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[Seite der Druckausg.: 9]


Rede zur Abschlussveranstaltung des Energiedialogs 2000

Dr. Rolf-E. Breuer
Vorsitzender des Kuratoriums des Forums für Zukunftsenergien


Sehr geehrter Herr Minister,
Herr Börner,
meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie als Vorsitzender des Kuratoriums des Forums für Zukunftsenergien zur Abschlussveranstaltung des Energiedialogs 2000.

Vor nunmehr einem Jahr bin ich als Vorsitzender des Kuratoriums gerne der Einladung von Herrn Bundesminister Müller gefolgt, mit ihm den Vorsitz im Energiedialog zu übernehmen.

Für mich war dieser Schritt im Lichte meiner Tätigkeit im Kuratorium des Forums eine Aufgabe von besonderem Reiz. Der Dialog eröffnete die Chance, den offenen Diskurs mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen über die längerfristigen Perspektiven der Energiewirtschaft zu führen. Es ist durchaus keine Selbstverständlichkeit, dass der Dialog im letzten Jahr unter Mitwirkung hochrangiger Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften und Ländern und Kommunen starten konnte. Allen Beteiligten war von Anfang an klar, dass die Formulierung der Leitlinien und Ziele für die Energiepolitik der Zukunft kein leichtes Unterfangen wird. Niemand konnte erwarten, dass das gemeinsame Positionspapier die Meinung aller Teilnehmer vollständig und uneingeschränkt widerspiegeln würde.

Anders als in planwirtschaftlichen Systemen, wo die vermeintlich allwissenden Entscheider die Zukunft bestimmen, ist es das Vorrecht der Demokraten, im Wettstreit der Ideen einen gesellschaftlichen Kompromiss herbeizuführen, mit dem alle Beteiligten leben können. Insofern war der Dialog bereits vom Ansatz fruchtbar, denn er hat einen Grundkonsens geschaffen, auf dessen Fundament ein rationales Energiekonzept formuliert werden kann. Die letztendlich gültige Konkretisierung eines rationalen Energiekonzepts obliegt in unserem demokratischen Staatswesen naturgemäß dem Primat der Politik. Die Ergebnisse des Dialogs liefern hierfür die Grundlage.

Der Dialog geht mit dem heutigen Tag nur formal zu Ende. Er versuchte Antworten auf die Fragen von heute und die Herausforderungen von morgen zu geben. Aufgrund der rasanten Entwicklung in der Welt, nicht zuletzt hier in der Mitte Europas, können die Ergebnisse immer nur vorläufig sein. Änderungen im energiewirtschaftlichen Rahmenkranz erfordern neue Überlegungen, neue Diskussionen.

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Ich glaube, ohne den Energiedialog hätte die Energiepolitik in Deutschland bereits heute eine wesentlich andere Ausrichtung. Die durch den Dialog gesteigerte Sensibilisierung der Teilnehmer für die Sicht der anderen Beteiligten war eine Voraussetzung für den Erfolg des Dialogs.

Mein Dank gilt allen, die zum Gelingen beigetragen haben. Besonders danken möchte ich den Teilnehmern, die ihre knappe Zeit geopfert haben, obwohl allen klar war, dass die Diskussion über eines der strittigsten Politikfelder kein Honigschlecken wird. Die Auseinandersetzungen waren teilweise hart. Meinen Respekt verdient insbesondere das Durchstehvermögen derjenigen, die – obwohl auch sie ihre Positionen nicht voll durchsetzen konnten – den Dialog nicht verlassen haben und die Ergebnisse mittragen.

Ausdrücklich nicht Gegenstand des Dialogs war die Frage der Kernenergieerzeugung in unserem Land. Durch die Einbindung der parallel laufenden Konsensgespräche wäre der Dialog überfrachtet worden und hätte eine Einigung bei den 90 Prozent der übrigen energiepolitischen Themen verhindert, bei denen eine Verständigung möglich war.

Wie sind die Ergebnisse des Dialogs aus Sicht der Wirtschaft zu bewerten?

Ich bin der festen Überzeugung, dass der Dialog einen Erfolg darstellt. Allein das Zusammentreffen so unterschiedlicher Meinungsträger war für viele Beobachter überraschend. Dass ein gemeinsames Positionspapier erstellt werden konnte, ist ein Zeichen für die Bereitschaft der Teilnehmer, trotz natürlicher gruppenspezifischer Sonderinteressen, sich aufeinander zuzubewegen.

Das Ziel des Energiedialogs, den marktkonformen Wandel zu einer nachhaltigen Energiepolitik voranzubringen, wurde erreicht.

Natürlich ist hier nicht der Platz und die Zeit, die Ergebnisse im Detail zu würdigen. Lassen Sie mich jedoch in aller gebotenen Kürze einige Bemerkungen zu den mir aus Sicht der Wirtschaft besonders hervorzuhebenden Themen machen:

  1. Der Dialog fand im Umfeld teilweise dramatischer Änderungen der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen statt. Dazu zählen zum einen die Liberalisierung und Deregulierung der Energiemärkte in Deutschland und Europa, die zu geradezu revolutionären Wandlungen führen. Hinzu kommt die fortschreitende Globalisierung, die einen scharfen Wettbewerb der Standorte zur Folge hat. Verstärkt wird die Entwicklung durch die zunehmende Europäisierung infolge der Bildung eines gemeinsamen Währungsraums in Euroland. Auch die Energiepreise unterliegen einem starken Wandel. Der vielleicht wichtigste Preis auf den internationalen Energiemärkten, der Ölpreis, sank Anfang 1999 auf unter 10 USD pro Barrel; jetzt pendelt er um die 30 USD – bei deutlich gestiegenem USD-Wechselkurs!

  2. Der Energiedialog kam zu dem Ergebnis, dass eine nachhaltige Entwicklung das gemeinsame Leitbild sein muss. Zur Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips sind die Ziele der Energiepolitik – Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit, Umweltverträg-

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    lichkeit – gleichrangig zu verwirklichen. Gleichrangigkeit ist keine Selbstverständlichkeit. In den 70er Jahren wurde unter dem Eindruck des Ölpreisschocks der Versorgungssicherheit Vorrang eingeräumt. Heute fordern Interessengruppen eine Übergewichtung des Umweltziels. Die Gleichrangigkeit ist – so gesehen – ein Erfolg der Vernunft. Gleichgewichtigkeit des Ziels Wirtschaftlichkeit verhindert nämlich eine Politik der Versorgungssicherheit bzw. des Umweltziels um jeden Preis.

  3. Konflikte im Zieldreieck wird es allerdings auch künftig geben. So wird die Förderung erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) nicht allerorten auf ungeteilte Begeisterung stoßen. Allerdings wurde auch kein Freibrief für eine unbegrenzte Subventionierung erteilt. Die Vertreter der Wirtschaft konnten im Fördersystem der Regenerativen eine Verankerung der Degression erzielen. Der Schutz der KWK-Anlagen betrifft keineswegs alle Anlagen. Wir haben das wichtige Ergebnis vereinbart, dass sich längerfristig alle Energieträger und Erzeugungsanlagen dem Wettbewerb stellen müssen. Die Teilnehmer haben durch ihre Zugeständnisse den derzeit noch „Fußkranken„ eine Brücke in die Zukunft gebaut. Wegen der damit verbundenen hohen Kosten bzw. Subventionen wird die Energiebrücke nicht für alle Zeit existieren. Nur wer die Brücke nutzt und Wettbewerbsfähigkeit schnell erreicht, wird auf dem freien Energiemarkt überleben können.

  4. Im Wettbewerb der Unternehmen, national und international, spielen die Energiekosten eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Liberalisierung und Deregulierung sorgen unmittelbar über den Druck auf die Preise für eine Kostenentlastung. Der Rückgang der Strompreise infolge des neuen Ordnungsrahmens ist ein gutes Beispiel. Dank der Liberalisierung sind die Strompreise um 20 bis 60 Prozent gefallen; der Entlastungseffekt für die Abnehmer betrug EUR 10 Mrd. Der Energiedialog unterstützt diese Entwicklung auch für die Gasmärkte.

  5. Der Dialog spricht sich für weitere Fortschritte bei der Liberalisierung der Energiemärkte aus. Aus Sicht der Wirtschaft ist dies zu begrüßen. Die Herstellung von Chancengleichheit im Wettbewerb – national und EU-weit – ist eine prioritäre Aufgabe der Politik. Deutschland spielt mit Großbritannien und den skandinavischen Ländern eine Vorreiterrolle. Der Spielraum für Wettbewerb ist groß. In anderen Ländern gibt es hingegen noch Nachholbedarf. Hier ist Brüssel gefordert, damit wenigstens die vereinbarte Mindestmarktöffnung in der EU realisiert wird. Die Forderung, dass die Netzzugangsregelung diskriminierungsfrei, transparent und börsenfähig ausgestaltet sein sollte, begrüße ich sehr. Wenn noch in diesem Monat der Handel mit Strom in Leipzig und im August in Frankfurt/Main beginnt, dann handelt es sich um eine logische Folge der Liberalisierung. Diese führt nämlich nicht nur zu niedrigeren Preisen, sondern auch zu größeren Preisvolatilitäten. Wer in Deutschland hätte vor einem Jahrzehnt damit gerechnet, dass Strom bei uns jemals wie Aktien oder Bonds an der Börse gekauft und verkauft werden kann?

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  6. Sowohl die zweite Verbändevereinbarung für Strom, deren Zwei-Zonenkonzept von der Europäischen Kommission kritisiert wird, als auch die anstehende Verbändevereinbarung für den Gasmarkt werden ständig zu überprüfen und weiterzuentwickeln sein. Von der Vision eines einheitlichen europäischen Marktes für die Leitungsenergien sind wir noch weit entfernt. Um die Vision zu realisieren, ist ein gemeinsames europäisches Leitbild erforderlich, auf dessen Basis die europäischen Wettbewerbsbehörden die Wettbewerber mit gleichem Maß bewerten können. Im Klartext: Für deutsche Energieunternehmen darf keine andere Meßlatte gelten als für französische.

  7. Der Energiedialog kommt zu dem ausgesprochen wichtigen Ergebnis, dass der Markt grundsätzlich auch in der Energiewirtschaft für effiziente Versorgungs- und Dienstleistungsstrukturen sorgt. Eine regulierende Funktion der Politik ist nur dann subsidiär erforderlich, wenn die Marktergebnisse nicht den energie-, wirtschafts- und umweltpolitischen Zielsetzungen entsprechen. Staatliche Regulierung ist entbehrlich, wenn private Lösungen die staatlich gesetzten Kriterien erfüllen. Politische Maßnahmen sind zudem fortlaufend auf Notwendigkeit, Dauer, Umfang und Steuerungseffizienz zu überprüfen.

  8. Der Energiedialog trägt dem nationalen CO2-Minderungsziel sowie den internationalen Anforderungen an Klima- und Umweltschutz Rechnung. In diesem Zusammenhang wird Wert auf eine rationellere und sparsamere Nutzung von Energie gelegt. Sparen ist etwas, was in der Wirtschaft jeder versteht. Das Energiesparpotenzial ist bei uns in vielerlei Hinsicht noch nicht ausgeschöpft. Es lässt noch enorme Möglichkeiten zu. Dabei geht es um technische Neuerungen und Innovationen in der Produktion, aber auch in den privaten Haushalten. Nach der bekannten Studie von PROGNOS/EWI kann die Energieeffizienz des Energieverbrauchs in allen Bereichen noch beträchtlich gesteigert werden: im Gebäudebestand, im Dienstleistungsbereich, beim Treibstoffverbrauch der Pkw-Flotte, aber auch beim fossilen Kraftwerkspark und in der Industrie. Energieeinsparung und rationelle Energieverwendung dienen der Schonung knapper Energieressourcen, tragen zum Schutz der Umwelt und zur Vermeidung von CO2-Emissionen bei. Eine Sparpolitik ist nach meiner Überzeugung ein zentrales Instrument, um eine Optimierung im Zieldreieck zu erreichen.

Zusammenfassend sind die Ergebnisse des Energiedialogs meines Erachtens geeignet, die Rationalität der Energiepolitik zu erhöhen. Die Konkretisierung eines rationalen Energiekonzepts für Deutschland, das der gestiegenen internationalen Integration und globalen Trends und Herausforderungen Rechnung trägt, bleibt gleichwohl Aufgabe der Politik. Ein rationales Energiekonzept ist ein wichtiger Baustein, um die Attraktivität des Produktionsstandorts Deutschland nicht zuletzt auch für das Ausland zu erhöhen. Unser Energiedialog hat nach meiner Überzeugung dafür wichtige Voraussetzungen geschaffen.

Mit Spannung warte ich nun auf das künftige Energiekonzept für Deutschland!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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