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TEILDOKUMENT:
Die Gründungsphase der NAFTA Die treibende Kraft hinter NAFTA war Mexiko. Im Februar 1990 gab der damalige mexikanische Präsident Carlos Salinas de Gortari seine Absicht bekannt, mit den USA ein umfassendes Freihandelsabkommen schließen zu wollen. Diese Idee stand ganz in Einklang mit der "Ökonomisierung" der mexikanischen Außenpolitik, die mit dem 1985 unter Miguel de la Madrid eingeleiteten und von Salinas de Gortari forcierten neoliberalen Wirtschaftskurs einherging. Neue Investoren und Handelspartner, denen in dem neuen exportorientierten Wirtschaftsmodell neoliberaler Prägung eine bedeutende Rolle zukam, fand Salinas jedoch weder in Japan noch in Europa. Während Japan sich bereits auf den Aufbau des Yen-Blocks konzentrierte, waren die Westeuropäer mit dem sich öffnenden Osteuropa beschäftigt. Freier Handel mit den USA war für Mexiko die einzig verbliebene Möglichkeit, neues Kapital anzulocken und die Exporte zu steigern. Von einem Freihandelspakt mit den USA versprach sich Mexiko noch weitere Vorteile: Eine Freihandelszone betrachtete Mexiko sowohl als Garantie für kontinuierlichen Zugang zu dem Markt seines wichtigsten Handelspartners als auch als einen Weg, die neoliberale Politik der Marktöffnung und Weltmarktintegration zu untermauern und unumkehrbar zu machen. Letzteres war auch im Interesse der Vereinigten Staaten. Eine Stabilisierung des mexikanischen ökonomischen Umstrukturierungsprozesses war für die USA weniger von wirtschaftlicher als vielmehr von politischer Bedeutung. Ein Erfolg der Wirtschaftsreformen versprach einen höheren mexikanischen Lebensstandard und damit die Verringerung des Wohlstandsgefälles zwischen dem Entwicklungsland Mexiko und dem hochentwickelten Industriestaat USA, welches eine der Hauptursachen für die illegale Einwanderung vieler Mexikaner in die USA darstellt (Schätzungen schwanken zwischen einer und drei Millionen pro Jahr). Grundsätzlich haben die Vereinigten Staaten aus sicherheitspolitischen Erwägungen ein vitales Interesse an der politischen und ökonomischen Stabilität ihres südlichen Nachbarn, mit dem sie eine mehr als 3.000 Kilometer lange Grenze teilen. In ökonomischer Hinsicht war die Bildung der NAFTA für die USA eine direkte Antwort auf die japanische Herausforderung in puncto internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die Schaffung einer Freihandelszone in Nordamerika erlaubt es, das niedrige Lohnniveau mexikanischer Arbeitskräfte nicht nur - wie bereits Praxis - in den Maquiladoras (Montagebetriebe) entlang der US-mexikanischen Grenze, sondern auch durch integrierte regionale Produktion auszunutzen. Damit wird die japanische Strategie aufgegriffen, nach der dort die großen Firmenverbände arbeitsintensive Produktionsvorgänge nach Ost- und Südostasien auslagern, indem sie ihre Investitionen in und den Handel mit diesen Regionen ausweiten. Die USA versprachen sich zudem von NAFTA eine Steigerung ihrer Ausfuhren nach Mexiko. Die in diesem Zusammenhang sowohl von der Bush- als auch von der Clinton-Administration aufgestellte Gleichung lautete: Freihandelsabkommen = US-Exporte = US-Jobs. In gewisser Weise war NAFTA für die USA schließlich auch von "strategischer" Bedeutung: NAFTA stellte ein willkommenes Druckmittel dar, um die Teilnehmer der damals stockenden Uruguay-Runde des GATT zu einem zufriedenstellenden Abschluß zu bewegen. Kanadas Teilnahme an den NAFTA-Verhandlungen zielte vor allem darauf ab, die Vorteile aus dem Freihandelsabkommen mit den USA, das seit dem 1. Januar 1989 in Kraft war, gegen eine mögliche Aushöhlung zu sichern. Ferner erhoffte man sich von einer nordamerikanischen Freihandelszone verbesserten Zugang zum mexikanischen Markt in Schlüsselsektoren wie Finanzdienstleistungen und Kraftfahrzeuge. Schließlich sah Kanada in einer solchen Freihandelszone ein wichtiges Instrument, um den Handel mit Lateinamerika und seine Investitionen in dieser Region zu stärken und der ökonomischen "Vorherrschaft" der USA in der Westlichen Hemisphäre entgegenzuwirken.
Der schwierige Weg zu NAFTA
Die Idee eines Freihandelsabkommens zwischen den USA und Mexiko, die George Bush bereits 1988 während seines Wahlkampfes unterstützt hatte, fand bei ihm und fast allen Mitgliedern seines Kabinetts Anklang. Am 5. Februar 1991 schließlich gaben Bush, Salinas und der kanadische Premierminister Brian Mulroney bekannt, daß sie trilaterale Verhandlungen zur Errichtung einer nordamerikanischen Freihandelszone führen wollten. Während dieses Vorhaben in der mexikanischen Öffentlichkeit überwiegend positiv aufgenommen wurde, wurde es in den USA gleich von mehreren Seiten unter Beschuß genommen. Hauptbefürchtungen richteten sich gegen ein potentielles Sozial- und/oder Umweltdumping durch Mexiko. Der erbittertste Widerstand kam vom gewerkschaftlichen Dachverband AFL-CIO (American Federation of Labor - Congress of Industrial Organisations), der befürchtete, daß ein solches Abkommen den Trend zu Produktionsverlagerungen von US-Unternehmen in das Niedriglohnland Mexiko verstärken würde. Neben dem niedrigen Lohnniveau stellten nach Ansicht der AFL-CIO niedrigere Arbeitssicherheits- und Umweltstandards weitere Anreize für die Verlagerung von Produktionskapazitäten nach Mexiko dar. Insgesamt - so die AFL-CIO - würde NAFTA Hunderttausenden von Amerikanern ihren Job kosten. Die Pläne stießen auch bei US-Umweltschutzgruppen auf Ablehnung, die vor den Gefahren erhöhter Umweltverschmutzung entlang der Grenze warnten. Zudem hegten sie die Befürchtung, ein solches Abkommen könnte dadurch, daß US-Unternehmen wegen der nachlässigen Durchsetzung von Umweltschutzgesetzen in Mexiko dorthin abwanderten, zu Forderungen nach einer Lockerung der US-Umweltschutzgesetzgebung führen. Widerstand regte sich ferner bei Farmern, die Obst und Gemüse anbauten. Diese fürchteten den mit NAFTA einhergehenden Zollabbau, der den mexikanischen Pflanzern erlauben würde, ihren Kostenvorteil gegenüber ihren amerikanischen Kollegen voll auszuspielen. Dieser Kostenvorteil resultierte zum einen aus den niedrigen Löhnen, die Anfang der neunziger Jahre im Obst- und Gemüseanbau 90 Prozent unter dem US-Lohnniveau lagen, zum anderen aus der weitaus geringeren Regulierung seitens des mexikanischen Staates. Diese Interessengruppen konnten jedoch die Verlängerung der sogenannten fast-track procedure durch den US-Kongreß im Mai 1991 nicht verhindern. Unter diesem Verfahren von der Exekutive ausgehandelte und dem Kongreß vorgelegte Handelsabkommen müssen vom Kongreß innerhalb von 90 Tagen ohne die Möglichkeit von Modifikationen entweder gebilligt oder abgelehnt werden. Die formellen Gespräche über das NAFTA-Abkommen dauerten exakt 14 Monate, vom 12. Juni 1991 bis zum 12. August 1992. Am 7. Oktober des gleichen Jahres wurde das Abkommen von den Handelsministern Mexikos, Kanadas und der USA unterzeichnet. Die Unterzeichnung stieß in Mexiko auf breite Zustimmung. In den USA intensivierten sich jedoch die Lobbyaktivitäten und politisierten das Thema NAFTA immer stärker. Aus der Opposition einzelner US-Interessengruppen, die größtenteils berechtigte Einwände gegen eine nordamerikanische Freihandelszone vorbrachten, wurde eine Anti-NAFTA-Bewegung, der sich u. a. religiöse Gruppen, black power-Gruppen und Jesse Jacksons Regenbogen-Koalition anschlossen. Auch einige Verbrauchergruppen ergriffen - unter Führung Ralph Naders - Partei gegen NAFTA. Selbst die United Methodist Church und die American Society for the Prevention of Cruelty to Animals, die nicht gerade im Ruf stehen, Experten in Handels-, Arbeits- oder Umweltfragen zu sein, engagierten sich in der Protestbewegung. Insgesamt deckte die Anti-NAFTA-Bewegung das gesamte politische Spektrum ab. Doch es gab nicht nur negative Stimmen. Überwältigende Zustimmung fand die NAFTA-Idee bei US-Wirtschafts- und Lateinamerika-Wissenschaftlern. Sie behaupteten, daß ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Mexiko eine win-win-Situation sei, die beiden Ländern zugute komme. Auch die meisten größeren US-Wirtschaftsvereinigungen sowie die Mehrzahl der US-"Denkfabriken" unterstützten NAFTA, wenn auch mit Vorbehalten. Jeffrey Schott und Gary Hufbauer vom Institute for International Economics in Washington schätzten, das NAFTA-Abkommen werde innerhalb von fünf Jahren in den USA etwa 320.000 Arbeitsplätze schaffen und zugleich rund 150.000 Jobs vernichten, mihin einen Nettozuwachs von 170.000 Arbeitsplätzen bewirken. Die anstehenden Kongreßwahlen 1992 sowie die sich von der Rezession 1990/91 nur langsam erholende US-Wirtschaft, die bei vielen Amerikanern die Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes schürte, führte zu einer Verzögerung der NAFTA-Entscheidung. Erst nachdem die drei Vertragsparteien auf Drängen der Clinton-Regierung zwei Parallelabkommen über Kooperation im Arbeits- sowie im Umweltbereich ausgehandelt hatten und die Clinton-Administration mit Mexiko in letzter Minute eine Reihe von Ausnahmeregelungen vor allem für einige US-Agrarimporte aus Mexiko vereinbart hatte, passierte NAFTA samt der beiden Parallelabkommen im November 1993 den Kongreß. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999 |