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TEILDOKUMENT:




C: Bilanz des Zugangs von Frauen zu den wirtschaftlichen Ressourcen



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Einführender Beitrag: Dr. Anneliese Neef, MdA,
Humboldt-Universität Berlin / Moderation: Dr. Martina Weyrauch, Referentin,
Staatskanzlei des Landes Brandenburg




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Dr. Anneliese Neef, Berlin

Die übergreifende Fragestellung legt nahe, sich über verschiedene Ebenen des historischen Umbruchs zu verständigen, dessen Schlußstrich noch nicht zu ziehen ist. Also „Zwischenbilanz": Ich sehe folgende Ansätze zur Diskussion:

• Merkmale des wirtschaftlichen Transformationsprozesses in Ostdeutschland und seine Folgen für Frauen (Frauenbranchen, besondere weibliche Daseinslagen )

• Sozio - kulturelle Veränderungen des Lebenszuschnitts und der subjektiven Befindlichkeit (erwerbstätiger) Frauen

• absehbare Perspektiven der wirtschaftlichen und Arbeitsmarkt-Entwicklung und die vermutliche Position der Frauen in ihr

• Bewertungsaspekte des historischen Wandels, gesellschaftspolitische und gleichstellungsrelevante Ableitungen.

Die wirtschaftlichen Vorgänge des Transformationsprozesses - der Angleichung der ehemaligen DDR an die alte Bundesrepublik - sind charakterisiert durch den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft. Bezogen auf die Arbeitskräfte bedeutet das u.a. den Wechsel von einer frauen- und altersintegrierenden zu einer selektiven Beschäftigungspolitik. Die damit verbundenen sozialen Verwerfungen äußern sich generell in zunehmender Konkurrenz um Ressourcen und Zugänge zu Handlungsfeldern und haben ihre besondere Form in der geschlechterspezifischen Auseinandersetzung. Die Frage nach der konkreten Position der Frauen ist hier immanent.

In der ideellen Aufarbeitung des Transformationsprozesses haben Erkenntnisse, die sich auf den status quo und das soziale Umfeld von Frauenerwerbstätigkeit beziehen, herausragenden Stellenwert. (Anmerkung zu entsprechenden Publikationen am Ende des Beitrags). Generell werden die Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt als Kriterium angesehen, an dem der Zustand der ganzen Gesellschaft, wie auch die sozialen und kulturellen Perspektiven der Einzelnen zu messen sind. Bei der Darstellung des wirtschaftlichen Transformationsprozesses werden sowohl die Phasen des Zusammenbruchs der Berufs- und Arbeitsmarktstruktur als gravierende materielle Vorgänge mit einschneidenden sozialen Folgen, wie auch die Wege der Erneuerung, Modernisierung und gerechten Regelung des künftigen Erwerbslebens, der Existenzerhaltung überhaupt thematisiert. Für unsere Problematik aufschlußreich ist die damit verbundene Wertediskussion um Arbeitsethos, Erwerbsorientierung, Arbeitsteilung, familiäre Traditionen. In diesem Zusammenhang fiel mir die mehrfach geäußerte These von der „steckengebliebenen" Emanzipation der ostdeutschen Frauen auf, die nicht bemerkt hätten, welchen Diskriminierungszusammenhängen sie unterlagen. Hier wird am westlichen Modell mit spezifischen Mustern der Selbstverwirklichung und der öffentlichen und privaten Rolle der Frauen gemessen. Das geht so nicht, zu verschieden sind die Ausgangsbedingungen von „Emanzipation" gewesen. Zu klären, zu bewerten (durch uns) bleibt jedoch: Wie stand es denn um die DDR- Frauen, die immer „nur" gearbeitet haben - gegenüber bundesrepublikanischen weiblichen Beschäftigten mit beachtlichem Bildungs- und Qualifizierungsvorsprung und in über mehrere Generationen verfestigter Erfahrung mit Berufsarbeit? Was bedeutete es für ihre Subjektivität, gesellschaftlich voll gefordert (in Familie und Beruf) und gegenüber den Männern dennoch benachteiligt (Einkünfte, Karriere, Freizeit) zu sein? Bei der Behandlung dieser Frage ist das inhärente Maß anzulegen. Der Vergesellschaftungsprozeß in der DDR verlief anders als in der alten Bundesrepublik. Die Modernisierungsforschung meint, wenn sie die DDR-Gesellschaft als „vormodern" bezeichnet, ausschließlich politische und soziale Differenzierungen nach bürgerlich-demokratischem Zuschnitt. Das Augenmerk muß jedoch auf den gesellschaftlichen Charakter der differenzierten Gemeinschaftsbeziehungen und -erfahrungen zielen, die in der DDR-Gesellschaft quer zu diametral gedachten Sphären der Öffentlichkeit und Privatheit wirkten. Die daraus resultierenden sozialen Verhaltensdispositionen (gemeinschaftsbezogene, solidarische Einstellungen und „Chaosqualifikationen") könnten in der sich erneuernden deutschen Nachwendegesellschaft durchaus einen kulturellen Zugewinn für beide Teile darstellen, geraten aber für Ostdeutsche, besonders für Frauen überwiegend zum Nachteil.

Es ist die Frage zu dikutieren, wie subjektive Handlungspotentiale und Lebenskonzepte von unterschiedlichen Generationen ostdeutscher Frauen mit den veränderten politischen und wirtschaftlichen Bedingungen zusammentreffen und welche kurz- und langfristigen Folgen dies für die Frauen und für die Verhältnisse hat.

Zu einigen Tendenzen der weiblichen Erwerbstätigkeit in der wirtschaftlichen Umstrukturierung: Wirtschaftsbereiche, die nach der Wende massive Beschäftigungsverluste verzeichneten, waren gleichzeitig solche, in denen vormals viele Frauen arbeiteten: Gesundheitswesen, Bildungsbereiche, Handel, staatliche Verwaltung, Textil und Bekleidung, Leichtindustrie, Lebensmittelbranche, Chemieindustrie, Landwirtschaft und andere. In gewerblich-technischen Berufen mit flexibel einsetzbaren Qualifikationen waren Frauen zwar eingesetzt, aber unterrepräsentiert. Viel häufiger verrichteten sie Zu- und Hilfsarbeiten , mit monotonen, Geschicklichkeit, Konzentration, Ausdauer erfordernden Tätigkeiten, die nach der Wende (selbst wenn der Betrieb weiterexistierte) wegrationalisiert wurden. Die geschlechterspezifische Arbeitsteilung der DDR-Wirtschaft wirkte nun gegen die Frauen. Negativ veränderten sich auch Beschäftigungsbedingungen für weibliche Arbeitskräfte hinsichtlich ihrer Stellung im Betrieb, ihrer Präsenz in Führungspositionen und hinsichtlich der vormals vergleichbaren Entlohnung.

Infolge des Anpassungsprozesses an neue Produktionen und Strukturen, bei immer knapper werdenden Arbeitsplätzen findet eine zunehmende Entwertung der Fähigkeiten und Erfahrungen statt, immer mehr Frauen arbeiten unterhalb ihrer Qualifikation.

Die traditionelle familiäre Arbeitsteilung hatte auch in der DDR zu bevorzugter Förderung von Männern in der Arbeitswelt geführt, obwohl weibliche Arbeitskräfte zu über 90 Prozent notwendig eingesetzt waren. Gesetzgebungen hatten die Betriebe verpflichtet, Frauen mit Kindern zu akzeptieren und zu unterstützen.. Diese Erfahrung (auch oder gerade der Ost-Unternehmer und Chefs) mit sozialpolitischen Maßnahmen richtet sich jetzt gegen die Frauen. Junge Frauen und Mütter gelten als Risikofaktor, obwohl auch Frauen in den neuen Ländern durchaus Kinderwunsch und Familie zurückstellen, um ihren Arbeitsplatz unbedingt zu erhalten.

Festzustellen ist: Nach Strukturveränderungen der ehemaligen DDR-Wirtschaft gibt es zwar einen halbwegs geschlechtsneutralen bedarfsbedingten Personalabbau, aber dann folgt eine ausgesprochen frauenfeindliche Einstellungspolitik.

Nicht zu übersehende soziale und materielle Folge der wirtschaftlichen Umstrukturierung sind Anzeichen transformationsbedingter Armutslagen. Auch dies ist vor allem ein Frauenproblem. Ausdruck findet es einmal in niedrigsten Renten als Resultat früheren Mindesteinkommens, zum anderen im Wirken „normaler" marktwirtschaftlicher Abläufe (Ausgrenzung der Ältern aus der Arbeitswelt, Abdrängung junger Alleinerziehender in die Sozialhilfe, Trend zur Dauerarbeitslosigkeit schon ab 40, wenig Wiedervermittlungschancen, neues Angewiesensein auf einen männlichen „Ernährer".

Welche Verhaltensweisen von Frauen, welche Strategien, Lebensentwürfe, biographische Brüche, welche Chancen oder Einbußen für ihre Persönlichkeit zeitigt nun der Aufbruch in ein neues Wirtschaftssystem, mit dem eng gewordenen Arbeitsmarkt und der schärferen Konkurrenz mit den männlichen Arbeitskräften ?

Aus resümierenden Befragungen geht hervor: Ostdeutsche Frauen (keineswegs eine als homogen zu betrachtende Gruppe!) stellen sich den härteren Anforderungen des Arbeitsmarktes, den Risiken und Abenteuern der marktwirtschaftlichen Herausforderung. Sie reagieren disponibel, was ihre ursprüngliche Qualifikation, ihren Arbeitsbereich, ihre Familienplanung betrifft. Hochqualifizierte Frauen, viele mit zwei Berufsabschlüssen und umfassender Berufserfahrung begeben sich in Umschulungen und Weiterbildungen, die Zahl der weiblichen Selbständigen und Existenzgründerinnen nimmt zu. Junge Frauen stellen ihre Kinderwünsche zurück, arbeitende Mütter (vor allem in der freien Wirtschaft, nicht so sehr im öffentlichen Dienst) verkürzen zunehmend selbst ihren Erziehungsurlaub um schnell wieder am Arbeitsplatz präsent zu sein, auch ältere Frauen, deren Männer verdienen, begeben sich nicht in die „stille Reserve", sondern halten sich durch Meldung auf dem Arbeitsamt die Tür offen, in die Berufstätigkeit zurückzukehren.

Das sind Ausdrucksformen einer grundlegenden Haltung, die hinsichtlich der Einstellung zur Erwerbsarbeit als „Optionssteigerung", als „anhaltende Erwerbsorientierung", als „ungebrochene Erwerbsneigung" wahrgenommen wird. (Zu beachten sind hier unterschiedliche Sprachschattierungen, die Schwierigkeiten mit der Wertung dieses Phänomens signalisieren.) Daß die Mehrzahl der Frauen aus den neuen Ländern keineswegs und eigentlich immer weniger bereit ist, auf einen sicheren Vollzeitarbeitsplatz zu verzichten, hat m.E. neben unbestreitbaren materiellen Zwängen, tieferliegende sozialkulturelle Ursachen. Vormals kontinuierliche und weitgehend befriedigende Berufstätigkeit, bereits in drei Frauengenerationen tradierte, sozialisierte Erwerbsmotivation, jahrzehntelange gesellschaftliche Erfahrungen der Vereinbarkeit von Familie/Kindern und Beruf, ökonomische Eigenständigkeit, Selbstbestätigung und außerfamiliäre Sozialkontakte haben eine Berufslaufbahn für die Frauen zum festen Bestandteil ihrer Biographie, ihres Lebensentwurfs werden lassen. Diese Selbstverständnis ist heute in Frage gestellt. Eine Hinwendung zur „klassischen" familiären Arbeitsteilung (männlicher Ernährer plus Hausfrau) ist jedoch undenkbar geworden (übrigens auch für Männer). Nach ihrer Neigung zur traditionellen Versorgungsehe befragt, sahen diese Lebensform nur 25 Prozent der Ostdeutschen positiv, während es im Westen doppelt so viele waren. (Datenreport 1997)

Auch Fragen zum Stellenwert der eigenen Karriere und zu einem eventuellen Berufsverzicht der Frauen bei Arbeitsplatzmangel wurden seitens der Ostfrauen mit einem deutlichen Beharren auf eigener fortgesetzter und erfolgsorientierter Berufstätigkeit beantwortet (Datenreport 97). Der Ost-West-Unterschied hinsichtlich dieser Lebensvorstellungen nimmt deutlich ab, desto jünger die Befragten sind. Auch junge Frauen aus den alten Bundesländern orientieren sich gegenwärtig in ihrer Lebensplanung an einer eigenen Berufslaufbahn, mit dem Ziel, einen stabilen Arbeitsplatz und nicht nur einen zeitweiligen Dazuverdienst zu haben.

Problemgruppenanalysen seitens der Arbeitsämter in Ost uns West zeigen nicht wenige Barrieren auf, die der Realisierung solcher Bestrebungen entgegenwirken. (vgl. Sozialreport 95). Die Problematik der Frauen mit Kindern wurde schon erwähnt. Sie besteht verstärkt, wenn es sich um Alleinerziehende handelt. Für Bürostellen kommen zum Beispiel nur sehr junge kinderlose Frauen oder solche zwischen 35 und 45 in Frage. Die Neigung, Ältere einzustellen oder nach ihrer Familienphase wieder einzugliedern, ist gering. Frauen mit kaufmännischen Fach- und Hochschulabschlüssen werden überwiegend unterhalb ihrer Qualifikation eingesetzt. Facharbeiterinnen im gewerblichen Bereich erhalten immer weniger Chancen und das Ausweichen auf Stellen in Dienstleistungsbereichen wird zunehmend von jetzt in diese Branchen drängender arbeitsuchender männlicher Konkurrenz beeinträchtigt.

Weibliche Arbeitskräfte gelten als „Arbeitsmarktpuffer" (Marx nannte dies vor hundert Jahren „industrielle Reservearmee"). „Gesetzliche Vorgaben, die auf eine Förderung von Frauen abstellen, tragen nicht besonders zu einer Verhaltensänderung der Arbeitgeber bei." (so heißt es in der Beratungsunterlage der Bundesanstalt für Arbeit ..., S. 8, vgl. Anm).Im Gegenteil, diese gebärden sich zunehmend konservativer. Bei Einstellungen von Frauen werden stärker als bei Männern persönliche Merkmale (Alter, Attraktivität, Familiensituation, Mobilität, Flexibilität) nachgefragt, Qualifizierung, Berufs- und Lebenserfahrung demgegenüber sekundär. Arbeitszeitmodelle sind kaum auf den Familienalltag zugeschnitten, betriebliche Kinderbetreuung wird zur Ausnahme. Bei Überlegungen zu betriebsbedingtem Stellenabbau werden alte Denkmuster (Dazu-verdienstcharakter der weiblichen Arbeit, Familienernährer-Modell, Doppelverdienervorwurf ) reproduziert.

In der von der gegenwärtigen Wirtschaftskrise geprägten Arbeitsmarkt-situation, die in den neuen Ländern verschärft wirkt, können viele gewohnte Lebensplanungen nicht aufgehen, gibt es Brüche in den Erwerbsbiographien, muß die Abhängigkeit vom männlichen Ernährer zunehmen. Rückschrittstendenzen in der gesellschaftlichen Rolle und im persönlichen Leben der Frauen sind damit programmiert.

Welche Perspektiven gibt es aber in einer sich wandelnden und wieder konsolidierenden Wirtschaftsstruktur? „Neue Berufe" für Frauen sind im Gespräch: Management im Pflegebereich, Online-Dienste, Call-Center-Dienste, Telearbeit, Werbebereich , neue Ansätze im Führungsstil verlangen nach „weiblicher" Sensibilität...

Forschung und Entwicklungstechnologien sind im Kommen. Hier arbeitet die Wirtschaft auslandsorientiert, wettbewerbsgerecht, dienstleistungsintensiv. Hochwertige zentralisierte Produktionen korrespondieren mit regional und lokal orientierten Fertigungen, Handwerk und infrastrukturbedingten allgemeinen und sozialen Diensten. Welche Positionen werden Frauen hier in Zukunft einnehmen können? Was werden sie einbringen müssen, um sich zu behaupten?

Der Strukturwandel im Dienstleistungsbereich (noch Domäne der Frauen) wird schon bald flexible Arbeitskräfte mit breit angelegten und höheren Qualifikationen benötigen. Die nahe Zukunft ist von daher nachteilig für mittlere und ältere Jahrgänge, für junge Frauen werden solche Anforderungen keine Hemmnisse darstellen. Produktionen werden „auslagern" und dezentralisieren, arbeitsteilig kann somit in Heimarbeit, Nachbarschaftsbüros und Telearbeit produziert werden. (Familiennähe?) Insgesamt verändert sich der Charakter der Arbeit in Richtung Individualität und Autonomie bei der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse. „Geographische Mobilität" wird zur zentralen Ressource.

Welche Folgen diese Aufhebungen der gewohnten, tradierten, einst moderne Lebensweise konstituierenden Abgrenzungen von Artbeitsort und Wohnort, Arbeitszeit und freier Zeit schließlich für den individuellen Lebenszuschnitt, für die Familienverhältnisse und für die geschlechterspezifische Arbeitsteilung haben werden, ist noch nicht absehbar.

Dies könnte im heutigen Workshop ebenso wie in zukünftigen Veranstaltungen ein Diskussionspunkt sein, wie auch bestimmte Bewertungsmaßstäbe, die wir, wenn vom weiblichen Anteil an der Wirtschaft, von Erwerbstätigkeit und von Familienpflichten sprechen, zwar mitdenken, aber seltener thematisieren.

Welches Verständnis von „Arbeit" legen wir denn an? Zum Beispiel beim Faktum der Hausarbeit. Die starke Betonung des emanzipatorischen Potentials der Berufsarbeit im Lebensalltag vor allem der DDR-Frauen hat zu einer impliziten Abwertung von Hausarbeit und „Hausfrauen" geführt. Das hieß (unbewußt) die gängige patriarchalische Hierarchie von produktiver und reproduktiver Arbeit zu akzeptieren.

Zu reden wäre damit auch über den ehernen Begriff der „Doppelbelastung", jetzt mitunter aufgehoben in den positiven (euphemistischen) Bezeichnungen „ganzheitliches Lebensmodell", doppelte Vergesellschaftung, zweifacher Lebensentwurf. Dahinter steht die Frage nach dem Verhältnis der für die Existenz der Gesellschaft gleichermaßen notwendigen, aber noch immer verschieden bewerteten und geachteten produzierenden, wertschaffenden Arbeit einerseits und lebenserhaltenden, fürsorgenden (eben reproduktiven) Tätigkeiten andererseits.

Wie wird sich der geschlechterspezifische Zugang , das Problem der „Vereinbarkeit" hinsichtlich beider Sphären und ihres Bedeutungswandels zukünftig gestalten?

1) Anmerkung zur Literatur im Anhang

Dr. Martina Weyrauch

Ich bedanke mich erst einmal herzlich. Das ist hier natürlich ein Riesenmarathon. Aber ich denke, daß es sich gelohnt hat. Haben wir nun Doppellust oder Doppelast? Wie ist das mit dem gemeinschaftsbezogenen Denken? Haben wir eigentlich die totale Ausbeutung verdrängt? Hier sind eine Menge Fragen angesprochen worden, die diskussionswürdig sind.

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Statements:



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Kathrin Rohnstock

Ich habe diesen Begriff „neue Väterlichkeit" nicht benutzt und das mit Absicht. Zu dieser Statistik: Das Deutsche Jugendinstitut hat in dieser Untersuchung Väter und Mütter befragt. Die Einschätzung der Mütter war in Ost wie in West nur geringfügig kritischer. Woran sollte man sonst messen?. Sicher könnte man Zeituntersuchungen machen. Die Aufgabenteilung in einer Familie einen Monat lang beobachten, aber selbst dann könnte man noch mutmaßen, daß der Mann sich mehr als normal engagiert - zum schönen Schein. Wenn man diese Statistik mit einer vor zehn Jahren erhobenen vergleichen könnte, würde man sicher eine Entwicklung feststellen können. Ich denke, dem Bewußtseinswandel von Männern wird zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, der Forschungsstand und das verfügbare statistische Material sind ausgesprochen bescheiden.

Ein Beweis, wie komplementär Männer und Frauen aufeinander reagieren, sind die Familien mit Kindern, in denen beide Partner ganztags berufstätig sind. Dort beträgt der Anteil der Väter an der Familienarbeit fast 50 Prozent. Darin steckt auch eine Vision, da ist realisiert, was wir uns wünschen ...

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Brigitte Engler

Gestatten Sie mir zum heute letzten Tagesordnungspunkt Frauen und Arbeitswelt zwei Gedanken.Der erste betrifft die Entwicklungen in der Computer- und Multimediawelt, der zweite Gedanke behandelt einen Aspekt von modernem Unternehmertum.

Zum ersten Punkt: Es läßt sich nicht übersehen, im Bereich der modernen Medien, Computer- und Multimediaanwendungen, einschließlich Internet, tut sich etwas. Durch diese Prozesse wird die Arbeitswelt rasant und gründlich verändert. Es werden nicht nur Arbeitsplätze wegrationalisiert, sondern es entstehen auch hochqualifizierte, neue Tätigkeiten. Dieser Prozeß enthält eine deutliche Brisanz in bezug auf das Geschlechterverhältnis im Arbeitsbereich, das kann ich durch eigene Beobachtungen bestätigen. Auf einen Kongreß von Computerunternehmen, den ich per Zufall besuchte, fand ich unter den rund 500 Ausstellern ca. 15 bis 20 Frauen, und diese häufig in der Rolle einer Standbetreuerin. Nun handelt es sich bei Computertechnik nicht gerade um schwere körperliche Arbeit, die von Frauen rein physisch nicht zu leisten wäre, aber dennoch entwickelt sich dieses neue Feld extrem geschlechterdifferenziert. Die neuen Unternehmer in diesem Bereich sind überwiegend Männer aus den Ausbildungsfeldern Mathematik, Informatik, Physik. Ihre einseitige und überzogene Technikorientierung und häufig damit einhergehende defizitäre Sozialkompetenz bezüglich der Beurteilung gesellschaftlicher Prozesse, wie auch ihr Verhältnis zu Frauen, wird zu katastrophalen Verwerfungen führen. Wenn man sich anschaut, was da für Arbeitsplätze geschaffen werden und wer da zukünftig welche Arbeitsplätze bekommen wird, dann darf man diese Entwicklung meiner Meinung nach nicht dem Selbstlauf überlassen. Es darf nicht sein, daß wir dieses Feld jungen karrieresüchtigen Technokraten überlassen und ehrfürchtig erstarren, wenn diese uns mit ihrem Techniklatein dummreden. Das fängt in der Ausbildung an. Es wäre dringend erforderlich, hier mehr Frauen zu Ausbildern zu machen.

Diese Prozesse können gezielt durch die Arbeitsämter über die Vergabe von Weiterbildungsmaßnahmen an Bildungsträger und durch entsprechende Auflagen gesteuert werden. Ebenso muß in stärkerem Maße auf die Art der da neu entstehenden Tätigkeiten geachtet werden. Es ist zu erkennen, daß hier sehr häufig Tätigkeiten entstehen, die für Frauen zu extrem schlecht abgesicherten und bezahlten Kurzzeitjobs führen.

Nun zu dem zweiten Punkt: Unternehmertum. Ich wünsche mir zwar auch mehr Frauen, die den Mut haben, Unternehmerinnen in der Computerbranche zu werden. Aber wenn ich von Unternehmertum spreche, geht es mir noch um etwas anderes. Gegenwärtig wird Unternehmertum gleichgesetzt mit dem Ziel, viel Geld zu verdienen. Ein Unternehmer ist einer, der dies tut, um Geld, möglichst viel Geld, zu verdienen. Ein Existenzgründer wird daraufhin von den Banken durchleuchtet, ob er nach einer überschaubaren Zeit „schwarze Zahlen" schreibt, sonst bekommt er keinen Kredit. Wir alle wissen aber, daß dadurch wichtige Bereiche unserer Gesellschaft zumindest von privaten Unternehmen, die auf die Erzielung von Gewinnen orientiert sind, nicht bearbeitet werden. Kommt dann noch dazu, daß der Staat und die Kirchen, die bisher für derartige Fragen zuständig waren, aus den bekannten Gründen zunehmend nicht mehr dafür einspringen wollen, entstehen ernstzunehmende Lücken für das Funktionieren dieses Gemeinwesens. Nun kann man mir vorhalten, daß es eine Reihe von Wohltaten in Deutschland gibt, die nicht unbedingt in dieser Größenordnung weiter finanziert werden müssen. Das ist sicher richtig. Aber wenn wir uns einmal vorstellen, daß es in Zukunft nur noch privatfinanzierte und -orientierte Unternehmen geben soll und steuerfinanzierte Sozialstaatlichkeit zurückgenommen werden wird, dann muß doch zumindest die Entwicklung des Unternehmertums in den NON-Profitbereichen ernsthaft mit behandelt werden. Ich meine jenes Unternehmertum, das sich um die Umsetzung vernünftiger Vorhaben kümmert, auch wenn damit kein Geld zu erzielen ist. Notwendig ist die Ausstattung und Umgestaltung des Dritten Sektors mit kompetenten Unternehmerpersönlichkeiten, die etwas unternehmen und in Gang setzen, das für das Kommunizieren und Funktionieren einer Gemeinschaft von Interesse ist und für das Geld beschafft werden muß. In der heutigen Zeit allgemeiner Geldknappheit und leerer Kassen gerät mir dieser Ansatz von Unternehmertum, das auf die Verwirklichung von Inhalten und Ideen um ihrer selbst willen und nicht zu Zwecke des Geldverdienens gerichtet ist, zu sehr aus dem Blickwinkel.

Ich komme in diesem Zusammenhang auf meine Gedanken zur Emanzipation zurück. ich halte den derzeitigen Weg dieser Gesellschaft hin zu einer fast ausschließlich privatwirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft für eine extrem männlich orientierte, asoziale gesellschaftliche Fehlentwicklung, die von Frauen nicht unbedingt nachzumachen ist.

Ich beobachte mit Sorge, daß sich auch in dem Bereich des sozialen Arbeitsmarktes, des Dritten Sektors oder wie man das auch immer nennen will, zunehmend extremes männliches Konkurrenzverhalten entwikkelt, daß sich um die Sicherung von vorhandenen eigenen Posten mehr kümmert als um tatsächlich sinnvolle Anliegen. Auch dem muß, um der dort stattfindenden Verdrängung wie auch der sich damit verändernden Arbeitskultur Einhalt zu bieten, politisch entgegengewirkt werden.

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Rosemarie Bechthum

Das paßt auch zu dem was Frau Engler sagte. Sie kennen alle Frau Prof. Schipanski, unsere Vorsitzende des Wissenschaftsrates, sie kommt aus der Technischen Universität Ilmenau und ist eine sehr engagierte Frau. Sie hat zur großen Tagung des Akademikerinnenbundes gesagt und sehr kritisch hervorgehoben, daß von der Industrie endlich die Notwendigkeit begriffen werden muß, weibliche Kompetenz der Absolventinnen anzuerkennen. Der Bereich „Frauen und Technik" bietet Lösungsansätze für gegenwärtige Probleme.

Die Verschwendung weiblicher Ressourcen ist ökonomisch nicht länger vertretbar und tragbar.

Wir haben das Hochschulsonderprogramm III sehr effektiv genutzt und an der TU Ilmenau besonders für Mädchen und junge Frauen etwas getan. Dort ist zum Beispiel ein eigener Studiengang „Mädchen und Computer" eingerichtet worden. Für den Aufbau eines Zentrums „Medien- und Kommunikationswissenschaft" zeichnet eine Informatikerin verantwortlich. Der Anteil von weiblichen Studierenden hat sich an der TU Ilmenau zwischen 1996 und 1997 von sechs auf sechsundzwanzig erhöht. Für junge Frauen ist es die Zukunftschance miteinzusteigen.

Frau Neef, Sie haben mir auch ein bißchen Mut gemacht mit den neuen Berufen. In diesem Zusammenhang sehe ich die immer häufiger erwähnten „gesellschaftlich notwendigen Beschäftigungen". Wenn das zu entwickeln und auszudehnen wäre und damit verbunden wirklich neue Berufsfelder geschaffen werden könnten, wir hier würden alle sehr intensiv daran arbeiten. Sie sagten, viele Frauen arbeiten unter ihrer Qualifikation. Ich beobachte das auch in Thüringen bei Frauen, die die Hochschule absolviert haben. Die Tätigkeit muß anerkannt und einigermaßen finanzierbar sein, dann machen sie diese Arbeit. In Sonneberg haben wir zum Beispiel das erste hauswirtschaftliche Dienstleistungszentrum mit zwölf langzeitarbeitslosen Frauen eingerichtet. Natürlich immer noch mit Hilfe von §249 h-Maßnahmen. Ich habe die Frauen im Sommer besucht. Ich wollte sie persönlich kennenlernen. Es sind auch Absolventinnen von Fachhochschulen mit den unterschiedlichsten Berufen. Sie sagten mir, sie sehen sich nicht als Hausputtel, sie sind anerkannt, sie wissen, daß sie dort gebraucht werden und sie sind einigermaßen finanziell abgesichert. Sie sehen das überhaupt nicht als eine unter ihrer Würde stehende Tätigkeit. Das hat mich sehr berührt. Wenn ich unsere Wahlkreismitarbeiter sehe - ich habe eine Diplom-Ingenieurin, mein Kollege hat eine Diplom-Mathematik-Lehrerin - die machen ihre Arbeit mit Liebe und Freude. Wie gesagt, es ist wichtig, daß eine Tätigkeit anerkannt und auch einigermaßen finanziert ist. In Thüringen lassen ältere Frauen Männer, auch Handwerker, kaum noch in ihre Wohnungen. Es ist soviel passiert. Man hat erkannt, daß man mehr junge Frauen als Montiererinnen und Handwerkerinnen ausbilden muß, um sie dort einzusetzen.

Das waren heute sehr viele Anregungen für mich. Ich fliege am Abend nach Bonn und nehme dort an der Mitgliederversammlung des Deutschen Frauenrates teil. Es wird dieses Jahr in Arbeitsgruppen gearbeitet. Ich werde gleich ganz aktuell eine Menge mit einbringen können. Ich denke, daß ich da auch uns hier mit vertrete.

Dr. Martina Weyrauch

Ich will noch einmal kurz auf Frau Englers Ausführungen Bezug nehmen.

Die Frauen müssen auch zugreifen.

Meine Schwester hat in Ilmenau studiert und ist Diplom-Ingenieurin für Medizintechnik und Kybernetik. Sie ist Unternehmerin gerade in diesem Computerbereich. Die ist so gut, daß die Firmen sagen, wir nehmen eine Schulung, aber nur, wenn die von der Frau gemacht wird, weil die das am besten moderieren kann.

Ich will damit sagen, daß es auch diese Frauen gibt und daß die auch zugreifen. Und das ist eine andere Erfahrung, daß das nicht ausschließlich männerdominiert ist.

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Katrin Rohnstock

Ich sehe ebenfalls ungenutzte Potentiale für das Unternehmertum. Frauen beim Schritt in die Selbständigkeit zu begleiten, sie in der schwierigen Anfangsphase zu unterstützen, ist auch eine Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Hier gibt es immensen Handlungsbedarf. Je knapper der Arbeitsmarkt wird, je weniger Frauen einigermaßen befriedigend unterkommen, um so mehr wird die berufliche Selbständigkeit erwägt. Ich denke da schlummert ein großes Potential. Es gibt jetzt verschiedene Existenzgründer-Initiativen. Der Stern hat einen Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem sich 50.000 ! Gründungswillige beworben haben, (niemand hat mit diesem Ansturm gerechnet), der Senat für Wirtschaft veranstaltet einen Business-Plan-Wettbewerb. Ich habe mir angeschaut, wer bei den Vorbereitungsseminaren für die Wettbewerbe sitzt: 40 junge Männer und zwei bis vier Frauen. Ich habe keine Ahnung, woran das liegt. An der Informationspolitik, an mangelndem Selbstvertrauen, fehlender Risikobereitschaft?

Eine Bemerkung zu Anneliese Neef. Sie hat gesagt, daß wir den Männern auch Zeit lassen müssen, neue Verhaltensweisen zu trainieren. Die Aneignung neuer Verhaltensmuster ist ein langer Prozeß. Ich möchte hinzufügen, daß auch wir Frauen in dieser Beziehung eine Menge zu lernen haben. Eine Freundin kommentierte einmal die Unbeholfenheit ihres Mannes: Bevor der das kapiert, mache ich es schneller allein. Das ist allerdings der sicherste Weg, daß die Hausarbeit an den Frauen kleben bleibt wie Teer. Das ist garantiert die falsche Strategie. Frauen müssen den Männern auf dem Gebiet der Familienarbeit einen Lernprozeß zugestehen, der vielleicht Fehler einschließt, vielleicht aber auch nur die Herausbildung anderer Umgangsweisen zur Folge hat. Meine Mutter beispielsweise hat ihr Leben lang spitze Bemerkungen darüber gemacht, wie mein Vater die Wäsche aufhängt. Nämlich unsortiert. Na und? Hauptsache die Wäsche wird trocken. Wäre unsere Familie nicht immer wieder aufs Neue Gefahr gelaufen, daß die Wäsche in der Waschmaschine verschimmelt, denn meine Mutter hatte nie Zeit, mein Vater hätte irgendwann kein einziges Hemd mehr aufgehangen.

Als ich das Buch „Sag mir wie die Väter sind" herausgab und im Zuges dessen mit vielen Vätern sprach, habe ich auch an mir einige dieser Verhinderungsmuster bemerkt. Ich werde ungenießbar, wenn mein Partner die Haushaltsarbeiten anders bewältigt, als ich mir das vorstelle. Das hat zur Folge, daß seine Motivation sinkt. Logisch. Andere Männer ziehen sich zurück, knallen sich vor den Fernseher und trinken Bier. Die Integrationsleistung müssen immer beide Beteiligte erbringen. Wir sollten auch unseren Anteil an der noch bestehenden traditionellen Rollenverteilungen reflektieren. Vielleicht sollte es Kurse für Frauen zum Thema geben: „Wie motiviere ich meinen Mann für die Familienarbeit" - damit wir auch für diesen Bereich Motivationstechniken erlernen.

Noch ein Aspekt zur Frage: Welche Vorteile haben Männer, wenn ihre Partnerinnen berufstätig sind. Janine Berg-Peer, eine Outplacement-Beraterin, hat in ihrem Beitrag in dem von mir herausgegebenen Buch „Stiefbrüder" das Verhalten von West- und Ostmanagern verglichen, nachdem sie entlassen wurden. Outplacement-Berater unterstützen ehemalige Führungskräfte nachdem sie ihren Arbeitsplatz verloren haben, einen neuen zu finden, sie werden von den Beratern auch psychisch betreut. In ihrer Berufspraxis hat Frau Berg- Peer erfahren, welche Angst Westmanager haben, ihren Frauen vom Verlust ihres Arbeitsplatzes zu erzählen. Sie empfinden es als persönliches Versagen, sie wissen daß das Verständnis der Familie auf seinem Job beruht.

Mit einer Frau hat Janin Berg-Pierre telefoniert. Sie wollte ihr die schwierige psychische Situation des Mannes verständlich machen. Die Frau reagierte barsch: „Wissen Sie, das interessiert mich nicht. Ich habe einen Direktor geheiratet und keinen Arbeitslosen." Die Ostmänner können demgegenüber mit dem Verständnis ihrer Partnerin rechnen. Zum einen, weil die meisten selbst schon Arbeitslosigkeit erfahren haben, zum anderen, weil sie die Berufswelt und betriebliche Schwierigkeiten aus der Innensicht kennen.

Eine berufstätige Partnerin kann also dem Mann auch in beruflichen Belangen eine Partnerin sein und das ist emotional für die Männer sehr entlastend.

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Dr. Anneliese Neef

Ich wollte eine Konkretisierung zu dem Problem der Selbständigen bringen. Ich sehe das weniger euphorisch, obwohl mein Wunschdenken auch entfaltet ist. Von den Beschäftigten in den neuen Ländern waren im April 1995 9,1 Prozent der Männer Selbständige und 4,7 Prozent der Frauen. Diese selbständigen Existenzen von Frauen bezogen sich durchaus nicht auf Hightech und solche Sachen, sondern es waren folgende Branchen, ich lese es mal vor: Boutiquen, Friseurgeschäfte, Gastronomie, Versicherungsagenturen, Einrichtungen der mobilen Pflege. Das war es dann. Alles andere ferner liefen. Das sind nun auch wieder ganz frauentypische Dinge, die da offen sind. Der Einstieg in wirklich lukrative Geschäfte, der ist noch nicht gemacht. Ich denke man sollte es nicht aufgeben.

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Dr. Dorle Gelbhaar

Ich möchte noch einmal auf die Frage der Unternehmensgründungen von Frauen eingehen. Ich verstehe es, daß die Versuchung nahe liegt, sie als Allheilmittel, als eine sich bietende und zu wenig genutzte positive Perspektive zu begreifen. Aber eine Unternehmensgründerin sollte Chancen und Risiken schon sehr genau abschätzen können, bevor sie sich auf dieses Unterfangen einläßt. Christine Bergmann hat darauf hingewiesen, daß sich Frauen in der Frage der Arbeitszeitverkürzung stärker machen sollten. Ich unterstütze diese Forderung, weil ich denke, daß nur auf diesem Wege voranzukommen ist, weil so Arbeit und Geld in größerem Maßstab umverteilt werden kann. In wirtschaftsschwachen Regionen, in denen Käuferschichten schwerer zu erschließen sind, sieht es auch für Existenzgründerinnen schlechter aus. In einem Gebiet, wo viel Geld ist, wie zum Beispiel in Bayern, da kann ich doch viel leichter den Sprung in die Selbständigkeit wagen, zum Beispiel als Erwachsenenbildnerin, da kann ich kreative Workshops anbieten. Aber da, wo die Frauen und die Männer nach Arbeit jagen, weil das eine kleine Ost-Gehalt nicht reicht, da ist es schwer.

Unternehmensgründerinnen fördern, ja, aber im Verein mit der Ge-samtfrage der Verteilungsgerechtigkeit. Teilzeitbeschäftigung bedeutet in der Praxis oft nur weniger Geld für gleiche Arbeitsmenge, aber „echte" Arbeitszeitverkürzungen könnten für die Erfüllung elementarer Frauenfragen etwas bewirken. Unbezahlte soziale Arbeit könnte gerechter verteilt werden und und und. Es würde tatsächlich bereits viel bedeuten, wenn die Überstunden, die bezahlten und die unbezahlten, abgebaut und stattdessen neue Arbeitsverhältnisse geschaffen würden. Zur Zeit scheint sich das in anderer Richtung zu entwickeln. Wachsende Unternehmensgewinne von Konzernen und weiterer Arbeitsplatzabbau durch sie „gehen Hand in Hand", wie es aussieht.

Ein Punkt vielleicht noch in diesem Zusammenhang: Ich glaube nicht, daß man von arbeitslosen Männern erwarten kann, daß sie eine Hinwendung zum Familienleben vollführen. In einer Phase der Krise und Depression kann kaum einer über seinen Schatten springen.

Zum Vergleich: Ich habe mit Kindergärtnerinnen diskutiert, die erwarteten, daß arbeitslose Frauen ihre Kinder ständig mittags abholen, das ist „das Gleiche in grün". Die Frau gibt die Möglichkeit, in den beruflichen Alltag zurückzukehren, auf, wenn sie nur noch für Haushalt und Familie da ist. Das wäre für einen Mann im Grunde auch nicht anders. Arbeitslosigkeit oder Zeitgewinn durch Arbeitszeitverkürzung - das kann man in keiner Weise gleichsetzen.

Brigitte Engler hat auf Mängel in von Männern praktizierten Formen von Erwachsenenbildung hingewiesen. Emotionalität und soziale Befähigung von Frauen lassen von ihnen bestrittene Veranstaltungen oft für Frauen und Männer interessanter werden. Ich denke auch, wir sollten dieses Feld mehr nutzen, um Frauenpolitik zu behaupten und durchzusetzen.

Frauen sollten ihre Netzwerke weiter entwickeln, wo es darum geht, sich wechselseitig kommerziell zu unterstützen. Konkurrenz trübt manchmal den Blick dafür, was die andere Frau mir geben kann, wenn ich ihr helfe. Vielleicht wäre hier anzusetzen in einer sachlichen Diskussion.

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Eva Kunz

Zu dieser Weiterbildungsgeschichte: Es gab vor Jahren, aber nach der Wende, im Land Brandenburg mal die Idee, so etwas wie einen Weiterbildungs-TÜV einzurichten, eine Art Zulassungsstelle. Das war damals auf einem ganz anderen Hintergrund: Es gab viele Abzocker mit wunderlichen, oft unbrauchbaren und unqualifizierten Fortbildungsangeboten. Das fiel mir jetzt gerade wieder ein, die Idee könnte man wieder aufleben lassen. Man kann es zumindest diskutieren.

Der andere Punkt: Existenzgründungen. Ich schließe mich all denen an, die das nicht als Allheilmittel sehen. Vor allem ist es kein Allheilmittel gegen Massenarbeitslosigkeit. Wenn der BDI oder andere von der neuen Unternehmerkultur in Deutschland sprechen, dann meinen sie mit Sicherheit nicht die Gründung von Imbißbuden. Dann meinen sie eher so etwas wie Bill Gates. Was Frauen betrifft, ich kann das jetzt für Brandenburg sagen, es gibt gar nicht so wenig Existenzgründerinnen, deren Spezifikum zweierlei ist: Die Ausgangssituation von Frauen und Männern ist vom Hintergrund her im Osten ziemlich gleich. Beide haben nichts, weder Männer noch Frauen. Beide sind auf Kredite angewiesen. Da fängt es an, sie kriegen die Kredite in ganz unterschiedlichem Maße. Wir haben vorhin über Jürgen Schneider gesprochen und ich habe meiner Bewunderung Ausdruck gegeben, wie der die Banken mit einem ungleublichen Risikoeinsatz an der Nase herumgeführt hat. Aber immerhin, die männlichen Existenzgründer pokern mehr und höher, stellen sich größere Brötchen vor, die sie dann oft – in der Hälfte der Fälle - nicht backen, weil sie wieder eingehen. Sie überschätzen sich, auch ihren Witz, ihre Nase für irgend welche Marktlücken, die dann doch nicht so da sind. Sie bekommen aber dennoch leichter Kredite von den Banken. Das heißt, die Banken machen eigentlich dieses Risiko mit und nehmen in Kauf, daß die Hälfte wieder eingeht und wissen dabei, es ist nicht dann viel zu holen.

Bei weiblichen Existenzgründerinnen ist es so: Die backen kleinere Brötchen oder planen kleinere Brötchen, die sie dann meistens auch backen, schon dadurch, daß sie es bei den Banken schwer haben, was ich persönlich furchtbar ungerecht finde. Auf der anderen Seite hat es natürlich auch den Effekt, daß sie gründlicher argumentieren müssen, gründlicher nachdenken müssen, was sie denn genau wollen, so daß sie am Ende, wenn sie es denn schaffen, langfristig oder mittelfristig gesehen erfolgreicher sind. Die Rate derer, die kaputt gehen, ist sehr viel geringer. Aber es ist natürlich richtig, daß sie nicht ins Big Business einsteigen, sofern das im Land Brandenburg überhaupt entsteht, daran zweifle ich ohnehin.

Das verdammte Problem der Massenarbeitslosigkeit ist auf diesem Wege nicht zu lösen. Das kann mir keiner erzählen.

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Mechthild Rawert

Eva Kunz hat für Brandenburg vom Weiterbildungs-TÜV gesprochen. Ein solches Instrument ist Anfang der 90er Jahre selbstverständlich auch für Berlin entwickelt worden. Erinnern möchte ich insbesondere auch an den von KOBRA und dem Bundesinstitut für Berufsbildung entwickelten frauenspezifischen Prüfkatalog, der sich dezidiert an Frauen richtet, die eine Weiterbildung aufnehmen wollen. Ähnlichkeiten sowohl in der Problemanalyse als auch in den Problemlösungen lassen sich ebenfalls für die Berliner und Brandenburger Programme für Existenzgründerinnen finden.

Eingehen möchte ich auch auf die Äußerungen der Kollegin, die an einem vom Arbeitsamt geförderten Kurs teilgenommen hat. Mich ärgert zunehmend, daß Äußerungen häufig als nachträgliche Klagen zu vernehmen sind. Ich würde es sehr begrüßen, wenn gerade Frauen sich mit berechtigten Kritiken während der Dauer einer Maßnahme an die verantwortlichen Stellen wenden. Verweisen möchte ich darauf, daß es auch Weiterbildungskurse gibt, die sich von vornherein mit einem frauenorientierten Ansatz an Frauen wenden. In EDV-Kursen des Berliner Frauen-Computer-Zentrums arbeiten zum Beispiel nur Dozentinnen.

Ähnliches gilt für den Bereich Politik. In den letzten Aussagen wurde immer wieder etwas von den anderen, von der sogenannten „anderen Seite", eingeklagt. Damit wird auch ein Dilemma beschrieben: Zu Recht fordern Frauen, zu Recht klagen sie ein – aber Frauen müssen trotz Diskriminierung und vielfältiger Schwierigkeiten auch kräftig zugreifen – es wird niemand anderes für uns tun.

Noch eine Bemerkung zur Definition des Begriffs „Unternehmerin": Als Person etwas unternehmen zu wollen, ist gut, aber um Unternehmerin sein zu wollen, um ein Geschäft zu führen, welches sich selber und gegebenenfalls auch Dritte ernähren soll, reicht der vorhin beschriebene Ansatz bei weitem nicht aus. Eine Unternehmerin muß mehr wollen: Sie muß gewinnen wollen, Gewinne anstreben und machen wollen.

Mit dem Streben nach dem „schnödem Mammon" haben viele Frauen Schwierigkeiten. Für das Geschäftsleben ist die Devise „Ich will Geld verdienen" aber unerläßlich.

Dr.Martina Weyrauch

Ich spare mir das Schlußwort. Ich denke, daß das heute eine sehr anregende Diskussion war. Ich möchte mich noch einmal herzlich bei den Organisatorinnen der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Forums Ostdeutschland bedanken. Ich denke, diese Diskussionen werden in der Art und Weise fortgeführt werden. Ich bedanke mich herzlich für Ihre sehr frischen und anregenden Beiträge und hoffe nur, daß man sich alle diese Namen merkt, wenn es zu den nächsten und neuen Runden geht und man diese geballte Kompetenz hier und da notwendig brauchen wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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