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TEILDOKUMENT:
Muß die EWU durch eine Sozialunion ergänzt werden? Position 1: Die EWU bedarf der Ergänzung durch eine Sozialunion; andernfalls kommt es zur sozialen Unterbietungskonkurrenz, das jetzige soziale Absicherungsniveau läßt sich nicht mehr halten. Innerhalb der Währungsunion werden nationale Kostenniveaus direkt miteinander verglichen. Die Möglichkeit des Ausgleichs über den Wechselkurs entfällt. D.h. jede sozialpolitische Regelung und jede Tarif Vereinbarung, die im Kalkül der Unternehmen die Stückkosten erhöht, führt unwiderruflich zu einem Wettbewerbsnachteil, wenn in den anderen EWU-Ländern keine ebensolchen Kostenerhöhungen stattfinden. Werden in einem EWU-Land die Sozialkosten und damit die Stückkosten reduziert, setzt das alle anderen Länder ebenfalls unter erhöhten Konkurrenzdruck. Selbst wo die nationale Wettbewerbsfähigkeit objektiv nicht in Gefahr ist, wird die Position der Arbeitnehmer in Tarifverhandlungen und aller Pro-Sozialstaat-Kräfte in der öffentlichen Debatte geschwächt; denn das Wettbewerbsfähigkeits-Argument bekommt ein höheres Gewicht. Ohne EWU-weite Sozialstandards besteht die Gefahr, daß konservative Kräfte" (Arbeitgeber oder Regierung) in irgendeinem Land einen Sozialabbau durchsetzen und damit einen Anpassungswettlauf nach unten" in der gesamten EWU in Gang setzen. Standards, die dem einen Riegel vorschieben, lassen sich als EU-Gesetze oder als Tarif Vereinbarungen vorstellen.
Position 2:
Auch ohne Sozialunion lassen sich die jetzigen Sozialstandards halten und ausweiten. Allerdings stellt dies höhere Anforderungen an die verteilungspolitische Disziplin. Sozialstandards erhöhen nur dann die Stückkosten, wenn sie den Unternehmen ohne Kompensation auferlegt werden. Es ist aber auch möglich, soziale Vergünstigungen stückkostenneutral zu finanzieren, etwa indem die Kosten bei der Lohnfindung mitberücksichtigt werden oder indem die erforderlichen Mittel aus zusätzlichen Einkommen- , Mehrwert- oder Verbrauchsteuern bzw. aus staatlichen Ausgabenkürzungen an anderer Stelle aufgebracht werden. Die Vorstellung, soziale Vergünstigungen zu Lasten des Kapitals durchsetzen zu können, ist auf lange Frist ohnehin eine Illusion. Die Zeche bezahlt letzten Endes der Endverbraucher, und zwar in Form von höheren Preisen. Verhindert ausländische Konkurrenz die Weitergabe erhöhter Sozialkosten in Absatzpreisen, erfolgt bei flexiblen Wechselkursen letztlich eine Währungsabwertung. Auch hier sind es die Verbraucher, die die Kosten tragen. Sie zahlen höhere Preise für importierte Güter und Produkte mit importierten Vorleistungen (z.B. Rohstoffen). In der EWU ist Abwertung nicht mehr möglich. Deshalb wären zusätzliche (nicht EWU-weite) Sozialkosten von vornherein entweder den Arbeitnehmern oder den steuerzahlenden Haushalten oder den Nutznießern (zu kürzender) staatlicher Leistungen anzulasten. Ebenso kann ein Land bei sozialer Unterbietungskonkurrenz sein bestehendes Sozialniveau dadurch verteidigen, daß es Teile der Kosten auf Arbeitnehmer/ Steuerzahler/Staatsbegünstigte umlegt. Dieses Vorgehen mag freilich politisch schwieriger sein als der eingefahrene Weg der anonymen Kostensozialisierung über die Preise. Werden Sozialleistungen der Arbeitnehmerentlohnung angerechnet, wird außerdem die Verteilung ungleicher: Beamte, Freiberufler, Unternehmerhaushalte bleiben unbehelligt. Dennoch: es gibt auch in der EWU keinen ökonomischen Grund, auf rein nationale Sozialleistungen zu verzichten. Einwand: Die politischen Systeme vieler Länder sind mit einer derartigen wettbewerbsneutralen Sozialpolitik überfordert. Sie brauchen die Sozialunion als Stütze.
Position 3:
Egal, wie wünschenswert eine Sozialunion zur Sicherung der europäischen Sozialstandards sein mag, sie würde nur in einer kleinen, homogenen EWU ohne verheerende ökonomische Konsequenzen möglich sein. Zweck einer Sozialunion wäre es, Sozialstandards dadurch vor Unterbietungskonkurrenz zu schützen, daß sie für die gesamte Union verbindlich gemacht werden. Aber die Fähigkeit der verschiedenen Mitgliedsländer, ein vorgegebenes Sozialniveau wirtschaftlich zu verkraften, ist unterschiedlich. Jedenfalls gilt dies in einer EWU, der auch Länder wie Portugal, Irland oder später Tschechien oder Ungarn angehören. Die Sozialstandards in dieser Ländergruppe sind in ihrer Gesamtheit erheblich niedriger. Würden sie auf das Niveau der westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten angehoben, verlören sie - ohne Abwertungsmöglichkeit - ihre preisliche Konkurrenzfähigkeit auf breiter Front. Andererseits würde eine der wirtschaftlichen Leistungskraft entsprechende, aber (im Sinne einer Sozial-"Union") zentral festgelegte Differenzierung eine EWU-weite Sozial-, bzw. Tarifpolitik überfordern. Einwand: Diese Länder könnten, gemäß der Argumentation von Position 2, die zusätzlichen Kosten direkt den Arbeitnehmern, den steuerzahlenden Haushalten oder den Nutznießern staatlicher Leistungen anlasten. Die Stückkosten blieben dann unangetastet. Gegeneinwand: Selbst wenn man unterstellt, daß das politische System zu einem derartigen Umverteilungskraftakt in der Lage ist, würde dieser nicht den Präferenzen der Bevölkerung entsprechen. Bei einem generell niedrigen Einkommensniveau würde sie in vielen Punkten ein höheres verfügbares Einkommen höheren Sozialstandards, wie z.B. längerem Urlaub, vorziehen.
Position 4:
Auch in einer kleinen EWU wäre eine Sozialunion schädlich für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Eine Sozialunion verstärkt die Arbeitsmarkt-Rigidität in der gesamten EWU zu einer Zeit, in der es auf stärkere Flexibilisierung ankommt. Sie beeinträchtigt die Chancen für Wachstum und Beschäftigung in der gesamten EWU, auch wenn diese aus Ländern mit ähnlicher Wirtschaftskraft besteht und deshalb nicht zu befürchten ist, daß einzelne Mitgliedsländer durch eine Sozialunion ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Hinzu kommt, daß die Verringerung des Wettbewerbsdrucks auf Lohn- und Lohnnebenkosten mittels einer Sozialunion die Lohndisziplin schwächt und somit Inflationstendenzen stärkt. Schließlich verführt die Festschreibung von Sozialstandards Regierungen dazu, diese unsolide zu finanzieren und dann auf EU-Hilfe zu pochen, was den EWU-Grundkonsens sprengen würde.
Position 5:
Auch wenn viele soziale Fragen nicht EWU- weit geregelt werden sollten, einige soziale Grundrechte" sollten dennoch EWU-weit festgeschrieben werden, um sie dem Wettbewerbsdruck zu entziehen. Differenzierung mag in vielen Aspekten besser sein als Vereinheitlichung, weil die wirtschaftliche Leistungskraft der Länder und die Präferenzen ihrer Bevölkerungen unterschiedlich sind. Aber bestimmte Rechte sollten unter allen Umständen Geltung haben. Dazu gehören u.a. der Schutz der Arbeitsunfähigen, die Gleichstellung von Frauen und Männern, das Recht auf gewerkschaftlichen Zusammenschluß, Schutz gegen vermeidbare Gesundheitsrisikos am Arbeitsplatz. Eine EWU-weite Festschreibung derartiger Grundrechte schließt aus, daß sie im Kampf um Kostenvorteile geopfert werden (weil die entsprechenden Ansprüche politisch schwach artikuliert sind).
Position 6:
Unabhängig von der Frage verbindlicher EWU-weiter Sozialstandards, darf die EWU-Mitgliedschaft für kein Land als Nachteil empfunden werden. Die EWU muß deshalb relativ unterentwickelte Mitgliedsländer mit Finanztransfers für den Verlust der Abwertungsoption entschädigen. Länder wie Portugal und Irland sind darauf angewiesen, ihre entwicklungsbedingten Wettbewerbsnachteile (Defizit an Durchkapitalisierung, Infrastruktur etc.) durch eine niedrige Bewertung ihrer Währungen zu kompensieren. Dies umso mehr, da sie im Verlauf des wirtschaftlichen Aufholprozesses mit seinem ständigen Strukturwandel stärkere inflationäre Impulse verkraften müssen als die hochentwickelten Länder. Die Währungsunion verbaut ihnen die Möglichkeit, sich über Abwertungen allmählich in immer neue Märkte zu drängen. Sie werden zu einem permanenten Peripherie-Status verdammt. Damit sich ihr Lebensstandard trotzdem nicht zu weit von dem der Rest-EWU entfernt, bedarf es eines Finanzausgleichs. Einwand: Verringerte Entwicklungschancen ergeben sich nur für die Länder, die Strukturwandel nicht ohne Inflation verarbeiten können und die deshalb immer wieder abwerten müssen. Diese Länder sollten aber ohnehin nicht in die EWU. Das Argument der verringerten Entwicklungschancen sollte nicht an der Abwertungsmöglichkeit festgemacht werden, sondern an der Möglichkeit, bestimmte Märkte temporär gegen Auslandskonkurrenz abzuschirmen (infant industry). © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999 |