FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Bedarf die EWU einer Koordinierung der nationalen Finanzpolitiken?

Position 1:

Die Finanzpolitiken müssen koordiniert werden, um den konjunkturpolitischen Gestaltungsspielraum in der EWU wiederherzustellen.

Ein einzelnes Mitgliedsland der EWU kann keine wirksame Konjunkturpolitik betreiben, weil es die geldpolitische Souveränität an die Währungsunion abgegeben hat. Da Geld- und Finanzpolitik zusammenwirken müssen, um die Konjunktur zu beeinflussen, bedarf die gemeinsame EWU-Geldpolitik der Ergänzung durch eine gemeinsame Finanzpolitik.

Position 2:

Eine EWU "weit koordinierte Finanzpolitik ist nötig, damit Wachstum und Beschäftigung nicht dem Primat der Geldwertstabilität zum Opfer fallen.

Die Europäische Zentralbank ist primär dem Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet und für die Wahrnehmung dieser Aufgabe mit EWU-weit wirksamen Instrumenten ausgestattet. Die Geldpolitik kann aber das Wirtschaftswachstum (und damit das Entstehen zusätzlicher Arbeitsplätze) nicht stimulieren, sondern nur bremsen. Für die Stimulierung von Wachstum bedarf es einer Finanzpolitik, die ebenso EWU-weit wirksam ist wie die vereinheitlichte Geldpolitik.

Position 3:

Die Finanzpolitiken müssen koordiniert werden, um zu verhindern, daß Steuerkonkurrenz zwischen den Staaten zur Unterfinanzierung öffentlicher Aufgaben führt.

Insoweit, als Steuern einen Kostenfaktor für Unternehmen darstellen, verschlechtern sie prinzipiell deren preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Unternehmen aus Ländern mit geringerer Steuerbelastung. Innerhalb der Währungsunion lassen sich derartige Kosten nicht mehr über den Wechselkurs ausgleichen. Es wird deshalb sehr schwer, in einem Land die Steuern zu erhöhen, wenn die übrige EWU nicht mitzieht. Senkt ein Land die Unternehmenssteuern oder auch die indirekten Steuern, müssen die anderen wohl oder übel folgen. In so einer Konkurrenzsituation kommen öffentliche Belange tendenziell zu kurz. Steuerpolitische Abstimmung unter den EWU-Mitgliedern würde die Konkurrenz ausschalten.

Position 4:

Der Finanzausgleich zwischen den EWU-Mitgliedstaaten ist zu verstärken, um dem Entwicklungsgefälle zwischen den Mitgliedsländern entgegenzuwirken.

Ärmere Länder sind darauf angewiesen, ihre entwicklungsbedingten Wettbewerbsnachteile (geringe Durchkapitalisierung, mangelnde Infrastruktur etc.) durch eine niedrige Bewertung ihrer Währungen zu kompensieren. Die Währungsunion verbaut ihnen die Möglichkeit, über Abwertungen Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Damit sie nicht zu einem permanenten Peripherie-Status verdammt werden, muß ihre Entwicklung zur Gemeinschaftsaufgabe der EWU erklärt und durch Finanzzuschüsse aus den reichen EWU-Ländern vorangetrieben werden.

Position 5:

Eine spezielle EWU-interne Koordinierung der Finanzpolitiken ist nicht nötig.

Denn:

  • Die Verpflichtung der Mitgliedsländer auf geringe Staatsdefizite stellt sicher, daß die Finanzpolitik die stabilitätsorientierte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank nicht konterkariert und damit einen Zielkonflikt zwischen Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum heraufbeschwört.
  • Die Kombination von Geldwertstabilität und solider Haushaltspolitik, die durch die Beitrittsbedingungen zur EWU sichergestellt werden soll, bietet optimale Voraussetzungen für dauerhaft hohes Wirtschaftswachstum. Das Wachstum durch koordiniertes deficit spending erzwingen zu wollen, wäre kontraproduktiv.
  • Auch ohne EWU ist - bei der bestehenden weltwirtschaftlichen Verflechtung - die konjunkturpolitische Wirksamkeit einzelstaatlicher Haushaltsdefizite und -überschüsse sehr begrenzt. Die internationale Abstimmung wird durch die EWU nicht dringlicher. Dieses Problem ist auf globaler Ebene angesiedelt. Außerdem: Bei stetiger Finanzpolitik der Staaten ergibt sich ohnehin ein antizyklischer Effekt, weil in der Rezession die Steuereinnahmen sinken und die Sozialausgaben steigen. Im übrigen impliziert die Vereinheitlichung der Geldpolitik in der EWU eine entscheidende „Vergemeinschaftung" der Konjunkturpolitik.
  • Der Bedarf an finanzpolitischer Steuerung ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich, dies umso mehr, da die Steuerungsinstrumente der Geld- und Wechselkurspolitik auf nationaler Ebene nicht mehr zur Verfügung stehen.
  • Der Abbau von Arbeitslosigkeit wird durch die besseren Wachstumsvoraussetzungen, die die EWU schafft, begünstigt. Darüber hinaus ist dies die Aufgabe angemessener nationaler Arbeitsmarktregulierung. Koordinierung hilft dabei kaum.
  • Eine angemessene Finanzierung öffentlicher Aufgaben ist nicht unbedingt auf die steuerliche Belastung von Unternehmen angewiesen. Bei der Besteuerung von Haushalten sowie den meisten Verbrauchsgütern und Dienstleistungen entsteht kaum Steuerkonkurrenz und deshalb auch kein EWU-weiter Abstimmungsbedarf.
  • Die Entwicklungschancen der einzelnen Länder werden durch einen EWU-Beitritt nicht verschlechtert, ihr Bedarf an ausgleichender Finanzhilfe wird nicht erhöht. Dies träfe nur für solche Länder zu, die unfähig zu nichtinflationärer Strukturanpassung sind. Solche Länder aber sollen ohnehin nicht in die EWU.

Position 6:

Es besteht zwar kein Koordinierungsbedarf für die Finanzpolitiken über die vereinbarten Verschuldensregeln hinaus. Aber deren Einhaltung - auch in Krisensituationen - muß durch einen ständigen „finanzpolitischen Dialog" auf EWU-Ebene abgesichert werden.

Der Dialog hat die Funktion,

  • Entwicklungen, die zu übermäßiger Verschuldung führen, möglichst frühzeitig ins Blickfeld der Regierungen zu bringen;
  • die zuständige Regierung möglichst frühzeitig unter kollektiven EWU-Druck zum Gegensteuern zu setzen.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

Previous Page TOC Next Page