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TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Bedarf die EWU einer politischen Union als Ergänzung?

Position 1:

Die EWU funktioniert auf Dauer nur in einer politischen Union,

denn:

  • Nur in einer politischen Union laßt sich die Disziplin durchsetzen. die für die Stabilität der europäischen Wahrung unabdingbar ist. Unabhängige Staaten werden sich der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank nicht unterwerfen, wenn diese politisch unpopuläre Auswirkungen hat. Das gleiche gilt für die Sanktionierung unsolider Haushaltspolitik seitens der EWU.
  • Die Finanzmarkte versagen der europäischen Währung das Vertrauen. wenn ihre Stabilität nicht durch einen einheitlichen politischen Willen, der auch durchsetzbar ist, gewährleistet wird.
  • Ohne politische Union schränkt die EWU die politischen Gestaltungsmöglichkeiten zu sehr ein, d.h. sie unterwirft zu viele gesellschaftliche Belange dem Stabilitäts-Diktat der Währungsunion. Für sich genommen, kann kein einzelnes Mitgliedsland Maßnahmen ergreifen (z.B. verteilungs- oder umweltpolitischer Art), die eine Erhöhung der Stückkosten in den Unternehmen zur Folge haben. Wenn der Kostenausgleich über den Wechselkurs nicht mehr möglich ist, läßt sich derartiges nur noch auf Unionsebene durchführen. Es bedarf dann also einer gemeinsamen politischen Willensbildung.
  • Die EWU erzeugt Anpassungsprozesse. die nur in einer politischen Union toleriert werden (Migration). Und sie bringt Anpassungsnotwendigkeiten hervor, die nur in einer politischen Union einlösbar sind (Finanzausgleich). Weltwirtschaftliche Veränderungen (z.B. sektorale Krisen) treffen die einzelnen Länder nicht in gleichem Maße. Wenn stark betroffene Länder nicht mehr mit Abwertung reagieren können, müssen sie erhöhte Arbeitslosigkeit hinnehmen. Nur in einer politischen Union wird es möglich sein, die dadurch entstehenden Lasten auf alle Mitgliedsländer zu überwälzen. Aber nur wenn dies der Fall ist, lohnt es sich für Krisenländer, in der EWU zu bleiben.
  • In den kommenden Jahren werden tiefgreifende sozialpolitische Änderungen fällig, die in enger Abstimmung erfolgen müssen. Andernfalls könnten Wechselkursanpassungen unabdingbar werden. Fast überall in Europa ist der Sozialstaat dringend reformbedürftig. Führt z.B. Frankreich ein Bürgergeld ein, um mehr Niedriglohnarbeit zu ermöglichen, sinken dort die Stückkosten derart, daß die anderen EWU-Länder nicht mehr konkurrieren können und abwerten müssen - das Ende der EWU. Um so etwas zu vermeiden, müssen die Sozialreformen EWU-weit koordiniert werden. Dies aber erfordert eine politische Union.
  • Noch nie hat eine Währungsunion auf die Dauer außerhalb einer politischen Union Bestand gehabt. (Einwand: Es gibt Gegenbeispiele: u.a. die belgisch-luxemburgische Währungsunion).

Position 2:

Eine politische Union ist für das gute Funktionieren der EWU nicht notwendig,

denn:

  • Die EWU engt die Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedsstaaten nur insoweit ein, als sie inflationäre und unsolide finanzierte Lösungen verbietet. Dies aber ist eine Restriktion, an die sich jedes Land auch ohne EWU halten sollte. Innerhalb dieses Rahmens bleibt die nationale Gestaltungsfreiheit in allen verteilungspolitischen Belangen (u.a. auch der Arbeitsmarktpolitik) voll erhalten. Unter Beachtung der 3 %-Verschuldungsgrenze kann ein einzelnes Land weiterhin antizyklische Finanzpolitik betreiben - sogar noch leichter als auf der Basis eines hohen strukturellen Haushaltsdefizits.
  • Auch unabhängige Staaten können sich abstimmen. Es mag schon sein, daß diverse Politikbereiche in einer EWU unter den Mitgliedsländern koordiniert werden müssen. Dazu bedarf es aber keiner politischen Union.
  • Jedes Mitgliedsland der EWU hat ein Eigeninteresse. stabilitätswidriges Verhalten zu unterlassen. Ohne die Möglichkeit, abzuwerten, wird überdurchschnittliche Preissteigerung unweigerlich mit dem Verlust von Wettbewerbsfähigkeit bestraft.
  • Die strengen Beitrittskriterien stellen sicher, daß der Anpassungsbedarf in der EWU keine hohen politischen Anforderungen stellt. Es dürfen nur Länder in die EWU, die ihren Willen und ihre Fähigkeit zu stabilitätskonformer Finanz- und Lohnpolitik unter Beweis gestellt haben. Finanzielle Unterstützung für Mitgliedsländer mit Anpassungsschwierigkeiten ist ausdrücklich ausgeschlossen.

Position 3:

Es sollte vermieden werden, daß die EWU in eine politische Union eingebettet ist,

denn:

  • Eine zentrale politische Instanz kann größeren Druck auf die Europäische Zentralbank ausüben als ein einzelnes Mitgliedsland. Sie kann sich auch leichter über die vereinbarte Hallshaltsdisziplin hinwegsetzen. Ein einzelnes disziplinloses Mitgliedsland hingegen wird von den anderen sanktioniert. Eine Regeländerung kommt unter unabhängigen Mitgliedsstaaten nicht so leicht zustande. Sie müßte einstimmig erfolgen und von den Parlamenten ratifiziert werden. Ohne politische Union bedeutet das Konzept der EWU eine Selbstbindung der Staaten an eine internationale Abmachung. In einer politischen Union wäre der Inhalt der Selbstbindung dem Wechselspiel der politischen Mehrheiten ausgeliefert. Fazit: ohne politische Union kann sich die politische Logik nicht so leicht über die ökonomische Logik hinwegsetzen. Die einzelnen Mitgliedsstaaten stehen mit ihren jeweiligen nationalen Lösungen im Systemwettbewerb, in dem die ökonomisch brauchbarsten Lösungen die Oberhand behalten, nicht die politisch momentan am opportunsten.

Position 4:

Die EWU muß dann in eine politische Union eingebettet sein, wenn ihr nicht nur die hochentwickelten Kernländer der EU, sondern auch Länder mit verringerter Fähigkeit zu nicht-inflationärer Strukturanpassung angehören,

denn:

  • Dann werden ständige Transferzahlungen fällig. Ein derartig hohes Maß an institutionalisierter Solidarität ist aber nur innerhalb einer politischen Union möglich. Länder wie Portugal, Griechenland oder spätere osteuropäische Beitrittsländer laufen Gefahr, in der EWU nach und nach ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Dafür müßten sie durch dauerhaft gesicherte Finanztransfers entschädigt werden. Die anderen Mitgliedsländer müßten hierzu verpflichtet werden können - eine wichtige Einschränkung ihrer Souveränität.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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