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Roland Röscheisen

Bonn

Forum 500 Jahre Lateinamerika

[Seite der Druckausg.: 69]

Zusammenfassung der Diskussion in der Arbeitsgruppe

Am 12. Oktober 1992 jährt sich zum 500. Male das Jahr, in dem Christobal Colon Lateinamerika gesichtet hat. Diese sogenannte Entdeckung führte rasch zu einer Ausplünderung der indianischen Kulturen, zu Sklaverei und Völkermord und zu einer Vernichtung der bestehenden Kulturen.

Eine mündliche Überlieferung der Kuna besagt: "lch persönlich weiß es nicht, wie die Geschichte von denen geschrieben wird, die unser Land angegriffen haben. Doch ich höre Gerüchte, daß die Spanier davon reden, sie hätten neues Land entdeckt. Aber ich sage Euch: Sie haben nichts entdeckt, sie haben uns angegriffen, sie haben unser Land besetzt, sie haben uns umgebracht."

Es gab keine Entdeckung der Kulturen, es gab die Jagd nach dem Gold. 25 Jahre nach der "Entdeckung" Lateinamerikas lebte kein einziger Eingeborener mehr auf den Antillen.

Der Europaabgeordnete Jannis Sakallariou zitierte dazu Aussagen vom Dominikanermönch aus Sevilla, Bartolome de las Casas, aus dessen berühmt gewordenen "Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder", in welchem er von der Entdeckung Amerikas und der Ausrottung seiner Völker erzählt.

"Unter diese sanften Schafe, die ihr Schöpfer und Urheber mit oben erwähnten Eigenschaften begabte, fuhren die Spanier, sobald sie nur ihr Dasein erfuhren, wie Wölfe, Tiger und Löwen, die mehrere Tage der Hunger quälte. Seit vierzig Jahren haben sie unter ihnen nichts anderes getan und noch bis auf den

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heutigen Tag tun sie nichts anders, als daß sie dieselben zerfleischen, erwürgen, peinigen, martern, foltern, und sie durch tausenderlei ebenso neue als seltsame Qualen, wovon man vorher nie etwas Ähnliches sah, hörte oder las, auf die grausamste Art aus der Welt vertilgen.

Die einzige und wahre Grundursache, warum die Christen eine so ungeheuere Menge schuldloser Menschen ermordeten und zugrunde richteten, war bloß diese, daß sie ihr Gold in ihre Gewalt zu bekommen suchten."

Was Sakellariou bei der Lektüre dieses Berichts beeindruckte und zugleich bedrückte, war seine Übertragbarkeit auf die gegenwärtige Geschichte dieses Kontinents vor allem in drei Aspekten:

  • 450 Jahre, nachdem dieser Bericht geschrieben wurde, wird das Volk Lateinamerikas immer noch gemartert, gefoltert, gemordet;

  • die Ursachen, nämlich das Ausbeuten von Rohstoffen, Land und Menschen, sind die gleichen geblieben, heute wie vor 500 Jahren;

  • es sind nicht mehr die Spanier, die foltern und nicht allein die Indianer, die gefoltert und ermordet werden, doch foltern und morden bleibt als System zur Unterwerfung Lateinamerikas.

Doch Menschenleben, so Sakellariou, sind nicht der einzige Blutzoll, den Lateinamerika bezahlt: Ende der 80er Jahre betrugen die Auslandsschulden Lateinamerikas ein bißchen mehr als eine Billion Dollar. Zum gleich Zeitpunkt hatten die Staaten Lateinamerikas fast den gleichen Betrag an Kapitaldienst an ihre Gläubiger bezahlt.

Die Auslandsschulden sind in den letzten drei Jahren um weitere 25% gewachsen. Der Kapitalmarkt wächst selbstverständlich mit und macht bereits einiges mehr als die gesamten Auslandsinvestitionen aus, die jährlich getätigt werden. Damit bleibt Lateinamerika heute wie vor 500 Jahren Kapitalexporteur.

Im nächsten Jahr werden hauptsächlich in Spanien aber auch anderswo die 500 Jahre der Entdek-kung Lateinamerkas gefeiert. Die Spanier haben vor 500 Jahren Lateinamerika entdeckt und den größten Teil davon besetzt und ausge-

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plündert. Sie haben sich aber auch mit den Lateinamerikanern vermischt, gemeinsames Schicksal geteilt und bis heute noch – fast 100 Jahre nach Aufgabe ihrer letzten Kolonie, übrigens Kuba – sehr enge kulturelle und politische Beziehungen aufrechterhalten. Seit mindestens einem Jahrhundert bestimmen nicht die Spanier das Schicksal Lateinamerikas. USA, Europa, neuerdings auch Japan haben das Erbe Spaniens angetreten: Leider nur den einen Teil, Unterdrückung und Plünderung.

Es steht uns nicht an, nächstes Jahr mit dem Anklagefinger auf die Spanier zu schauen. Wir können aber genauso wenig die Entdeckung Lateinamerikas feiern, die für die Lateinamerikaner die Entdeckung von Leid und Elend gewesen ist.

Wenn wir aber mit den Spaniern nicht feiern können, sollten wir zumindest mit den Lateinamerikanern mitfühlen, forderte Sakellariou.

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Luise Schert ging in ihrem Einführungs-Statement auf drei Aspekte ein:

1. Die Herangehensweise an den 500. Jahrestag ist sehr euro-zentristisch. Einer Reihe von spanischen Buchveröffentlichungen mit der positiven Darstellung der Tatsache, daß es in Lateinamerika eine gemeinsame Sprache, Religion und Kultur gibt, stehen völlig entgegengesetzte Sichtweisen der Betroffenen gegenüber. Ihre eigene Sprache wurde zerstört, ebenso ihre Religion und Kultur. Die gegenwärtige Situation ist geprägt von einer weitgehenden Adaption der westlichen und weißen Wert-Vorstellungen.

2. Luise Schert berichtete über ihre eigenen Erfahrungen als Musiklehrerin in Nicaragua, wobei auf dem Feld der Musik die europäische Musiksprache als die "eigene" wahrgenommen wird.

3. Die Wahrnehmung im Leben als Europäerin in Lateinamerika besteht in einer täglichen Konfrontation mit den Auswirkungen der Fesselungen, die der Norden dem Süden nicht nur auf kulturellem, sondern besonders auf ökonomischem Gebiet auferlegt. Die Mehrheit der Bevölkerung ist mit dem täglichen Überlebenskampf immer mehr überfordert – demgegenüber stehen sowohl bei den inländischen Oberschichten als auch an den Schalthebeln der internationalen Wirtschaftsmacht Egoismus und koloniales Denken und Handeln. Von daher stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten der politischen Durchsetzbarkeit von Veränderungen mit demokratischen Mitteln.

Detlef Brum vom Verein tierra nueva berichtete über die Planungen von NGOs zum Thema 500 Jahre "Entdeckung" Lateinamerikas. Er verwies auf die Notwendigkeit einer intensiven Beschäftigung mit dem Komplex "Eroberung und ihre Folgen", damit es in dem alten Konflikt um deren Beurteilung nicht wieder bei pauschalen Einschätzungen bleibt.

Eine oberflächliche Art der Betrachtung gebe es nicht nur bei denen, die diese 500 Jahre von Völkermord und Ausbeutung beschönigen wollen, sondern auch in der entstehenden Vielfalt der Stimmen, die scharf kritisieren. Bei vielen Gruppen fehle eine differenzierte

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Auseinandersetzung mit dem Thema. Detlef Brum bemängelte jene NGOs und Gruppen, deren Motto allzu häufig ein "Alles hängt mit allem irgendwie zusammen!" sei.

Die Aufgabe der SPD in der 500-Jahr-Diskussion sei nicht so sehr die historische Auseinandersetzung, sondern sie müsse sich verstärkt mit globalen Entwicklungen beschäftigen, forderte er.

Änderungen in der Politik und Wirtschaft seien angesichts der 500jährigen Ausplünderung dringender denn je notwendig. Der sich weiter zuspitzende Nord-Süd-Konflikt erfordert ein intensives Aufgreifen dieses Themas als eines der zentralen Politikfelder um das globale Überleben zu gewährleisten.

[Seite der Druckausg.: 74]


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