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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 7 / Fortsetzung] 3. Warum soziale Qualifikation in Arbeitsbewertungsverfahren und Stellenprofilen berücksichtigt werden sollte 3.1 Ausblendung ist ein Anachronismus Generell können Tarifsysteme nie die gesamte Arbeitsrealität abbilden. Vergleicht man die tarifliche Erfassung von Tätigkeiten mit der Beschreibung der realen Tätigkeiten, wie [Seite der Druckausgabe: 8] sie die an den Arbeitsplätzen Arbeitenden geben können, so wird eine erhebliche Diskrepanz deutlich. Die ersten Befunde solcher Vergleiche an typischen Frauenarbeitsplätzen im öffentlichen Dienst zeigen, daß viele der realen Anforderungen an den Arbeitsplätzen in den Tarifverträgen nicht erfaßt werden (vgl. ÖTV 1993-1996). In den Arbeitsbeschreibungen von Frauen, die ihre Arbeitsplätze kennen, spielen Anforderungen an die soziale Qualifikation eine ganz besondere Rolle. Soziale Qualifikationen werden aber in den geltenden Arbeitsbewertungen verleugnet. In der Auflistung von Anforderungen und in den Kriterienkatalogen dessen, was am Arbeitsplatz bewertet werden soll, kommen die Anforderungen, die sich aus dem Umgang mit Menschen ergeben, nicht vor. In Tarifverträgen werden in der Regel nur fachliche Qualifikationen, also die durch Ausbildung und/oder Erfahrung erworbene Fähigkeit, fachliche Aufgaben zu bewältigen, berücksichtigt. Die Fähigkeit, diese Aufgaben im sozialen Bezug mit anderen, seien es Vorgesetzte, Kunden oder Kolleginnen und Kollegen, einzusetzen, wird nicht gesehen. Erst in hierarchisch höher angesiedelten Positionen wird eine oft als Menschenführung und Führungsfähigkeit bezeichnete Qualifikation erwähnt, die dort auch die relativ höhere Bezahlung begründet. Die Fähigkeiten, die man braucht, um Personalverantwortung zu tragen, werden aber nicht weiter definiert oder differenziert und dadurch nicht sichtbar oder spezieller erfaßbar. Wenn soziale Qualifikationen in Tarifsystemen nicht erfaßt werden, widerspricht das Tendenzen in der arbeitspolitischen Entwicklung: Soziale Qualifikationen haben im Bereich des beruflichen Bildungssystems, aber auch in der Managementqualifizierung bereits einen erheblichen Stellenwert erhalten und zwar als Reaktion auf neue Formen der Arbeits- und Organisationsgestaltung. Bereits vor 20 Jahren hat Mertens mit seinem Konzept der Schlüsselqualifikation versucht, das Ausbildungssystem an die Veränderungen an den Erwerbsarbeitsplätzen anzupassen, insbesondere um der schnellen Veränderung von notwendigem Fachwissen gerecht zu werden. In der Folge und Weiterführung seines Konzeptes traten soziale Qualifikationen immer mehr in den Vordergrund, wurden als wesentlich für jede berufliche Arbeit anerkannt und in den Kanon der in Ausbildungssystemen zu vermittelnden Qualifikationen aufgenommen. Bei allen neugeordneten Ausbildungsberufen stand die Bedeutung sozialer Qualifikation nicht mehr zur Debatte, wenn auch didaktische Konzepte zur Umsetzung und die Frage der Beurteilung sozialer Qualifikation lange Zeit unbearbeitet blieben. In jüngster Zeit gibt es Bemühungen, sowohl neue didaktische Formen als auch Beurteilungssysteme zu entwickeln (vgl. Lehmkuhl, Proß 1996). In der neueren Diskussion um Führungsqualifikationen rücken persönlichkeits- und beziehungsbezogene Komponenten in den Mittelpunkt: Die ideale Führungspersönlichkeit ist nicht mehr, wie früher oft beschrieben, fachlich hoch kompetent, sondern auch und zwar genauso hoch sozial qualifiziert: beziehungsfähig, einfühlsam und zugewandt, kommunikativ und konfliktfähig, persönlich integer (Manthey 1996). Um diese Fähigkeiten zu vermitteln, werden Führungskräfteschulungen durchgeführt, die zum Teil mit Techniken wie Meditation und Körperübungen arbeiten und Phantasie und Gefühle ansprechen. Die zentrale Stellung, die soziale Qualifikationen im beruflichen Bildungs- und Weiterbildungssystem einnehmen, ist eine Reaktion auf Veränderungen der Erwerbsarbeitsprozesse:
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durch Prognosen des IAB (1989) belegt worden. Diese Tätigkeiten erfordern vom einzelnen ein hohes Maß an sozialer Qualifikation, die mit fachlichem Wissen zu verknüpfen sind. Nicht zuletzt wächst auch der Wunsch vor allem qualifizierter Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, insbesondere der jüngeren, nach mehr Beteiligung an der Gestaltung der Arbeit, aber auch nach guten sozialen Arbeitsbeziehungen. Die hohe Bedeutung, die einem guten Betriebsklima und dem befriedigenden Umgang mit Menschen zugemessen wird, ist keineswegs, wie oft unterstellt, eine frauenspezifische Orientierung.
3.2 Soziale Qualifikation ist betriebswirtschaftlich bedeutsam
3.2.1 Soziale Qualifikation beeinflußt das Arbeitsergebnis erheblich
Die Unfähigkeit, mit anderen zusammen eine Arbeitsaufgabe zu erfüllen, beeinträchtigt das Ergebnis der Arbeit stark. Eine Abteilung, ein Team, eine Arbeitsgruppe, in der die Mitglieder miteinander nicht auskommen, ist nicht so erfolgreich, effektiv und kreativ, wie sie es sein könnte, wenn die Mitglieder gut miteinander umgehen könnten. Je mehr die Arbeitsaufgabe im Kundenkontakt vollzogen werden muß, desto deutlicher wird soziale Qualifikation ein direkt ökonomisch erfaßbarer Faktor: In vielen Betrieben des Einzelhandels ist die Erfahrung gemacht worden, daß der Umsatz steigt, wenn in die Verbesserung sozialer Qualifikation investiert wird. Weil technische Dienstleistungen zunehmend in marktförmigen Beziehungen erbracht werden und damit dem Konkurrenzprinzip unterliegen, bringt ein positives soziales Verhalten gegenüber Kunden einen direkten Marktvorteil. Ebenso schlagen Folgewirkungen von unangemessenen Verhaltensweisen gegenüber Kunden direkt negativ zu Buche. Der personelle und zeitliche Aufwand, der erforderlich wird, wenn Kunden sich beschweren, kann zu einem erheblichen Kostenfaktor werden. Aber auch in den Berufen, in denen der Kundenkontakt nicht im Vordergrund steht, kann soziale Qualifikation entscheidend dazu beitragen, daß Kunden gehalten und geworben werden und sich nicht abwenden. Unbefriedigende soziale Beziehungen zwischen Kollegen und Kolleginnen führen in der Regel zu einer mangelnden Gesamtleistung. Fehlzeiten, die durch mangelnde soziale Einbettung am Arbeitsplatz entstehen können oder auch bloß die Demotivation im Arbeitsalltag, lassen sich als berechenbare Verluste darstellen und sind als Folge mangelnder sozialer Qualifikationen zwischen Kollegen und Kolleginnen zu betrachten.
3.2.2 Soziale Qualifikation bringt die fachliche Qualifikation erst zur Wirkung
Im Verhältnis zu der fachlich definierten Qualifikation wird der sozialen Qualifikation zu wenig Bedeutung beigemessen. Allerdings zeigen konkrete Analysen, daß die Anwendung der fachlichen Qualifikation allein nicht ausreicht, weil das Arbeitsergebnis ohne den Einsatz sozialer Qualifikation nicht erzielt werden kann. In dem ständig wachsenden Dienstleistungsbereich ist der Umgang mit den Kunden als entscheidende Fähigkeit an- [Seite der Druckausgabe: 10] zusehen, um die Dienstleistung anzubringen, ins Geschäft zu kommen und im Geschäft zu bleiben. Fachwissen nützt nicht viel, wenn es im Kundenkontakt nicht vermittelt werden kann. Dasselbe trifft in technischen Berufsbereichen zu. Hier wachsen die Einsatzbereiche, in denen die Kommunikation mit anderen, häufig fachfremden Kooperationspartnern notwendig ist, um die Arbeitsaufgabe erfüllen zu können. Wer hier nicht in der Lage ist, das eigene Fachwissen so zu kommunizieren, oder die eigenen Arbeitsvollzüge auf die anderer abzustimmen, kann in den neuen Formen der Arbeitsorganisation kaum bestehen. Erst recht in Vorgesetztenpositionen ist die soziale Qualifikation mindestens ebenso bedeutsam wie die fachliche: Wer mit unterstellten Personen nicht umgehen kann, wird es schwer haben, das eigene fachliches Wissen umzusetzen und Arbeitsergebnisse zu unterstützen, die in einem sozialen Kooperationsprozeß entstehen.
3.3 Soziale Qualifikation ist im Arbeitsalltag bedeutsam
An jedem Arbeitsplatz braucht man die soziale Qualifikation, um das Arbeitsklima erträglich zu gestalten. Positive Beziehungen zu Kollegen und Kolleginnen sind nicht selbstverständlich, stellen sich nicht automatisch her, sondern müssen immer wieder neu gestiftet und aufrechterhalten werden. Gelingt dies nicht, hat das erhebliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden nicht nur am Arbeitsplatz. Die Flucht in die Krankheit oder die Kündigung können direkte Folgen sein. In immer mehr Arbeitsbereichen wird die Arbeit so organisiert, daß sie von Teams verrichtet wird. Hinzu kommt, daß in immer mehr Unternehmen die Innovationen in der Organisation und in den Produkten durch Teams, Gruppen oder Projektgruppen begleitet oder getragen werden. Beteiligungsprozesse der Beschäftigten haben sich nämlich in den letzten Jahren als durchaus effektiv erwiesen, Veränderungen umzusetzen. Ob nun direkt im Rahmen der Erfüllung der Arbeitsaufgabe oder im Rahmen der Organisationsentwicklung: Die Beschäftigten brauchen immer häufiger die Fähigkeit, in unterschiedlichen Gruppen zu arbeiten und in Abstimmung mit anderen ein Arbeitsergebnis zu erzielen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999 |