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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg: 91]


Thüringen

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Beginn und Grundphilosophie des Reformprozesses

Nach Gründung des Landes Thüringen zielten die ersten strukturellen Veränderungen auf eine Gebiets- und auf eine Funktionalreform. Die Landesregierung richtete für die beiden Vorhaben im April 1992 jeweils eine Kommission beim Innenministerium ein. Durch die Gebietsreform wurde unter anderem die Zahl der Landkreise von 35 auf 17 reduziert.

Die Mitglieder der Kommission Funktionalreform - Wissenschaftler, Verwaltungspraktiker in Leitungsfunktionen und Vertreter der kommunalen Spitzenverbände - legten im April 1994 ihren Abschlußbericht vor. Das Papier enthält Berichte, Gutachten und Empfehlungen zur Bildung und Stellung des Thüringer Landesverwaltungsamtes, zur Aufgabenzuweisung an die kreisfreien Städte und die Landkreise sowie zur Organisation verschiedener Fachverwaltungen und Landesämter.

In der zweiten Legislaturperiode (1994 bis Herbst 1999) wurde der Fortgang der Funktionalreform sowohl in der Koalitionsvereinbarung vom November 1994 als auch im Kabinettsbeschluß zur Fortführung der Funktional- und Verwaltungsreform vom 21. Februar 1995 bestätigt. Auch die Koalitionsfraktionen von CDU und SPD im Landtag unterstützen die Fortsetzung der Funktionalreform mit dem Ziel, Aufgaben des Landes zu überprüfen und durch Bündelung, Straffung und Aufgabenverlagerung mehr Effizienz zu erreichen.

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Akteure und Arbeitsstrukturen

Nachdem Thüringen in den letzten Jahren mit Gebietsreform und Funktionalreform beschäftigt war, beabsichtigte man mit der Einrichtung des Beirats Verwaltungsreform (1996) die Einbindung aller am Reformprozeß Beteiligten, über die einzelnen Ressorts hinaus. Dem Beirat gehören Vertreter der Ressorts, der Gewerkschaften, der kommunalen Spitzenverbände sowie der Hauptpersonalrat beim Innenministerium an. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, „einzelne Reformprojekte mit der jeweiligen Erfahrung zu unterstützen und zu gemeinsamen Lösungen zu kommen".

Derzeit wird über neue Formen für die Organisation der Verwaltungsreform nachgedacht. In diesem Zusammenhang wurde eine Stabsstelle Verwaltungsreform eingesetzt. Sie gliedert sich in die Bereiche Organisationsstruktur einerseits und Verwaltungsmanagement einschließlich Personalmanagement andererseits und soll Modelle und Instrumente für die notwendigen Reformmaßnahmen entwickeln.

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Strukturreformen

Im Mittelpunkt der thüringischen Funktionalreform stand die Bildung eines Landesverwaltungsamtes als Mittelinstanz zwischen den Ministerien und den unteren Verwaltungsbehörden. In diesem neuen Amt sollen alle Vollzugsaufgaben mit einem fachübergreifenden Koordinierungsbedarf zusammengefaßt werden. Hinzu kommen Aufgaben der Rechts- und Fachaufsicht über die Landratsämter, die kreisfreien Städte und die unteren Landesbehörden, außerdem Zuständigkeiten für kleinere Aufgabenbereiche, für die sich eine Sonderverwaltung nicht lohnt (zum Beispiel Gesundheitsverwaltung). Die Stellenaussstattung des Landesverwaltungsamtes wurde nach der Aufbauphase auf rund 900 Stellen festgelegt und lag im Haushalt 1998 bei 830 Stellen. Gegenwärtig läuft eine Organisationsuntersuchung im Coaching-Verfahren an, die etwa zwei bis drei Jahre dauern wird. Organisationsoptimierung soll dabei im Vordergrund stehen.

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Im Zuge der Funktionalreform wurden auf der Grundlage eines Kommunalisierungsgesetzes vom 1. Juli 1997 der „Janus-Kopf" des Landratsamtes weitgehend abgeschafft. Aufgaben, die die Landratsämter bislang als untere staatliche Verwaltungsebene wahrnahmen, sind in den Wirkungskreis des kommunalen Bereichs der Landratsämter übertragen worden. Lediglich die Kommunalaufsicht sowie die Veterinär- und Lebensmittelüberwachung verbleiben staatlich. Letztere sollen nach dem Wunsch des Fachministeriums zu Sonderbehörden umgebildet werden. Das Medizinal-, Lebensmittel- und Veterinäruntersuchungsamt soll im Jahr 2000 von vier auf einen Standort konzentriert werden.

Die Kommunalisierung der Katasterämter ist nicht gelungen, statt dessen gibt es seit dem 1. Januar 1998 einen Landesbetrieb Katasterverwaltung, der mit einem relativ geringen Landeszuschuß arbeitet.

Die staatlichen Aufgaben der Regelung öffentlicher Vermögensfragen wurden inzwischen in den kreisfreien Städten und den Landkreisen kommunalisiert. Damit wurde den bundesrechtlichen Vorgaben Genüge getan. Zum 1. Januar 1999 wurde diese Verwaltung in einem staatlichen Amt mit drei Außenstellen zentralisiert. Bei der Kommunalisierung wurde nur die Hälfte des Personals übertragen. Wie in anderen Bundesländern betrachten auch die Thüringer Kommunalbehörden mit Skepsis die Bereitschaft des Landes, mit den Aufgaben auch zusätzliche Finanz- und Personalmittel an die Kommunen abzugeben.

Es ist beabsichtigt, Berufsbildungseinrichtungen in Trägerschaft des Landes in Berufsschulzentren zu integrieren. Derzeit werden die Straßenbauverwaltung sowie die Laboreinrichtungen verschiedener Ministerien hinsichtlich ihrer Aufgabenstellung und Verwaltungsstruktur überprüft.

Nach einer Analyse der Staatlichen Schulämter und der Abteilung Schule des Landesverwaltungsamtes schlug die untersuchende Arbeitsgruppe vor, die Schulaufsicht zweistufig zu organisieren. Die Landesregierung griff die Empfehlung auf und beschloß im April 1996 die Auflösung der Abteilung Schule im Landesverwaltungsamt. Deren Aufgaben übernahmen zu 80 Prozent die unteren Verwaltungsebenen.

Auch im Zuge der Polizeireform wurde die Zweistufigkeit eingeführt: Das Polizeipräsidium wurde aufgelöst. und die Aufgaben wurden zum 1. Januar 1998 auf die Polizeidirektionen, das Polizeiverwaltungsamt, das Landeskriminalamt und das Innenministerium übertragen. Eine Untersuchung der Aufbau- und Ablauforganisation des Landeskriminalamts ergab Ansätze zur effektiveren Arbeitsgestaltung, und zum 4. Februar 1997 wurde die Aufbauorganisation der Bereitschaftspolizei den geänderten Einsatzanforderungen angepaßt.

Im Thüringer Finanzministerium wurde eine „alternative Finanzierung" ersonnen. Das Land schreibt Bauleistungen aus und erwirbt die von Privatunternehmen erstellten Gebäude im Rahmen von Leasing- und Mietkaufmodellen.

Privatisierungen sind in Thüringen ein relativ häufig gewählter Weg der Aufgabenübertragung. Unter anderem sind die Verwaltung des Europäischen Sozialfonds, Teilaufgaben der Sportförderung, die Kampfmittelräumung und die Unterhaltungs- und Instandsetzungsdienste für Bundes- und Landesstraßen an Private übertragen worden. Auch die Dienstleistungen in einigen Ministerien, wie Reinigung und Kantinenbewirtschaftung, gingen an Privatunternehmen über. Weitere Privatisierungen sind geplant, etwa für Arbeitsbereiche der Forstverwaltung, die Beratung der Landwirtschaftsämter oder die Unterbringung von Flüchtlingen.

Zum 1. Januar 1997 gründete das Land Thüringen die Landesentwicklungsgesellschaft, die nun das allgemeine Grundstücksvermögen des Landes verwaltet. Das Eigentum an diesen Liegenschaften ist der Gesellschaft übertragen worden.

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In drei Hochschulen Thüringens wird derzeit exemplarisch die zentrale Verwaltung untersucht und ein Konzept für eine „leistungsfähige, wirtschaftliche und klientenorientierte" Verwaltungsorganisation entwickelt. Die Ergebnisse sollen in ein Referenzmodell für die Hochschulen des Landes eingehen.

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Vorschriften- und Verfahrensvereinfachungen

Im Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz wurde eine Rechtsgrundlage für die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren geschaffen. Das Gesetz soll wirtschaftsrelevante Verfahren vereinfachen und beschleunigen.

Auch Thüringen bemüht sich - wie eine Reihe weiterer Bundesländer - die Effektivität und Effizienz seiner Förderprogramme zu steigern. Einen Weg zu einem wirtschaftsnäheren und zu einem sachgerechteren Fördermanagement sieht man in der Verlagerung des Förderwesens beispielsweise auf kommunale Gebietskörperschaften oder die Landesentwicklungsgesellschaft. Die Förderprogramme erfahren in Thüringen inzwischen eine regelmäßige Überprüfung. Eine Datenbank „Wirtschafts- und Informationssystem" enthält alle Förderverfahren und erlaubt seit Jahresanfang 1998 eine Auswertung der Programme unter Controlling-Aspekten.

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Personalmanagement

Das Land hat seit Mitte 1995 ungefähr 6.000 Stellen abgebaut. So enthielt der Haushaltsplan 1995 noch rund 70.500 Stellen, während der Haushaltsplan 1998 nur noch ca. 64.500 Stellen vorsieht. Davon sind etwa 5.000 Stellen kw gestellt. Mit Beginn des Jahres 1999 wurde die Budgetierung der Personalkosten eingeführt. Damit wird faktisch eine Reduzierung des Personals durchgesetzt, in einigen Bereichen werden freie Stellen nicht mehr besetzbar sein.

Bislang hatte Thüringen von den ostdeutschen Ländern am wenigsten Personal abgebaut. Angesichts der prekären Haushaltslage ist inzwischen von einem Abbau von bis zu 20.000 Stellen in den nächsten zehn Jahren die Rede.

In der Personalverwaltung wurde nach der Erprobungsphase ein IT-gestütztes Stellen- und Personalverwaltungssystem eingeführt. Es enthält Standards für Personal, Stellen, Organisation, Fortbildung und Urlaub. Ziel ist die Rationalisierung und die Verbesserung des Datenschutzes.

Mit zwei Gesetzesnovellen reformierte Thüringen das Dienstrecht. Mit einer ersten Gesetzesänderung sind unter anderem die Antragsaltersgrenze auf das 63. Lebensjahr angehoben und die voraussetzungslose Antragsteilzeit und die Einstellungsteilzeit eingeführt worden. Durch eine weitere Novelle wird die Vergabe von Führungspositionen auf Probe und auf Zeit eingeführt.

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Neue Steuerungsinstrumente

Die Einführung neuer Steuerungsinstrumente befindet sich in Thüringen in der Pilotphase. Die Kosten- und Leistungsrechnung testet man derzeit in der Universitätsklinik Jena und im Thüringer Landesamt für Statistik.

Eine Haushaltsflexibilisierung „Thüringer Modell" eröffnete den Weg für Versuche mit dezentraler Budgetverantwortung. Dadurch wurde u.a. die Übertragung von Ausgaberesten in das nächste Haushaltsjahr und die gegenseitige Deckungsfähigkeit von Haushaltstiteln ermöglicht.

Die Besonderheit des Programmhaushalts besteht in der systematischen Integration von Aufgabenkritik und Budgetierung. Die Zahl der Pilotbehörden wurde von anfänglich drei auf zehn erweitert. Auf Anregung werden jetzt in der Testphase statt der bisherigen Titelblätter zur Haushaltsanmeldung neue Vorhabenblätter eingesetzt, auf denen das jeweilige Vorhaben mit den beabsichtigten Aktivitäten, den erforderlichen Ressourcen und den erwarteten Wirkungen darzustellen ist. Erste Ergebnisse sollen in Kürze vorliegen.

Drei Ministerien sowie das Thüringer Landesamt für Statistik haben Referate beziehungsweise

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Stabsstellen für Controlling eingeführt. Umfassende Controllingsysteme existieren noch nicht, sieht man vom Controlling der Förderprogramme und einem Ansatz in der Straßenbauverwaltung einmal ab.





[Seite der Druckausg: 95] FES-MATERIALIEN ZUR VERWALTUNGSPOLITIK
Herausgeber: Albrecht Koschützke
Stabsabteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung,
53170 Bonn (Fax 0228/883-432, Internet: http://www.fes.de/stabsabt/)

Zur zukünftigen Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung
Peter Eichhorn, Hans-Joachim Hegelau; 38 S.; 1993 (vergriffen)

Moderner Staat und effiziente Verwaltung - Zur Reform des öffentlichen Sektors in Deutschland
Werner Jann; 39 S.; 1994; DM 20,00

Verwaltungsreformen in Städten und Gemeinden
Michael Bürsch, Manfred Pfister; 68 S.; 1995; DM 20,00

Modernisierung der deutschen Landesverwaltung - Zum Stand der Verwaltungsreform in den 16 Ländern
Michael Bürsch; 79 S.; 1996; DM 30,00

Ist die Verwaltungsreform geschlechtsneutral?
Barbara Stiegler; 16 S.; 1996; DM 10,00

Teilzeitarbeit in deutschen Behörden und Betrieben - Probleme, Potentiale und Perspektiven
Susanne Lang, Michael Bürsch; 38 S.; 1996 DM 20,00

Qualität des Verwaltungshandelns - Zur Modernisierung der Bundesministerien
Ulrich Pfeiffer, Bernd Faller; 85 S.; 1997; DM 30,00

Schlanker Staat - der Worte sind genug gewechselt: Zur Modernisierung der Bundesverwaltung
Michael Bürsch; 20 S.; Juni 1998; DM 10,00

Agenda der Staatsmodernisierung in der Legislaturperiode 1998-2002: Was ist notwendig, was ist möglich und was ist wünschenswert?
Christoph Reichard; 21 S.; November 1998; DM 10,00

Internet und Multimedia in der öffentlichen Verwaltung

Herbert Kubicek, Martin Hagen; 75 S.; 1999, DM 20,00 (Reihe Medien- und Technologiepolitik)

Modernisierung der Finanzverfassung: Möglichkeiten und Grenzen
Wolfgang Renzsch; 27 S.; April 1999; DM 10,00

Verwaltungsreformen in den deutschen Bundesländern
Michael Bürsch, Brigitte Müller; 100 S.; Mai 1999; DM 30,00


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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