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TEILDOKUMENT:
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III Flexible Arbeitszeit- und Telebeschäftigungsmodelle [Seite der Druckausg.: 118 = Leerseite]
Eva Schwinge, Anja Schmidt, Telearbeit - der Arbeitsplatz der Zukunft Sehr geehrte Damen und Herren, das Thema Arbeitsplätze" ist seit Jahren zum Brennpunkt politischer und wirtschaftlicher Diskussionen geworden. Wir alle wissen, dass mit jedem technologischem Fortschritt in der Geschichte unserer Zivilisation sehr viele Arbeitsplätze verloren gingen, aber nach kurzer Zeit auch ein enormes Potential an Tätigkeitsfeldern entstand. Unser Informationszeitalter ist ein Umbruch in der Geschichte der Menschheit, ein Umbruch, der ungeahnte Möglichkeiten bietet. Gewinner dieses technologischen und ökonomischen Umbruchs werden diejenigen sein, die diesen Umbruch als einmalige Chance begreifen. Flexibilität und Mobilität heißen die zeitgemäßen Faktoren auf dem Weg in das nächste Jahrtausend. Deshalb erlebt die Arbeitswelt unserer heutigen Gesellschaft, die von Informationsaustausch und rasanter technischer Entwicklung geprägt ist, einen tiefgreifenden Wandel. Nicht nur in der industriellen Produktion oder den Dienstleistungen, sondern auch in der Gestaltung der Arbeitsorganisation. Im Zuge der zunehmenden Globalisierung und Transparenz der Märkte hat sich Telearbeit weltweit als eine neue Form der Arbeitsorganisation etabliert. Dabei wird in Zukunft ein Großteil der anfallenden Arbeiten in einem Unternehmen durch Telearbeit erledigt werden. Hier finden vor allem moderne Informations- und Kommunikationstechniken wie PC, Fax, Mobil- oder Bildtelefon sowie die weltweite Verknüpfung von Datennetzen Anwendung. In diesen Bereichen ruht ein enormes Potential [Seite der Druckausg.: 120] an Effektivität für Groß-, Mittelstands- und Kleinunternehmen in Bezug auf die Neugestaltung und Produktivität der Arbeitsprozesse. Mit Hilfe von Telearbeit ist es möglich, via Datenübertragung, Arbeiten praktisch von jedem beliebigen Ort aus zu erledigen. Telearbeit ist der Ausbruch aus räumlichen und zeitlichen Zwängen der Tätigkeit von Unternehmen. Deshalb führen immer mehr Unternehmen Telearbeit ein. Besonders interessiert sind Mittelstandsfirmen, da Telearbeit kleinen und mittelständischen Unternehmen durch die Auslagerung bestimmter Arbeitsbereiche eine optimale Auslastung ihrer Ressourcen ermöglicht. Der Nutzenvorteil der Unternehmen, die Telearbeit in Anspruch nehmen, besteht einerseits darin, Lohnkosten zu minimieren, da Leistungen zur richtigen Zeit auf Abruf erbracht werden können, andererseits haben Unternehmer mit knapp bemessenem Zeitplan die Möglichkeit, ihr Tagesgeschäft auszulagern, um sich intensiver den eigentlichen Produktionsprozessen im Unternehmen zu widmen. Als weiteren großen Vorteil der Telearbeit sehen Befragte bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie" und auf Unternehmensseite freut man sich über eine enorme Steigerung der Produktivität. Momentan sind die meisten Telearbeitsplätze im Bereich des Vertriebs und des Kundendienstes geplant oder bereits realisiert, es folgen Bereiche Datenverarbeitung, Organisation, Finanzierung, Rechnungswesen sowie Verwaltung. Die übrigen Telearbeitsplätze verteilen sich auf Funktionsbereiche Personalwesen, Einkauf, Forschung und Entwicklung sowie auf Produktion. Trotz alledem sind die geeignetsten Telearbeitsbereiche die Tätigkeiten, die Kommunikation mit Vorgesetzten und Kollegen nur in größeren Zeitabständen erfordern und zudem ein vorher eindeutig festgelegtes Ergebnis haben, um Kommunikationsdefizite auszuschließen. Hierzu zählen die Texterfassung und -bearbeitung, Datenerfassung, Systementwicklung und Programmierung sowie Außendienstaufgaben. Zunehmend können aber auch komplexere Aufgaben im Bereich Telearbeit gelöst werden, wie z. B. die CAD Bearbeitung, Konstruktion, die Buchhaltung, die DV-Wartung und DV-Beratung, da auch diese Tätigkeiten ergebnis- [Seite der Druckausg.: 121] orientiert und ohne allzu häufige Kommunikation mit den Kollegen ausführbar sind. Gesellschaftspolitisch werden positive Auswirkungen auf das Arbeits- und Erwerbsleben bis hin zur Verbesserung der Wettbewerbsposition einer Volkswirtschaft im internationalen Vergleich erwartet, da Telearbeit einer zunehmenden Globalisierung gerecht sein wird. Ein Praxisbeispiel: Da die Marktchancen für Telearbeit als äußerst günstig einzuschätzen sind, wurde am 01. September 1997 das geförderte Modellprojekt TAT als neue Abteilung der Technologie & Marketing Akademie gGmbH in Erfurt ins Leben gerufen. Das Projekt heißt TELEARBEIT IN THÜRINGEN" (TAT) - ein Begriff, der die Umwälzung in Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen einschließt, wie die Veränderungen in den Arbeitsweisen der Beteiligten, in den Unternehmensstrukturen und in den Managementmethoden, wie auch die Forderung der Wirtschaft selbst zu neuen Lösungen, und dies auch im Freistaat Thüringen. TAT ist ein Spezialistenpool von 15 Mitarbeiterinnen an verschiedenen Standorten in Thüringen, aus den Branchen EDV, Rechnungswesen sowie Marketing/Vertrieb, die durch ihre selbständige fachliche Qualifizierung ihren Wissensstand erreichen werden, der es ihnen ermöglicht, individuelle Kundenwünsche unverzüglich und fachgemäß zu erledigen. Die Mitarbeiterinnen werden befähigt, mittels aktuellster Informations- und Kommunikationstechnologien neue Formen von Dienstleistungen für angestrebte Zielgruppen anzubieten und zu erfüllen. Wohl wissend um die Problematik der reinen Telearbeit ( Selbst-Isolation" und Selbst-Ausbeutung" etc. im home-office") für die mittels Telearbeit beschäftigten Personen, ist deshalb die Form der Telearbeit wohnungsnah im Telezentrum gewählt worden. Im Gegensatz zu Heimbüros bietet das Telezentrum Platz für ein Team, das in ständiger Kommunikation und im Erfahrungsaustausch steht. Die Gefahr der Isolation und der Selbstausbeutung ist nicht gegeben, da geregelte Arbeitszeiten vorliegen und der Kontakt zu Mitarbeitern gepflegt werden kann. [Seite der Druckausg.: 122] Besonders in der Lernphase ist die Möglichkeit eines spontanen Erfahrungsaustausches von entscheidender Bedeutung für den erfolgreichen Einstieg in die neuen und komplexen Arbeitsbedingungen in der Telearbeit. Ein weiteres Praxisbeispiel: Zunächst eine kurze Vorstellung der NAT: Die NAT wurde am 18.September 1990 als gemeinnütziger Verein zur Arbeits- und Berufsförderung gegründet. Unser Ziel ist es, Arbeit neu zu organisieren und Arbeitsplätze zu schaffen, um somit insbesondere benachteiligten Personen des Arbeitsmarktes einen Wiedereinstieg zu ermöglichen. Seit ihrer Gründung hat die NAT über 2.000 Personen durch einen befristeten Arbeitsvertrag den Wiedereinstieg in das Berufsleben ermöglicht. Im Rahmen der heutigen 5. Arbeitsmarktkonferenz Arbeitswelt im Wandel zur Informationsgesellschaft" stellte ich Ihnen als ein Beispiel aus der Praxis das seit dem 01.09.1997 geförderte Modell-Projekt TeleArbeiT" in Thüringen vor. Warum nun gerade TeleArbeiT? Die Zukunft der Arbeitswelt wird derzeit neu definiert. Es gilt, die Zukunft der Menschen durch Maßnahmen zu ordnen, die Arbeitslosigkeit beenden, aber auch Beruf und Familie in Einklang bringen können. Die Arbeit an sich ändert sich durch rasante Entwicklung der modernen Kommunikationsmittel. Erstmals kann Arbeit unabhängig von einem bestimmten Ort verrichtet bzw. für Nutzer dieser Arbeit an anderen Orten an zentralen Stellen geleistet werden. Der Bereich der Telearbeit ist in Deutschland ein Wachstumsmarkt. Es entstehen neue Telearbeitszentren, Zentren für Telefonmarketing und Call-Center. Dies hat die Partner, die Technologie & Marketing Akademie in Erfurt, die Neue Arbeit Thüringen in Meiningen und die Neue Arbeit Altenburg, angeregt, im Verbund das Projekt TeleArbeiT an den verschiedenen Standorten in Thüringen zu realisieren. Das Projekt Telearbeit dient [Seite der Druckausg.: 123] der beruflichen Eingliederung von arbeitslosen Frauen in das Berufsleben unter Nutzung der neuen Telekommunikationstechniken. Im Rahmen dieses Projektes werden an allen 3 Standorten je 15 bzw. 16 ehemals arbeitslose Frauen mit Facharbeiter- oder höherwertigem Abschluss auf den Gebieten der Bürodienstleistungen, der Sekretariatsarbeiten und des Marketing/Vertrieb qualifiziert und beschäftigt. Als Ziel steht letztlich das Erreichen eigenständigen Arbeitens jeder Projektteilnehmerin in den genannten Aufgabengebieten. Telearbeit liegt immer dann vor, wenn Tätigkeiten mit einer gewissen Regelmäßigkeit außerhalb des Betriebes des Auftraggebers erfolgen und dabei neue Informations- und Kommunikationstechniken zur Arbeitserbringung genutzt werden. Der Lehr- und Beschäftigungsplan des Modellprojektes in Thüringen orientiert sich an den Gegebenheiten des Marktes und unterliegt permanenter Anpassung. Zur erfolgreichen Ausübung von Telearbeit durch die Teilnehmerinnen werden folgende Inhalte vermittelt:
[Seite der Druckausg.: 124] Im Rahmen der beruflichen Qualifizierung wird dabei auch ein Schwerpunkt auf die nichttechnische Kommunikation gelegt. Dazu zählen u. a. das Motivationstraining, freies Reden und Überzeugen, die Präsentationsvorbereitung und deren Durchführung. Im Bereich Marketing/Vertrieb liegen die Schwerpunkte auf den Themen: Informationsbeschaffung und -analyse für Marktentscheidungen, Marketinginstrumente, Distributionspolitik, Telefonmarketing und Verkauf. Betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse und Basiswissen im Bereich Marketing und Vertrieb werden den Teilnehmern modular vermittelt. Phasen der Wissensvermittlung wechseln mit Phasen der selbständigen Erarbeitung von Konzepten in den Bereichen Marketing und Kommunikation. Die Wissensvermittlung der Grundlagen erfolgt für alle Teilnehmerinnen gleichermaßen. Um den anspruchsvollen Inhalt des Fertigkeiten- und Fähigkeitenerwerbs jeder einzelnen Teilnehmerin zu vervollständigen, erfolgt außerdem der gezielte Einsatz von Fremddozenten. Heute sind die Teilnehmerinnen des Projektes TeleArbeiT bereits in der Lage, zahlreiche anstehende Probleme selbständig zu lösen und ihre Tele-Dienstleistungen anzubieten. An den unterschiedlichen Arbeitsplätzen für Videokonferenz, Grafik und Präsentation, WEB-Seiten-Gestaltung, Datenbank- und Telefonmarketing sowie bürotechnische und betriebswirtschaftliche Anwendungen können für akquirierte Zielgruppen zeitweilig Aufgaben erledigt werden. Zielgruppen sind Existenzgründer und andere potentielle Arbeitgeber, bei denen sich unsere Kolleginnen um Telearbeit bewerben. Besonders durch die Teilnahme an der MEGA ´98 Bayern, Hessen, Thüringen, der größten regionalen Messe im südthüringer Raum, konnten wir unsere Kontakte zu Firmen vertiefen und erweitern. In Gesprächen mit den potentiellen Arbeitgebern wurden Anforderungsprofile der zukünftigen Arbeitsplätze analysiert und in die Qualifizierung eingearbeitet. So arbeiteten zwei Mitarbeiterinnen an einem Gemeinschaftsprojekt zweier Firmen an der Einführung eines regionalen Informationssystems für die Region Südthüringen. Eine Mitarbeiterin erarbeitete sich über die systembetreuende Firma unseres Meininger Projektes das Aufgabengebiet Daten-Netze und nutzt das erworbene Wissen auch für die Projektarbeit. [Seite der Druckausg.: 125] Es ist uns gelungen, weitere Firmen zu akquirieren, für die unsere Kolleginnen im Bereich Telearbeit die Aufgabengebiete Bürodienstleistungen, Sekretariatsaufgaben, Telefonmarketing und Grafikbearbeitung realisieren. Zwei weitere Teilnehmerinnen erarbeiteten sich durch vertiefendes Studium und Selbststudium den Bereich der Programmierung von WEB-Seiten. Auch hier wurde uns großer Bedarf aus regionalen Firmen signalisiert, da multimediale Präsenz für die Unternehmen essentiell ist. Abschließend möchte ich einschätzen, dass das Modell-Projekt TeleArbeiT von allen Involvierten angenommen wurde und mit großem Fleiß und Elan an einer neuen beruflichen Zukunft gearbeitet wird. Für die Telearbeiterinnen bestehen aufgrund der erworbenen Kenntnisse auf dem Arbeitsmarkt gute Einstiegsmöglichkeiten. Ca. 2/3 unserer Mitarbeiterinnen sehen bereits jetzt einer weiteren Beschäftigung im Rahmen der Telearbeit, auch nach Beendigung des Projektes im kommenden August, entgegen. Für die Verantwortlichen bleibt zu überlegen, nach dem erfolgreichen Abschluss und erfolgter Integration unserer Kolleginnen in den ersten Arbeitsmarkt, eine Neuauflage des Projektes zu beantragen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999 |