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[Essentials]

  • Mit rund 380 Millionen Menschen und einem BIP von über 6.000 Milliarden US-Dollar gehört NAFTA zu den größten Freihandelszonen der Welt. NAFTA regelt als erstes Freihandelsabkommen auch die Bereiche Arbeitsrecht und Umweltschutz. Wirtschaftliche und rechtliche Anforderungen liegen über denen der Welthandelsorganisation WTO.
  • Während der NAFTA-Vertrag in Mexiko auf breite Zustimmung stieß, provozierten Befürchtungen vor Sozial- und Öko-Dumping durch Mexiko in den USA heftige Gegnerschaft, die nachhaltig die öffentliche Meinung gegen Freihandelsabkommen überhaupt beeinflußt hat.
  • Die durch NAFTA bewirkte Zunahme des intraregionalen Handels hat die ohnehin bedenkliche wirtschaftliche Abhängigkeit Mexikos und Kanadas von den USA noch vergrößert.
  • Die USA scheinen NAFTA als Modell für künftige Freihandelsabkommen zwischen NAFTA und anderen subregionalen bzw. bilateralen Handelsgemeinschaften anzusehen. Eine Strategie zur Schaffung einer die gesamte Westliche Hemisphäre umfassenden Freihandelszone (Western Hemisphere Free Trade Area, WHFTA) ist bisher nicht erkennbar.
  • Auf dem us-initiierten Gipfeltreffen in Miami Ende 1994 einigten sich die Staaten der Westlichen Hemisphäre (mit Ausnahme Kubas) auf die Schaffung einer Free Trade Area of the Americas (FTAA) bis zum Jahre 2005. Die Ergebnisse sind bisher jedoch dürftig.
  • Dagegen hat sich der MERCOSUR dynamisch entwickelt. Für ihn als Hauptgestalter einer künftigen FTAA sprechen sowohl sein geschlossenes Auftreten und abgestimmtes Agieren als auch seine bei der MERCOSUR-Erweiterung bewiesene Flexibilität, etwa bei den Assoziationsabkommen mit Chile und Bolivien.
  • Die Staaten Südamerikas, vor allem Brasilien, reagieren skeptisch auf die mitunter erratische US-Handelspolitik gegenüber dem Subkontinent und fördern ihre eigenen Integrations- und Kooperationssysteme.
  • Als Integrationsperspektive zeichnet sich ein lockerer, den gesamten amerikanischen Kontinent umfassender Zusammenschluß zwischen diesen subregionalen Handelsgemeinschaften ähnlich dem Europäischen Wirtschaftsraum EWR ab. Basis dafür ist die Erweiterung und Vertiefung der Integration auf subregionaler Ebene mit NAFTA, MERCOSUR, Andengemeinschaft, Caribbean Community (CARICOM), Association of Caribbean States (ACS) und möglicherweise die Bildung einer Südamerikanischen Freihandelszone (South American Free Trade Area, SAFTA).


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[Einleitung]

Wohl kaum ein anderes regionales Freihandelsabkommen hat seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge im Jahre 1957 für soviel Aufsehen gesorgt wie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (North American Free Trade Agreement, NAFTA) zwischen den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko, das am 1. Januar 1994 in Kraft trat. Mit rund 380 Millionen Menschen und einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von mehr als 6.000 Milliarden US-Dollar überragt die Nordamerikanische Freihandelszone sogar die Europäische Union (EU), auch wenn NAFTAs Anteil am Welthandel im Jahre 1994 nur wenig mehr als ein Drittel (7,9 Prozent) des entsprechenden Anteils der EU (22,8 Prozent) ausmachte.

Im Unterschied zur EU weist NAFTA keinen gemeinsamen Außenzoll auf und stellt damit keine Zollunion dar; die Bezeichnung "Freihandelszone" greift jedoch zu kurz. NAFTA unterscheidet sich von konventionellen Freihandelsabkommen (seit 1947 wurden beim GATT 145 Freihandelsabkommen angezeigt) darin, daß es nicht nur Bestimmungen zur Beseitigung von Handelsbarrieren enthält, sondern auch relativ neue Fragen wie den Handel mit Dienstleistungen, Investitionen und den Schutz geistigen Eigentums regelt. Ferner schneidet NAFTA als erster Freihandelspakt überhaupt die Themen Umweltschutz und Arbeitsrecht an. Daneben besitzt das Abkommen umfassende, allerdings bislang nur in geringem Maße geprüfte Konfliktlösungsmechanismen. Seine wirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen, die über denen der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organisation) und zahlreicher anderer Freihandelsabkommen liegen, machen NAFTA zu einem der fortschrittlichsten Freihandelsabkommen der Welt. Eine weitere Besonderheit von NAFTA liegt darin, daß es die Volkswirtschaften zweier hochentwickelter Industriestaaten und eines Entwicklungslandes zu integrieren versucht, zwischen denen erhebliche Unterschiede bezüglich BIP, Lohnniveau, Finanzkraft, Sparquote, Lohnnebenkosten, Infrastruktur, Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsstruktur, Einkommensverteilung u. a. bestehen.

Während der NAFTA-Vertrag in Mexiko im Laufe der Verhandlungen breite Zustimmung fand, löste er in der US-Öffentlichkeit eine hitzige Debatte und intensive Lobby-Aktivitäten aus. In den USA hat die Stimmung in der Öffentlichkeit in Handelsfragen im allgemeinen weitaus mehr Einfluß auf die Entscheidungsfindung der Kongreßabgeordneten als in anderen westlichen Demokratien. So gelang es der Clinton-Administration auch nur mit Mühe und erst nach zahlreichen Zugeständnissen (vor allem in den Bereichen Umwelt, Arbeit und Landwirtschaft), den NAFTA-Vertrag im November 1993 durch den US-Kongreß zu bringen.

Über eine eventuelle NAFTA-Erweiterung wird - vor allem in Lateinamerika - bereits seit Juni 1990 diskutiert, als Clintons Amtsvorgänger George Bush die Enterprise for the Americas Initiative verkündete. Neben Anreizen für Investitionsreformen und Schuldenerleichterung sah die Bush-Initiative die Schaffung einer Freihandelszone von Alaska bis nach Feuerland vor. Vor allem der handelspolitische Teil der Initiative fand in Lateinamerika eine überaus positive Aufnahme. Viele lateinamerikanische Länder erklärten unverzüglich ihr Interesse an einem Freihandelsabkommen mit den USA. Während der Präsidentschaft Bushs wurden zwar 14 Rahmenabkommen über Handel und Investitionen mit insgesamt 29 Ländern abgeschlossen; doch die Bush-Regierung versäumte es, eine Strategie zur Schaffung einer die gesamte Westliche Hemisphäre umfassenden Freihandelszone (Western Hemisphere Free Trade Area, WHFTA) zu entwickeln.

Dem Ziel einer WHFTA kamen die 34 Staats- und Regierungschefs der Westlichen Hemisphäre (mit Ausnahme des von den USA nicht eingeladenen Fidel Castros) auf ihrem von den Vereinigten Staaten initiierten Gipfeltreffen in Miami im Dezember 1994 einen Schritt näher: Die Teilnehmerstaaten einigten sich auf die Schaffung einer Free Trade Area of the Americas (FTAA) bis zum Jahre 2005. Zudem kamen sie überein, bis zur Jahrtausendwende konkrete Fortschritte in diese Richtung gemacht zu haben. Auch bezüglich der oben angesprochenen Strategiefrage, die seit der Enterprise for the Americas Initiative von 1990 im Raum stand und die von den USA bislang unbeantwortet geblieben war, fiel eine Entscheidung. In der Grundsatzerklärung heißt es dazu: "We will build on existing subregional and bilateral arrangements in order to broaden and deepen hemispheric economic integration and to bring the agreements together." Damit haben sich die USA - zumindest was die Westliche Hemisphäre angeht - gegen das Hub-and-Spoke-Modell, d. h. gegen eine Reihe von Freihandelsabkommen mit einzelnen Ländern, entschieden. Als Optionen verbleiben mithin entweder der Beitritt einzelner lateinamerikanischer Länder zu NAFTA (Option 1) oder ein Freihandelsabkommen zwischen NAFTA und lateinamerikanischen subregionalen bzw. bilateralen Handelsgemeinschaften, ähnlich weitreichend wie NAFTA (Option 2)

In der Grundsatzerklärung von Miami werden weder Verfahren noch Kriterien hinsichtlich dieser beiden Optionen geklärt. Über Verhandlungsgegenstände künftiger Freihandelsabkommen (Option 2) werden dagegen unter Punkt 9 des Aktionsplans ("Freier Handel in den Amerikas") konkrete Angaben gemacht. Die Tatsache, daß sich einige Unterpunkte dieses Abschnitts beinahe wie eine Inhaltsangabe des NAFTA-Abkommens und der ergänzenden Parallelabkommen lesen, läßt den Schluß zu, daß die USA auf dem Miami-Gipfel ihre Interessen in diesem Punkt durchsetzten. Diese Kongruenz läßt außerdem vermuten, daß die Vereinigten Staaten NAFTA als Modell für künftige Freihandelsabkommen zwischen diesem Handelsblock und anderen subregionalen bzw. bilateralen Handelsgemeinschaften ansehen.

Aus Sicht einiger lateinamerikanischer Länder und angesichts der teilweise erheblichen Entwicklungsunterschiede zwischen den drei NAFTA-Mitgliedern und lateinamerikanischen Ländern wie Bolivien oder Paraguay ist jedoch noch ein anderes Szenario denkbar (Option 3): eine Erweiterung und Vertiefung der Integration auf subregionaler Ebene mit den bestehenden Kooperationssystemen von NAFTA, Gemeinsamer Markt des Südens (Mercado Común del Sur, MERCOSUR), Andengemeinschaft, Karibische Gemeinschaft (Caribbean Community, CARICOM) und Assoziation Karibischer Staaten (Association of Caribbean States, ACS), möglicherweise die Bildung einer Südamerikanischen Freihandelszone (South American Free Trade Area, SAFTA)) und gleichzeitig ein lockerer, den gesamten amerikanischen Kontinent umfassenden Zusammenschluß zwischen diesen subregionalen Handelsgemeinschaften ähnlich dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Eine solche Freihandelszone könnte sich beispielsweise auf Zollsenkungen, die teilweise Beseitigung quantitativer Handelsbeschränkungen sowie auf den Bereich Investitionen und den Schutz geistigen Eigentums beschränken, womit deren wirtschaftliche und rechtliche Anforderungen deutlich unter den NAFTA-Standards liegen würden. Zu solchen Abstrichen sind die drei NAFTA-Mitglieder im Falle der ersten Option, des Beitritts eines einzelnen lateinamerikanischen Landes, sicherlich nicht bereit.

Für diese Option haben sich die drei NAFTA-Partner im Falle Chiles entschieden, das als einziges Land Lateinamerikas keiner lateinamerikanischen subregionalen Handelsgemeinschaft dieser Region als Vollmitglied angehört. Während des Miami-Gipfels vom Dezember 1994 gaben die Regierungen der USA, Kanadas und Mexikos bekannt, mit Chile formale Verhandlungen über dessen NAFTA-Beitritt aufnehmen zu wollen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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