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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 13] Rede zur Abschlussveranstaltung des Energiedialogs 2000
Meine sehr geehrten Damen und Herren, I. was wir, Dr. Breuer und ich, Ihnen heute präsentieren wollen, ist ein Anliegen, das nicht den üblichen Gesetzmäßigkeiten, nach denen Politik und Medien funktionieren, folgt. Üblicherweise redet man darüber, was den einen vom anderen trennt, wodurch sich die eine politische Partei von der anderen unterscheidet. Auch Schlagzeilen lassen sich besser formulieren, wenn Konflikte und Differenzen zu berichten sind. Die Debatte über die Energiepolitik ist dafür ein herausragendes Beispiel: Wer kennt sie nicht, die Kontroverse über die Kernenergie. Sie hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Gesellschaft gespalten. Und wohl jeder Bürger, ob energiepolitisch interessiert oder nicht, könnte auf Anhieb benennen, wer für oder gegen Kernenergie ist. Für Journalisten gilt das allemal. Aber Hand aufs Herz: Wer könnte ebenso auf Anhieb sagen, auf welchen Anteil an der Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland sich diese Kontroverse bezieht? Die Antwort darauf kennen meist nur die Experten: Die Hauptlast nämlich wird von den Energieträgern Mineralöl, Kohle und Erdgas getragen. Auf diese Energieträger fallen fast 90 Prozent der Versorgung. Kernenergie hat zwar in einem wichtigen Segment eine herausragende Bedeutung, in der Grundlastversorgung mit Strom. In der Gesamtschau jedoch überhöht der Dissens über Kernenergie bei weitem ihre quantitative Bedeutung. Herr Dr. Breuer und ich sind der Auffassung gewesen, dass man das umkehren müsse. Jenseits der Kernenergiedebatte gibt es eine Vielzahl energiepolitischer Themen, bei denen Gemeinsamkeiten der bundesdeutschen Politik wichtig und wie sich gezeigt hat , auch herstellbar sind. Wir wollen heute also vorstellen, was politische Parteien und gesellschaftliche Gruppen verbindet. Eine als solche schon ungewöhnliche Botschaft. Ich kann Ihnen versichern, dass das keine Selbstverständlichkeit war. Das viel kritisierte und oft unterschätzte Konsensmodell Deutschland existiert in der Energiepolitik seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr. Darüber sind Investitionen in Desinvestitionen verwandelt worden und Koalitionen gestolpert oder fast gestolpert. [Seite der Druckausg.: 14] Angesichts der neuen Rahmenbedingungen in der leitungsgebundenen Energiewirtschaft, angesichts der Europäisierung der Energiemärkte und angesichts der Marktanteilskämpfe, denen sich die Stromwirtschaft aktuell, die Gaswirtschaft demnächst, stellen muss, kann sich die Politik nach meiner Auffassung eine solche Nabelschau nicht mehr leisten, wenn sie noch Gestaltungskraft für den Energiestandort Deutschland entwickeln will. Und ich freue mich, dass dieser Auffassung alle Parteien und alle gesellschaftlichen Gruppen gefolgt sind. II. Wenn ich alle sage, habe ich auch die Umweltverbände im Auge. Sie haben bis zur letzten Arbeitssitzung also fast ein Jahr lang mitgearbeitet, haben Herrn Breuer und mir dann mitgeteilt, dass sie das Abschlusspapier, das bis auf wenige eckige Klammern fertig war, nicht unterzeichnen können. Die von den Umweltverbänden eingebrachten Punkte sind nicht verändert worden, weil auch andere Beteiligte die Umweltseite mitgetragen und vertreten haben. Die eigentliche Differenz, um die es bei der letzten Sitzung ging, lag in der Geschwindigkeit, mit der ein Energieversorgungssystem eines großen Industriestaates von einer fossilen Energiebasis auf Energieträger umgestellt werden soll oder kann, die sonnenabgeleitet sind. In der Grundausrichtung selbst jedoch, dass es darum gehen muss, zur Zukunftsvorbereitung eine solche Entwicklung einzuleiten und staatlicherseits zu begleiten, gab es große Übereinstimmung von Industrie über politische Parteien bis hin zu den Umweltverbänden. In der Bewertung der Gleichrangigkeit des energiepolitischen Ziels Umweltverträglichkeit ist das festgehalten. Ich glaube, dass das ein Erfolg der Umweltverbände ist. Auch wenn sie das selbst so nicht mehr sehen, weil sie dies ja schon seit zwanzig Jahren gesagt haben. Aber Ungeduld ist vielleicht ihr besonderes Vorrecht, was wir ihnen auch diesmal zugestehen sollten. III. Beim Auftakt in Bonn letztes Jahr habe ich versprochen, dass alle, die den Mut haben, ihre eigenen Positionen und Argumente auf den Prüfstand der öffentlichen Debatte zu stellen, sich in den Ergebnissen des Dialogs wiederfinden. Dieses Versprechen ist eingelöst. Nicht meinetwegen. Ich konnte dies versprechen, weil ich darauf gesetzt habe, dass sich alle Beteiligten mit den Meinungen und Anliegen der jeweils Anderen auseinandersetzen. Und ich habe auf die Bereitschaft gesetzt, in strittigen Punkten aufeinander zuzugehen auch bei kontroversen Themen. Selbstverständlich hat niemand erwartet, dass am Ende alle in allen Punkten einer Meinung sind. Insbesondere beim Thema Kernenergie nicht, deswegen haben wir sie von Anfang an ausgeklammert. Und sich in den Ergebnissen wiederzufinden, heißt auch nicht, dass die eigene Ausgangsposition eins zu eins abgebildet wird. Vielmehr wird so etwas wie die Schnittmenge der Positionen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen beschrieben. Ein Korridor, der nach meiner Auffassung gut beschreibt, wie Politik das Spannungsfeld zwischen Struktursicherung einerseits und Zukunftsvorbereitung andererseits initiieren und begleiten soll. [Seite der Druckausg.: 15] Die gemeinsame Einschätzung ist, dass die Rolle nationaler Energiepolitik sich deutlich wandelt. Nicht nur weil eine Vielzahl neuer Akteure auf sich neu formierenden und größer werdenden Märkten neue Strukturen und Entscheidungsbedingungen schafft. Sondern auch, weil Energiepolitik längst nicht mehr Territorium von Energieexperten ist, sondern weite gesellschaftliche Kreise bewegt, die sich zukünftig als Kunden und nicht nur als Wähler artikulieren werden. Diese Bandbreite spiegeln auch die Ergebnisse des Energiedialogs wider. Schon dies alleine würde genügen, das Unterfangen zu rechtfertigen. Ich will auch nicht unterschlagen, dass fast alle Beteiligten auf den letzten Metern vor ihrem eigenen Mut zurückgescheut sind. Sich für einen Konsens verhaften zu lassen, der die eigene Position nicht vollständig erkennbar werden lässt, der vielleicht auch noch Argumente des anderen Lagers, des politischen Konkurrenten gar, aufnimmt, einen solchen Konsens gegenüber der eigenen Mitgliedschaft vertreten und verfechten zu müssen, ist niemandem leicht gefallen. Und ich freue mich besonders, dass alle, die diesen Energiedialog über ein Jahr getragen haben, sich bei unserer letzten Zusammenkunft zu diesem Schritt bekannt haben und dies heute auch durch ihre Anwesenheit dokumentieren. IV. Für die energiepolitische und gesellschaftspolitische Verantwortung, die daraus spricht, möchte ich mich bei allen, die den oft mühsamen Weg mit uns gegangen sind, bedanken. Der wichtigste Leitgedanke, den alle Beteiligten in der Priorität oben an gestellt haben, ist ein sehr zukunftsorientierter: Dass es nämlich im Zuge der Europäisierung der Energiemärkte dringend erforderlich ist, dass die nationale Politik und die sie tragenden gesellschaftlichen Gruppen im europäischen Konzert auch mit einer Stimme sprechen ich betone auch, weil die Normalität des deutschen Stimmengewirrs in Brüssel nicht gehört wird. Ein weiterer Leitgedanke war, dass allen, unabhängig von ihrer inhaltlichen energiepolitischen Ausrichtung an der Wettbewerbsfähigkeit und ökonomischen Potenz der Unternehmen und der Branche insgesamt gelegen sein muss. Aus einem schlichten Eigeninteresse. Nationale Energiepolitik könnte überflüssig sein, wenn die Entscheidungen in politischen und ökonomischen Zentren außerhalb Deutschlands getroffen werden. Um es auf einen ganz einfachen Nenner zu bringen: Eine nationale Politik, deren Adressaten Investoren in anderen Ländern sind, könnte feststellen müssen, dass ihre Gestaltungsfähigkeit sich auf Kommentare beschränkt. Drittens war die Erkenntnis vorhanden, dass die Energiepolitik mehr als andere Politikbereiche von einem Grundkonsens profitiert. Denn angesichts der Langfristigkeit von Investitionen trägt ein solcher Grundkonsens zur Sicherheit der Energieversorgung bei. Viertens vergrößert er die Chance, dass wir im Hinblick auf Folgen der Energiebereitstellung und -nutzung, die wir nicht heute, sondern erst in vielen Jahren zu spüren bekommen, die richtigen Entscheidungen treffen. [Seite der Druckausg.: 16] Ein solcher Grundkonsens hilft auch dabei, dass der notwendige Strukturwandel in die richtige Richtung verläuft und im Einklang mit den Zielen der Gesellschaft und den Bedürfnissen der Menschen vonstatten geht. V. Viele Außenstehende hat am Energiedialog interessiert: Was kommt denn nun Neues heraus? Ich will drei Punkte hervorheben. Erstens: Die Beteiligten haben Konsens darüber erzielt, dass die Energieversorgung und -bereitstellung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung auszurichten ist. Dieses Ergebnis, dem intensive und auch kontroverse Diskussionen vorausgingen, ist vor allem auch ein Verdienst der Umweltverbände. Bei der Auftaktveranstaltung habe ich das Zieldreieck für die Energieversorgung, bestehend aus Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit, hervorgehoben. Mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit sind die Teilnehmer des Dialogs darüber hinausgegangen und haben einen Weg aufgezeigt, wie bei Zielkonflikten die Abwägungen getroffen werden sollen. Ich halte dies für einen erheblichen Fortschritt in der Debatte. Es beinhaltet nicht weniger, als dass Wettbewerbsfähigkeit auch ein Anliegen der Umweltseite und Umweltverträglichkeit auch ein Anliegen der Wirtschaft ist. Bei zukünftigen Diskussionen über Instrumentarien in der Energiepolitik wird das eine wichtige Richtschnur sein. Zweitens: Die Beteiligten sind sich darin einig, dass marktwirtschaftliche Prozesse grundsätzlich am besten geeignet sind, für effiziente Versorgungs- und Dienstleistungsstrukturen zu sorgen. Nur dann, wenn gewünschte Ziele im Markt nicht von allein erreicht werden, ist staatliches Handeln notwendig. Dann soll mit geeigneten Instrumenten zielgenau gegengesteuert werden. Ich schätze es hoch ein, dass es bei der Instrumentenfrage nicht mehr um einen Prinzipienstreit geht, sondern alle anerkennen, dass die gewählten Instrumente effizient steuern sollen. Eine subsidiäre Rolle staatlichen Handelns ist zu Beginn des Dialogs noch heftig umstritten gewesen. Auch hier denke ich, ist es der intensiven Diskussion um die Folgen des Strukturwandels in Europa zu verdanken, die zu dieser Schlussfolgerung geführt haben. Mit dieser Leitlinie hat die Politik einen Prüfauftrag erhalten, der noch erhebliche Wirkungen entfalten wird. Drittens: Als Zukunftsvorbereitung ist eine deutliche Veränderung des Energiemixes notwendig; sie ist allerdings nur schrittweise möglich und erfordert Zeit. An diesem Satz, den ich aus den Leitlinien des Dialogs zitiert habe, wird m.E. besonders deutlich, dass sich die beteiligten gesellschaftlichen Gruppen im Dialogprozess aufeinander zu bewegt haben. Die Aussage macht ganz klar: Ein weiter so wie bisher reicht nicht darin sind sich alle einig. Aber die notwendige Veränderung geht nicht von heute auf morgen. Szenarien einer nachhaltigen Entwicklung lassen sich leicht entwerfen auf dem Papier. Aber eine Erkenntnis zwingt die Realität auf. Brecht bekanntermaßen ein Befürworter von Revolutionen hat das einmal sehr schön in den Stoßseufzer zusammengefasst dann kommen die [Seite der Druckausg.: 17] Mühen der Ebenen . Deswegen finde ich die Schlussfolgerungen der Beteiligten des Dialogs sehr weise und verantwortungsbewusst. Eine Entwicklung zugunsten erneuerbarer Energien soll eingeleitet werden aber nicht bruchartig. Vor dem Hintergrund, dass Deutschland ein Stromerzeugungsstandort bleiben soll, ist das auch ökonomisch konsequent. Denn auf lange Sicht sind erneuerbare Energien im Wesentlichen Importenergien. VI. Was passiert nun mit den Ergebnissen, ist eine Frage, die nicht nur die Beteiligten bewegt. Nun, erstens glaube ich, dass der Dialog nicht zu Ende ist. In dieser formalen Form schon, wir haben damit aber allenfalls einen Prozess begonnen. Es wird von den Beteiligten abhängen, ob die Gemeinsamkeiten fortgesetzt werden können. Das wird nicht ganz einfach werden. Wenn man mehr als zwanzig Jahre lange Differenzen betont hat, auf allen Seiten mit ehrenwerten Motiven, fällt es schwer, in Zukunft auf Gemeinsamkeiten zu setzen. Mit den Differenzen sind politische und persönliche Biographien, nicht zuletzt machtpolitische Positionen verknüpft. Ich möchte deshalb an alle Beteiligten appellieren, in zukünftigen Debatten nicht hinter das bisher Erreichte zurückzufallen, sondern das Bemühen um gemeinsame Positionen fortzusetzen. Ihre Arbeit entwickelt um so mehr politische Dynamik, als sie selbst auf der Verbindlichkeit Ihrer Ergebnisse beharren. Zweitens wird die Bundesregierung, wie von Ihnen empfohlen, Ihre Ergebnisse zur Basis des nunmehr auszuformulierenden Energiekonzepts machen. Ich gehe davon aus, dass auch die Debatte hierüber nicht ohne Diskussionen verlaufen wird. Aber auch in dem üblichen parlamentarischen Verfahren werden Sie beteiligt und Ihre Ergebnisse eine wichtige Entscheidungsorientierung sein. VII. Zum Abschluss heute ein Dank an alle Beteiligten. Mein Dank gilt besonders Herrn Dr. Breuer, der als Kuratoriumsvorsitzender des Forums für Zukunftsenergien gemeinsam mit mir den Vorsitz im Energiedialog übernommen hat. Ich danke allen Mitgliedern der Steuerungs- und Arbeitsgruppe für ihre unermüdliche Mitarbeit an unserem gemeinsamen Ziel, eine breit unterstützte Basis für die deutsche Energiepolitik für die Zukunft zu erarbeiten. Mein Dank geht an alle, die größere Energiekonferenzen im Rahmen des Energiedialogs 2000 veranstaltet und sich daran aktiv beteiligt haben und so dazu beitrugen, dass die Positionen der gesellschaftlichen Gruppen zur Energiepolitik auch öffentlich zur Diskussion gestellt wurden. Ich danke all denjenigen aus der Bevölkerung, von Unternehmen und Verbänden, aus der Wissenschaft und von anderen Institutionen, die uns ihre Anregungen und Vorschläge haben zukommen lassen. Und nicht zuletzt danke ich der Friedrich-Ebert-Stiftung, die uns nicht nur beim Auftakt in Bonn und heute in Berlin, sondern während des gesamten Prozesses wertvolle Unterstützung leistete. [Seite der Druckausg.: 18 = Leerseite] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000 |