FES | |||||||
|
|
TEILDOKUMENT:
Zu hohe Arbeitskosten? Positionen und Argumente Position 1: Die Arbeitskosten sind zu hoch am Standort D. Es ist immer weniger rentabel, hier zu produzieren. Die Kosten pro Arbeitsstunde in Deutschland gehören heute zu den höchsten in der Welt - sie liegen weit vor denjenigen in USA, Japan und den großen europäischen Ländern. Dabei sind es die - tariflich vereinbarten und vom Staat auferlegten -Lohnzusatzkosten (Unternehmensaufwendungen für die soziale Sicherung der Arbeitnehmer, Lohnzahlungen für nicht geleistete Arbeit, diverse Subventionen für den Arbeitnehmerkonsum), die diese Spitzenstellung" begründen. Auch wenn man die Kosten pro Arbeitsstunde in Bezug setzt zum Ergebnis pro Arbeitsstunde, also zur Produktivität, liegt Deutschland, über den Durchschnitt aller Industriezweige betrachtet, vorne. Die deutschen Lohnstückkosten sind sogar noch weiter von den amerikanischen und japanischen Vergleichswerten entfernt als die deutschen Stundenvergütungen. Zwar zwingen hohe Arbeitskosten die Unternehmen zur ständigen Produktivitätssteigerung, aber die sogenannte Produktivitätspeitsche" verliert tendenziell an Wirkung. Denn Unternehmen werden immer mobiler in bezug auf die Standortwahl. Die Option der Produktionsverlagerung als Alternative zur Anpassung an hohe Kosten wird für sie attraktiver. Insofern dient die Fähigkeit deutscher Unternehmen, Spitzenprodukte herzustellen (soweit sie überhaupt gegeben ist), immer weniger als Grundlage für deutsche Spitzenlöhne - von den beschäftigungspolitischen Kosten forcierter Produktivitätssteigerung ganz zu schweigen. Hohe Arbeitskosten ließen sich verkraften, wenn andere Kosten (z.B. Steuern, Kapitalkosten) statt dessen besonders niedrig sind. Aber Deutschland gehört auch in anderen Aspekten (insbesondere Steuern, Umweltauflagen) zweifellos zu den teuren Standorten. Dies relativiert auch das (an sich richtige) Argument, die Arbeitskosten hätten in der Gesamtkostenstruktur des durchschnittlichen Industrieunternehmens kein überragendes Gewicht. Um den Standort D zu sichern, müssen die Arbeitskosten auf ein Niveau zurückgeführt werden, das in etwa dem der übrigen hochentwickelten Industrieländer entspricht. Es liegt nahe, in erster Linie bei den Lohnzusatzkosten anzusetzen. Gefordert sind hier die Tarifpartner ebenso wie der Gesetzgeber.
Position 2: Wohl sind die Arbeitskosten am Standort D zu hoch geworden. Das ist aber nur ein Symptom. Das eigentliche Problem ist die starke DM. Die Lohnquote, d.h. der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen, ist in den letzten zehn Jahren gesunken. Seit 1982 sind die Bruttogewinne um 110 und die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 123 Prozent gestiegen, die Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit hingegen nur um 50 Prozent und die Nettoeinkommen um 44 Prozent. Eine aggressive Lohnpolitik kann also nicht der Kern des Problems sein. Auch wenn man die wesentlich rascher expandierenden Lohnzusatzkosten in die Rechnung miteinbezieht, ergibt sich keine Kostenexplosion Standort-gefährdenden Ausmaßes. In DM gemessen sind die Lohnstückkosten seit 1985 nur mit einer Jahresrate von 2,5 Prozent gestiegen. Der Anstieg in den meisten anderen Industrieländern war - in der jeweiligen heimischen Währung gemessen - höher. Dies spiegelt die stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Einkommenspolitik in Deutschland wider. In Dollar (oder noch besser: in der Durchschnittswährung" Sonderziehungsrechte) ausgedrückt stiegen die deutschen Lohnstückkosten jedoch schneller als die der meisten Industrieländer. Das Problem sind also nicht übermäßige Lohnsteigerungen, es ist die Aufwertung der DM gegenüber den wichtigsten Währungen der Handelspartner. Dies ist als langfristige Tendenz darauf zurückzuführen, daß sich die DM zur zweitwichtigsten Anlagewährung der Welt gemausert und die Nachfrage nach ihr auf den internationalen Devisenmärkten entsprechend stark zugenommen hat. Als Sonderentwicklung kam dann nach 1990 die einigungsbedingte hohe Verschuldung des deutschen Staates hinzu, die - weil die Bundesbank die geldpolitischen Zügel nicht locker ließ - zu einem starken Anstieg der Zinsen führte und DM-Anlagen folglich besonders attraktiv für das internationale Kapital machte. Ob das währungsbedingte Kostenproblem durch eine betont zurückhaltende Lohnpolitik bzw. eine Entlastung der Unternehmen an der Front der Lohnzusatzkosten neutralisiert werden kann, ist fraglich. Es hängt davon ab, wie der Wechselkurs - bei unverminderter Staatsverschuldung - auf eine Wiederaktivierung der deutschen Leistungsbilanz (als Folge verbesserter preislicher Wettbewerbsfähigkeit) reagiert. Wichtiger wäre es, die Staatsverschuldung zu vermindern, um so die Nachfrage nach ausländischen Ersparnissen zu reduzieren und den Aufwertungsdruck von der DM zu nehmen.
Position 3: Die Arbeitskosten am Standort D sind sehr hoch. Aber sie sind von der Leistungsfähigkeit des Standortes gedeckt. Selbst hohe Lohnstückkosten (in denen etwaigen Produktivitätsvorsprüngen ja bereits Rechnung getragen ist) sind kein Indikator für mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, wenn die deutschen Produkte aufgrund ihres Qualitäts- und Technologievorsprungs Spitzenpreise auf den Weltmärkten erzielen. Man muß auch die Fähigkeit der deutschen Unternehmen in Rechnung stellen, das relativ junge Phänomen der davoneilenden Lohnstückkosten in den Griff zu bekommen. Die massiven Rationalisierungsanstrengungen der letzten Jahre scheinen hier allmählich Früchte zu tragen - freilich zu Lasten der Beschäftigung. Die zweifellos vorhandene Tendenz zur Standort-Ungebundenheit von Unternehmen hat noch nicht solche Dimensionen erreicht, daß das Hochlohnprivileg" des deutschen und anderer westlicher Standorte großflächig in Gefahr ist. Produktionsverlagerungen bringen für Unternehmen in weiten Bereichen immer noch erhebliche Effizienzverluste mit sich. Diese sind um so schwerer durch niedrigere Arbeitskosten aufzuwiegen, je geringer deren Anteil an den Gesamtkosten ist. Dieser Anteil ist gerade in den nicht-standardisierten Produktbereichen (in denen ja die Hochleistungsprämien" anfallen) besonders niedrig, weil hier die sog. Transaktionskosten sehr stark ins Gewicht fallen. Entscheidend ist in diesen Bereichen die organisatorische Fähigkeit, mit komplexen, fließenden und nur teilweise erkennbaren Marktsituationen umzugehen.
Position 4: Die Leistungsfähigkeit des Standortes D deckt die hohen Arbeitskosten nur noch für einen Teil der deutschen Gesamtproduktion. Der Rest gerät wegen der hohen Kosten immer mehr in Bedrängnis, Die Devise Spitzenlöhne für Spitzenprodukte trifft heute weniger zu als früher. In immer mehr Bereichen der industriellen Fertigungsskala drängen Billiganbieter (heute vor allem aus Asien, morgen vielleicht auch aus Osteuropa) mit hochwertigen Produkten auf den Markt. Oder, was für den Standort auf dasselbe hinausläuft, die Unternehmen verlagern Produktion an Billigstandorte. Der Wirtschaftsstandort D muß sich also mehr als in früheren Zeiten auf Lohnkonkurrenz einlassen. Wenn diese den Wirtschaftsstandort D auch nicht insgesamt gefährdet, so verschmälert sie ihn doch gleichsam. Für einen (tendenziell wachsenden) Teil der dort angesiedelten Produktionsaktivitäten wird der Standort unrentabel. Um sich der Lohnkostenkonkurrenz möglichst zu entziehen, gilt es, den Produktionsbereich auszuweiten, der ihr nicht unterliegt. D.h. es müßten Marktanteile an Hochtechnologie- und anderen Hochleistungs"-Märkten hinzugewonnen werden. Traditionelle" Sektoren müßten anspruchsvollere Produkte entwickeln. Die Bedingungen hierfür (Innovationsfähigkeit und -druck. Humankapital, Synergien für mittelständische Unternehmen etc.) zu optimieren, ist eine prioritäre Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Der Bereich, der sich nicht gegen Lohnkonkurrenz immunisieren läßt, wäre so weit wie möglich durch Verringerung der Arbeitskosten wettbewerbsfähig zu halten. Dies läuft auf eine stärkere intersektorale Lohndifferenzierung hinaus.
Position 5: In der Tat ist der Standort D zunehmend anfällig gegen Lohnkonkurrenz. Das ist aber nicht der Fakt, auf den man sich einstellen muß, sondern das Problem, das es zu beheben gilt. Das Problem sind nicht die hohen Arbeitskosten an sich, sondern die Tatsache, daß sie heute eine immer größere Rolle spielen. Dies liegt daran, daß die deutsche Wettbewerbsfähigkeit in jenen Bereichen gesunken ist, die der Lohnkonkurrenz nicht unterliegen. In wichtigen Hochtechnologiebereichen liegt Deutschland z.B. deutlich hinter Japan und USA zurück. Innovationsschwäche in ihren diversen Formen ist das eigentliche Problem, Lohnkostendruck nur das Symptom. Die Antwort liegt nicht darin, sich der verstärkten Lohnkonkurrenz anzupassen, sondern darin, sich ihr zu entziehen, indem man die Basis für Produktivitäts-, Qualitäts- und Innovativitätsrenten stärkt. Es gilt, die Bedingungen dafür zu sichern, daß Deutschland ein Hochlohnstandort bleiben kann.
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999 |