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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 75]



Christa Brandt
Bonn

"Die Dritte Welt vor der Haustür – Migration und Ausländerpolitik"

Zusammenfassung der Diskussion in der Arbeitsgruppe

mit Beiträgen von Dr. Katharina Focke, Bundesministerin a.D.; Dr. Klaus Kuschke, Büro der Ausländerbeauftragten des Landes Brandenburg; Prof. Dr. Manfred Nitsch, Lateinamerika-Institut der FU Berlin, und Edmundo Muchango aus Mosambik, Sprecher der Vereinigung der ausländischen Bürger im Freistaat Sachsen e.V.

Moderation: Christa Brandt, entwicklungspolitische Referentin der Landesregierung Schleswig-Holstein.

Das in einem schrecklich realen Sinn "brennend" aktuelle Thema lockte eine große Zahl der Tagungsteilnehmerinnen und Teilnehmer in den großen Hörsaal des Instituts für Lehrerfortbildung in Potsdam. Die lebhafte Diskussion war von dem Wunsch aller Beteiligten geprägt, konkret gegen Ausländerhaß und alles, was ihm zugrunde liegt, vorzugehen, sowie eine Politik zu fordern und mitzugestalten, die sowohl dazu beiträgt, die Ursachen, die Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat treiben, zu überwinden als auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland Fremdenfeindlichkeit abzubauen und ein Klima zu schaffen, das multikulturelles Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher regionaler, ethnischer und kultureller Herkunft und Prägung als interessant, anregend und bereichernd erfahrbar macht und fördert.

Die Diskussion wurde strukturiert nach der von dem Friedens- und Konfliktforscher Johann Galtung empfohlenen Gliederung:

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  1. "Analyse": "beinhartes und unbarmherziges" Betrachten dessen, was tatsächlich ist;
  2. "Vision": Phantasieren des Gewünschten;
  3. "Entwicklung einer Strategie": zielgerichtete Planung der Schritt für Schritt zu verwirklichenden Vorhaben.

Im 1. Teil wurden sowohl von den Referentinnen und Referenten des Podiums als auch aus dem Plenum Daten, Erkenntnisse und persönliche Erfahrungen zur aktuellen Situation zusammengetragen. In Stichworten hier die wichtigsten:

  • Die progomartigen Ausschreitungen gegen Asylsuchende in Ost- und West-Deutschland

  • Die Asyldebatte:
    • Fakten zur Flüchtlingsproblematik wurden manipulierten Statistiken gegenübergestellt, Erkenntnisse über die Instrumentalisierung dieser Problematik durch bestimmte politische Ziele vorgetragen: z.B. die Stigmatisierung von Ausländern als "Sündenböcke", die für politisch zu verantwortende Notlagen wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, soziale Verunsicherung, Zukunftsängste, Frustration, zunehmende Gewaltbereitschaft etc. haftbar gemacht und als "Zielscheiben für abgeleitete Aggression" mißbraucht werden;
    • • Der Sprachgebrauch der "Asyldebatte" wurde analysiert:
      das durch die Begriffe "Asyl-Mißbrauch" und "Schein-Asylanten" gezielt suggerierte und verfestigte Vorurteil, es gebe für die Mehrzahl der Asylsuchenden keine Rechtfertigung für ihre Flucht in die Bundesrepublik, und das Asylrecht des Artikels 16 GG sei zu großzügig und müsse eingeschränkt werden. Mit den Begriffen "Asylanten" und Asylantenflut" soll das Problem entpersonalisiert und anonymisiert werden. Faktisch schüren diese Formulierungen auch Ängste vor einer scheinbar existentiellen Gefahr: nicht Menschen, die aus Not und Bedrängnis flüchten, werden ins Bewußtsein gerückt, sondern Abwehrinstinkte gegen eine

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      Bedrohung mobilisiert. Nicht an mitmenschliche Solidarität wird appelliert, sondern Bedürfnisse nach der Errichtung von Dämmen gegen eine Überschwemmungsgefahr werden geweckt und gestärkt.

  • Die Furcht vor Ausländerinnen und Ausländern:
    Ausländerinnen und Ausländern, die schon seit Jahren beruflich und sozial integiert in der Bundesrepublik leben, aber "fremdländisch" aussehen, berichteten über ihre neue Furcht, abends allein auf der Straße zu gehen, oder den ÖPNV zu benutzen, über Erfahrungen konkreter Bedrohung und Mißhandlung und darüber, in jüngster Zeit mit einem gestärkten "deutschen" kulturellen Hochmut konfrontiert zu sein und sich noch mehr als bisher in ihrer eigenen kulturellen Identität mißachtet zu fühlen.

Im 2. Teil der Diskussion wurde sowohl nach den Ursachen für die weltweiten Migrations- und Flüchtlingsbewegungen als auch nach den Ursachen für die Fremdenfeindlichkeit und den Ausländerhaß bei uns gefragt.

Als Fluchtursachen wurden das globale Nord-Süd- und Ost-West-Entwicklungsgefälle, die zahlreichen Kriege (seit 1945 ca. 170 regionale Bürger- und/oder Sezessionskriege, die auch auf koloniale Grenzziehungen und auf von europäischen Kolonialmächten ohne Rücksicht auf ethnische Strukturen geschaffene Nationalstaaten zurückzuführen sind), die Folgen der weltweiten Ost-West-Konfrontation (zu denen außer der Tatsache, daß es pro Kopf der Erdbevölkerung mehr Sprengstoff als Lebensmittel gibt, daß weltweit mehr Rüstung als Entwicklung geschaffen wurde, auch gehört, daß von den rivalisierenden Großmächten ausgehaltene Militärregime, Diktatoren und "Schmarotzer-Eliten", ihre Untertanen drangsalieren) sowie die dramatisch zunehmende Zerstörung natürlicher Lebensräume genannt.

Ursachen für Fremdenfeindlichkeit bei uns sahen die Diskutantinnen und Diskutanten vor allem in sozialer Unsicherheit, in konkreten und irrealen Zukunftsängsten und in dem Mangel an Möglichkeiten,

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fremde und andersartige Menschen persönlich kennenzulernen und positiv zu erleben.

Bei der Suche nach Lösungsstrategien wurden politische Forderungen und konkrete Handlungsansätze auf verschiedenen Ebenen (globaler, europäischer, Bundes- und kommunaler Ebene) zusammengetragen und Erfahrungen ausgetauscht. Diskutiert wurde, was kurz-, mittel- oder langfristig notwendig und durchzusetzen ist.

Zur Überwindung und Verhinderung von Fluchtursachen wurde eine global verantwortliche Weltwirtschaftsund Sozialpolitik, die die Lösung der Verschuldungsproblematik und die Einstellung von Rüstungsprodukten und -exporten mitbeinhaltet sowie die Notwendigkeit demokratische Partizipations- und Herrschaftsformen zu entwickeln und zu fördern, thematisiert.

Besonders interessant aber waren die Anregungen, die sich nicht nur als Forderungen an die "Große Politik" richten, sondern als eigene Handlungsmöglichkeiten im persönlichen Umfeld und in der Kommunalpolitik vorgestellt und angeregt wurden.

Für wichtig gehalten wurde, Gespräch mit sozialverunsicherten jungen Menschen (Skins, bei denen sich häufig die zur Schau getragene rechtsextremistische Grundeinstellung noch nicht verfestigt hat) zu suchen, ihre Sorgen und Zukunftsängste und legitimen Interessen erst zu nehmen und ihnen Gelegenheit zur Begegnung mit Menschen anderer ethnischer und kultureller Herkunft zu geben.

Zum Schutz der Ausländerinnen und Ausländer vor Übergriffen, Diskriminierung und Mißachtung sollten Bündnisse gesucht und gebildet werden. Zur Stärkung des individuellen Eintretens für Ausländerinnen und Ausländer, die auf der Straße, in Geschäften, Ämtern oder öffentlichen Verkehrsmitteln durch diskriminierendes Verhalten entwürdigt oder durch aggressives Verhalten bedroht werden, könnte eine Kennzeichnung der "Pro-Asyl"-Gleichgesinnten z.B. durch einen Button, hilfreich sein, der Verständigung und gemeinsames Agieren von einander Unbekannten, aber Gleichgesinnten

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in u.U. brenzlichen Situationen erleichtern könnte.

Auf kommunaler Ebene sollten die Ausländerbeiräte gestärkt werden, die Berufung von Rassismus-Beauftragten angeregt und Möglichkeiten der Begegnung von Deutschen und Ausländerinnen und Ausländern organisiert werden.

Bündnisse unter Mitwirkung von Kirchen, Gewerkschaften und Parteien sollten Kampagnen durchführen, die für die Probleme der Flüchtlinge sensibilisieren, rechtsextremistische Haltungen und Aktivitäten ächten und solidarische Zusammenarbeit mit Ausländern zur Lösung ihrer Probleme und zur Förderung ihrer Integration organisieren.

In einer mittelfristigen Perspektive wurden Konzepte für eine Erziehung zu einer globalen Ethik gefordert, langfristig die Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts global verantwortlicher Politik. Auf Bundesebene müsse ein Einwanderungskonzept entwickelt und ein neues Staatsangehörigkeitsrecht geschaffen werden.

Ein Dissens über die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz mit Einwanderungsquoten konnte nicht ausreichend diskutiert werden, weil die Zeit dafür fehlte.

Während Katharina Focke vehement für ein Gesetz zur Regelung der Einwanderung mit Zuwanderungsquoten eintrat, vor allem mit dem Argument, dadurch würde das Asylrecht entlastet, das bisher der einzige Zugangsweg zur Bundesrepublik für Flüchtlinge mit unterschiedlichen – also auch Armutsfluchtgründen – sei, warnte Manfred Nitsch nicht weniger engagiert vor Einwanderungsquoten. Er sieht darin das Interesse, billige, anspruchslose Arbeitskräfte für unseren Arbeitsmarkt zu rekrutieren, die Arbeiten tun, für die Deutsche sich zu schade sind und dies zu Konditionen, die unter dem gewerkschaftlich erkämpften Niveau liegen. Für die Herkunftsländer der quotierten Einwanderer würde nichts zur Lösung ihrer Armutsprobleme beigetragen. Im Gegenteil, ihnen würden die Mobilsten, u.U. auch Bestqualifizierten davonlaufen, um in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme zu finden.

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Manfred Nitsch plädierte für das uneingeschränkte Recht auf politisches Asyl und auf Aufnahme als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention, im vollen Wissen darum, daß die Zuwanderung aufgrund dieser Rechte verwaltungsmäßig weniger leicht zu bewältigen ist, als langfristig planbare Einwanderungsquote. Flüchtlingsströme entstehen, so Prof. Nitsch, schubweise und in unvorhersehbaren Dimensionen (durch politische Umbrüche, Natur- und Ökokatastrophen, Kriege, u.a.m.) und es gilt, die administrativen Strukturen an diese Bedingungen anzupassen, nicht umgekehrt! Vorbild können die Strukturen der Katastrophenhilfe sein."


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