der Nicht-Wählerinnen ist dabei längst nicht für alle Gruppen richtig. Es gibt eine relativ große Gruppe unter den weiblichen Nicht-Wählerinnen, die sich als stark politisch interessiert bezeichnet (10%) und ihren Protest gegen die herrschende Politik durch Wahlboykott ausdrückt. Gerade junge Frauen mit hoher Schulbildung wählen entweder links oder enthalten sich (Breiderhase 1995). Andere junge Frauen wählen nicht, weil sie unter schlechten materiellen Lebensbedingungen und in sozial schwierigen Lebenssituationen leben müssen, in der sogenannten unteren Schicht. Aus dieser Erfahrung werden zum Teil rechtsextreme Einstellungen entwickelt oder die Distanz zum Politischen, von dem keine Veränderung der eigenen Lage erwartet wird, durch Enthaltung von der Wahl ausgedrückt. Dasselbe widersprüchliche Bild wie zur Politik und Demokratie, nämlich grundsätzliche Zustimmung bei geringem eigenen Engagement, findet sich auch bei der Frage nach Einstellung und Engagement zu Gewerkschaften. Gewerkschaften werden in Einstellungsuntersuchungen in ihrer relativen Bedeutung im Verhältnis zu anderen Institutionen und Organisationen, wie zum Beispiel Kirchen, Fernsehen, Gerichte oder Greenpeace erfaßt. In diesem Kontext genießen Gewerkschaften noch relativ viel Vertrauen, im Westen mit 41% noch mehr als im Osten mit 38%, mehr als Parteien (West: 23%, Ost: 19% ) oder Großunternehmen (West: 25%, Ost: 22% ) (Gille u.a. 1996). Diese relativ günstige Bewertung oder auch der in anderen Untersuchungen bestätigte breite Grundkonsens über die Notwendigkeit der Gewerkschaften (Baethge 1989) ist jedoch nicht identisch mit dem konkreten Beitritt in diese Organisation, bei jungen Frauen noch weniger als bei jungen Männern. Für junge Frauen ist die Gewerkschaft oft eine ferne Institution, die mit den Problemen, die ihnen auf den Nägeln brennen, nichts zu tun hat. Und auch ein Beitritt, besonders in gut organisierten Betrieben, ist kein Indikator für eine besondere Nähe zur Gewerkschaft. Viele junge Gewerkschaftsmitglieder gehören zu den "Versicherungsnehmern", die für ihren Gewerkschaftsbeitrag als Gegenleistung Schutz und Absicherung erwarten (Baethge u.a.1989). Diese eher instrumentelle Einstellung wird als Folge schulischer Erfahrung interpretiert. Wenn in der Schule die individuelle Leistung zur wichtigsten Meßlatte wird, wenn dort die individuelle Handlungsfähigkeit verstärkt und gefordert wird, dann wird die Ge- [Seite der Druckausgabe: 29] werkschaft nicht als Plattform zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen, sondern als Dienstleistungsbetrieb für die Arbeitssituation gesehen. Direkte Untersuchungen zu den besonderen Formen der Distanz junger Frauen zu Gewerkschaften fehlen. Aus den vorliegenden Erkenntnissen können allerdings einige Mechanismen und Prozesse bestimmt werden, durch die das Verhältnis junger Frauen zu Gewerkschaften durch ihre subjektive Betroffenheit von der hierarchischen Geschlechterdifferenz in spezifischer Weise bestimmt wird.
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999 |