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TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:




Wer soll in die EWU, wer nicht?

Position 1:

Nur Länder zulassen, die beide Kriterien erfüllen: (a) ähnliche Wirtschaftsstruktur und somit gleiche Anfälligkeit gegenüber externen Schocks, (b) gleiche ,,Stabilitätskultur"' (nachzuweisen durch die Erfüllung der Maastrichter Beitrittsbedingungen)!

Bei sehr unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen (fehlende „reale Konvergenz") ist die Gefahr groß, daß ein einzelnes Land aufgrund von Weltmarkt-Entwicklungen in Krise gerät. Da es seine Marktchancen nicht mehr durch eine Abwertung verteidigen kann, bekommt es hohe Arbeitslosigkeit. Die Arbeitsmärkte der übrigen EWU-Mitgliedsländer werden durch erhöhte Zuwanderung aus dem Krisenland belastet. Dem könnten sie teilweise durch erhöhte Ausgleichszahlungen (höhere Steuern, geringere staatliche Leistungen!) entgegenwirken. Dieses Kriterium schließt Länder wie Portugal und möglicherweise auch Spanien sowie künftige osteuropäische EU-Länder von der EWU aus. Diese sollten die Möglichkeit einer eventuellen Abwertung nicht aus der Hand geben. Im übrigen gilt: je diversifizierter die Wirtschaftsstruktur, desto geringer die Anfälligkeit der Gesamtwirtschaft gegenüber sektoralen Schocks.

Finanz- und lohnpolitische Gewohnheiten mit unterschiedlicher Inflationsträchtigkeit (fehlende Politikkonvergenz) bergen die Gefahr, daß sie nach dem Beitritt zur EWU weiterwirken. Sie treten dann in Konflikt mit der stabilitätsorientierten Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Die Folge: weniger Wirtschaftswachstum (Stabilisierungsrezessionen, höhere Zinsen) oder eine Lockerung der Geldpolitik, und somit mehr Inflation. Dieses Kriterium schließt u.a. auch Länder aus, die sich aufgrund einer hohen Steuerhinterziehungsquote schwer tun, ihre Staatsausgaben solide zu finanzieren.

Position 2:

Nur Länder mit gleicher „Stabilitätskultur" (nachzuweisen durch die Erfüllung der Maastrichter Beitrittsbedingungen) zulassen, nicht jedoch auf ähnlicher Wirtschaftsstruktur bestehen!

Hinsichtlich der „Stabilitätskultur" gelten die Argumente zu Position 1.

Die mit dem Mangel an „realer Konvergenz" verbundenen Gefahren sollten jedoch in Kauf genommen werden: Erstens sind sie nicht sehr groß. Zweitens verspricht eine größere EWU auch größeren Nutzen: Die Währungsstabilität wird auf einen größeren Wirtschaftsraum ausgedehnt, der gemeinsame Markt besser gegen neue Handelshemmnisse (als Antwort auf perzipierte Abwertungskonkurrenz) gefeit, Preis Stabilität in den schwachen EU-Ländern wird erleichtert, der politische Zusammenhalt der Europäischen Union gestärkt. Je weniger Länder von der EWU (zunächst) ausgeschlossen werden, desto geringer ist auch die Gefahr, daß ihre Einführung wachstums- und integrationsschädliche Währungsturbulenzen (massiver Abwertungsdruck auf die ausgeschlossenen Währungen) hervorruft. Außerdem: Die EWU fördert die Herausbildung „realer Konvergenz", da sie die Mobilität von Faktoren und Produkten erleichtert und so die intraindustrielle Arbeitsteilung über ein breites Branchenspektrum hinweg begünstigt.

Position 3:

Nur Länder mit ähnlicher Wirtschaftsstruktur und somit gleicher Anfälligkeit gegenüber externen Schocks zulassen, und zwar auch dann schon, wenn sie sich erst auf dem Weg zu der für die EWU angestrebten „Stabilitätskultur" befinden!

Hinsichtlich der ähnlichen Wirtschaftsstruktur („reale Konvergenz") gelten die Argumente zu Position 1.

Aber es gibt keinen ökonomischen Sinn, diejenigen Länder nicht in die EWU zu lassen, die deutlich erkennbar anti-inflationäre Lohn- und Finanzpolitik betreiben, aber zum Stichtag die Maastrichter Konvergenzschwellenwerte noch nicht erreicht haben. Die Währungsunion selbst wird mit ihrer einheitlichen Geldpolitik Preisstabilität erzwingen. Nationale Zentralbanken haben keine Möglichkeit mehr zu einer stabilitätswidrigen Geldpolitik. Kein Land kann sich mehr inflationäre Lohnentwicklung leisten, denn höhere Lohnstückkosten lassen sich nicht mehr durch eine Abwertung ausgleichen. Stabile Wechselkurse werden irrelevant, da es innerhalb der EWU keine nationalen Währungen mehr gibt.

Was die Verringerung der öffentlichen Haushaltsdefizite betrifft, so ist sie für manche Länder in der Währungsunion viel leichter zu erreichen, weil sie da nicht mehr gleichzeitig mit relativ hohen Zinsen ihren Wechselkurs verteidigen müssen. Außerdem kann der Versuch, das Staatsdefizit um jeden Preis abzubauen, Rezessionstendenzen verstärken, sich so evtl. selbst ad absurdum führen (niedrigere Steuereinnahmen, höhere Sozialausgaben in der Rezession) und dem EWU-Projekt die politische Unterstützung entziehen. Wichtiger als auf der Erreichung willkürlich gesetzter Schwellenwerte vor dem Beitritt zu bestehen, wäre es, eine solide Finanzpolitik innerhalb der EWU sicherzustellen (evtl. durch einen zusätzlichen „Stabilitätspakt").

Position 4:

Alle Länderzulassen, die sich auf dem Weg zu der für die EWU angestrebten „Stabilitätskultur" befinden!

Was die „reale Konvergenz" betrifft, gelten die Argumente zu Position 2, was die „politische Konvergenz" betrifft, diejenigen zu Position 3.

Die Vorteile einer möglichst umfassenden EWU (Stärkung der europäischen Einigung, Schutz vor Währungsturbulenzen) lassen sich maximal wahrnehmen, wenn auf (relativ) unnötige Konvergenzkriterien mit willkürlich gesetzten Schwellenwerten verzichtet wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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