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4. Wettbewerb unter den Ländern – wie kann das gehen?

In der aktuellen Diskussion wird der Wettbewerb unter den Ländern als Alternative zum kooperativen Konkordanzföderalismus empfohlen. Es muß kaum extra begründet werden, daß Wettbewerb im allgemeinen als effizient gilt und leistungsfördernd ist. Allerdings bleibt unscharf, was mit „Wettbewerb unter den Ländern" genau gemeint ist. Geht es „nur" darum, der Landespolitik mehr Gestaltungsfreiheit zu verschaffen und zentrale Vorgaben durch den Bund zu reduzieren, oder geht es darum, daß die Gebietskörperschaften wie Unternehmen am Markt konkurrieren und gegebenenfalls dem Risiko eines Konkurses unterworfen sind? Die Diskussion darüber, in welchen Formen und welchem Ausmaß öffentliche Güter unter Wettbewerbsbedingungen angeboten und finanziert werden können und sollen, ist noch längst nicht abgeschlossen. Ein überzeugendes Konzept ist derzeit noch nicht zu erkennen.

Obwohl die Forderung nach größeren politischen Spielräumen für die Länder und mehr Vielfalt unter ihnen mittlerweile Allgemeingut zu sein scheint, erleben wir in der Realität einen nur begrenzten und eher abnehmenden Wettbewerb: Die Geschichte der föderalen Beziehungen erscheint eher als eine des Vermeidens und Verhinderns von Wettbewerb, eher als eine der Kartellbildung seitens der Länder. Vielfach waren es gerade die Länder, die einheitliche Normen wollten. Wenn der Bund von sich aus die Gesetzgebung vereinheitlichte, konnte er dieses nur mit Zustimmung der Länder. Mit jedem Schritt zur weiteren Unitarisierung wurde der Wettbewerb weniger.

Die nähere Betrachtung zeigt, daß die Länder eher daran interessiert sind, den Wettbewerb untereinander zu begrenzen als auszuweiten, denn sie befinden sich bereits in vier Konkurrenz- und Konfliktsituation. Sie konkurrieren mit anderen Ländern um private Investoren. Sie stehen in einer permanenten Auseinandersetzung mit dem Bund. Als ganzes Land befinden sie sich in einer komplexen Konkurrenzsituation mit den vertikalen Ressortinteressen, schließlich wollen oder müssen sie auch in dem zunehmenden Wettbewerb der europäischen Regionen bestehen.

Die Konfliktlinien mit dem Bund und die vertikalen Ressortinteressen, aber auch die gemeinsamen Interessen der Länder auf der europäischen Ebene setzen einem Wettbewerb unter den Ländern Grenzen:

  • In den Auseinandersetzungen mit dem Bund, in denen der Bund vielfach Positionsgewinne gegenüber den Länder verzeichnen konnte, haben die Länder gelernt, daß sie erfolgreich ihre Interessen vertreten können, wenn sie sich untereinander verständigen. Für die Länder ist es rational, sich gegen den Bund zusammenzuschließen, d.h. den Wettbewerb untereinander zu beschränken. Erinnert sei hier an die Solidarpaktverhandlungen 1992/93, bei denen die Länder sich nur durchsetzen konnten, weil sich alle 16 auf ein gemeinsames Konzept verständigt hatten.

  • Als wettbewerbsfeindlich hat sich auch die Praxis der vertikalen Politikkoordinierung durch die „Fachbruderschaften" erwiesen, denn die vertikale Politikabstimmung der Einzelressorts will gerade das Gegenteil, nämlich weitgehend vereinheitliche Politikgestaltung. Für die Einzelressorts von Bund und Ländern bestehen Anreize zur Politikkoordinierung, denn die Beschlüsse von Fachministerkonferenzen steigern das politische Gewicht der Fachminister in ihren jeweiligen Kabinetten. Erinnert sei hier an die 5. Umweltministerkonferenz vom 19./20. November 1998, in der die Umweltminister der Länder vom Bund eine Mitfinanzierung des Hochwasserschutzes im Binnenland forderten. Gesetzt den Fall, der Bund würde sich – trotz der verfassungsrechtlichen Problematik einer solchen finanziellen Beteiligung – auf diese Forderung einlassen, sähen sich die Landesregierungen faktisch gezwungen, die geforderten Komplementärmittel bereitzustellen. Das hieße konkret, die Einzelressorts gewönnen an Gewicht, wenn sie sich mit Unterstützung des Bundes auf ein gemeinsames politisches Programm verständigten. Die politische Koordinierung unter den „Fachbrüdern" behindert regional differenzierte Problemlösungen, und die Konkurrenz in den Kabinetten begrenzt damit den Wettbewerb unter den Ländern.

Die Voraussetzungen für mehr Wettbewerb sind unter diesen Umständen nicht günstig. Die politischen Akteure stehen zum größeren Teil einer Ausweitung des Wettbewerbs eher skeptisch gegenüber, insbesondere wenn damit auch eine verschärfte Konkurrenz um Steuereinnahmen gemeint ist. Unter den Länder beschränkt sich die Gruppe der Befürworter auf die starken oder zumindest potentiell starken Länder. Diejenigen, die wissen oder ahnen, daß sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht zu den Gewinnern zählen werden, werden kaum für mehr Konkurrenz plädieren. Auch beim Bund darf man skeptisch sein. Zwar würde mehr Wettbewerb unter den Länder für ihn die Chance zum divide et impera eröffnen, jedoch wäre eine Reduzierung bundesgesetzlicher Normierungen eine unerläßliche Voraussetzung. Ob der Bund aber bereit ist, in einem zusammenwachsenden Europa auf seine politische Steuerungsfunktionen zu verzichten, erscheint höchst zweifelhaft. Schließlich spricht auch unsere gesamtstaatlich ausgerichtete Parteiendemokratie dagegen. Parteiideologien sind selten offen für regional unterschiedliche Lösungswege. Das zeigt die Auseinandersetzung um ein bundesgesetzliches Verbot von Studiengebühren. Politisch brisant erscheint zudem die Vorstellung, dem Wähler zuzumuten, für gleiche staatliche Leistungen regional unterschiedliche steuerliche Belastungen hinzunehmen. Wie unter diesen Bedingungen Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat, geschweige denn verfassungsändernde Mehrheiten gefunden werden können, ist derzeit nicht zu erkennen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000

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