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TEILDOKUMENT:
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1. Gegenwärtiger Diskussionsstand
Die skizzierten Vor- und Nachteile der bestehenden Medienordnung bilden gleichsam die Argumentationsfolie für die seit einigen Jahren anhaltende Diskussion über eine Reform der Medienordnung. Gegenstand der Diskussion sind das materielle Medienrecht und der institutionelle Regulierungsrahmen. Dabei zeigen sich allerdings erhebliche Unterschiede im Verlauf und in der Bewegungstendenz der Diskussion zu diesen beiden Themenkreisen.
Auf dem Gebiet des materiellen Medienrechts ist eine eindeutige Tendenz zur Ausdifferenzierung und Liberalisierung des traditionellen rundfunkrechtlichen Regulierungsrahmens zu erkennen. Zwischen Bund und Ländern besteht über alle Parteigrenzen hinweg Übereinstimmung darin, dass mit zunehmendem Ausbau der Übertragungskapazitäten und mit der Erweiterung bzw. Individualisierung des Angebots die Regulierungsdichte zurückgenommen und dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb größere Spielräume eröffnet werden können. Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung bildeten die neuen Online-Medien. Sie werden zwar nach wie vor dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff (und damit der Regulierungszuständigkeit der Länder) zugeordnet, sofern sie die wesentlichen inhaltlichen Charakteristika des Rundfunks nämlich publizistisch relevante Inhalte und Adressierung an die Allgemeinheit aufweisen, doch wurde für sie in Gestalt des Mediendienstestaatsvertrags ein eigenes, wesentlich liberaleres Ordnungssystem geschaffen. Im Unterschied zum Rundfunkorganisationsrecht verzichtet es auf alle präventiven Zulassungsregelungen. Der Mediendienststaatsvertrag beschränkt sich auf reine Ordnungsregeln, die ihrer rechtlichen Qualität nach den Bestimmungen des Presserechts entsprechen. In eine ähnliche Richtung gehen die neuen Regelungen über die Kabelbelegung, die mit dem vierten Rundfunkänderungsstaatsvertrag eingeführt werden. Von den Must Carry-Programmen abgesehen, beschränken sie sich auf sehr allgemein gehaltene Auswahlkriterien, die dem Kabelnetzbetreiber weitgehenden Spielraum bei der Kabelbelegung lassen. Auch das Rundfunkkonzentrationsrecht nähert sich mit dem Übergang zu Marktanteil-Kriterien im dritten Rundfunkänderungsstaatsvertrag einem marktwirtschaftlichen Regulierungssystem an, wie es im Prinzip auch der wettbewerbsrechtlichen Pressefusionskontrolle zugrunde liegt. Mit Blick auf die Einführung digitaler Übertragungssysteme, die zu einer enormen Erweite- [Seite der Druckausg.: 28 ] rung der Übertragungskapazitäten führt, zeichnet sich ein grundlegender Paradigmenwechsel der Rundfunkregulierung ab, weg von der präventiven Rundfunklizenzierung hin zur Gewährleistung der Offenheit des Marktzugangs. Die Regelung über den diskriminierungsfreien Zugang in § 53 Rundfunkstaatsvertrag bildet den ersten entscheidenden Baustein dieses neuen Regulierungskonzepts. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die übrigen Regelungen zur Rundfunklizenzierung, falls sie nicht gänzlich entfallen, ihren Bestimmungszweck grundlegend ändern. Sie werden in der Praxis nicht mehr darauf gerichtet sein, bestimmte programminhaltliche Anforderungen durchzusetzen, sondern im Wesentlichen nur noch als Anknüpfungspunkte für die (präventive) Konzentrationskontrolle dienen.
Wesentlich kontroverser und in der Tendenz unklarer verläuft die Diskussion über eine Reform des institutionellen Regulierungsrahmens, d.h. der föderalen Gliederung der Medienregulierung und -aufsicht. Die Frontlinien der Diskussion verlaufen keineswegs einheitlich parallel zu den Grenzen der jeweiligen politischen Lager, Interessengruppen oder institutionellen Ebenen, sondern überkreuzen sich vielfach. Im Überblick betrachtet lassen sich in etwa folgende Tendenzen ausmachen: Auf der Länderseite besteht Grundkonsens darüber, an der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung festhalten zu wollen, was bedeutet, keine Zuständigkeiten bei der Medienregulierung an den Bund abzugeben. Diesseits der gemeinsamen Frontlinie gegenüber dem Bund gibt es jedoch durchaus unterschiedliche Positionen zu der Frage, inwieweit unterhalb der Schwelle einer echten Verlagerung von Zuständigkeiten ein engeres Zusammenwirken von Bund und Ländern und eine stärkere Bündelung der Aufgabenwahrnehmung auf Länderebene selbst wünschenswert sind. Entsprechende Vorschläge kommen hauptsächlich aus dem Kreis der A-Länder, die in zwei Richtungen zielen:
Auf Seiten des Bundes gab es schon immer das Interesse an einer Begrenzung der Rundfunkhoheit der Länder und an einer Stärkung der zentralstaatlichen Funktionen im Rahmen des Medienregulierungssystems. Nachdem durch das grundlegende erste Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1961 die verfassungsrechtliche Zuständigkeitsverteilung zunächst eindeutig zugunsten der Länder geklärt war, witterte der Bund mit dem Aufkommen der neuen Medien die Gelegenheit, die Kompetenzverteilung in seinem Sinne zu verändern. Doch schon mit dem Bildschirmtext-Staatsvertrag von 1983 und nachfolgend mit dem Mediendienstestaatsvertrag stellten die Länder ihren Willen unter Beweis, auch diese neuen Ent- [Seite der Druckausg.: 29 ] wicklungen in ihre Regulierungsverantwortung zu nehmen und den Anspruch des Bundes zurückzuweisen. Dem Bund wurde lediglich der Sektor der Teledienste zur Regelung überlassen, die nicht den Kriterien des verfassungsrechtlichen Rundfunks entsprechen. Nachdem eine Verständigung zwischen Bund und Ländern über die Regulierung der neuen Online-Medien erfolgt war, zeigte die Bundesregierung zunächst kein Interesse mehr, die Politik des pragmatischen Interessenausgleichs mit den Ländern durch neue institutionelle Reformvorschläge zu gefährden. Entsprechende Vorschläge kamen jedoch aus den Reihen der damaligen Opposition. So griff die SPD-Fraktion in ihrem Minderheitenvotum zum Bericht der Bundestags-Enquête-Kommission zur Zukunft der Medien den Vorschlag der SPD-Fraktionsvorsitzendenkonferenz zur Einrichtung eines Bund-Länder-Kommunikationsrats und zur Schaffung einer zentralen Medienanstalt der Länder auf. Im Zwischenbericht der Kommission war noch von einer am US-amerikanischen Vorbild der Federal Communications Commission (FCC) orientierten bundeseinheitlichen Regulierungsinstanz die Rede gewesen war. Vereinzelt gab es auch Stimmen, die empfahlen, den Katalog der Gemeinschaftsaufgaben in Artikel 91 a GG zu erweitern, um auf dieser Grundlage eine die Zuständigkeit von Bund und Ländern übergreifende zentrale Medienregulierungsbehörde schaffen zu können. Die nachdrücklichsten Forderungen nach einer Änderung des Systems der Rundfunkregulierung kommen aus den Reihen der privaten Rundfunkveranstalter und der Wirtschaft. Zusammenhängende Konzepte wurden zum einen vom VPRT in seiner Denkschrift für eine Medienordnung 2000 plus vom November 1997 sowie von der Bertelsmann-Stiftung mit ihrem Papier Kommunikationsordnung 2000 vorgelegt. Sie zielen darauf ab, einen einheitlichen, weitgehend marktwirtschaftlich orientierten Rechtsrahmen für die Medien- und Kommunikationsangebote insgesamt zu schaffen und die Medienregulierung für den privaten Sektor im Wesentlichen auf eine kartellrechtliche Wettbewerbskontrolle zu reduzieren. Die verfassungsrechtliche Grundlage hierfür soll auf Vorschlag des VPRT eine entsprechende Erweiterung des Katalogs der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben im Grundgesetz bilden. Die inhaltliche Regulierung und Kontrolle der Programme selbst soll weitgehend der Selbstverantwortung und -kontrolle der Unternehmen überlassen werden. Ein wichtiger Anstoß zur Diskussion über eine Reform der Regulierungssysteme war 1997 durch die Vorlage des Konvergenz-Grünbuchs der EU-Kommission ausgelöst worden. Darin wurde mit Nachdruck die Frage thematisiert, ob die technische Konvergenz der Übertragungssysteme nicht auch zu einer Konvergenz der Inhalte führe und dementsprechend auch eine Konvergenz der Regulierungssysteme unter weitgehend marktwirtschaftlichen Prämissen erfordere. Die durch das Grünbuch ausgelöste Diskussion unter den Mitgliedsstaaten führte jedoch am Ende zu wesentlich differenzierteren, relativ zurückhaltenden Vorschlägen, die zeigen, welches Beharrungsvermögen mit den bestehenden Strukturen verbunden ist. Zwar wurde die Konvergenz-Entwicklung auf der Ebene der technischen [Seite der Druckausg.: 30 ] Infrastruktur nicht bestritten, doch zog die Mehrheit der Mitgliedsstaaten daraus nicht den Schluss, dass dies auch zu einem einheitlichen, die verschiedenen Dienste übergreifenden Regulierungskonzept führen müsse. Vielmehr wurde empfohlen, auf den bestehenden, nach Medien und anderen Diensten getrennten Regulierungsstrukturen aufzubauen und diese in Anpassung an die Entwicklungen auf technisch-wirtschaftlichem Gebiet behutsam fortzuentwickeln. Im Bereich der neuen Dienste wurde für weitgehende Zurückhaltung bei der Regulierung plädiert. Der Wettbewerb soll gesichert und Elemente der Selbstkontrolle gestärkt werden. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist erfreulich, dass die große Mehrzahl der Staaten ihm auch bei der Nutzung der neuen Techniken eine wichtige Rolle beimisst, wobei allerdings insbesondere soweit die Anstalten kommerzielle Aktivitäten entwickeln auf eine klare Trennung der Aufgabenfelder und die Einhaltung der Wettbewerbsregeln geachtet werden soll.
2. Ausländische Regulierungsmodelle
Die Diskussion über eine Reform des Regulierungssystems in Deutschland orientiert sich nicht von ungefähr vorwiegend an Modellen aus dem angelsächsischen Bereich, wo man mit wesentlich mehr Pragmatismus als hierzulande an die Lösung neuer Aufgaben herangeht. Im Folgenden sollen in groben Zügen die Regulierungssysteme in den USA, Kanada und Großbritannien dargestellt werden
[Die folgende Darstellung orientiert sich an Hoffmann-Riem / Schulz / Held, S. 50 ff.].
Die USA kennen keine Trennung zwischen Rundfunk- und Telekommunikationsrecht. Sämtliche für die elektronische Kommunikation maßgeblichen Normen sind in einem einheitlichen Regelungswerk United States Code (USC) zusammengefasst. Zentrale Regulierungs- und Aufsichtsbehörde sowohl für Rundfunk als auch für Telekommunikation ist die Federal Communications Commission (FCC). Sie trägt die Verantwortung für die Frequenzplanung, vergibt die Lizenzen und überwacht den Wettbewerb auf dem Netz- wie auf dem Rundfunksektor. Schnittstellenprobleme gibt es lediglich mit der Antitrust-Gesetzgebung und -kontrolle, für die das Justizministerium zuständig ist, sowie den regionalen bzw. lokalen Institutionen in den Einzelstaaten, die die Kabellizenzen vergeben und begrenzte Zuständigkeiten bei der Wahrnehmung innerstaatlicher Belange auf dem Telekommunikationssektor (Förderung von Universal Services, Verbraucherschutz) haben.
Auch in Kanada gibt es in Gestalt der Canadian Radio-Television and Telecommunications Commission (CRTC) eine einheitliche Regulierungs- und Aufsichtsinstanz für Rundfunk und Telekommunikation. Sie hat im Prinzip ähnlich umfassende Zuständigkeiten wie die US-amerikanische FCC, wobei die CRTC auch für die Konzentrationskontrolle verantwortlich ist. Lediglich die Frequenzplanung selbst, d.h. die Entscheidung über die Aufteilung des Frequenzspektrums auf die verschiedenen Nutzungsbereiche, liegt nicht bei der CRTC, sondern beim Industrieministerium. [Seite der Druckausg.: 31 ] Anders als die USA kennt Kanada jedoch die Unterscheidung zwischen Telekommunikations- und Rundfunkrecht. Sie beschränkt sich nicht auf die materielle Gesetzgebung allein, sondern kommt auch in der internen Organisation der CRTC zum Tragen, wo beide Bereiche voneinander abgegrenzt sind. Dennoch ermöglicht die Zusammenfassung beider Bereiche unter dem gemeinsamen Dach der CRTC ein abgestimmtes Vorgehen bei der Regulierung und der Aufsichtstätigkeit.
In Großbritannien sind die Zuständigkeiten für Rundfunk und Telekommunikation voneinander getrennt. Lizenzvergabe und Aufsicht (mit Ausnahme der inhaltlichen Programmkontrolle) für das kommerzielle Fernsehen liegt bei der Independent Television Commission (ITC). Sie hat in bestimmten Bereichen (insbesondere Werbung, Programmstandards, technische Vorgaben) eigene normative Regulierungsbefugnisse. Die ITC trägt auch die Verantwortung für die rundfunkrechtliche Konzentrationskontrolle, die auf der Basis eines sehr detaillierten, gesetzlich geregelten Marktanteilsmodells erfolgt. Die entsprechenden Zuständigkeiten für den Telekommunikationssektor liegen beim Office of Telecommunications (OFTEL). Auf der Basis der von der Regierung vorgegebenen Frequenzplanung erteilt das OFTEL Lizenzen an die Netzbetreiber und regelt die vom Netzbetreiber zu erfüllenden Anforderungen sehr eingehend in den Lizenzbedingungen. Schnittstellenprobleme gibt es zur wettbewerbsrechtlichen Konzentrationskontrolle, die dem Director of Fair Trading (DTFG) obliegt. Die mit der Trennung der Zuständigkeiten verbundenen Probleme sind durch eine enge Kooperation zwischen den Aufsichtsinstanzen ITC und OFTEL wesentlich entschärft. Übergreifende Fragen werden in gemeinsamen Arbeitsgruppen mit dem Ziel einer abgestimmten Regulierung behandelt, was sich insbesondere bei der Regulierung des digitalen Fernsehens sehr bewährte. Auch auf dem Gebiet der Wettbewerbsaufsicht über den Telekommunikationssektor ist eine gegenseitige Abstimmung bzw. Kooperation zwischen OFTEL und DTFG gesetzlich vorgeschrieben. Für alle drei Länder ist kennzeichnend, dass großer Wert auf Transparenz und Beteiligung der Öffentlichkeit am gesamten Prozess der Regulierung des Kommunikationswesens gelegt wird. Größere Regulierungsvorhaben werden in Grün- bzw. Weißbüchern der Öffentlichkeit vorgestellt, in einem breit angelegten Diskussionsprozess erörtert und mit allen betroffenen Stellen abgestimmt. Dies mag wesentlich zur Akzeptanz und Praktikabilität der getroffenen Regelungen beitragen. [Seite der Druckausg.: 32 = Leerseite ] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 2000 |