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TEILDOKUMENT:
Ursula Schmeling-Brinkmann
In Konkurrenz um ausländisches Kapital liefern sich die Staaten Subsahara-Afrikas zur Zeit einen gnadenlosen Wettbewerb. Verstaubte Investmentcodes werden aus der Schublade geholt und wieder auf Hochglanz poliert. Niedrige Steuern, großzügige Zollbefreiungen, Freihandelszonen und billige Arbeitskräfte sollen Investoren aus Europa, Asien und Amerika anlocken, um die Industrialisierung dieser Länder endlich voranzubringen. Arbeitsplätze müssen geschaffen werden, denn das Heer der Nicht- und Unterbeschäftigten gefährdet zunehmend den sozialen Frieden auf diesem Kontinent. Doch der Erfolg der eingeleiteten Maßnahmen ist mäßig. Die Textilindustrie ist einer der Wirtschaftszweige, der im Mittelpunkt des Interesses steht. Die Erzeugung von Garnen, Stoffen und fertiger Bekleidung, insbesondere aus heimischer Baumwolle, hat eine lange Tradition in Subsahara-Afrika, vor allem in Westafrika. Bereits die arabischen Reiseberichte aus dem 9. Jahrhundert erwähnen zunftähnliche Spinner- und Webergemeinschaften sowie einen regen Handel mit Stoffen. Während der Kolonialzeit wurde die Textilproduktion zwar weitgehend unterbunden und Subsahara-Afrika zum Rohstoffproduzenten degradiert, doch inzwischen gibt es in jedem Land wieder eine mehr oder weniger gut funktionierende Textilindustrie - Baumwollspinnereien, "Pagne"webereien, Produktionsunternehmen für traditionelle Bekleidung und europäische Mode. Es handelt sich hier vorwiegend um Kleinbetriebe und einige meist staatliche Großbetriebe, die leider oft nur hinter hohen Zollbarrieren Überlebenschancen haben. Mittelständische Firmen fehlen fast überall. Die meisten Märkte Subsahara-Afrikas sind kaufkraftmäßig auch bei einer großen Bevölkerung klein. Legale Exporte in die Nachbarländer sind meist nicht praktikabel, die bürokratischen Hindernisse unüberwindbar, und der Schmuggel blüht. Veränderungen in der staatlichen Preisbildung, aber auch legale oder illegale Importe verändern oft über Nacht die Existenzgrundlage dieser Industrie. So haben Billigimporte aus anderen westafrikanischen Ländern und illegale Einfuhren die Textilindustrie an der Elfenbeinküste fast ganz zu Grunde gerichtet. Da die Textilindustrie nach Beendigung der Kolonialzeit vor allem mit dem Ziel der Importsubstitution aufgebaut wurde, ist eine Exportorientierung auf lukrative erste oder zweite Weltmärkte nur unter großen Schwierigkeiten zu erreichen. Der Abbau von Importzöllen hilft dabei, ist aber unzureichend. Daher versuchen die einzelnen Länder, Investoren im Ausland für den Aufbau neuer Exportbetriebe zu gewinnen. Doch bisher sind fast nur Lohnfertigungswerke (verlängerte Werkbänke) entstanden, die zwar Arbeitsplätze schaffen, aber nur einen geringen Gewinn erzeugen. Kreative Modefirmen wie sie heute z.B. in Hongkong existieren, lassen in den meisten Ländern weiter auf sich warten. Mauritius, vielfach auch das "Hongkong Afrikas" genannt, zählt im Textilbereich zu den erfolgreichsten Ländern in Subsahara-Afrika. Mit den in den Freihandelszonen hergestellten Textilien avancierte die Insel zum zweitgrößten Pulloverexporteur und zum drittgrößten Strickwarenexporteur der Welt. Bei Strickwaren mit Wollsiegel ist die kleine Insel sogar Weltspitze. Die Textilindustrie hat sich mit etwa 600 Firmen zum Hauptdevisenbringer entwickelt. Vollbeschäftigung und ein Lebensstandard, der weit über afrikanischem Durchschnitt liegt, sind die Folge der erfolgreichen Wirtschaftspolitik. Dabei ist Mauritius kleiner als Luxemburg und ohne nennenswerte Rohstoffreserven. Trotz eines Investitionsförderungsvertrages und eines Doppelbesteuerungsabkommens ist die Bundesrepublik in Mauritius mit lediglich zwölf Textilfirmen (Hemdenstoffe, Herrenoberbekleidung, Strickwaren) vertreten. Über weitere Projekte wird jedoch verhandelt. Größter deutscher Investor ist die Firma Corona. Aber auch Boss, Betty Barclay und viele Warenhauskonzerne lassen hier schneidern und stricken. Als Folge der Vollbeschäftigung und der steigenden Löhne setzen Unternehmer in Mauritius zunehmend auf moderne, arbeitskräftesparende, computergesteuerte Web- und Strickmaschinen und versuchen so, in attraktivere Märkte vorzustoßen und eigene Märkte zu entwickeln. Eines der Länder, das ebenfalls auf den systematischen Ausbau seiner Textilindustrie mit ausländischer Hilfe setzt, ist Madagaskar. Hier startete man den Versuch, mit einem vollkommen überholten Investitionsgesetz und der Schaffung industrieller Freizonen, den erfolgreichen Nachbarn Mauritius zu übertrumpfen. Die Einkommenssteuer in den Freihandelszonen wurde auf zehn Prozent und somit fünf Prozent geringer als in Mauritius, angesetzt. Mit umgerechnet 45 DM im Monat sind die madagassischen Arbeitskräfte billiger als die auf Mauritius. Unter den ersten Interessenten, die bei den madagassischen Behörden anklopften, waren ausgerechnet mauritianische Unternehmen, die hier mehr und billigere Arbeitskräfte finden. Zugleich eröffnet sich für Mauritius die Möglichkeit, andere Industriebereiche zu entwickeln, um die Abhängigkeit von der, in der eigenen Freizone wuchernden Textilindustrie, zu mildern. Aber auch drei französische Firmen zeigten erstes Interesse an einer Produktionsstätte in Madagaskar. Mit dem Ziel, Tausende von Arbeitsplätzen und ein Paradies für Investoren zu schaffen, ist Togo angetreten. Ausländische Unternehmen, die mindestens 80 Prozent ihrer Produktion exportieren, sollen zehn Jahre lang vom Fiskus verschont bleiben. Ab dem elften Jahr wartet auf sie ein verbilligter Steuersatz von elf Prozent. Anvisierte Bereiche sind die Elektroindustrie, die Werkzeugherstellung und zur Verarbeitung der heimischen Baumwolle, die Textilindustrie. An dem Wettbewerb um günstige Investitionsbedingungen beteiligt sich auch Kenia, das lange Zeit als wirtschaftliches "Musterländle" galt. Wegen der geringen Lohnkosten sind auch hierher einige mauritianische Textilbetriebe ausgewandert. Zimbabwe, das bereits seit einigen Jahren erfolgreich Textilien nach Großbritannien und in die USA exportiert, erzielt auch in der Bundesrepublik Exporterfolge mit einer Joint-Venture Produktion von Sportbekleidung. Swaziland, begünstigt durch die Nähe des großen südafrikanischen Marktes, ist es ebenfalls gelungen, eine exportorientierte Textilwirtschaft in kleinem Rahmen aufzubauen. Das in Nigeria verabschiedete Programm zur strukturellen Anpassung hat erhebliche Auswirkungen auf die dortige Textilindustrie. Der Druck zur forcierten Verwertung einheimischer Rohstoffe ließ Textilbetriebe große Beträge in Baumwollplantagen investieren. Die Exportanstrengungen der Industrie haben dazu geführt, daß in vielen westafrikanischen Nachbarländern schwer zu überbrückende Knappheiten an Textilien eintreten würden, wenn Nigeria seine Grenzen schlösse. Die Qualität der Waren ist inzwischen so gut und zum Beispiel der Erfolg auf dem US-Markt so groß, daß der Kongreß im vergangenen Jahr Überlegungen anstellte, ob nicht Quoten für die Einfuhr nigerianischer Textilien eingeführt werden müßten. Es ist schwierig, das tatsächliche Ausmaß des Exports zu erfassen, da der Exporthandel nur mangelhaft organisiert ist und der Schmuggel erheblich ist. Der Zusammenbruch der Ets. R. Gonfreville (ERG) Textilfabrik, die 1932 an der Elfenbeinküste gegründet wurde, als die älteste Textilfabrik im frankophonen Westafrika gilt und bis vor kurzem größter Textilproduzent in Afrika war, zeigt deutlich die Probleme der afrikanischen Textilindustrie. Durch die jetzt eingeleitete Privatisierung und die Reduzierung der Belegschaft auf zehn Prozent findet ein enormer Strukturwandel statt. Haupthemmnisse beim Aufbau einer exportorientierten Textilindustrie sind die Investitionskosten in Subsahara-Afrika, die nach Expertenmeinung um 50 bis 100 Prozent höher als in der vergleichbaren Region Südostasiens liegen. Eine schlechte Infrastruktur, hohe Transportkosten innerhalb der Länder und nach Europa, eine unzuverlässige Wasser- und Stromversorgung und nicht funktionierende Telekommunikationsmittel wirken auf potentielle Investoren abschreckend. Zwar wirken niedrige Lohn- und Gehaltskosten als Anreiz, doch ergibt sich häufig ein anderes Bild, wenn die Lohnkosten in Relation zur Arbeitsproduktivität gesetzt werden. Denn diese ist in Afrika, von Ausnahmen wie Mauritius abgesehen, wesentlich niedriger als vergleichsweise in Asien. Zu Beginn der 80er Jahre waren die Löhne in den meisten afrikanischen Ländern noch höher als in Südostasien und wurden erst im Zuge von Abwertungen "nach unten angepaßt". Hinzu kommt die mangelnde Qualifikation einer Vielzahl von Arbeitskräften, die erst angelernt werden müssen. Es ist auch nicht möglich, in allen Ländern Leistungslöhne durchzusetzen. Für die von vielen Regierungen favorisierten Joint-Ventures fehlen oft potente, kapitalkräftige lokale Partner, die nicht nur an schnellem Geld interessiert sind, sondern an langfristig angelegten Industrieprojekten. Probleme gibt es auch bei den Rohstoffen, denn die lokal produzierte Baumwolle entspricht nicht immer den Qualitätsanforderungen. In Ghana, wo man sich seit Mitte der achtziger Jahre um den Aufbau einer Textilindustrie bemüht, müssen rund 90 Prozent der Rohstoffe aus dem Ausland importiert werden. Einzelne Textilfirmen haben mittlerweile begonnen, eigene Anbauflächen zu bearbeiten. Die Regierung fördert vor allem den kleinbäuerlichen Anbau von Baumwolle. In Nigeria engagiert sich die Textilindustrie ebenfalls im Baumwollanbau. In Mali stellt die Europäische Investitionsbank erhebliche Mittel zum Bau einer weiteren Baumwollentkörnungsanlage und für die Modernisierung bestehender Betriebe zur Verfügung, um die Faserqualität zu verbessern. In Kenia wird seit neuestem die Seidenproduktion durch Kleinbauern gefördert. Wo zusätzlich zu diesen Problemen noch Investitionsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen fehlen (wie z.B. in Kenia), sind die deutsche Industrie und entwicklungspolitische Organisationen äußerst zurückhaltend. Trotzdem wollen die afrikanischen Länder die Produktion in diesen Sektoren weiter vorantreiben. Vor allem Frauen finden in der Textilindustrie Arbeitsplätze. Zwar meist "nur" in Leichtlohngruppen, doch in Ländern mit einer offenen oder aber verdeckten Arbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent ist jeder Arbeitsplatz besser als keiner. Zudem stärkt der eigene Lohn das Selbstbewußtsein und die Stellung der Frau in der Familie. Dies kann zwar gerade in moslemischen Ländern zu familiären Spannungen führen, wirkt sich aber für die Frauen meist positiv aus. Die Textilindustrie eröffnet ihnen Aus- und Fortbildungs- sowie Aufstiegchancen von der Vorarbeiterin über die Qualitätskontrolle, bis hin zur Managerin und Designerin; Chancen, die Frauen sonst vielleicht nicht hätten. Durch den Umgang mit hochtechnischem Gerät eröffnen sich für die Frauen zunehmend auch Möglichkeiten zum Wechsel in andere, besser zahlende Branchen wie Elektrotechnik und Elektronik. Zur Überwindung von Arbeitslosigkeit setzen Frauengruppen auch im Textilbereich zunehmend auf Produktionskooperativen und werden darin von verschiedenen internationalen Entwicklungsorganisationen unterstützt. Diese Arbeitsplätze führen zu sozialen und politischen Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen in Afrika, die nur zu begrüßen sind. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 12.1. 1998 |