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TEILDOKUMENT:



[Seite der Druckausg.: 126]

Martina Leyendecker
Westdeutscher Handwerkskammertag, Düsseldorf

Neue Berufsfelder für Erwerbsarbeit und Beschäftigung
Flexible Arbeitszeit- und Telebeschäftigungsmodelle


Ich möchte mich zunächst einmal selbst vorstellen. Mein Name ist Martina Leyendecker und ich komme vom Westdeutschen Handwerkskammertag. Das ist der Dachverband der sieben nordrhein-westfälischen Handwerkskammern. Ich bin dort zuständig für ein Projekt zur Frauenförderung im Handwerk, nämlich eben „Förderung neuer Berufsfelder für Frauen, insbesondere im Handwerk". Ziel dieses Projektes ist es, den Frauenanteil im Handwerk, insbesondere in den sogenannten „Männerberufen", zu erhöhen. Das Projekt wird mit Mitteln des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert und vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes NRW unterstützt.

Im Zuge des Projektes haben wir in allen Handwerkskammern in Nordrhein-Westfalen sowie in zwei Industrie- und Handelskammern, die modellhaft an dem Projekt beteiligt sind, spezielle Beratungsstellen für Frauen und Unternehmen geschaffen, in denen wir eine wirtschaftsnahe Beratung in diesen Themenfeldern bieten. Im Zuge unserer Projektarbeit haben wir uns unter anderem auch mit dem Thema „Flexible Arbeitszeiten und Telearbeit" beschäftigt und dabei eine Broschüre [ Westdeutscher Handwerkskammertag (Hrsg.): Flexible Arbeitszeiten und Telearbeit - ein Gewinn für Unternehmen und Beschäftigte, 2. Auflage, Düsseldorf, Juli 1998.] entwickelt.

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Vorteile flexibler Arbeitszeiten

Eine Unvereinbarkeit von Familie und Beruf ist für Unternehmen zunehmend unrentabel. Denn angesichts der Globalisierung der Märkte, des Wandels zur Informationsgesellschaft und des Strukturwandels können es sich Unternehmen einfach nicht mehr leisten, auf qualifizierte Fachkräfte zu verzichten bzw. diese zu verlieren. Und nicht zuletzt kostet es Geld, qualifiziertes Personal zu suchen, einzustellen und weiterzubilden. Deswegen ist es für Unternehmen interessant, eine „lebensphasenorientierte Personalpolitik" [ Sabine Hildebrand-Woeckel: „Familienfreundliche Personalpolitik", in: Management & Seminar, 2/97, S. 32-34, S. 33.] einzuführen, um qualifiziertes Personal an sich zu binden. Eckpfeiler einer solchen Personalpolitik ist neben der Schaffung einer familiengerechten Infrastruktur die Flexibilisierung der Arbeitszeit. [ Sabine Hildebrand-Woeckel: „Familienfreundliche Personalpolitik", in: Management & Seminar, 2/97, S. 32-34, S. 33.]

Welche Vorteile bietet die Flexibilisierung der Arbeitszeit für Unternehmen?

  • Erhöhung der Produktivität durch bessere Auslastung des Personals und der Maschinen

Durch eine Ausdehnung der Betriebszeiten lassen sich Maschinen länger und damit effektiver nutzen. Gleichzeitig kann das Personal besser ausgelastet werden. Insgesamt steigt so die Produktivität eines Unternehmens.

  • Anpassung an schwankende Auftragslagen

Durch eine größere Flexibilität bei den Betriebszeiten kann sich ein Unternehmen besser an schwankende Auftragslagen anpassen. Ein Kunde, der beispielsweise eine gewisse Zahl von Metallblechen benötigt, fragt nicht danach, wie lange die Maschinen im Unternehmen laufen und wie viele Beschäftigte dort tätig sind, der möchte einfach wissen, ob sich

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der Auftrag zeitnah erledigen läßt. Wenn das Unternehmen hier auf einen flexiblen Mitarbeiter-/Mitarbeiterinnen-Pool zurückgreifen und längere Betriebszeiten anbieten kann, dann erhöht dies die Wettbewerbsfähigkeit.

  • Stärkere Kundenorientierung im Hinblick auf Service, Lieferfristen und Termintreue

Die Kund(inn)en können heute überall kaufen. Das heißt, Unternehmen, die zeitnah auf die Sonderwünsche der Auftraggeber/innen reagieren können und Lieferfristen einhalten, sind von besonderem Interesse. Eine stärkere Kundenorientierung wird so zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor für das Unternehmen.

  • Geringere Fehlzeiten bei der Belegschaft, Erhöhung der Arbeitsmotivation bei den Beschäftigten

Flexible Arbeitszeiten ermöglichen für die Beschäftigten eine leichtere Vereinbarung von Beruf und privaten Termine. Der Gang zum Arzt kann dann vielleicht auch schon mal außerhalb der Arbeitszeit erfolgen.

  • Bindung qualifizierter Beschäftigter an den Betrieb und geringere Fluktuation

Flexible Arbeitszeiten sind eine Möglichkeit, qualifiziertes Personal für den Betrieb zu erhalten bzw. zu gewinnen. Im Handwerk werden qualifizierte Kräfte vielfach gesucht. Wenn Unternehmen qualifizierte Kräfte mit dem Hinweis auf flexible Arbeitszeiten gewinnen bzw. binden können, so ist dies ein echter Vorteil.

Welche Vorteile bieten flexiblen Arbeitszeiten für Beschäftigte?

  • Größerer Handlungsspielraum bei der Arbeitsbewältigung

Beschäftigte haben durch flexible Arbeitszeiten einen größeren Handlungsspielraum bei der Arbeitsbewältigung, d. h., sie können sich die

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Erledigung der Arbeit freier einteilen. Das ist ein höherer Grad an Freiheit, der für die Beschäftigten sehr positiv und motivierend ist.

  • Bessere Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Interessen

Beschäftigen mit Kindern, die an starre Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen gebunden sind, erleichtern flexible Arbeitszeiten das Leben. Flexible Arbeitszeiten erlauben es den Beschäftigten zudem, nachmittags einfach einmal früher aus dem Büro zu gehen, wenn sie sich etwas Privates vorgenommen haben. Sie müssen dann nicht immer direkt einen Urlaubstag nehmen.

  • Tätigkeit in wettbewerbsstarkem Betrieb mit sicheren Arbeitsplätzen

Wenn Unternehmen flexibler auf die Kundenwünsche reagieren können, ist das letztendlich auch für die Beschäftigten von großem Interesse, da sie in einem Betrieb arbeiten, der wettbewerbsstark ist und sich länger auf dem Markt behaupten kann.

Flexible Arbeitszeitmodelle

Es gibt verschiedene Modelle der flexiblen Arbeitszeit:

  • Gleitende Arbeitszeit
  • Variable Arbeitszeit
  • Selbstbestimmte Arbeitszeit

Bei einem Betrieb mit gleitender Arbeitszeit kann man beispielsweise morgens zwischen 07.00 und 08.00 Uhr anfangen und nachmittags ab 16.00 Uhr gehen. Der Unterschied zur qualifizierten Gleitzeit ist der, dass bei der einfachen Gleitzeit das eigentliche Stundenvolumen, das jeden Tag erbracht werden muß, gleich ist, also festgelegt ist, während es bei der qualifizierten Gleitzeit variieren kann. Das heißt, ich muß nicht jeden Tag z. B. sieben Stunden im Betrieb sein. Ich kann auch weniger Stunden im Betrieb zubringen. Bestehen im Unternehmen variable Ar-

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beitszeiten, dann ist die Gestaltung der Arbeitszeit relativ offen. So wird bei Wochenarbeitszeitkorridoren nur festgelegt, wie viele Stunden in der Woche insgesamt zu arbeiten sind. Theoretisch könnten Beschäftigte an einem Tag z. B. 10 Stunden und an einem anderen Tag wesentlich weniger Stunden arbeiten; die Arbeitszeit läßt sich eben variabel einrichten.

Eine Trennung von Betriebs- und Arbeitsstätte erfolgt bei der selbstbestimmten Arbeitszeit. Telearbeit ist eine Form zur Realisierung selbstbestimmter Arbeitszeiten.

Rechtliche Aspekte

Auf überbetrieblicher Ebene regeln Gesetze und Tarifverträge die Arbeitszeit, während dies auf betrieblicher Ebene mittels Betriebsvereinbarungen und Einzelarbeitsverträgen geschieht. Im Hinblick auf die gesetzliche Basis ist das Arbeitszeitgesetz von großer Bedeutung, welches den Rahmen für die Arbeitszeitgestaltung auf überbetrieblicher Ebene regelt.

Was ist Telearbeit ?

Das Bundesministerium für Wirtschaft definiert Telearbeit in der Publikation „Info 2000" wie folgt:

„Telearbeit ist jede auf Informations- und Kommunikationstechniken gestützte Tätigkeit, die ausschließlich oder alternierend an einem außerhalb des Betriebs liegenden Arbeitsplatz verrichtet wird (z. B. Privatwohnung, Telezentrum, mobiler Arbeitsplatz) und mit der zentralen Betriebsstätte durch elektronische Kommunikationsmittel verbunden ist." [ Bundesministerium für Wirtschaft: Info 2000 – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft (Bericht der Bundesregierung), Bonn, 1996.]

Telearbeit bedeutet also, dass die Arbeit nicht an dem Arbeitsort der Firma, sondern z. B. zu Hause erbracht wird. Über Datenfernübertra-

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gung können sich die Arbeitnehmer/innen in den Computer der Firma einloggen und dort PC-gestützte Arbeiten verrichten, ohne tatsächlich dort hinfahren und anwesend sein zu müssen.

Häufig erfolgt Telearbeit aus der Privatwohnung. Es gibt aber auch Telezentren oder mobile Telearbeitsplätze.

Vorteile der Telearbeit für Unternehmen

  • Schnellere Aufgabenbearbeitung

Zu Hause läßt sich viel ungestörter arbeiten. Telefonate und Gespräche, wie wir sie aus dem betrieblichen Alltag kennen, fallen weg. Dadurch kann man konzentrierter arbeiten und die Aufgaben schneller erledigen. Dies ist für das Unternehmen von Vorteil, da der Zeitraum für die Aufgabenbearbeitung schneller ist.

  • Hohe Arbeitsmotivation

Telearbeiter/Telearbeiterinnen sind Beschäftigte, die über ein sehr hohes Vertrauensmaß seitens des Unternehmens verfügen. Der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin kann dem Telebeschäftigten nicht so über die Schulter schauen, wie es vielleicht im betrieblichen Alltag zumindest theoretisch möglich wäre. Das heißt, seitens des Unternehmens muß ein großes Vertrauensverhältnis gegenüber den Beschäftigten bestehen, die ein solche Arbeitsform ausüben. Dies motiviert die betreffenden Beschäftigten. Sie wissen um ihre Vertrauensstellung und möchte diese natürlich nicht ausnutzen.

  • Steigerung der betrieblichen Effizienz

Wenn ein Unternehmen Telearbeit einführt, dann sind die entsprechenden organisatorischen Rahmenbedingungen eine wichtig Voraussetzung. Telearbeit läßt sich nicht einfach von heute auf morgen in Unternehmen in der Hoffnung einführen, dass dies schon funktionieren wird. Wichtig ist es deshalb, zuvor die betrieblichen Strukturen zu ordnen und Kom-

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munikationsprozesse zu regeln. Wie können Aufgaben auf einzelne Ziele heruntergebrochen werden? Wann ist ein Ziel erreicht?

Allein schon dieser Diskussionsprozess führt dazu, dass sich die betriebliche Effizienz steigert. Man redet auf einmal über Dinge, die vielleicht vorher gar nicht thematisiert wurden. Dies ist für die Unternehmenskultur in jedem Fall hilfreich.

  • Gewinnung bzw. Bindung qualifizierter Mitarbeiter/innen

Telearbeit ist wie die Realisierung flexibler Arbeitszeiten eine Form, das Arbeitspotential guter Leute zu erhalten.

  • Senkung der Bürokosten

Last but not least ist die Senkung der Bürokosten als enormer Vorteil hervorzuheben. Bedenkt man die Kosten für die Anmietung von Büroräumen in zentraler Lage oder auch in Randbezirken, so wird klar, dass eine Kostenreduzierung für Unternehmen sehr interessant ist. Die Senkung der Kosten ergibt sich dadurch, dass bei der Realisierung der Telearbeit der lokale Arbeitsplatz im Unternehmen von mehreren Personen gleichzeitig benutzt werden kann.

Vorteile der Telearbeit für die Beschäftigten

  • Mehr Eigenständigkeit bei der Erledigung der anfallenden Arbeit

Die Beschäftigten, die Telearbeit verrichten, sind fast schon in der Position einer Führungskraft, die sich selbst einteilen kann, wie der Arbeitsalltag aussieht oder wie die Aufgabe angegangen wird. Sie müssen zwar Rechenschaft über ihre Leistungen abgeben, aber normalerweise nicht direkt an jedem Arbeitstag. Was wirklich zählt, ist das Endergebnis.

  • Verringerung des Pendelaufwandes zwischen Wohnort und Arbeitsstätte

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Durch die Reduzierung des Pendelaufwandes ergibt sich für die Beschäftigten eine ungeheure Fahrtkosten- und Zeitkostenersparnis.

  • Bessere Vereinbarkeit beruflicher und familiärer Belange

Durch die Verringerung des Pendelaufwandes spart man Zeit und kann seine beruflichen und privaten Belange besser organisieren. Für Frauen oder Männer ist Telearbeit während des Erziehungsurlaubes eine ausgezeichnete Möglichkeit, um berufliche Fähigkeiten zu erhalten, wenn sie z. B. im Rahmen der gesetzlich zulässigen Stundenzahl arbeiten möchten. Sie können sich dann immer noch an der Unternehmensarbeit beteiligen und gehen so dem Arbeitsmarkt nicht ganz verloren. Wir wissen ja alle, je länger man aus dem Arbeitsmarkt aussteigt, desto schwieriger ist es, wieder zurückzukommen. Zudem ist Telearbeit auch eine Möglichkeit, sich während des Erziehungsurlaubes weiterzuqualifizieren.

Rechtliche Aspekte

Bei der Telearbeit sind verschiedene rechtliche Aspekte zu beachten, die hier nur ganz kurz angesprochen sein sollen:

  • Datenschutz und Datensicherung

Wenn zu Hause mit sensiblen Firmendaten gearbeitet wird, muss natürlich Sorge dafür getragen sein, dass unberechtigte Personen keinen Zugang haben. Da sind z. B. ggf. abschließbare Vorrichtungen für Disketten anzuschaffen. In jedem Fall sind natürlich die Datenschutzbestimmungen zu beachten.

  • Arbeitsrecht

Telearbeit muss nicht als freie Mitarbeiterin oder als Heimarbeiterin verübt werden, es kann durchaus im regulären Beschäftigungsverhältnis erfolgen. Es gibt Fälle von Unternehmen, die versuchen, die Beschäftigten bei der Einführung von Telearbeit in eine Form der Selbständigkeit zu drängen. Wichtig ist es deshalb, sich zusammen mit dem Arbeit-

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geber bzw. der Arbeitgeberin genau zu überlegen, in welcher Form die Telearbeit verrichtet werden soll.

  • Zugang zur Wohnung

Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist in unserem Land ein sehr hohes Rechtsgut. Auf der anderen Seite muß natürlich der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin prinzipiell die Möglichkeit haben, Zugriff auf Betriebsdaten zu haben. Diese Problemstellung läßt sich z. B. durch fest vereinbarte Zugangszeiten lösen.

Diese Ausführungen sollen Sie nicht schrecken, sondern nur zeigen, wo Klärungsbedarf ist.

  • Versicherungsrecht

Bei der Verrichtung von Telearbeit in der Wohnung wird eine relativ teuere EDV-Anlage benötigt, die einen multimedia-tauglichen Computer, Internetanbindung und Videokonferenz-Möglichkeit beinhaltet. Die Kosten belaufen sich schnell auf über 10.000 DM, die oft durch die bestehende Hausratsversicherung nicht mehr abgedeckt sind. Hier ist eine entsprechende Anpassung der Versicherung erforderlich.

Formen der Telearbeit

Trotz des Zeitmangels würde ich noch gerne die Formen der Telearbeit ansprechen. Die verbreitetste Form ist die alternierende Telearbeit. Das heißt, die Beschäftigten erbringen die Arbeit beispielsweise an drei Tagen zu Hause in der Wohnung und an zwei Tagen im Betrieb. Telecenter sind Unternehmen, die anderen Unternehmen fest eingerichtete Telearbeitsplätze anbieten. Zudem gibt es noch mobile Telearbeit und Satellitenbüros.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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