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TEILDOKUMENT:
3. Rückblick: Eine sehr erfolgreiche, aber auch ungleichgewichtige Entwicklung Weltmeister im Strukturwandel Auch die seit 1993 zu beobachtende Wachstumsschwäche der japanischen Wirtschaft kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Japans Wirtschaftsentwicklung in den letzten 45 Jahren überaus erfolgreich verlief. Unter allen OECD Ländern verzeichnete Japan über diesen Zeitraum das höchste Wirtschaftswachstum. Japan lief dabei den führenden westlichen Industrienationen nicht davon, sondern schloß zu ihnen auf. Zu Beginn der 60er Jahre erreichte sein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf noch weniger als 50% des damaligen westdeutschen Niveaus, heute liegt es gleichauf. Das Land verbesserte seine relative Einkommensposition innerhalb der OECD von Rang 22 1960 auf Rang 6 1996. Japans Aufstieg ist um so beachtlicher, als es über keine nennenswerte Rohstoffbasis verfügt und seine bis in die 90er Jahre hinein wichtigsten Exportmärkte in Nordamerika und Europa denkbar weit entfernt lagen. Wachstum heißt Strukturwandel. Japans erstaunliches Wachstum ist auf seine besondere Fähigkeit zu strukturellem Wandel zurückzuführen. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Wandels werden deutlich, wenn man bedenkt, daß das heute zu den technologisch führenden Industrienationen der Welt zählende Land bis zu seinem Beitritt zur OECD im Jahr 1964 noch den Status eines Entwicklungslandes im Rahmen des GATT und IwF innehatte. Die strukturelle Entwicklung läßt sich grob in drei Phasen unterteilen. Da ist zunächst die Phase der Industrialisierung. Sie drückt sich im raschen Wandel der sektoralen Beschäftigtenstruktur aus (Tabelle 1). Noch Mitte der 50er Jahre, als der Wiederaufbau nach dem Krieg schon weitgehend abgeschlossen war, lag der Beschäftigtenanteil des primären Sektors (Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei) noch bei über 40%, einem Wert also, der in Deutschland, das sich ja auch relativ spät industrialisierte, bereits um die Jahrhundertwende unterschritten wurde. Heute liegt der Wert bei 5% und damit nur noch unwesentlich über dem deutschen Niveau.
Die zweite Phase Japans struktureller Entwicklung beginnt in den siebziger Jahren und beschreibt die Bewältigung der beiden Ölkrisen. Eine sieben Länder umfassende Vergleichsstudie der OECD belegt, daß Japan bei der Umstellung seiner Produktionsstruktur auf technologieintensive Bereiche in diesem Zeitraum am erfolgreichsten war (Tabelle 2a). Logische Konsequenz dieser Überlegenheit waren Anteilsgewinne auf den Weltmärkten für Hochtechnologieprodukte (Tabelle 2b).
Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch Japans wirtschaftliche Integration in Südostasien. Sie beginnt Mitte der 80er Jahre und äußert sich in zwei Sachverhalten. Südostasien steigt in diesem Zeitraum zur wichtigsten Handelsregion Japans auf, eine Position, die bis zu Beginn der 90er Jahre Nordamerika vorbehalten war (Tabelle 3). Die intensivere Handelsverflechtung mit Südostasien bedingte eine deutliche Strukturverschiebung auf der Import- und Exportseite der japanischen Handelsbilanz (Tabelle 4). Auf der Importseite stieg der Anteil der Industrieprodukte von 28 auf 57%. Eine noch raschere Zunahme erlebten darunter Produkte der Maschinen- und Geräteindustrien, deren Anteil um mehr als den 2,5-fachen Wert stieg. Auf der Exportseite ist ein deutlicher relativer Rückgang bei Konsumgütern zu verzeichnen, der allerdings durch einen erheblichen Zuwachs bei den Kapitalgütern mehr als kompensiert wurde.
Die regionalen und güterwirtschaftlichen Veränderungen der Handelsstruktur sind Ausdruck des sich neu entwickelnden Musters der Arbeitsteilung zwischen Japan und seinen südostasiatischen Nachbarn. Die Veränderungen auf der Importseite reflektieren den Verlust arbeitsintensiver Produktionsstufen im verarbeitenden Gewerbe und hier insbesondere in den inländischen Maschinen- und Geräteindustrien. Diese fielen zu einem großen Teil den Importen von Vor- und Endprodukten aus Niedriglohnländern im asiatischen Raum zum Opfer. Die Veränderungen auf der Exportseite spiegeln den gleichen Prozeß wider. Der relative Einbruch bei langlebigen Konsumgütern ist auf den Ausbau der Produktion im ostasiatischen Raum zurückzuführen. Eben dieser Ausbau der Produktionskapazitäten induzierte die rasche Zunahme der japanischen Kapitalgüterexporte.
Mehr Realeinkommen bei gleichzeitig mehr Beschäftigung
Japans in den letzten 25 Jahren unter Beweis gestellte Fähigkeit zu strukturellem Wandel zeigt sich eindrucksvoll in der Entwicklung von Realeinkommen und Beschäftigung. Üblicherweise gehen wir davon aus, daß zwischen beiden Größen ein trade-off besteht. Ein rascheres Wachstum des Realeinkommens geht zu Lasten eines rascheren Wachstums der Beschäftigung. Wenn wir die Erfahrung von Deutschland und den USA im Zeitraum zwischen 1970 und 1995 vergleichen, wird uns dies bestätigt (Tabelle 5). In Westdeutschland stieg in dieser Zeit das Realeinkommen pro Beschäftigten um 60%, während es in den USA stagnierte (5%). Dafür erzielten die USA einen Zuwachs an Beschäftigung von 65%, der die westdeutsche Entwicklung (14%) deutlich in den Schatten stellt. Japan schaffte es in diesem Zeitraum, beide günstigen Extreme zu kombinieren: ein höherer Realeinkommensanstieg als in Deutschland mit einem fast so hohen Beschäftigungswachstum wie in den USA.
Die sich ausweitende Kluft zwischen Export- und Binnenindustrien
Die zurückliegende Entwicklung der japanischen Wirtschaft verlief nicht in allen Wirtschaftsbereichen gleichermaßen erfolgreich. Es zeigt sich im Gegenteil eine deutliche Kluft zwischen den Exportindustrien des Landes und den überwiegend auf den Binnenmarkt konzentrierten Industrien. Einen ersten, wenn auch indirekten Hinweis hierfür liefert die Entwicklung der Handelsstruktur. Sie ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Spezialisierung Japans auf Produkte der Maschinen- und Geräteindustrien (Tabelle 6). Ausdruck der Spezialisierung ist nicht nur der im internationalen Vergleich sehr hohe Anteil dieser Gütergruppe am japanischen Export, sondern auch ihr auffallend niedriger Anteil am Import. Im Vergleich zu den USA und Deutschland zeichnet sich Japan durch ein sehr niedriges Gewicht des intraindustriellen Handels in diesem Bereich aus, das erst in jüngster Zeit in Zusammenhang mit der oben beschriebenen Integration in Ostasien zunimmt. Der Integrationsprozeß beruht allerdings, wie gesehen, eher auf einer intraindustriellen vertikalen Arbeitsteilung als auf einer horizontalen Verflechtung der Märkte.
Japan ist im klassischen Sinne der internationalen Arbeitsteilung spezialisiert auf Produkte der Maschinen- und Geräteindustrien. Es besitzt in diesen Industrien offensichtlich einen ausgeprägten komparativen Vorteil. Komparativen Vorteilen liegen Unterschiede in der Kosten- bzw. Produktivitätsstruktur von Ländern zugrunde. Tatsächlich wird Japans Spezialisierung im internationalen Handel begleitet von einer sich öffnenden Produktivitätsschere zwischen Export- und Binnensektor. Die Entwicklung der Preisstruktur ist hierfür ein guter Indikator (Tabelle 7).
Aus Tabelle 7 geht hervor, daß sich die Preise für Exportgüter in Japan relativ zum Preisindex des BIP fast halbiert haben und daß die günstige Entwicklung der Exportpreise einhergeht mit einer fast ebenso günstigen Preisentwicklung bei den Produkten der Maschinen- und Geräteindustrien, die ja in diesem Zeitraum zum Hauptexportartikel Japans avancierten. In Deutschland und den USA haben sich die Preise für Exportgüter zwar ebenfalls günstiger entwickelt als der BIP-Preisindex. Die Differenz fällt jedoch wesentlich bescheidener aus. Die relative Verbilligung betrug in Deutschland 14% und in den USA 18%. Die sich in der Preisstruktur abzeichnende und mit der Herausbildung des komparativen Vorteils deckende ungleichgewichtige Produktivitätsentwicklung der japanischen Wirtschaft wird selbst wieder zur Triebfeder strukturellen Wandels. Die zunehmend produktiveren Exportindustrien bestimmen den Wechselkurs. Zu Beginn der 70er Jahre kostete der Dollar noch 360 Yen. Heute liegt der Kurs zwischen 120 und 130 Yen. 1995 war er zwischenzeitlich sogar auf unter 100 Yen gesunken. Die unter Berücksichtigung der Handelsstruktur berechnete effektive Aufwertung der japanischen Währung belief sich zwischen 1984 und 1995 auf ungefähr 120% (OECD 1997: A41). Für Japans Wettbewerber auf den Weltmärkten bedeutete dies einen jährlichen Preisbonus um mehr als 7%. Das durch die Aufwertung hervorgerufene Preis- und Kostengefälle zwischen In - und Ausland verschärft aus Sicht des Binnensektors die Konkurrenz durch Importe und verteuert aus Sicht des Exportsektors die Produktion im eigenen Land. Beide Wirkungsrichtungen erzeugen eine Dynamik strukturellen Wandels, die darauf hinausläuft, Produktion im Inland stillzulegen. Sie kommt in der oben beschriebenen seit Mitte der 80er Jahre zu beobachtenden außenwirtschaftlichen Entwicklung Japans zum Ausdruck. Es liegt auf der Hand, daß die sich weitende Produktivitätsschere kein auf Dauer tragfähiges Entwicklungsmuster darstellt. Die Maschinen- und Geräteindustrien beherbergen mit der Halbleiter- und Computerindustrie die leading industries der letzten 25 Jahre. Dennoch unterliegen auch diese Industrien Produktzyklen und können nicht auf Dauer Produktivitätszuwächse und Wachstum garantieren. Angesichts des gerade skizzierten Wechselkursmechanismus werden noch davor die direkt und indirekt von den Industrien abhängigen inländischen Arbeitsplätze verloren gehen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 1999 |