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B: Bilanz des Beitrags von Frauen zur gesellschaftlichen Entwicklung



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Einführender Beitrag: Kathrin Rohnstock / Moderation: Anna Damrat, MdA

Anna Damrat

Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin

Ich habe jetzt - wenn man die Einleitung mit dazu nimmt - den zweiten Teil der Veranstaltung als Moderatorin zu bestreiten. Dazu begrüße ich ganz herzlich Katrin Rohnstock. Ich freue mich, daß ich diesen Teil moderieren darf. Zumal ich auch Ihr Buch über die „Stiefschwestern" gelesen habe. Ich gebe jetzt nahtlos weiter an Katrin Rohnstock. Sie sind bitte so freundlich und führen in das Thema ein, um das es hier geht, nämlich um die „Bilanz des Beitrags von Frauen zur gesellschaftlichen Entwicklung".

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Katrin Rohnstock

Ich möchte mich zunächst herzlich bedanken für die Einladung, hier sprechen zu dürfen. Ganz besonderen Dank gilt Margit Zauner. Wir haben schon mehrfach zusammengearbeitet. Wir sind ungefähr ein Jahrgang und waren uns bereits 1993 einig in der Akzeptanz und Bewertung von mentalen Differenzen zwischen Ost und West. Margit kommt aus dem Westen, ich aus dem Osten. Sie ist auch eine Autorin des eben schon erwähnten Buches „Stiefschwestern", das ich herausgegeben hatte.

Gisela Zierau hatte sich gewünscht, daß ich Fakten, Fakten, Fakten bringe und entsprechend habe ich Ihnen eine Vielzahl von Statistiken mitgebracht.

Eines noch vorweg. Ich selbst forsche nicht mit dem gängigen soziologischen Instrumentarium, sondern ich untersuche die Alltagskultur, indem ich Leute befrage und sie bitte, über ihre Erfahrungen Geschichten zu schreiben, die ich seit 1995 in der von mir herausgegebenen Buchreihe „Ost-westlicher Diwan" publiziere. Diese Reihe widmet sich dem Ost-West-Vergleich des Geschlechterverhältnisses, sie erkundet, welche Einstellungen, Werte und Erfahrungen sich mit der unterschiedlichen Sozialisation verbinden. Denn das 1994 erschienene, von mir herausgegebene Buch „Stiefschwestern" hatte mir gezeigt, daß es nicht nur deutliche Unterschiede zwischen den Frauen in Ost und West gibt, sondern auch zwischen den Männern.

So ist diese Buchreihe entstanden und sie hat sich mit den sechs bisher erschienenen Bänden zu einem beachtlichen Medium der interdisziplinären Geschlechterforschung entwickelt – und mir die Gelegenheit gegeben, neben Publizisten auch Kulturhistoriker, Soziologen und Verhaltensforscher in die Vergleichsforschung einzubeziehen.

Ich bin hier gebeten worden, über den Beitrag der ostdeutschen Frauen an der gesellschaftlichen Entwicklung zu sprechen. Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht so richtig, was das bedeuten soll, die „gesellschaftliche Entwicklung". Gesucht wird vermutlich danach, wo ostdeutsche Frauen sozial aktiv werden und auf welche Weise sie agieren. Das heißt, wo und wie sie ihre spezifisch ostdeutsche Identität, ihre Ansprüche und Werte wirkungsvoll einbringen und umsetzen können. Welchen Einfluß, welche Stimme sie haben. Einen Überblick über die Stellung von ostdeutschen Frauen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu geben, ist schier unmöglich. Ich kann hier nur ein paar Akzente setzen und nur aus meiner Perspektive sprechen und urteilen.

Es geht um eine Bestandsaufnahme, und diese beinhaltet immer auch Bewertung. Aber welche Maßstäbe legen wir an? Woran messen wir die Situation? An den Verhältnissen zu DDR-Zeiten? An den Verhältnissen heute? Oder messe ich an meiner eigenen emanzipatorischen Vision, die vor allen Dingen durch meine Herkunft und Biographie, durch meine Mutter und Großmutter geprägt ist.

Ich denke, daß man bei diesem Thema auf den Vergleich mit dem Westen nicht verzichten kann, weil es erstens die Verhältnisse sind, die uns umgeben und zumindest beherrschen wollen. Und zweitens, wir nehmen erst durch den Vergleich mit dem Westen die östlichen Spezifika wahr. Im Vergleich wertet sich der Osten um und umgekehrt gleichermaßen. Erst durch die Wahrnehmung, Bewußtwerdung und Akzeptanz der Differenzen in den Erfahrungen und Einstellungen wird möglich, was nötig ist: Gemeinschaftlich und partnerschaftlich Zukunftskonzepte zu entwickeln.

Woran könnte sich der Beitrag der ostdeutschen Frauen an der gesamtdeutschen Gesellschaft nun bemessen? Welche Parameter legen wir an?

Schauen wir zunächst, was ostdeutsche Frauen in die Vereinigung eingebracht haben. Was war ihre Mitgift? Ihre Mitgift bestand vor allem im sozialen Reichtum. Durchgängige Berufserfahrung, Kinder und das Selbstverständnis, daß Beruf und Kinder zum Glücklichsein gehören. Als Schatzkästlein tragen die ostdeutschen Frauen ein sehr hohes Bildungsniveau in sich, wie Sie alle wissen.

Schauen wir, wie sich dieser geistige und soziale Reichtum in materiellen Reichtum am Beispiel des eigenen Einkommens widerspiegelt.

89 Prozent der ostdeutschen Frauen haben ein eigenes Einkommen. Auch wenn 32 Prozent davon weniger als 1.000 Mark erhalten. Im Westen haben 69 Prozent der Frauen ein eigenes Einkommen, das heißt 30 Prozent der Frauen haben kein eigenes Einkommen. Was bedeutet, völlig abhängig zu sein vom Mann (s. Abb. 2, S. 61).

Der Vergleich zwischen Ostfrauen und Ostmännern zeigt: Diese Statistik ist etwas positiver als die vorige, sie ist von einem ostdeutschen Institut erhoben worden. 29 Prozent der ostdeutschen Frauen erhalten unter 1.000 Mark, aber nur 14 Prozent der Männer. 52 Prozent der Frauen verdienen bis zu 2.000 Mark, 44 Prozent der Männer. Und dann bei den Höherverdienenden, also ab 2.000 Mark verdienen 42 Prozent der Männer und 19 Prozent der Frauen.

Schauen wir, wie viele Frauen die neuen Möglichkeiten der Marktwirtschaft nutzen und ein eigenes Unternehmen gründen. In den meisten Fällen wohl, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen. Da es in Deutschland keine verläßliche Gründungsstatistik gibt, ist es schwierig, darüber allgemeingültige Aussagen zu treffen. Die einzige verläßliche Quelle ist die Deutsche Ausgleichsbank. Dort werden alle Existenzgründerinnen, die Kredite beantragen und bewilligt bekommen, erhoben.

1990 waren im Westen 20 Prozent Existenzgründer weiblich, in den neuen Ländern fast 26 Prozent. 1991 stieg die Anzahl sprunghaft an, weil die Polikliniken aufgelöst wurden und sich viele Ärztinnen selbständig machen mußten. Jetzt pegelt sich das ein. Bei den Ostdeutschen sind 25 Prozent der Existenzgründer Frauen. Bei den Westdeutschen 20 Prozent. Die Marktlage ist inzwischen schwieriger geworden und entsprechend vorsichtig reagieren die Frauen darauf.

Ein anderer Aspekt ist die Branchenwahl der Existenzgründungen von Frauen.

Im Handel gründen gleich viele Ost- wie Westfrauen. Im Handwerk sind es weniger Ostfrauen, in der Industrie gründen 4,9 Prozent Ostfrauen eigene Unternehmen, aber nur 2,3 Prozent Westfrauen. Das ist ein kleiner Teil des technischen Bildungskapitals aus DDR-Zeiten, das sich hier umsetzt.

Es ist bedauerlich, daß es kaum kaum qualitative Studien über Existenzgründerinnen gibt, denn dieser Bereich ist einer der ganz wenigen in der jetzigen Gesellschaft, wo Frauen selbstbestimmt die Unternehmenskultur gestalten könnten. Untersuchungen würden zeigen, wie die Unternehmerinnen ihre ostdeutschen Sichtweisen und Erfahrungen in die Arbeitskultur einbringen, wie sie ihre Unternehmensphilosophie formulieren. Ob an der ersten Stelle der Motivation die Gewinne stehen oder ob es vor allen Dingen um ein sinnvolles Produkt oder um eine sinnerfüllte Tätigkeit oder aber die Schaffung von Arbeitsplätzen geht. Interessant ist, daß im Osten jede Existenzgründerin durchschnittlich drei Arbeitsplätze schafft, im Westen aber nur 2,3. Diese Statistik gilt wohlgemerkt nur für diejenigen, die Kredite in Anspruch nehmen.

Ansonsten sieht es mit dem Nachweise der Leistungen ostdeutscher Frauen eher traurig aus. Die Räume für Engagement und selbstbestimmtes Handeln liegen weitestgehend im Verborgenen, im sozio-kulturellen, informellen Bereich und vor allen Dingen in der Familie. Denn Öffentlichkeit und Institution sind vorwiegend beherrscht von einer westlich geprägten Kultur und westlich geprägten Diskursen, die es ostdeutschen Frauen erschweren, eigene Konzepte und Ansichten einzubringen und gestaltend mitzuwirken. Die Ansichten und kulturellen Gewohnheiten ostdeutscher Frauen sind vor allem geprägt von einem „doppelten" oder „einheitlichen" Lebensentwurf, wie es die Soziologen nennen, der Vereinbarkeit von Beruf und Familien. An die Möglichkeiten, dieses Selbstverständnis in der Praxis zu leben, messen die Frauen die heutige Gesellschaft.

Entsprechend kritisch bewerten Ostdeutsche „Freiheit", den Gründungsmythos der Bundesrepublik und setzen, je stärker sie die Konsequenz „freiheitlicher Strukturen" erfahren, die Gleichheit an die erste Stelle ihrer Wertehierachie. Wie sie diese Einstellungen umsetzen, ist kaum sichtbar. In den alten Länder rangiert „Freiheit" weit vor „Gleichheit". Im Osten hat sich seit 1990 die Schere kontinuierlich aufgetan. 1990 waren Freiheit und Gleichheit noch gleich wichtig. Inzwischen hat die „Freiheit" abgenommen und die Bedeutung von „Gleichheit" gravierend zugenommen.

Wenn ich sagte, die Einflußmöglichkeiten ostdeutscher Frauen liegen weitestgehend im Verborgenen, so meine ich keinesfalls, daß sie wirkungslos bleiben. Ostdeutsche Frauen wirken vor allem im Alltag, im privaten Bereich, im unmittelbaren Umfeld. Wenn zum Beispiel 71 Prozent der angestellten ostdeutschen Frauen unzufrieden mit dem Arbeitsklima sind, unter Rücksichtslosigkeit, Streß und Ellenbogenmentalität leiden, so heißt das nicht, daß sie sich mit dieser Situation abfinden, sondern sie nehmen unterschwellig und unauffällig Einfluß auf die Unternehmens- und Umgangskultur, indem sie aufgeschlossen sind, über persönliche Belange sprechen. Das ist nicht zu unterchätzen, einen erkrankten Mitarbeiter besuchen oder auch für einen anderen einspringen. Sie bringen ein, was sie in einer Nichtellenbogengesellschaft, in einer nicht marktorientierten Gesellschaft gelernt haben. Sie verändern damit subversiv das Arbeitsklima und die Einstellung anderer Angestellter. Westdeutsche, die mit ostdeutschen Frauen zusammenarbeiten oder gar zusammenleben, also westdeutsche Männer, berichten zunehmend häufiger davon. Eine ostdeutsche Werbetexterin in Führungsposition erzählte mir folgendes Beispiel:

Während einer Weiterbildung zu Motivationstechniken antwortete sie auf die Frage, wie sie ihre Mitarbeiter motiviere, kurz und knapp: „Mit Liebe". Den übrigen Kursteilnehmerinnen blieb das Wort im Halse stekken, bis sich ihre Überraschung in schallendem Gelächter entlud. So etwas hatten sie noch nie gehört. Die Texterin erklärte, daß sie Wert darauf legt, daß ihre Mitarbeiter untereinander und zu ihr Vertrauen haben, daß sie keine Angst haben, Fehler einzugestehen, daß sie mit ihnen berät, wer welche Aufgabe übernimmt und als oberstes Prinzip der Aufgabenverteilung würden Spaß und Interesse gelten.

Vertrauensbildend wirke, daß jeder angehalten ist, den anderen zu unterstützen und: Jeder weiß, vom anderen, was er verdient. Diese Offenheit sorgt für eine hohe Wirkungsbereitschaft, die ihre Rechtfertigung im Erfolg der Werbeagentur findet. Innerhalb von zwei Jahren wuchs die Firma von drei auf 28 Angestellte.

Jenseits der individuellen Wirkung der ostdeutschen Frauen und Männer, denn diese Verhaltenseigenschaften gelten auch für die Männer, gibt es folgenden Wirkungsnachweis: Das DIW stellte fest, daß seit der deutschen Vereinigung die Erwerbswünsche von nicht beschäftigten Frauen in den alten Bundesländern verstärkt steigen. Wollte 1990 nur die Hälfte der nicht beschäftigten Frauen erwerbstätig sein, waren es 1994 bereits zwei Drittel. Dabei steigt vor allem der Erwerbswunsch von verheirateten Frauen, Müttern von Kleinkindern und Berufsrückkehrerinnen. Das heißt, daß das traditionelle Verständnis, daß eine Frau, die Kinder hat, ins Haus gehört, mehr und mehr aufgelöst wird zugunsten eines modernen Verständnisses der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Berufstätigkeit. Entsprechend dem steigenden Anteil von erwerbstätigen Frauen im Westen steigt auch die Zufriedenheit mit den Verhältnissen. Im Osten steigt dagegen die Unzufriedenheit und das Bewußtsein, mehr für Frauen tun zu müssen, wächst. Logisch bei der weiterhin zunehmenden Erwerbslosigkeit.

Sie sehen, die Westfrauen werden deutlich zufriedener und sind der Meinung, es ist nicht mehr so wichtig, etwas für Frauen zu tun.

Was für den Westen ein Fortschritt ist, das ist für den Osten ein Rückschritt. 70 Prozent der erwerbsfähigen Frauen im Westen sind heute erwerbstätig. Das entspricht einem Niveau von weiblicher Erwerbstätigkeit, das in der DDR in den frühen 60er Jahre erreicht war. Deshalb divergieren natürlich die Einschätzungen zwischen Ost und West. Ostdeutsche Frauen können mit den gesellschaftlichen Verhältnissen kaum zufrieden sein. Für sie gehört es zum kollektiven Selbstverständnis, Kinder und Beruf gleichzeitig zu leben. Für die meisten bereits in der zweiten Generation. Die Erfahrungen, Einstellungen und Leitbilder, ihre psychische Struktur, vor allen Dingen auch ihr Verhältnis zu Männern, sind auf dieses Selbstverständnis eingerichtet. Dort wo die westdeutschen und westeuropäischen Frauen als Erfahrungskollektiv noch nach Vermittlung zwischen traditionellen und feministischen Rollenbildern suchen, wo sie hin- und herschwanken zwischen übersteigertem Selbstbewußtsein, „wozu braucht eine Frau einen Mann?" und unangemessenen Minderwertigkeitsgefühlen, „bin ich als Mutter noch sexy?", „wo der kollektive Diskurs wie ein manisch-depressiver Neurotiker von einem Extrem ins andere fällt, die mißbrauchte Frau - der mißbrauchte Mann, da ist für ostdeutsche Frauen längst alles klar. Über diese Selbstverständigungsdebatten für ein neues Geschlechterverhältnis können ostdeutsche Frauen nur schmunzeln oder gelangweilt abwinken, nicht ihr Thema. Deshalb auch fühlen sich ostdeutsche Frauen von den westlich produzierten Frauenzeitschriften, die diese Debatten ohne Ende führen müssen, oft angewidert und nehmen sie kaum wahr. Dazu später.

Aber ich spreche immer nur von ostdeutschen Frauen. Dabei geht es auch um die ostdeutschen Männer. Denn ein doppelter Lebensentwurf bedingt die Gestaltung eines neuartigen Geschlechtervertrages. Den haben die Frauen seit den 60er Jahren mit den Männern auf allen Ebenen neu ausgehandelt. Durchaus mit vielen Streitereien und nicht ohne Frustration - auf beiden Seiten. Aber immerhin auch mit einigem Erfolg. Zum Beispiel bei der Hausarbeit.

An dieser Grafik wird augenfällig, daß sich ostdeutsche Väter deutlich mehr an der Hausarbeit beteiligen als die westdeutschen.

Noch ein anderer Aspekt, der die partnerschaftlichere Einstellung ostdeutscher Väter dokumentiert:

Im Westen würden sich 39,3 Prozent der Väter wünschen, daß die Frau zu Hause bleibt, Hausfrau ist, während sich dies im Osten 11,3 Prozent der Väter wünschen. Das ist also etwas mehr als ein Viertel davon. Im Westen wünschen sich 27 Prozent, daß die Partnerin Teilzeit arbeitet, im Osten 64 Prozent. Daß sie volltags arbeitet, wünschen sich im Osten beinahe viermal soviel Väter. Daß beinahe 30 Prozent der Väter im Westen überhaupt keine Meinung zu dieser Frage haben, ist ein Symptom für die Rollenunsicherheit und Unklarheiten im Geschlechterverhältnis. Ein Drittel der Väter weiß nicht, ob sie lieber eine selbständige und tendenziell auch selbstbewußte Partnerin wünschen oder eine finanziell abhängige. Hier zeigt sich, wie zwiespältig das Frauenbild westdeutscher Männer ist.

Ich will noch einmal erklären, warum es wichtig ist, Einstellungen und Verhalten beider Geschlechter zu reflektieren und den Vertrag, den Männer und Frauen miteinander schließen, zu erforschen. Die sozialen Geschlechter greifen stets ineinander, das heißt sie bedingen einander wechselseitig. Eine Integration der Frauen als Mütter in die „männliche" Berufssphäre hat zur Folge, daß die Männer sich mehr dem Familienbereich zuwenden und damit „verweiblichen". Wenn dieses Ineinandergreifen nicht funktioniert, wenn sich die Geschlechter nicht dialektisch ergänzen, hat das schwere Störungen der Geschlechterverhältnisse zur Folge. Männer und Frauen als kollektive Wesen landen im Chaos. Fakt ist, daß sich die Geschlechter im Osten in ihren Einstellungen und Werten stark aneinander angeglichen haben, daß es weniger männer- und frauenspezifisches Verhalten gibt als im Westen.

Hier ein kleiner Vergleich:

Was macht Männer und Frauen im Westen glücklich? Das ist ganz klar geschlechtsspezifisch segmentiert. Menschen, die einen lieben, machen 70 Prozent der Frauen glücklich, 59 Prozent der Männer. Ein Beruf, in dem man aufgeht, macht 35 Prozent der Frauen glücklich und 51 Prozent der Männer. Erfolg im Beruf macht 27 Prozent der Frauen glücklich, 52 Prozent der Männer. Viel Geld haben: 20 Prozent der Frauen und 32 Prozent der Männer. Das ist ganz klar geschlechtsspezifisch segmen-
tiert.

Im Vergleich dazu die Ostfrauen, ein Beruf, in dem man aufgeht, ist für 47 Prozent der Ostfrauen nahezu genauso wichtig wie für 52 Prozent der Westmänner. Erfolg im Beruf und Geld haben ist bei den Ostfrauen ebenfalls als Glücksmoment so verbreitet wie bei den Westmännern. Ostfrauen integrieren traditionell weibliche Einstellungen und traditionell männliche. Da in allen Industrieländern der Welt die Erwerbsbeteiligung von Frauen steigt und damit ein Rollenwandel im Geschlechterverhältnis einhergeht, wäre zu fragen, ob in dem kollektiven Selbstverständnis ostdeutscher Frauen ein soziales und psychisches Potential liegt, das zukunftsweisend für die Gestaltung des modernen Geschlechterverhältnisses ist. Wie die Geschlechter wechselseitig aufeinander reagieren, wie Männer und Frauen ihre Betziehungen miteinander gestalten, welche Bedingungen, welche Erwartungen sie aneinander haben, wie ihre Tätigkeiten in der Bewältigung von sehr komplexen Alltagsanforderungen ineinander greifen – das heißt wie sie ihren Vertrag miteinander gestalten, das ist meines Wissens weder erforscht, noch gibt es dafür eine angemessene Forschungsmethodik.Wir können in einigen Fällen zwar den soziologischen Vergleich heranziehen, das habe ich hier getan. Darüber hinaus aber bleibt nur die genaue vorurteilsfreie Beobachtung des Alltags, denn der Teufel steckt im Detail und die Gefahr, daß wir westliche Deutungsmuster übernehmen und vorschnell vom Patriarchat und patriarchalen Strukturen reden, ist groß.

Aus diesem Grunde habe ich das Konzept meiner Buchreihe „Ost-Westlicher Diwan", die sich den Vergleich des Geschlechterverhältnisses in Ost und West zur Aufgabe gemacht hat, auf Alltagsgeschichten gebaut. Ich wollte aus dem Alltag heraus erkunden, wodurch sich die Geschlechterkultur in Ost und West unterscheidet. Die Ergebnisse sind bei jedem der sechs Bände aufs Neue überraschend. Die Einstellung von Vätern zu ihren Partnerinnen habe ich Ihnen bereits vorgestellt. Ein weiteres Beispiel aus dem Buch „Sag mir, wie die Väter sind", das jetzt durch den „Spiegel"-Artikel groß in der Diskussion ist: 80 Prozent der Väter, die getrennt von den Müttern ihren Kinder leben, halten den Kontakt zu ihren Kindern. Im Westen sind es 50 Prozent. Das heißt auch, daß nicht nur das Engagement der Väter für ihre Kinder weiter verbreitet ist, sondern auch, daß die Mütter in der überwiegenden Mehrzahl der Ansicht sind, daß sie den Vater nicht ersetzen können. Und: Die Mütter können ihre Kinder loslassen, weil sie nicht ihre erste und vorrangige Lebenslegitimation darstellen, weil sie nicht ihren ersten Lebenssinn in den Kindern sehen, sondern weil sie neben den Kindern noch einen eigenen Lebensbereich haben, ihre Berufstätigkeit, wo sie Anerkennung erhalten, sich beweisen und weiterentwickeln können. Wenn 80 Prozent der Väter auch nach der Trennung den Kontakt zu ihren Kindern pflegen können, so steht dahinter auch, daß die Mütter trotz Trennung soviel Vertrauen zu ihrem Ex-Partner bewahren, daß sie ihn weiterhin als Elternteil akzeptieren und seinen Einfluß auf die Kinder respektieren. Und: daß die Kommunikation zwischen den Ex-Partnern erhalten bleibt, dasß sie sich nicht verfeinden. ...Aber das ist schon das nächste Thema, die Trennungskultur. Das habe ich in dem Buch „Ex. Trennungsgeschichten" behandelt.

Ich wollte Ihnen mit diesem Exkurs nur verdeutlichen, daß Aussagen über Männer auch stets etwas über Frauen aussagen – und umgekehrt, daß es eigentlich Aussagen über das Geschlechterverhältnis sind.

Ich finde es jedenfalls sehr erstaunlich, wie unverrückbar ostdeutsche Frauen an ihrem spezifischen Verständnis festhalten. Trotz widrigster gesellschaftlicher Umstände, trotz sämtlicher Demontageversuche und Diffamierungen. Und dies, obwohl es kein Medium, keine Öffentlichkeit, kein Sprachrohr, keine Institution, keine Bewegung gibt, dem ein solches weibliches Selbstverständnis zugrunde liege würde. Obwohl es also für dieses Selbstverständnis aus welchen vielschichtigen Gründen auch immer keine öffentliche Vergewisserung und damit auch keine Orientierungshilfe gibt. Vielleicht ist das Forum Ostdeutschland eine Chance dafür. Ostdeutsche Frauen, vor allem die hochgebildeten, ich will das jetzt noch einmal untermauern, stehen dem westlichen Rollenverständnis, dem „Geschlechterchaos" und „Geschlechterkampf" fremd gegenüber. Ich hatte schon erwähnt, daß sie sich mit ihren Ansprüchen und Leitbildern, aber auch mit ihren Fragen und Problemen in der westlichen Öffentlichkeit nicht wiederfinden, insbesondere nicht in den westlich produzierten Medien. Das zeigt sich darin, daß sie diese kaum wahrnehmen. Sie verweigern sich einerseits der Frauenzentriertheit, die dort zum Ausdruck kommt, der weiblichen Selbstgefälligkeit, als auch der anderen Seite dieser Medaille, sich permanent als defizitär zu betrachten, im Sinne: Ich bin nicht richtig, ich muß etwas tun für mein Aussehen, ich muß Diät machen, ich muß Kosmetik machen usw., damit ich den Männern oder einer gesellschaftlichen Norm gerecht werde. Ostdeutsche Frauen wollen wissen, wie sie sich auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen können, wie Frau ihre Arbeit behält, wie sie Geld verdienen kann, wie sie ihre Qualifikationen verkaufen kann. Sie wollen wissen, wie sie für ihre Kinder eine Lehrstelle finden oder ein Amerikastudium bezahlen können. Und welcher Computer der günstigste ist. Aber wer hat schon ein politisches Interesse daran, diese Interessen und Fragestellungen zu unterstützen.

Ich habe Ihnen, um das noch einmal zu untermauern, wie wenig im Osten die Westzeitschriften gelesen werden, die „Brigitte"-Kommunikationsanalyse 1996 mitgebracht: Ich wollte die Zahlen mit denen von 1994 vergleichen. Aber leider wurde die Statistik damals nicht nach Ost und West getrennt , sondern gesamtdeutsch erhoben, weil man damals glaubte, daß sich die Unterschiede schnell angleichen würden. 1996 wurde die Differenzierung wieder eingeführt (s. Abb. X, S. 74).

Warum diese Zeitschriften im Osten so wenig wahrgenommen werden, dafür gibt es viele Gründe. Die meisten Gründe stehen jedoch mit dem Geschlechterrollenverständnis in Zusammenhang. Ostdeutsche Frauen haben durch ihren „doppelten Lebensentwurf" einen anderen Interessenhorizont, eine andere Problemsicht, der weder durch das Bild der Karrierefrau, noch der Feministin, noch der Hausfrau und Mutter gerecht zu werden ist. Sie haben Elemente all dieser Grundmuster integriert.

Das aber ist ein weites Feld, für das hier keine Zeit zur Eröffnung ist. Hier geht es um eine Bilanz des Beitrags von ostdeutschen Frauen – und nicht darum, wo sie sich westlichen Mustern verweigern. Zur Bilanz gehört auch ein Ausblick.

Von den ostdeutschen Frauen könnte, so ihnen gesellschaftliche Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt werden würden, ein Emanzipationsschub ausgehen. Das ist im Moment vielleicht Träumerei. Aber wir wissen ja, träumen gehört zum Leben. Für heute wäre zu fragen: Welche Modernisierungspotentiale ostdeutscher Frauen sind für

den kommenden Umbau der Wirtschafts- und Lebensweisen besonders bedeutungsvoll? Das heißt, welche Potentiale ostdeutscher Frauen sind kompatibel zu westdeutschen, westeuropäischen Bedürfnissen? Wie können diese Potentiale popularisiert werden? Denn sie sind zum großen Teil gar nicht bekannt. Wie können sie also popularisiert werden und nutzbringend eingebracht werden? Wo gibt es Handlungsfelder, Handlungspotentiale, die der Unterstützung bedürfen?

Anna Damrat

Es gibt sicherlich auch eine ganze Menge an Möglichkeiten, das Gesagte konträr zu diskutieren. Es ist auch einiges an Aufforderungen darin, das die Selbstbehauptung aller verlangt, ohne daß die Selbstbehauptung dazu führt, die andere Seite jeweils in Klump und Asche zu schlagen. Wir müssen gemeinsam vorwärts kommen.

Ich sage vielleicht noch einmal den zeitlichen Rahmen. Wir haben uns das so gedacht, daß wir vielleicht den Punkt Berufstätigkeit gar nicht so lange diskutieren müssen, weil das später noch einmal aufgegriffen wird. Von daher ist es mit Sicherheit wichtig, das Selbstverständnis der Frauen unter dem Aspekt des sehr politischen Privaten zu diskutieren.

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Statements:



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Eva Kunz

Katrin, mich hat ein bißchen gewundert, daß Du dich darüber wunderst, daß Frauen ihr modernes Verständnis von der Verbindung von Erwerbstätigkeit und Familie und Leben überhaupt bewahren, obwohl es keine Institutionen dafür gibt. Das sehe ich völlig anders. Denn gerade in diesem Punkt erfahren ostdeutsche Frauen sehr viel Bestärkung. Eine Bestärkerin sitzt neben mir, Christine Bergmann, die sich ja nun als ostdeutsche Politikerin auf dem Gebiet Arbeit, Beschäftigung usw. den Mund fusselig redet. Genau so wie Regine Hildebrandt oder Gerlinde Kuppe in Sachsen-Anhalt. Dafür gibt es auch die Unterstützung des großen Teils der Frauen im Westen. Und es gibt, wie Du selber gezeigt hast, auch die Unterstützung der ostdeutschen Männer. Diese Position wird nun wirklich gestärkt. Denn das ist das, worin wir Westeuropa sehr viel näher sind oder Skandinavien und wo die alte Bundesrepublik ein etwas überhöhtes Maß an Rückständigkeit aufweist.

Katrin Rohnstock

Offenbar hab ich mich mißverständlich ausgedruckt, das tut mir leid. Ich meine, es gibt keine Öffentlichkeit, keine Medien, keine Institutionen in denen das östliche Rollenverständnis selbstverständliche Norm ist. Die vorhandenen institutionalisierten Strukturen, die sich der Gleichberechtigung widmen und die Gleichstellung von Frauen auf ihre Fahnen geschrieben haben, sind eine Folge der feministischen Bewegung, die im Kontext westdeutscher Verhältnisse entstand und in diesen auch ihre Ursache hatte. Es gibt kaum öffentliche Strukturen und Institutionen mit einer spezifisch ostdeutschen Prägung. Es gibt auch keine nennenswerten ostdeutschen Medien, in denen das weibliche Selbstverständnis dokumentiert und unterstützt wird. Aus diesem Grunde sind die prominenten ostdeutschen Frauen, die dieses Selbstverständnis personifizieren um so wichtiger.

Eva Kunz

Es gibt auch Leute, die etwas dafür tun. Zum Beispiel ist in das Arbeitsreformgesetz aufgenommen worden, daß Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Zahl der Arbeitslosen gefördert werden sollen - das ist doch nicht vom Himmel gefallen. Das haben hauptsächlich Ostpolitikerinnen bewirkt. Also, wenn das keine Verstärkung und Bestätigung ist.

Katrin Rohnstock

Wir reden aneinander vorbei. Das Gefühl habe ich auch. Das ist nicht gemeint.

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Anna Damrat

Es ging eher um den medialen Transport, wenn ich das richtig verstanden habe. Das war ja auch einer der Punkte, die vorhin dargestellt wurden und die mir eben auch aufgefallen sind: Wie weit kommt das in den Medien an? Dann müssen wir auch begrifflich unterscheiden: Was heißt Institution? Heißt Institution zum Beispiel die in Parteien und Regierungen institutionalisierte Politik? Da, denke ich, trifft durchaus das zu, was Eva Kunz dazu sagt, es ist dort angekommen, einschließlich übrigens des hocherfreuten Aufgreifens seitens der Westfrauen. Ich weiß ja, wovon ich rede, ich komme aus dem Westen Berlins, wobei das immer so ein Mittelding ist. Wir waren nicht ganz richtig Westen, aber Osten auch nicht. Jetzt kriegen wir auf einmal mit, daß wir doch ziemlich westlich waren. Aber es hat vielleicht etwas Besonderes, daß gerade in Berlin dieser Punkt der Berufstätigkeit schon lange eine dominierende Rolle spielt, und auch in anderen Großstädten, wo es immer Selbständigkeit gab, traditionell bei Müttern und Großmüttern.

Es gehörte mit zur tradierten Lebensweise, daß Frauen berufstätig waren, in ihrer großen Zahl, nicht alle, das weiß ich auch. Von daher gab es schnell eine Verständigung darüber in den Institutionen. Etwas anderes sind die Medien. Die Medien sind stark auf den westdeutschen Markt ausgerichtet und knüpfen da eben wie „Brigitte", „Freundin", „Frau im Bild" und Ähnliches im starken Maße an die anderen Verhältnisse an, mehr an die westdeutsche Durchschnittsbiographie.

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Dr. Christine Bergmann

Ich würde da auch noch einmal anschließen wollen. Die regionalen Medien haben diese Position sofort aufgegriffen, weil sie so stark ist und von den Frauen überall, in jedem Interview, das sie machen, oder jedem Projekt, das sie besuchen, in den Vordergrund gerückt wird.

Weder die „Berliner Zeitung" noch die „Märkische" und nicht einmal die „Sächsische Zeitung" - trotz des Ministerpräsidenten dort -, versuchen, ein konservatives Frauenbild nach dem Motto „Nun kümmert Euch endlich mal wieder um Eure Kinder, ihr Rabenmütter" zu propagieren. Das mag in anderen Regionen anders sein.

Es würde hier niemand den Frauen zumuten, eine KiTa-Öffnungszeit von 9.00 bis 12.00 Uhr als große Errungenschaft zu propagieren. Wir sagen, wir brauchen jetzt auch noch eine Schlaf-KiTa. Wir brauchen eine Betreuung noch über 19.30 Uhr hinaus. Da ist soviel da, an dem keiner rüttelt, weil es richtig fest steht.

Ich kann hier nicht für ganz Deutschland sprechen. Ich weiß, daß es da in anderen Regionen finster aussieht. Hier in Ostdeutschland nicht.

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Brigitte Engler

Ich spreche jetzt mal ein Thema an von dem ich weiß, daß ich damit vielleicht Kritik bekomme. Ich war ostdeutsche Wissenschaftlerin, habe mein Kind allein großgezogen, mußte es alleine großziehen, hatte überhaupt keine Alternativen. Wenn ich im Nachgang überlege, daß mein Kind von morgens um acht bis um 18.00 Uhr in einer Kindereinrichtung sein mußte und auch häufig krank war, muß ich jetzt wo es groß ist und einigermaßen gut geraten ist, doch irgendwo ein Stück weit nachdenken: War das eigentlich richtig. Heißt Emanzipation nicht auch, souverän entscheiden zu dürfen, wenn ich meine, wenn die Kinder klein sind, möchte ich ein bißchen mehr Zeit für sie haben und ich darf darüber nicht benachteiligt werden? Das ist eine grundsätzliche Entscheidung.

Das Ergebnis meiner Überlegungen war: Als ich das mit westdeutschen Frauen debattiert habe, moderne Feministinnen aus der grünen Partei und in dem Umfeld, Gewerkschafterinnen, die haben mich gleich in die Rechtsaußen-CDU gesteckt. Wie kannst Du nur solche Position haben? Als ich in Dänemark und Schweden war - die Frauen dort sind zu 90 Prozent berufstätig und haben damit ähnliche Erfahrungen wie Ostfrauen, von dieser Lebensweise und Arbeitsteilung in der Familie her - und ich habe auch dort mit Frauen gesprochen, die im Sozialbereich, in der Politik arbeiten, die haben auch gesagt: Ist das eigentlich richtig? Haben wir das gut gemacht?

Jetzt, im Nachgang, als die erfahrenen Mütter, die wir gesehen haben, wo die Defizite unserer Kinder zutage kommen, die emotionale Entwicklung ein bißchen kürzer kommt usw., grübeln wir: Sicher, die sind pfiffig, die sind schlau, die können sich bewegen und alles. Aber vielleicht ist nicht doch irgend etwas und man denkt darüber nach. Und man gerät in eine Situation, wo man sich dann fragt: Was ist denn eigentlich Emanzipation? Heißt nicht Emanzipation, das Recht zu haben, anders sein zu dürfen und dabei nicht diskriminiert zu werden, auch als Frau, das wäre es doch eigentlich. Und wenn ich der Meinung bin, ich möchte in der Zeit, wo ich Kinder habe, kürzer treten, dann möchte ich dafür keinen Ärger bekommen. Diese Position aus der Erfahrung heraus und nicht nur aus theoretischen Kämpfen mit den Männern, ist eine ganz andere. Aber sie wird anders bewertet, sie wird nicht ernst genommen. Man versucht, sie mit den Maßstäben des Patriarchats und dieser Gesellschaft zu bewerten. Und die modernsten Frauen im Westen kritisieren solche Verhältnisse, sie haben sie aber nie gelebt, das muß man sehr deutlich dazu sagen. Da kommen die Züge aus beiden Richtungen.

Was ich noch ansprechen möchte, ist das Verhältnis der Männer in der Westgesellschaft. Ich habe die Gelegenheit gehabt in meinem sehr bewegten Leben ungefähr ein Jahr lang mit einem hochdotierten Westjournalisten zusammenzuleben. Der wollte ganz schnell ein Kind mit einer Ostfrau, mit einer emanzipierten, das ist alles ganz toll. Dann ist mir klar geworden, was der eigentlich für ein Leben führt. Das einzige, was der in seinem Leben hat, sind seine journalistischen Beiträge, sein tollen Spiegelartikel, seine Geo-Reportagen usw. Und das Ergebnis war, er hat für nichts anderes mehr Zeit, da bleibt nichts mehr übrig. Das Einfordern des Familienvaters, präsent zu sein für heranwachsende Kinder, funktioniert überhaupt nicht in einer Gesellschaft der Konkurrenz, wo der, der dann Arbeit hat, sich so sehr verausgaben muß, um bei der Stange zu bleiben, daß er diese anderen Rollen nicht mehr wahrnehmen kann. Das hängt mit dieser Konkurrenzgesellschaft zusammen.

Das wirkt sich natürlich auf das Geschlechterverhältnis aus, das kann man nicht mit Moral abtun. Sondern da entstehen Lebensentwürfe, wer Arbeit hat muß soviel powern, da bleibt das andere auf der Strecke. Das ist eine ganz tragische Geschichte. Für die Frauen heute genauso. Was soll man da eigentlich fordern, was ist das angemessene?

Ist das richtig in einer Zeit, wo der Druck auf alle, die Arbeit haben, durch die anderen, die keine mehr haben, so stark ist, daß man dann sagt, daß Mütter die Kinder noch nebenbei großziehen sollen oder bleiben die Kinder nicht gerade in so einer Zeit auf der Strecke, gerade jetzt? Das ist eine neue Debatte. Vielleicht müßte man sich dem auch stellen mit anderen Denkansätzen.

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Brigitte Biermann

Ich bin Ossi und Korrespondentin für die Frauenzeitschrift „Brigitte". Ich muß hier ganz energisch eine Lanze für „Brigitte" brechen, weil sich genau diese Zeitschrift seit Jahrzehnten nicht nur mit den Texten, sondern auch mit Berufsseminaren für berufstätige Frauen stark macht. Daß Unterschiede in der Reichweite bestehen, stimmt, dafür gibt es viele Gründe. Die Brigitte-Tochter „Young Miss" aber, die vor zwei Jahren gegründet wurde, die hat die gleiche Reichweite in Ost und in West. Ich sehe da eine Angleichung von ganz jungen Frauen und Mädchen zwischen 14 und 25 Jahren.

Es gibt in West- und Ostdeutschland sicher viele, die sagen, ich will einen reichen Mann und zu Hause bleiben und meine Kinder groß ziehen, oder die, die sagen, Kinder kommen nicht in Frage, ich möchte einen
Job machen. Also diese Generation wird sich mehr und mehr angleichen.

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Rosemarie Bechthum

Mit der Wende wurde ich an der Pädagogischen Hochschule auch die erste Frauenbeauftragte, ich bin in den ersten Rat der Stadt gekommen. Wir haben uns damals alle angeregt, wir müssen kandidieren, und das war eigentlich auch ganz vernünftig. Ich hatte aber im Rahmen meiner Arbeit an der Hochschule ein Projekt. Ich dachte, wer sind denn die Frauen, die zuerst in diese Parlamente gegangen sind. Ich habe eine große Befragung gemacht, das Projekt wird jetzt ausgewertet. Frauen der unterschiedlichsten Parteien, von der kleinsten Gemeindevertreterin bis zur Bundestagsabgeordneten wurden befragt. So vieles, was Frau Rohnstock gesagt hat, stimmt hiermit überein. Der größte Punkt war Emanzipation und Selbstbewußtsein. Das war typisch für die ostdeutschen Frauen, sie haben sich in der übergroßen Mehrheit nur vermittelt über ihre Arbeit und über ihre ökonomische Unabhängigkeit als emanzipiert empfunden und das auch mit ihrem Selbstbewußtsein in Zusammenhang gebracht. Deshalb fielen sie in dieses riesige Loch, als dann die Arbeit weg war. Und die Frauen aus den alten Bundesländern fragten uns völlig verständnislos: „Sie sind doch so selbstbewußte Frauen, wieso sind Sie auf einmal so deprimiert." Das stimmt schon. Jetzt vergleiche ich sehr häufig West- und Ostfrauen. Wir haben Westfrauen, die bei uns ansässig geworden sind. Wir erzählen uns unsere Biographien. Ich merke, wie wir uns jetzt erst einmal näherkommen. Mir ist das zum Kirchentag aufgefallen, und mir ist es auch auf der Messe in Düsseldorf aufgefallen, daß wir Ostfrauen unsere Lebensauffassung immer als die richtige ansahen. „Ich habe gearbeitet." Das war für die westdeutschen Frauen schon ein Totschlagargument. Damit wurden sie bereits abqualifiziert. Ich bin deshalb eine ganz große Verfechterin der Akzeptanz unserer unterschiedlichen Lebenswege in Ost und West geworden. Ich lerne viele Frauen kennen, die ihr Leben anders geführt haben. Sie bemühen sich, ehrenamtlich tätig zu sein in vielen Organisationen, wir müssen ihnen eine Chance geben. Und sie sind sehr dankbar, daß man sagt, wir müssen das einfach akzeptieren. So war ihr Leben. Als ich dann in den Landtag kam, hatten wir bereits ein Frauennetzwerk aufgebaut. Wir als SPD kriegten den Gleichstellungsausschuß, wir Thüringer Frauen haben zusammen überlegt, was soll der Ausschuß machen. Wir haben für den Ausschuß Hauptzuständigkeiten formuliert. Für uns war die erste ganz wichtige Forderung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer. Als zweiten ganz wichtigen Punkt fordern wir Chancengleichheit für Frauen, aber auch Gewaltprävention in der Familie. Auf einmal wurde vieles öffentlich, was man in der DDR nie hat hochkommen lassen. Die Forderung nach Beratungsangeboten, dann die Perspektiven von Kindern, Frauen, Familien und ganz besonders die Situation der Alleinerziehenden. Ich mußte staunen, wie die Frauen, nachdem sie erkannten, daß wir Frauen fast nur über den zweiten Arbeitsmarkt wieder in das Erwerbsleben bringen können, das in den neuen Bundesländern sehr intensiv gefordert haben. Wir sind stolz, daß wir als SPD in Thüringen, obwohl wir eine große Koalition haben, die ganzen Jahre, auch für nächstes Jahr, ca. 550 Mio. für den zweiten Arbeitsmarkt durchgesetzt haben.

Und wie die Frauen auch herangegangen sind! Es sind immer die Frauen. Ich kenne kaum Männer, die solche Projekte ins Leben gerufen haben. Die Frauen haben sie geschaffen und sie treten bei Anhörungen selbstbewußt auf. Sie treten für andere Frauen ein. Jetzt kommt so nach und nach die Anerkennung ihrer Arbeit. Ich sehe einen unwahrscheinlichen Qualitätssprung. Ein Projekt, das ist jetzt sieben Jahre alt, das war als Modellprojekt geplant. Aber wie die Frauen sich gewandelt haben. Am Anfang sagten sie: Es ist doch nicht möglich, uns auszutauschen nach einem Jahr. Jetzt kommen sie auch dahin, daß sie sagen, auch die wechselnde Besetzung innerhalb des Teams hat uns nicht aus der Bahn geworfen, das ist ein Sprung. Und neue Ideen waren gefragt. Die Frauen suchen immer wieder nach Möglichkeiten, etwas zu machen. Ich kenne viele Projekte in Thüringen, die Unterstützung brauchen und auch bekommen. Das ist unsere Chance, die wir als SPD haben, dies mit zu verwirklichen.

Ich wollte Frau Rohnstocks Ausführungen zu den Alleinerziehenden noch ergänzen. Wir hatten extra zwei große Anhörungen zur Situation. Es war interessant, was ein westdeutscher Wissenschaftler hier herausgestellt hat. Er sagt, daß Alleinerziehende in Ostdeutschland sich auch von westdeutschen Alleinerziehenden unterscheiden. An den Kindern wird nicht gespart. Die ostdeutschen Mütter verzichten zugunsten ihrer Kinder. Wenn man das richtig beobachtet, fällt es einem auch auf. Aber was ebenfalls sehr interessant ist, auch Schülerinnen orientieren sich noch in der Schule an dem Beispiel der Mütter. Für sie ist noch selbstverständlich, ich will dann arbeiten, ich will dann auch einen Beruf haben, ich will auch eine Familie haben. Aber was schlimm ist, sie haben sich sehr schnell dem westdeutschen Berufswahlverhalten und dem Studienverhalten angepaßt. Damit haben wir jetzt unwahrscheinlich zu kämpfen, wie hirnrissig das ist. Wir hatten polytechnischen Unterricht. Inzwischen reden alle darüber, daß der Mängel hatte. Aber er hatte ein Technikverständnis geschaffen.

Wir haben im Rahmen des Hochschul-Sonderprogramms III in Thüringen ganz viele Projekte bestätigt, unter anderem auch eine Koordinierungsstelle, die über drei Jahre läuft: Naturwissenschaft und Technik für Schülerinnen. Wir haben 300 Schülerinnen erfaßt, die wieder an das herangeführt werden sollen, was wir hatten und jetzt mühselig wieder aufbauen. Aber ich sehe auch eine Chance, wir haben neue Lehrpläne. Weil wir uns als Gleichstellungsausschuß überall einmischen, haben wir als eines der Kernprobleme in die Lehrpläne die Durchsetzung der Gleichstellung von Jungen und Mädchen in der Schule eingebracht. Auch die Orientierung auf die Berufswahl mit differenziertem Herangehen gegenüber Mädchen und Jungen haben wir öffentlich gemacht. Wir hatten die erste Chance, in der Lehrplankommission Informatik unsere Vorstellungen als Gleichstellungsausschuß mit einzubringen. Es geht in kleinen Schritten in dieser Richtung wieder vorwärts. Aber es bedeutet im Grunde für uns, wieder mühselig das zu erreichen, was wir schon einmal hatten.

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Dr. Martina Weyrauch

Ich wollte noch einmal auf Brigitte Engler reagieren. Ich bin 39 Jahre, ich habe meine Tochter mit 24 Jahren gekriegt und habe fünf Jahre praktisch mit dem Vater des Kindes gemeinsam meine Tochter aufgezogen und bin jetzt mir ihr zehn Jahre alleine. Für mich ist interessant, deswegen wollte ich reagieren, daß wir ostdeutschen Frauen uns noch abgewöhnen müssen, eine gewisse Glorifizierung und Rechthaberei in die Debatte hineinzubringen. Ich denke, daß es wichtig ist, daß man lernt, zu akzeptieren, daß es verschiedene Lebensentwürfe gibt. Auch zu überlegen, was war an unseren Lebensentwürfen richtig, was war falsch.

Ich muß sagen, ich habe immer gesagt, daß ich Glück hatte. Ich habe meine Promotion in den ersten vier Lebensjahren meiner Tochter gemacht und war deswegen zu Hause. Ich habe sie zwar in den Kindergarten gebracht, aber es war eben nicht der Streß daß sie von acht bis 18.00 Uhr in der Krippe sein mußte. Mir ist es auch wichtig, einfach mal darauf hinzuweisen, daß es Relativierungen geben muß.

Wichtig ist noch, finde ich, darauf hinzuweisen, daß der Arbeitsethos, der in dieser Gesellschaft existiert, schon Zerstörerisches hat. Darin muß ich Ihnen recht geben. Wobei ich noch mal scherzhaft hinzufügen muß, daß Männer meist nicht in der Lage sind, sich zu strukturieren. Ich arbeite fast nur mit Männern zusammen. Ich schaffe meine Arbeit spielend und die sitzen abends um 21.00 Uhr noch und schaffen ihr Zeug nicht. Das ist auch eine Frage der Organisation.

Aber es ist natürlich nicht zu übersehen, daß man sich auch zu Tode arbeiten kann und für anderes schließlich keine Zeit mehr hat, wenn man denkt, daß man das muß, weil es für die Karriere notwendig ist.Es hat aber auch etwas damit zu tun, welcher Arbeitsethos und welche Ideologie innerhalb eines Arbeitskollektivs existiert. Man kann etwas dagegensetzen. Bei uns in der Abteilung sage ich immer, es muß keiner bis um 21.00 Uhr sitzen, wer das macht, ist einfach nicht in der Lage, sich zu organisieren und zu strukturieren, man schafft die Arbeit auch in kürzerer Zeit. Es sind viele Alibistrukturen entstanden.

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Dr. Anneliese Neef

Ich wollte einen anderen Aspekt aufgreifen, nämlich die zweite Problematik, die Frau Engler hier aufgeworfen hat. Und zwar, das war indirekt auch aus dem Vortrag zu entnehmen, daß die Betrachtung von Frauenbefindlichkeit immer auch eine Betrachtung der Befindlichkeit von Männern ist. Wir reden über Geschlechterverhältnisse beziehungsweise über die Perspektiven, die diese in der Gesellschaft haben. In bezug auf dieses Problem: Was folgt für Männer aus der Modernisierung des Frauenlebens, da gibt es schon fundierte Überlegungen, die besagen, daß Männer einen persönlichen Gewinn daraus geschöpft haben, daß Frauen berufstätig sind, eigenständig sein wollen, eigenständig geworden sind. Weil sie nämlich ihre verloren gegangene soziale Kompetenz wiedererlangen können.

Ihre durch überzogene Berufsorientierung verloren gegangenen sozialen Bindungen können sich wieder entwickeln, wenn Männer entlastet werden, indem sie nicht mehr der Alleinernährer sein müssen, indem sie selbst ein anderes Rollenverständnis erleben können und merken, sie sind nicht mehr die größten, sie müssen es nicht mehr sein. Sie werden entlastet von dem ständigen Beweiszwang, alles besser zu können usw., indem Frauen kompetenter werden, relativiert sich das für Männer, und sie könnten, das ist jetzt perspektivisch gesagt, in bezug auf Familie, auf soziale Probleme, auf Reproduktionsarbeit in dieser Gesellschaft irgendwann, die Entwicklung ist erst am Anfang, eine andere Haltung einnehmen. Das ist eine Chance für die Männer und für die Frauen.

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Dr. Christine Bergmann

Ich denke, das ist richtig, niemand will irgend jemandem einen bestimmten Lebensentwurf vorschreiben. Als Arbeitssenatorin sage ich immer allen jungen Frauen, ich kann alle nur davor warnen, lange aus dem Berufsleben auszusteigen, weil das nicht wieder gutzumachen ist. Die Sicherungssysteme sind an die Erwerbsarbeit gebunden. Es müßte sich viel ändern, um andere Möglichkeiten mehr unterstützen zu können.

Ich möchte immer wieder an alle appellieren, auch die gegenwärtige katastrophal Situation der hohen Arbeitslosigkeit in die Debatte miteinzubeziehen, um Lösungen zu suchen, etwa über das Thema Arbeitszeitverkürzung, nicht über das Thema Teilzeit.

Das Thema Teilzeit ist wieder eines, das häufig zu Lasten der Frauen geht. Aber das Thema allgemeine Arbeitszeitverkürzung hilft in dem Fall. Es sind ja nicht alle nur Spiegelredakteure und müssen rund um die Uhr schuften. Aber wir haben natürlich auch ein Männerbild, nur das ist ein ganzer Kerl, der abends nicht vor 22.00 Uhr nach Hause kommt. Ich bin nun sitzungsgeschädigt und weiß, wie das ist. Nicht die Dauer einer Sitzung sagt etwas über die Qualität. Martina Weihrauch hat das gerade gesagt. Manchmal gibt es eher eine umgekehrte Gesetzmäßigkeit. Je weniger rauskommt, um so länger hat es vorher gedauert. Vielleicht hilft es, wenn Frauen in diesen Gremien sind, daß man auch mit der Zeit rationeller umgeht.

Ich führe das Thema „Generelle Arbeitszeitverkürzung" ganz bewußt noch einmal an. Wir haben eine enorme Verdichtung der Arbeit, wer Arbeit hat, arbeitet immer mehr und möglichst immer länger, und draußen steht eine ganze Generation, die darauf wartet reinzukommen, viele, die kaum eine Chance haben. An der Debatte sollten sich Frauen viel mehr beteiligen.

Nicht an der Teilzeitdebatte. Das Thema fängt an beim Überstundenabbau. Das ist alles machbar. Das hilft auch den Frauen, weil es dann im Geschlechterverhältnis sehr viel einfacher möglich ist, die Rollen besser zu verteilen. Ich erlebe das. Ich habe selbst zwei kleine Enkelkinder. Ich weiß, daß die jungen Familien, wo die Väter auf ihren Baustellen oder woanders arbeiten, kaum über die Runden kommen und die Männer machen dann viele Überstunden und sind auch nicht glücklich. Sie haben die ersten Phasen miterlebt und möchten auch ein bißchen mehr Väter sein. Es ist nicht so, daß sich alle Väter drücken wollen, die viel Zeit im Büro oder sonstwo verbringen. Wenn es uns gelingt, in dieser Debatte unter frauenpolitischen Aspekten mehr zu bewegen, das wäre sehr wichtig. Ich kann nur alle auffordern, hier an einem Strick zu ziehen.

Anna Damrat

Ich wollte gern noch eine Frage mit auf den Weg geben. Wir haben nun erfahren, daß die Ostmänner schon so viel weiter waren. Es gibt bestimmte Situationen, da läßt sich das auch nachweisen. Aber bei anderen dann doch nicht. Insofern waren doch die Schwestern in den neuen Bundesländern auch nicht ganz so zuversichtlich. Sie sagten gleich, die Quote muß her, und das sehr viel schneller, als die Westfrauen früher an der Stelle in die Gänge gekommen sind.

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Katrin Rohnstock

Meines Wissens ist im Osten die Einführung von Quoten in allen politischen Lagern ambivalent debattiert worden. Aber noch einmal zu den Darstellungs- und Wirkungsmöglichkeiten ostdeutscher Frauen: Freilich präsentieren die im Osten erscheinenden Tageszeitungen die ostdeutschen Politikerinnen durch Statements, Interviews, Porträts. In der Art wie diese Frauen reden und denken, wofür sie sich engagieren, in ihren Problemsichten sind sie Repräsentantinnen der ostdeutschen Frauen. Sie haben eine hohe Vorbildwirkung – vor allem in bezug auf politisches und soziales Engagement. dafür sind sie Leitfiguren - keine Frage.

Aber wo finden ostdeutsche Frauen, vor allem die hochgebildeten, für die Bewältigung der alltäglichen Lebenspraxis Orientierungen und Ermutigungen? Ich will ein Beispiel nennen, um sinnfällig zu machen, was ich meine. Heike, eine fünfunddreißigjährige Grafikerin lebt mit ihrem Mann und ihrer sechsjährigen Tochter in Dresden. In ihrem Job sieht sie keine Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Sie bewirbt sich für eine Professur an einer Kunstschule im Norden. Ihr Mann, Innenarchitekt, absolviert eine Weiterbildung, weil er arbeitslos geworden war und wird - wenn überhaupt nur eine neue Stelle Bayern bekommen. Das ist für Heike wie für ihren Mann eine äußerst komplizierte Situation, die es inzwischen in abgewandelter Form tausendfach gibt. Eine typische Ost-Konstellation: Kleines Kind, keine Ersparnisse, beide Elternteile wollen und müssen berufstätig sein, aus finanziellen Gründen, aber auch, um die Ehebeziehung zu erhalten. Heike möchte keinesfalls, daß ihr Mann arbeitslos bleibt, weil sie erfahren hat, wie sehr das Familienleben davon belastet wird. Für diese Lebenslage wird Heike in keiner der existierenden Zeitungen und Zeitschriften, in keinem Frauenzentrum, bei keiner Gleichstellungsbeauftragten, bei keiner Karriereberatung Bewältigungsstrategien, also Rat und Orientierung finden.

Selbstverständlich gibt es auch im Westen derartige Problemlagen, aber nur vereinzelt. Allerdings werden sie in den nächsten Jahren in den jüngeren Generationen zunehmen, denn die jungen Frauen, vielleicht bis zu den heute Vierzigjährigen, wollen auch Kinder, Mann und Beruf vereinbaren. Das freilich sind Probleme, die vor allem die höhergebildeten Frauen betreffen, im Osten haben immerhin 1,5 Millionen Frauen Hochschulreife, Fachhochschul- oder Hochschulabschluß. Aber auch Frauen mit mittlerer Bildung haben ostspezifische Einstellungen und Werte. Der Erfolg von „Bild der Frau" - als einziger westdeutscher Zeitschrift, die einen nennenswerten ostdeutschen Markt gefunden hat - besteht darin, daß diese Zeitschrift eine spezifische Ausrichtung für den Osten zugelassen und eine Ostausgabe gemacht hat. Damit erreicht sie eine Verkaufsauflage von rund 400.000 Exemplaren. Die ostdeutsche Redaktionsleiterin sagt: Wir haben die Frauen in ihrem Wunsch Arbeitsplätze zu finden, Weiterbildungen zu machen, sich die neue Technik anzueignen immer begleitet, wir sind ihnen ein Ratgeber in all diesen schwierigen Alltagsfragen. Eine vergleichbare Zeitschrift für die hochgebildeten Frauen fehlt absolut und ich habe allmählich das Gefühl, daß sie auch politisch nicht gewollt ist.

Zu Frau Engler. Wir müssen darüber nachdenken, was wir unter Eman-zipation verstehen? Was sind emanzipatorische Lebensmuster? Wann ist ein Mann emanzipiert, wann eine Frau? Wir müssen, wie Sie das richtig angemerkt haben, den Charakter von Geschlechterbeziehungen und den Charakter der Arbeit im Zusammenhang analysieren und wir müssen die Zukunft der Liebe und die Zukunft der Arbeit im Zusammenhang diskutieren. Sie haben von den Arbeitszwängen der Westmanager gesprochen, die kaum Freiräume für Familienfreuden und -pflichten lassen. Aber mit dem zunehmenden Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt geht auch ein Wandel von Bewußtsein und Psyche einher. Geborgenheit, Vertrauen, eine stabile Beziehung gewinnen im Privaten um so mehr an Bedeutung, je eisiger die Arbeitsbeziehungen werden.

Eine Studie der Zeitschrift „Mens health" spricht sogar von einer neuen Männergeneration. Diese Emotionalisierung von Männern korrespondiert mit einer anderen Entwicklung, die seit einigen Jahren in dem bundesweiten Verband „Väteraufbruch" institutionalisiert ist. Das Motto dieser Bewegung: „Mehr Vater dem Kind." Dahinter steckt ein wachsendes Interesse von Männern an Kindern, an einer gelebten Beziehung zu ihnen. Vor zehn Jahren wäre dieser Verband undenkbar gewesen. Selbstverständlich hängt dieser Wertwandel auch mit veränderten Bedingungen des Arbeitsmarktes zusammen: In sozialen und sozialpädagogischen Arbeitsbereichen gibt es mehr und mehr Teilzeitarbeit auch für Männer, die haben entsprechend Zeit für die Kinder, es gibt mehr und mehr männliche Freiberufler, die können ihre Arbeitszeit flexibel nach den Kindern einrichten.

Zu „Brigitte": Natürlich wird in dieser Zeitschrift, wie in allen anderen mittel- und hochpreisigen Zeitschriften seit Jahren Berufstätigkeit und Karriere von Frauen thematisiert. Dennoch - und das ist eben subtil - sind die Problemsichten und Bewertungen unterschiedlich. Weil die Geschlechtererfahrungen, das Geschlechterselbstverständnis und die Lebenslagen unterschiedlich sind. Deshalb wird „Brigitte" wie andere westliche Zeitschriften im Osten wenig wahrgenommen. Bei den ganz jungen Frauen, scheinen sich die Differenzen zu nivellieren, wie das von Ihnen angeführte Beispiel „Miss" zeigt. Das ist positiv. Die Jugendzeitschrift BRAVO ist übrigens die einzige Zeitschrift, die in Ost und West gleiche Reichweiten erzielt. Vielleicht können wir auf die Jungen hoffen, denn für die Jungen und Mädchen im Westen ist es gleichermaßen ein Lebensziel Berufstätigkeit und Kinder miteinander zu vereinbaren.

Die jungen Frauen streben ein Lebensmodell an, das den Ansprüchen der ostdeutschen Frauen entspricht. Dementsprechend verändern sich die Kriterien der Partnerwahl. Die jungen Frauen suchen nicht mehr in erster Linie den Familienernährer, sondern einen Mann, der ihren Erwerbswunsch unterstützt und bereit ist, sich in der Familie zu engagieren. Wie bei dieser Generation in zehn Jahren die Alltagspraxis aussieht, wird sich zeigen. Aber mindestens werden diese Einstellung abgefordert.

Hier kann ich gleich an einen Gedanken von Anneliese Neef anknüpfen: Für Männer ist es zweifellos ein Gewinn, wenn ihre Partnerin beruflich und finanziell selbständig ist. Bei der Unberechenbarkeit es Arbeitsmarktes belastet es Männer zunehmend, die Rolle des Familienernährers tragen zu müssen. (Wenn nicht eine große Erbschaft gemacht wurde.) Kein Mann kann heute mehr eine Garantie für ein gesichertes Einkommen geben, um so entlastender ist es, wenn Mann weiß, daß die Partnerin zum Familieneinkommen beiträgt und notfalls vorübergehend die Familie auch allein über Wasser halten kann.

Ein letzter Gedanke. Zum besseren Zeitmanagement von Frauen. Ich habe oft das Gefühl, daß - mindestens in den Generationen der älter als Fünfundvierzigjährigen - ostdeutsche Frauen besser mit den Umstrukturierungen zurecht gekommen sind als ostdeutsche Männer. Neben vielen anderen Gründen mag das Zeitmanagment eine Ursache dafür sein. In dieser mittleren Altersgruppe haben wir schon massenhaft die Erscheinung, daß die Frau berufstätig und sogar erfolgreich ist und der Mann arbeitslos zu Hause sitzt. Wie sich in solchen Beziehungen das Geschlechterverhältnis gestaltet, wäre ausgesprochen interessant zu untersuchen. Diese Erscheinungen kennen wir aus Großbritannien.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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