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TEILDOKUMENT:
Annabelle Gambe
Als Entwicklungsstrategie versprach die internationale Arbeitsteilung - basierend auf natürlichen Vorteilen, wie günstigen klimatischen Verhältnissen und einem Heer billiger Arbeitskräfte - allen beteiligten Ländern Nutzen. Deshalb spezialisierten sich viele Länder auf die Produktion von Erzeugnissen, die sie aufgrund ihrer spezifischen Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig machen sollte. Ohne die unterschiedlichen Entwicklungsniveaus der Dritte-Welt-Länder zu berücksichtigen, läßt sich für diese Strategie jedoch folgendes feststellen: Sie degradierte die technologisch rückständigen Länder zu bloßen Exporteuren von Rohstoffen und einigen Halbfertigprodukten und ließ allein die technologisch fortschrittlichen Staaten zu Produzenten hochwertiger, kapitalintensiver Güter und moderner Technologie aufsteigen. Nachdem die Unvereinbarkeit dieser Arbeitsteilung mit den Interessen der Entwicklungsländer offenbar wurde, betrachtete man dieses Konzept als den Versuch des Nordens, die Länder der Dritten Welt in einem Zustand permanenter Unterentwicklung zu halten. Um ihre Abhängigkeit von teueren importierten Gütern zu verringern, wandten sich viele Länder des Südens einer neuen Entwicklungsstrategie zu: dem Aufbau einer eigenen Industrie zur Importsubstituierung. Es erwies sich allerdings, daß die Investitionen zur Beschaffung und zum Unterhalt der nötigen Maschinen sehr viel höher waren als zuerst angenommen. Da viele der neuen Betriebe für ihr Überleben auf die Unterstützung der Regierung angewiesen waren, wurden ihre Betriebskosten zu einer ständigen Belastung für die Devisenreserven des Landes. Abgesehen davon litt der Sektor von Anfang an aufgrund ungleicher Einkommensverteilung unter der fehlenden Nachfrage im Inland. Als die Wirtschaftsentwicklung im Süden jedoch zu stagnieren begann und die Armut weiter zunahm, griffen viele Länder der Dritten Welt wieder auf die alte Exportstrategie zurück. Nur dieses Mal bezeichneten sie ihr Verfahren als "exportorientierte Industrialisierung". Dies bedeutete, daß sie versuchten, ausländische Investoren davon zu überzeugen, Fertigungsbetriebe in die Entwicklungsländer zu verlegen. Dabei hofften sie vom Zufluß von Kapital und moderner Technologie zu profitieren und das eigene Wachstum anzukurbeln. In der Folge entbrannte ein heftiger Konkurrenzkampf unter den Entwicklungsländern um den größten Anteil an ausländischen Investitionen. Besondere Anreize wie Steuerfreiheit, unbegrenzter Gewinntransfer an die Muttergesellschaft, eine passende Infrastruktur, Mengen an Rohstoffen und ein Pool billiger Arbeitskräfte waren die "Waffen", die sie gegeneinander einsetzten. Wie zu erwarten war, begrüßten die Industrieländer die neue Exportorientierung des Südens. Investitionen seitens der Privatwirtschaft begannen zu strömen, begleitet von großzügigen Unterstützungsmaßnahmen der jeweiligen Regierungen. Die Bedeutung für Exportförderungsprogramme der Länder dient nun oft genug als Begründung für die Vergabe von Krediten für Infrastrukturprojekte.
Export weiblicher Arbeitskraft als Krisenmanagement
Ein Hauptfehler der meisten Länder, die den Aufbau einer exportorientierten Industrie betreiben, ist die Einseitigkeit, mit der sie dabei vorgehen. Während sie alle Anstrengungen darauf konzentrieren, allein das produzierende Gewerbe zu fördern, schaffen sie in Wirklichkeit eine Enklaven-Wirtschaft. Die Entwicklung in den ländlichen Gebieten, wo der größte Teil der Bevölkerung lebt, stagniert. Es ist aber gerade das verarmte Land, das die Fabriken mit Arbeitskräften versorgt und die überwältigende Mehrzahl dieser Arbeitskräfte sind Frauen. Statistiken zeigen, daß in den Exportfertigungszonen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, in denen sich die ausländischen Betriebe konzentrieren, 70 Prozent aller Beschäftigten Frauen sind. "Frauen werden in Süd- und Südostasien als fügsame und leicht manipulierbare Arbeitskräfte angesehen, die zur gleichen Zeit auch noch produktiv sind", fand eine Studie heraus (Mies 1986: 117). Trotz unmenschlicher Arbeitsbedingungen, sehr niedriger Löhne und sogar sexueller Übergriffe ziehen viele Frauen die Arbeit in der Fabrik jedoch der Armut auf dem Land vor. Das produzierende Gewerbe aber ist nicht in der Lage, die wachsende Zahl arbeitssuchender Frauen aufzunehmen. Zusätzlich verschärft wird der Kampf um die Arbeitsplätze, wenn sich besser ausgebildete Frauen - sowohl aus ländlichen wie auch aus urbanen Gebieten - in das Heer der Arbeitssuchenden eingliedern. Auf das Problem der wachsenden Arbeitslosenrate, die zu sozialen Unruhen führen könnte, haben viele Regierungen jedoch eine einfache Antwort gefunden: den Export weiblicher Arbeitskräfte. Mit ihren Vorteilen im Vergleich zu anderen - ausgebildet, fügsam und billig - hat dieser Teil der Arbeiterschaft gute Chancen auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Einer der größten Exporteure weiblicher Arbeitskraft sind die Philippinen. Von den drei Millionen Filipinos, die in Übersee arbeiten, sind mehr als die Hälfte Frauen (WRRC 1990:4). Der Trend zu einer Dominanz der Frauen unter den Auslandsarbeitern setzte bereits 1987 ein, als der Anteil männlicher Arbeiter an der Gesamtzahl der Auslandsbeschäftigten auf 51,7 Prozent sank, während der Anteil der Frauen auf 48,2 Prozent stieg. Statistiken des philippinischen Arbeitsministeriums (zitiert nach dem offiziellen philippinischen Entwicklungsplan für Frauen zwischen 1989 und 1992) zeigen für diesen Zeitraum die geographische Verteilung der Auslandsarbeiterinnen wie folgt:
Mit 59,2% ist die Mehrzahl der Frauen im Dienstleistungssektor beschäftigt, wobei 75,9 % von diesen als Haushaltshilfen angestellt sind. Die übrigen 34,8% aller philippinischen Auslandsarbeiterinnen verteilen sich auf die anderen Wirtschaftssektoren. Mit 50,3% überwiegt dabei allerdings die Unterhaltungsbranche. Mit einer offiziellen Stellungnahme des damaligen Staatspräsidenten Ferdinand Marcos stellte die philippinische Regierung 1982 ein Programm zum systematischen Export weiblicher Arbeitskräfte auf: "Arbeit im Ausland", so Marcos, "löst gleich zwei Hauptprobleme: Arbeitslosigkeit und den Ausgleich der Zahlungsbilanz." Zu diesem Zweck schufen die Philippinen innerhalb des Arbeitsministeriums eine eigene Abteilung, deren Aufgabe die Entwicklung "einer zusammenhängenden Strategie für die Anwerbung philippinischer Arbeitskräfte" sein sollte. Sogenannte "Marketing-Missionen" reisten rund um den Globus, immer auf der Suche nach neuen Märkten für philippinische Arbeitskräfte. Aufgrund dieser Maßnahmen sank die Arbeitslosenquote bis 1990 von den 11,1 % des Jahres 1985 auf 8,3%. Die Auslandsbeschäftigten machten dabei 34% der gesamten Arbeiterschaft aus (FEER 13. Juni 1991, 39). Neben dem willkommenen Effekt auf den Arbeitsmarkt hat der Export von Arbeitskräften seit 1983 auch die philippinische Wirtschaft über Wasser gehalten. Schon 1985 waren die Überweisungen der Auslandsbeschäftigten die zweitgrößte Devisenquelle des Landes (CIIR 1987, 30). Allein die Summe, die weibliche Arbeiter alljährlich nach Hause schicken, beläuft sich nach vorsichtigen Schätzungen auf 463 Millionen US-Dollar (PDPW, 121). Keine unbedeutende Summe für ein Land, das 1990 680 Millionen US-Dollar an Zinsen für seine enormen Auslandsschulden zahlen mußte (FEER 13. Juni 1991, 39).
Frauen in der Tourismusbranche
Ein anderer Wirtschaftsbereich, den Entwicklungsländer zu fördern begannen, als ihre Import-Substituierungsstrategie ins Trudeln geriet, ist der Tourismus. Allerdings kam dies nicht von ungefähr. Schon 1958 bildeten das "US-Department of Commerce" und die "Pacific Area Travel Commission" eine Sonderforschungsgruppe, die die Länder des Fernen Ostens und des Pazifiks bereiste, um ihr Entwicklungspotential in Sachen Tourismus auszuloten. Der sogenannte "Checchi-Report", der die Forschungsergebnisse zusammenfaßte, konstatierte nicht nur das völlige Fehlen des Tourismus in der Region, sondern lockte auch mit den "spektakulären Auswirkungen", die ein Entwicklungsprogramm in diesem Bereich haben könnte (Wood 1979: 274). Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Schon in den Jahren 1958 bis 1968 wuchs der internationale Tourismus und konnte sich in den 60ern als weltgrößter einzelner "Exportartikel" (Wood: 274) etablieren. Tourismus als Instrument der Entwicklung erhielt in den folgenden Jahren die umfassende Unterstützung internationaler Organisationen. Einige Resolutionen der Vereinten Nationen (UNO) begrüßten den Tourismus gar als eine grundlegende und wünschenswerte menschliche Aktivität, die das Wohlwollen und die Unterstützung aller Menschen und Regierungen verdient. Darüber hinaus begann auch die Weltbank-Gruppe, den internationalen Tourismus in Dritte-Welt-Ländern mit Entwicklungsgeldern zu fördern. Zusammen mit der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA) unterstützte die Weltbank den Aufbau touristischer Infrastruktur und gewährte auch technische Hilfe. Der wichtige Beitrag zur touristischen Entwicklung des Landes diente zum Beispiel bei Krediten für das Transportwesen oft genug als Begründung für die Vergabe. Schätzungen der UNO weisen darauf hin, daß der Tourismus, gleich nach dem Export von Rohöl, die zweitgrößte Devisenquelle der Entwicklungsländer ist und Arbeitsplätze für etwa 50 Millionen Menschen schafft (Nuscheler 1991: 108). In Thailand liegt der Tourismus als Devisenbringer sogar an erster Stelle. Mit geschätzten drei Milliarden US-Dollar jährlich trägt der Tourismus mit 5% zum Bruttosozialprodukt des Landes bei und macht ein Drittel aller Dienstleistungen aus (Schloßstein 1991: 196-197). Unumstritten ist allerdings auch, daß zu Thailands Tourismusindustrie auch die Entwicklung der Prostitution gehört. Sie wird, obwohl illegal, von der Regierung indirekt gefördert. Berichte sprechen in diesem Zusammenhang davon, daß ein ehemaliger Vize-Premierminister des Landes die Provinzgouverneure aufgefordert habe, die nationalen Bemühungen um den Tourismus zu unterstützen, indem sie "bestimmte Aktivitäten förderten, die manche als widerwärtig oder empörend empfinden, weil sie mit sexuellen Vergnügungen verbunden sind. Dies aber ist nötig, unter Berücksichtigung der Arbeitsplätze, die für die Menschen geschaffen werden" (Mies 1986: 138; Schloßstein 1991: 197). Offiziellen Schätzungen zufolge arbeiten um die 500.000 Thailänderinnen, das wäre etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung, als Prostituierte. Schätzungen privater Institutionen sprechen sogar von nahezu einer Million. Ähnlich wie für Thailand ist auch für die Philippinen der Tourismus eine Haupteinnahmequelle für Devisen. Mit 1,28 Milliarden US-Dollar in 1991 (FEER 3. Sept. 1992: 40) brachte er sogar geringfügig mehr ein, als die philippinischen Auslandsarbeiter, die im Jahr zuvor etwa 1,2 Milliarden US-Dollar nach Hause schickten (FEER 13. Juni 1991: 42). Wie in Thailand so ist die Prostitution auch auf den Philippinen illegal. Dennoch arbeiten dort nach Schätzungen 250.000 Prostituierte (WRRC 1990: 7). In diesem Zusammenhang ist es allerdings wichtig zu erwähnen, daß schon vor der planvollen Entwicklung der Tourismusindustrie Prostitution sowohl in Thailand als auch auf den Philippinen und in Vietnam ein blühendes Geschäft war. Die Präsenz US-amerikanischer Streitkräfte und Militärbasen in allen drei Ländern hatten die Region längst zum "Rest an Recreation Centre" für die dort stationierten Soldaten gemacht. Noch zwei Jahrzehnte nach dem Rückzug der US-Streitkräfte von ihren Basen im Norden Thailands wird der US-Pazifikflotte auch heute ein enthusiastisches Willkommen geboten, wenn sie in einem thailändischen Hafen einläuft. Als in Pattaya zum Beispiel 8.000 US-Soldaten Landgang hatten und innerhalb von fünf Tagen drei Millionen US-Dollar ausgaben, wollte ein Hotelier die "maßgebliche Rolle, die die US-Navy für die lokale Wirtschaft spielt, hervorgehoben wissen (Schloßstein 1991: 197). Bis vor kurzem existierte auf den Philippinen mit Subic Bay der größte US-Marinestützpunkt westlich von Hawai. Diese Basis hat seit ihrer Eröffnung im Jahre 1904 die nahegelegene Stadt Olongapo in das größte "Rest and Recreation Centre" des Landes verwandelt. Wenn die Schiffe der siebten US-Flotte in Subic Bay festmachten, suchten bis zu 10.000 US-Soldaten die Dienstleistungen der 15.000 bis 17.000 Prostituierten in Olongapo-Stadt. Zu Zeiten des Vietnamkrieges waren ungefähr 16.000 'Hospitality Women' - eine euphemistische Umschreibung für Prostituierte - in der Stadt registriert (WRRC, 7). Das Geschäft hat Olongapo ca. 500 Millionen US-Dollar jährlich eingebracht (Flamiano/Goertzen: 125). Zum Zeitpunkt des Rückzuges der US-Amerikaner aus Vietnam arbeiteten Schätzungen zufolge allein in Saigon 400.000 Prostituierte, eine Zahl, die der Gesamtbevölkerung der Stadt im Jahre 1954 entspricht (Simbulan 1983: 252).
Abschließende Bemerkungen
Es ist deutlich geworden, daß verschiedene Entwicklungsländer in ihren verzeifelten Bemühungen um Devisen für ihr exportorientiertes Industrialisierungsprogramm die weibliche Arbeiterschaft als effektiven Devisenbringer endeckt haben. Um das ganze vorhandene Potential auszuschöpfen, bedient man sich der Frauen auf zweierlei Weise: Erstens als Produzentinnen billiger Exportgüter und zweitens als Exportgut selbst, wobei Frauen als Auslandsarbeiterinnen oder in die Tourismusbranche vermittelt werden. Nutznießer des Entwicklungsprozesses, den zu finanzieren sie geholfen haben, sind diese Frauen jedoch kaum. Ohne Arbeitsplatzsicherheit und mit geringem sozialem Schutz, sind sie Übergriffen ihrer Arbeitgeber ausgeliefert. Versuche der im Land arbeitenden Frauen, sich zu organisieren, werden durch repressive Maßnahmen des Staates sofort unterdrückt. Diejenigen, die an diesen Versuchen teilnehmen, werden entlassen. Für die Frauen, die in Übersee als Haushaltshilfen und in der Unterhaltungsbranche arbeiten, sieht es ebenso schlecht aus. Auch sie sind vor willkürlichen Entlassungen durch ihre Arbeitgeber nicht geschützt, und die Angst um ihre Jobs macht sie schweigsam. Ein Wirtschaftsfaktor, aber dennoch machtlos; das ist wohl die genaueste Beschreibung der Lage weiblicher Arbeitskräfte. Ohne weitreichende strukturelle Änderungen, die die Stellung der Frau in der Gesellschaft verbessern, wird ihre Machtlosigkeit weiterhin dafür sorgen, daß die Regierung auch weiterhin über diese willigen Devisenbeschafferinnen verfügen kann. Die Machtlosigkeit der Frauen bestärkt den Staat nur darin, seine absolute Kontrolle über die weibliche Arbeiterschaft zu festigen. Wird es den Frauen im Lichte dieser Verhältnisse in den Entwicklungsländern gelingen, ihre Chance wahrzunehmen und ihre Rolle weg von bloßen Instrumenten der Entwicklung hin zu aktiver Teilhabe zu verändern? Der Kampf um die Transformation der Gesellschaft ist ermüdend und schwierig. Wollt ihr, Frauen in den Industriestaaten, nicht an diesem Prozeß teilnehmen?
Literatur
Catholic Institute for International Relations (CIIR) 1987. The Labour Trade. Lon don Far Eastern Economic Review (FEER), various issues. Flamiano, Dolores/Donald Goertzen (eds.) 1990. Critical Decade. Prospects for Democracy in the Philippines in the1990s. Berkely, California Menzel, Ulrich 1993. Geschichte der Entwicklungstheorie. Hamburg Mies, Maria 1986. Patriarchy and Accumulation on a World Scale. Women in the International Divison of Labour. United Kingdom. Nuscheler, Franz 1991. Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik. 3. Auflage, Bonn Philippine Development Plan for Women (PDPW) 1989-1992 Schloßstein, Steven 1991. Asia's New Little Dragons. Chicago Simbulan, Roland G. 1983. The Bases of our Insecurity. A Study of the US Military Bases in the Philippines. Manila Women's Resource and Research Center (WRRC) 1990. Information Kit on Filipino Women. Manila © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek | 9.1. 1998 |