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Welche Änderungen bringt die EWU für die deutsche Wirtschaftspolitik?

Geldpolitik

Die Zuständigkeit für die Geldpolitik geht in der EWU auf die Europäische Zentralbank (EZB) über. Eine eigenständige deutsche Geldpolitik wird es nicht mehr geben. Die Konsequenzen für Deutschland:

  1. Sollte eine Sondersituation für Deutschland eintreten (z.B. ein Kurskollaps an der Frankfurter Aktienbörse oder gewaltige Erdölfunde in der Kieler Bucht), würde es keine spezifisch darauf zugeschnittene geldpolitische Antwort geben; denn die Politik der EZB richtet sich an der Gesamtlage in der EWU aus. Die Gefahr: mehr Inflation oder auch mehr Rezession als bei eigener Geldpolitik.

  2. Sollte eine Sondersituation in einem anderen EWU-Land eintreten, beeinflußt das die Gesamtlage, an der sich die Geldpolitik der EZB orientiert. D.h., auch Deutschland wird von einer Geldpolitik betroffen, die zum Teil von Problemen anderswo bestimmt ist. Die Gefahr: wie Punkt 1.

    • Position A: Die EZB wird, da unter stärkerem politischen Druck, generell mehr Inflation zulassen als die Bundesbank.

    • Position B: Die EZB wird generell eine ebenso stabilitätsorientierte Geldpolitik betreiben wie die Bundesbank.

    • Position C: Die EZB wird in der Anfangsphase, um dem Mißtrauen der Finanzmärkte entgegenzutreten, eine restriktivere Geldpolitik betreiben als die Bundesbank.

  3. Die deutschen Banken müssen sich darauf einstellen, daß die EZB zum Teil andere geldpolitische Instrumente einsetzt als die von der Bundesbank gewohnten.

Finanzpolitik

Der Maastrichter Vertrag setzt allen EWU-Mitgliedern eine Obergrenze für das staatliche Haushaltsdefizit in Höhe von
3 % des Bruttoinlandsproduktes. Da das Defizit in Zeiten der Rezession gleichsam automatisch zunimmt (geringere Steuereinnahmen, höhere Sozialausgaben), müssen die öffentlichen Haushalte „normalerweise" ausgeglichen sein. Diesen Normalzustand muß Deutschland erst durch eine Kombination von Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen erreichen. Da die Staatsquote in Deutschland bereits sehr hoch ist, wird das Schwergewicht zunächst auf Kürzungen liegen. Andererseits wird der Ausgabendruck eher wachsen. Steuererhöhungsspielraum wird vor allem bei der Mehrwertsteuer gesehen.

Je geringer das staatliche Defizit, bzw. je höher der Überschuß in Normalzeiten ist, desto größer ist der Spielraum für antizyklische Finanzpolitik. Grundsätzlich wird diese weiterhin möglich sein. Wie bisher wird ihre Wirkung aber an der Außenhandelsverflechtung ihre Grenzen finden.

Strukturpolitik

Die Möglichkeiten der Strukturpolitik werden durch die EWU nicht berührt. Wohl aber die Herausforderungen, auf die sie einzugehen hat. Tendenziell wird sich der Standortwettbewerb in der EWU verschärfen; denn die Standortmobilität der Unternehmen wird erleichtert. Die Folge: Standortpolitik wird wichtiger. Ihre primären Ziele sind (a) die Attraktivität deutscher Standorte für die Ansiedlung von Produktionsstätten, (b) die Stärkung der Innovationskraft und -freudigkeit deutscher Unternehmen. Beides ist weniger eine Sache höherer öffentlicher Ausgaben als besserer Organisation, besserer Anreizstrukturen und niedrigerer Kosten. Dennoch wird tendenziell auch der politische Druck zur Subventionierung bestehender Produktionsstrukturen zunehmen.

Lohnpolitik

Grundsätzlich ist der Spielraum für Lohnerhöhungen in der EWU geringer, weil die Möglichkeit des Ausgleichs über die Währungsabwertung entfällt. Für Deutschland leitet sich daraus freilich kein Anpassungsdruck ab. Denn es praktizierte auch bisher keine Politik der nachträglichen Kostenkorrektur durch Abwertung. Im Gegenteil, Deutschland sieht sich seit 10 Jahren verstärktem Aufwertungsdruck gegenüber. Den wird es innerhalb der EWU nicht mehr geben. Die deutschen Institutionen der Lohnfindung sind insofern für die EWU bestens geeignet. Im internationalen Stückkostenvergleich könnte der Spielraum für Lohnerhöhungen sogar zunehmen.

Andererseits nimmt der Wettbewerb in der EWU tendenziell zu. Höhere Standortmobilität der Unternehmen und niedrigere Handelsschranken senken die Toleranzgrenzen des Marktes für Kostennachteile.

Die Frage, wie zu- oder abträglich die deutsche Lohnpolitik dem Abbau von Arbeitslosigkeit ist, wird durch die EWU kaum berührt. Denn dabei geht es vor allem um die Struktur des deutschen Arbeitsmarktes und nicht um internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Sozialpolitik

Wie bei der Lohnpolitik gilt: Die aufwendige deutsche Sozialpolitik bedurfte in der Vergangenheit nie des nachträglichen Kostenausgleichs über die Währungsabwertung. Insofern geht von der EWU kein unmittelbarer Anpassungsdruck aus. Aber die tendenzielle Intensivierung des Konkurrenzdrucks in der EWU kann zur Folge haben, daß Sozialpolitik in Zukunft Stückkosten-neutraler gemacht werden muß. In diesem Fall dürften Sozialkosten weniger als bisher den Unternehmen als Lohnnebenkosten angelastet werden. Oder es müßte eine kompensierende Entlastung an anderer Stelle geben (z.B. Lohnmäßigung).

Wiederum gilt: Die Frage, wie zu- oder abträglich der deutsche Sozialstaat für Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum ist, wird von der EWU kaum berührt. Höchstens insofern, als generell die Toleranz des Marktes für standortspezifische Ineffizienz abnimmt.

Arbeitsmarktpolitik

Die in der EWU geltende 3%-0bergrenze für das Staatsdefizit engt den Finanzierungsspielraum für die deutsche Arbeitsmarktpolitik ein. Ausgabenintensive Lösungen für das Problem der Massenarbeitslosigkeit (staatliche Beschäftigung) werden schwieriger.

Darüber hinaus gibt es möglicherweise drei langfristige Veränderungen:

1. Die Mobilität der Arbeitskräfte nimmt zu. Deutschland bekommt mehr Zustrom von Arbeitskräften aus EWU-Ländern mit geringeren Beschäftigungschancen als hierzulande. Umgekehrt könnten in Zeiten überdurchschnittlich hoher deutscher Arbeitslosigkeit mehr Arbeitskräfte ins EWU-Ausland (z.B. nach Österreich) abwandern.

2. Das Wirtschaftswachstum beschleunigt sich aufgrund der wachstumsfreundlichen Kombination aus niedrigeren Zinsen, geringeren Staatsdefiziten (Konvergenzkriterien!) und geringeren Störungen an der Währungsfront. Der Arbeitsmarkt wird somit tendenziell entlastet.

Die Gegenposition: Die EWU behindert das Wachstum (einseitige Betonung der Preisstabilität, geringerer Spielraum für expansive Finanzpolitik, höhere Zinsen wegen Mißtrauen der Finanzmärkte, geringere Kostendisziplin). Der Druck auf den Arbeitsmarkt erhöht sich weiter.

3. Der Wettbewerbsdruck nimmt zu. Die „Schutzzonen" für relativ ineffiziente Arbeit werden kleiner. Es müssen mehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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