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TEILDOKUMENT:
Prof. Bruno Simma:
Meine Aufgabe ist es, in Recht und Verfahren nach dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte einzuführen. Dabei werde ich absichtlich lückenhaft bleiben, weil es zwischen Herrn Windfuhr, Herrn Zöckler und mir eine Arbeitsteilung geben soll. Danach werde ich mich auf eine allgemeine Vorstellung des Paktes beschränken und dabei vor allem über das Verfahren der Kontrolle der Vertragserfüllung durch die Vertragsparteien sprechen. Ich nehme an, daß sich die beiden anderen Referenten anschließend mehr mit den materiellrechtlichen Verpflichtungen aus dem Pakt und deren Implikationen auch im innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik beschäftigen werden. Ich habe mir einmal überlegt, wie man den Sozialpakt charakterisieren könnte, und habe dafür einmal den Begriff eines "Mauerblümchens" gebraucht. Dieser Begriff ist aber heute wohl nicht mehr politically correct. Daher habe ich mir ein weniger sexistisches Bild überlegt. Die Zuhörer in meiner "Altersklasse" werden sich vielleicht noch erinnern, daß man früher, bevor Bodybuilding zum Volkssport wurde, oft in Magazinen eine Werbung für einen frühen Vertreter des Bodybuilding namens Charles Atlas sehen konnte, die ihn als "90-pound-weakling" zeigten, und dann ein angeblich ein halbes Jahr später aufgenommenes Foto, auf dem Herr Atlas schon viel stattlicher aussah. Nun, als der neue Überwachungsausschuß 1987 geschaffen wurde, war der Pakt in der Tat windelweich anzusehen. In meinem Referat hoffe ich, Sie davon überzeugen zu können, daß er inzwischen einige Muskeln angesetzt hat, und damit etwas eindrucksvoller - wenngleich noch lange nicht bedrohlich - aussieht. Mit anderen Worten: Eine Art völkerrechtlicher Schwarzenegger ist aus dem Pakt auch heute noch nicht geworden; dies zu Ihrer Beruhigung. Im übrigen gehe ich davon aus, daß Sie mit den grundsätzlichen Daten des Pakts vertraut sind. Er ist 1966 von der VN-Generalversammlung angenommen worden, 1976 in Kraft getreten und umfaßt gegenwärtig immerhin 130 Vertragsparteien. Interessant für seine Einschätzung ist aber, daß er in der Bundesrepublik in beinahe allen Aufzählungen der maßgeblichen Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen immer als zweiter nach dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte genannt wird. Dies ist auch mir passiert, bevor ich in den Überwachungsausschuß gewählt worden bin: In einer von mir herausgegebenen Textsammlung im Beck-Verlag ist der Sozialpakt wie von selbst an die zweite Stelle gerutscht. Offiziell aber rangiert der Sozialpakt an erster Stelle vor demjenigen über bürgerliche und politische Rechte. Ich erwähne diesen Punkt deswegen, weil er meines Erachtens ein bezeichnendes Licht auf die Geringschätzung oder Vernachlässigung des Sozialpaktes wirft. Der Pakt ist in fünf Teile gegliedert: In seinem ersten Teil ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker verankert, das nach herrschender Auffassung in unseren Breiten in einem Menschenrechtsvertrag einen Fremdkörper darstellt, nach überwiegender Meinung im Rest der Welt aber - jedenfalls in seiner antikolonialistischen Ausprägung - als Grundlage für den Genuß aller weiteren Menschenrechte angesehen wird. Anschließend enthält der Vertrag einige allgemeine Bestimmungen, auf die ich später noch eingehen werde. Dann folgt der Katalog der materiellen Verbürgungen: Artikel 6: Recht auf Arbeit; Artikel 7: Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen; Artikel 8: Gewerkschaftliche Rechte und Streikrecht (die einzige Bestimmung in einem Menschenrechtsvertrag der Vereinten Nationen, in dem dieses Recht ausdrücklich anerkannt ist); Artikel 9: Soziale Sicherheit (Sozialversicherung); Artikel 10: Recht auf besonderen Schutz von Familie, Müttern und Kindern; Artikel 11: Recht auf einen angemessenen Lebensstandard; Artikel 12: Recht auf Gesundheit; Artikel 13, 14: Recht auf Bildung; Artikel 15: Recht auf Kultur. Ich nehme an, daß die Herren Windfuhr und Zöckler zu diesen Rechten und den daraus erfließenden Verpflichtungen noch einiges sagen werden. Ich selbst möchte nur bemerken, daß die Lektüre z.B. des Artikels 11 des Paktes schon die Frage provoziert, ob eine derartige Bestimmung überhaupt mehr sein kann als eine Aufzählung von guten Absichten oder ein Programmsatz ohne eigentlichen juristischen Verpflichtungscharakter. Lassen Sie mich zitieren: "Die Vertragsparteien erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen." Wiederum ein mea culpa: In einem von mir mitverfaßten Lehrbuch des Völkerrechts habe ich seinerzeit geschrieben, daß der Sozialpakt nur Programmsätze umfasse. In der Zwischenzeit habe ich diese Auffassung jedoch geändert. Der entscheidende Schritt zum richtigen Verständnis des Paktes ist das Studium seines Artikels 2 Abs. 1. Auch diese Bestimmung wird von meinen Kollegen später vertieft werden, doch lassen Sie mich hier bereits zitieren: "Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen." Zuzugeben ist, daß dieser Artikel auf verschiedene Weise interpretiert werden kann. Vielleicht ist die herrschende Auffassung in unseren Breiten diejenige, die ich vorher erwähnt habe, daß nämlich die Staaten nur zu irgendwelchen Programmen verpflichtet sind. Anderswo hat man den Artikel 2 aber sehr verschieden aufgefaßt. Als etwa die Regierung Carter Ende der 70er Jahre dem US-Kongreß die beiden VN-Menschenrechtspakte zur Genehmigung vorlegte, haben die Kreise, die in den Vereinigten Staaten auch jetzt wieder tonangebend sind, davon gesprochen, daß es sich bei unserem Pakt um einen Vertrag handle, der die Amerikaner praktisch verpflichten würde, die ganze Welt zu alimentieren, um einen "holiday with pay treaty", und so weiter. Für die einen war der Vertrag also der perfekte juristische Papiertiger, wie unser Ausschußvorsitzender, Professor Alston, einmal gesagt hat, für die anderen eine juristische Büchse der Pandora, von der man die Finger lassen mußte, weil die Verpflichtungen, die aus dem Pakt resultieren könnten, in ihrem Ausmaß unvorhersehbar seien. Der Kontrollausschuß, dem ich angehöre, hat sich der Auslegung des Artikels 2 Abs. 1 intensiv angenommen und zu diesem Thema einen sogenannten "General Comment", das heißt, eine allgemeine Kommentierung, abgegeben, in dem er doch einiges klarstellt. In dieser Kommentierung wird etwa ausgeführt, daß der Pakt in der Tat seinem Wesen entsprechend auf progressive, schrittweise Verwirklichung angelegt ist, daß aber dieses Prinzip die Vertragsstaaten beileibe nicht aus ganz konkreten völkerrechtlichen Pflichten entläßt. Jedenfalls müssen die Vertragsstaaten Maßnahmen treffen, was nach den Regeln der völkerrechtlichen Auslegungskunst doch wohl bedeuten muß, daß innerhalb einer angemessenen Frist konkrete und gezielte Schritte zu unternehmen sind. Artikel 2 spricht ferner von der Ergreifung aller geeigneten Mittel. Darunter sind sicher vor allem gesetzgeberische Maßnahmen zu verstehen, doch ist es mit der Erlassung auch der wohlmeinendsten Gesetze nicht getan, weil die Staaten sorgfältig zu prüfen haben, mit welchem legislatorischen oder administrativen Instrumentarium sie in jedem Einzelfalle arbeiten müssen, um ein bestimmtes Paktrecht zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang kann eine richterliche Kontrolle innerstaatlicher Normen und Maßnahmen am Maßstab des Paktes durchaus geboten sein. Hier komme ich auf ein weiteres Vor- oder Pauschalurteil über den Pakt zu sprechen: sehr oft wird nämlich gesagt, daß die Artikel des Sozialpaktes - im Gegensatz zu den Bestimmungen des Paktes über bürgerliche und politische Rechte - einer unmittelbaren Anwendung durch die Gerichte nicht fähig, also nicht justiziabel seien. Ich meine aber, daß bei sorgfältiger Lektüre des Textes und Auslegung der einzelnen Bestimmungen eine ganze Reihe von Artikeln des Paktes in diesem Sinn unmittelbar anwendbar sein kann, so etwa die Diskriminierungsverbote und Gleichbehandlungspflichten, die gewerkschaftlichen Rechte des Artikels 8, die Bestimmungen über das Streikrecht (der Pakt ist der einzige völkerrechtliche Vertrag, der dieses Recht normiert!), der Jugendschutz in Artikel 10 Abs. 3, die Pflicht zur Unentgeltlichkeit des Grundschulunterrichtes sowie Pflichten zur Respektierung bestimmter Elternrechte in der Erziehung. Zusammengefaßt läßt sich also sagen, daß die Aussage, der Pakt enthalte nichts, was unmittelbar anwendbar und justiziabel sei, in dieser Form nicht aufrechterhalten werden kann. Der Ausschuß hat in seinem General Comment über Artikel 2 noch weitere Aussagen zu diesem Thema getroffen, auf die ich aus Zeitgründen hier nicht eingehen kann. Sie lassen sich in etwa so zusammenfassen, daß der Pakt sehr wohl echte Rechtspflichten enthält, die aber ihrerseits wieder flexibel genug sind, um dem Staat den notwendigen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu belassen. Aber wohlgemerkt: Deswegen verschwimmen die Paktpflichten keineswegs ins Konturenlose! Die Verpflichtungen des Paktes sind mehrheitlich sogenannte völkerrechtliche Verhaltenspflichten, im Gegensatz zu sogenannten Ergebnispflichten. Bei diesen Pflichten ist nichts utopisch oder exzessiv, ihre Erfüllung ist durchaus zumutbar und auf die Unterschiede in der wirtschaftlichen Ausgangsposition der verschiedenen Vertragsstaaten kann gebührend Rücksicht genommen werden. Nach diesen Aussagen über den Inhalt der Paktpflichten wende ich mich jetzt mit etwas größerer Ausführlichkeit dem Prüfungsverfahren nach dem Pakt zu, weil dies mein eigentliches Thema ist, das - wenn ich richtig informiert bin - von den übrigen Referenten des heutigen Vormittages nicht wieder aufgegriffen werden wird. Was dieses Verfahren anbetrifft, so scheint es bei einer Prüfung der "Papierform" des Paktes kaum zu existieren. Jedenfalls ist es nach dem Wortlaut wohl das schwächste aller Prüfungsverfahren in den modernen Menschenrechtsverträgen. Es heißt nämlich nur, daß die Vertragsparteien dem Wirtschafts- und Sozialrat (dem sogenannten ECOSOC) regelmäßig nach einem bestimmten Programm über die Maßnahmen zu berichten haben, die sie getroffen haben, über die dabei erzielten Fortschritte, aber auch über die Schwierigkeiten, denen sie bei der Pakterfüllung begegnet sind. Über die Art und Weise der Prüfung dieser Staatenberichte schweigt sich der Pakt aus. Er sieht dann noch vor, daß die VN-Sonderorganisationen einbezogen werden und daß die Menschenrechtskommission ebenfalls irgendwie tätig werden soll. Weitere Prüfungsinstanzen oder griffigere Verfahren - wie eine Staatenbeschwerde oder sogar eine Individualbeschwerde - sind in dem Vertrag gegenwärtig nicht vorgesehen. Einem menschenrechtlichen Aktivisten muß ein derartiger "Kontroll"-Mechanismus wie eine Kodifizierung des Prinzips "wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" erscheinen. Und so war er wohl auch gedacht. Denn angesichts des Fehlens internationaler Übereinstimmung über die Bedingungen paktkonformer Wirtschafts- und Sozialpolitik waren die Vertragsstaaten sehr sensibel und ablehnend gegenüber wirklich spürbarer Einwirkung auf diese Angelegenheiten seitens einer außer- und überstaatlichen Instanz. Im übrigen ist ja bekannt, daß der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte - vielleicht etwas übertrieben - eine Art saurer Apfel war, in den der Westen in den 50er und 60er Jahren beißen mußte, damit die Staaten des Ostens den Pakt über bürgerliche und politische Rechte akzeptierten. Vielleicht läßt sich der "Liebesentzug" der westlichen Staaten gegenüber dem Pakt auch aus diesem Grunde erklären. Aber nicht nur bei den Staaten, sondern auch im Schrifttum überwog anfangs die Meinung, daß, was die Kontrolle der Erfüllung von Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen zum Schutz wirtschaftlicher und sozialer Rechte angeht, ein Berichtsverfahren eigentlich die einzig adäquate, geeignete Möglichkeit darstelle. Dies ist ein Thema, über welches wir uns am Nachmittag bei der Diskussion über die Möglichkeit eines Fakultativprotokolls zum Pakt unterhalten sollten. Wie auch immer man diese Frage beurteilt, jedenfalls stellte sich das ursprünglich vorgesehene Verfahren, wie es seit 1977/78 etwa zehn Jahre lang durchgeführt wurde, geradezu als Karikatur eines internationalen Kontrollverfahrens heraus. Irgendwann wurde dies sogar dem ECOSOC peinlich, worauf er beschloß (gleichsam in einem Anfall tätiger Reue), die Prozedur der Erfüllungskontrolle an das Verfahren, welches sich inzwischen beim Zivilpakt entwickelt hatte, anzugleichen. Nach dem ursprünglichen System prüften nämlich sogenannte "Regierungsexperten" die Staatenberichte. Dazu sei mir die Beobachtung gestattet, daß - jedenfalls für mich als Professor im "Elfenbeinturm" - der Begriff eines Regierungsexperten in gewisser Weise ein Widerspruch in sich ist. Diesen Widerspruch hat man dann in einer zweiten Phase des ursprünglichen Verfahrens noch dadurch verstärkt, daß man von einem Ausschuß "unabhängiger" Regierungsexperten sprach. Nun, wie auch immer, jedenfalls wurde dieses System abgeschafft und seit 1987 ist der jetzige Ausschuß für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, das Committee on Economic, Social and Cultural Rights, tätig. Es besteht aus 18 von den Staaten vorgeschlagenen und dann vom ECOSOC gewählten, unabhängigen Experten. De facto setzt sich der Ausschuß aus einigen Professoren, aus Fachleuten, die in verschiedenen Forschungsinstituten tätig waren, aus Arbeits- und Sozialrechtlern und aus einer relativ großen Zahl von Berufsdiplomaten zusammen. Als der Ausschuß 1987 zum ersten Mal zusammentrat, war in gewisser Weise eine günstige Ausgangsposition für seine zukünftige Arbeit gegeben: Zum ersten lagen die Erwartungen der Paktstaaten an die Effektivität des Kontrollverfahrens nach der Vorgeschichte, die ich soeben geschildert habe, geradezu bei Null, so daß sich die Situation eigentlich nur verbessern konnte. Zum zweiten, und das ist viel bedeutender, fiel die Aufnahme der Tätigkeit des neuen Ausschusses mit dem Beginn des Zusammenbruchs des Ostblocks zusammen, als plötzlich in vielen Gremien der Vereinten Nationen ein frischer Wind zu wehen begann. Dieser frische Wind zeichnete die Arbeit des Ausschusses von vornherein aus. Denken Sie nur daran, daß der Rassendiskriminierungsausschuß seine Arbeit fast 20 Jahre früher, und der Menschenrechtsausschuß (nach dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte) etwa 10 Jahre früher aufgenommen hatte, und daß diese beiden Gremien durch den harten Widerstand der Experten aus den kommunistischen Staaten gezwungen worden waren, sehr zurückhaltende, manchmal sogar fragwürdige, Methoden zu entwickeln, wie etwa die Entscheidungsfindung ausschließlich im Konsens oder ein Verständnis von "Allgemeinen Bemerkungen", nach dem diese Aussagen so "allgemein" zu sein hatten, daß völkerrechtsverletzende Staaten nicht einmal beim Namen genannt werden durften. In unserem Ausschuß wollten die Kollegen aus Osteuropa zwar anfangs ebenfalls in dieses Fahrwasser einschwenken, doch war es mit ihrem Widerstand gegen effektivere Prozeduren nach ein oder zwei Sessionen vorbei (und der ursprüngliche sowjetische Experte, ein echter "hardliner", gegen einen kooperationswilligen Moskauer Professor ausgetauscht). Nach diesen, wenn Sie wollen, "soziologischen", Eingangsbemerkungen nun zum Verfahren selbst: Wenn man die Artikel über das Prüfungsverfahren des Paktes liest und mit dem gegenwärtigen Stand dieses Verfahrens vergleicht, dann zeigen sich hier bedeutsame Unterschiede bzw. Fortschritte. Einerseits könnte man sagen, daß bestimmte Dinge, die der Pakt vorsah, sich in der Realität nicht verwirklichen ließen. So ist vor allem die Rolle der Sonderorganisationen viel bescheidener ausgefallen als im Text des Vertrages vorgesehen, wobei allerdings die ILO noch am meisten zur Arbeit des Ausschusses beiträgt, andere Sonderorganisationen sind kaum präsent. Die VN-Menschenrechtskommission befaßt sich zwar auf jeder Sitzung mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, nimmt aber in bezug auf den Sozialpakt und das Prüfungsverfahren danach keine eigentliche Funktion wahr. Die Kehrseite dieser Abstinenz seitens anderer Glieder der VN-Familie ist aber nun, daß der Ausschuß eine gewisse Autonomie besitzt. Er ist gegenwärtig das einzige Organ innerhalb der UNO, welches sich ausschließlich und vertieft mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten beschäftigt und zu diesen Rechten so etwas wie eine Jurisprudenz entwickelt hat. Was die verschiedenen Neuerungen und Verbesserungen anbetrifft, die der Ausschuß in den acht Jahren seines Bestehens zuwege gebracht hat, so lassen sich folgende aufzählen: Zum ersten hat der Ausschuß einen "General Comment" über die Funktionen der Berichterstattung und Berichtsprüfung verfaßt, der für die Arbeit aller "treaty bodies" bedeutsam ist. Vielleicht karikiere ich die Dinge wieder ein wenig, wenn ich meine, daß die Vorlage und die Behandlung von Berichten für die daran beteiligten Beamten eine Pflichtübung dargestellt hat, bei der es darum ging, vor dem Prüfungsgremium ein möglichst günstiges Bild der Menschenrechtslage im eigenen Lande zu zeichnen, um damit ungeschoren - und womöglich noch mit einem Lob - davonzukommen, womit der berichterstattende Staat seine Schuldigkeit getan hatte. Nach dem traditionellen Verständnis (oder Unverständnis) wurden die Staatenberichte eigentlich um ihrer selbst willen angefertigt. Die Philosophie, die der Ausschuß in seinem "General Comment" und in seiner Prüfungspraxis entwickelt hat, ist davon diametral verschieden. Der Ausschuß setzt den Akzent nicht auf den eigentlichen Vorgang der Berichtsprüfung, sondern betrachtet sich vielmehr als eine Art Katalysator, der durch die Art und Weise, wie er seine Forderungen gegenüber den Staaten durchsetzt und wie er das Berichtsprüfungsverfahren handhabt, bestimmte Prozesse und Wirkungen im Inneren der Staaten aus-lösen möchte. So vor allem eine Schärfung des Bewußtseins für die im Pakt angeführten Rechte, eine gründliche Bestandsaufnahme und regelmäßige Prüfung der wirtschafts-, sozial- und kulturpolitischen Entwicklungen, die für die Paktrechte relevant sind, die Erstellung von Prioritäten bei der Realisierung dieser Rechte, das In-Gang-Bringen einer öffentlichen Diskussion über den Stand der Dinge durch Einschaltung gesellschaftlicher Gruppen, wie auch durch die Veröffentlichung und Diskussion der Berichte und der Aufnahme, welche diese im Ausschuß gefunden haben. Dies ist in etwa das Wunschbild von der Funktion des Berichtsverfahrens, welches dem Ausschuß vorschwebt. Von der Realität ist dieses Wunschbild natürlich noch sehr, sehr weit entfernt. So gibt es heute nur ganz wenige Staaten, die bei der Abfassung der Berichte eine breitere Öffentlichkeit einbeziehen. Die Bundesrepublik etwa veröffentlicht die Berichte, welche sie an den Sozialausschuß erstattet, nicht in der gleichen gedruckten Form wie die Berichte an den Menschenrechtsausschuß nach dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Aber wenn auch die Realität des Verfahrens vom Idealzustand noch weit entfernt ist, so hat der Ausschuß doch eine klare Vorstellung entwickelt, nach der die Berichtsprüfung mit einer langweiligen, manchmal sogar zynischen Pflichtübung durch Diplomaten und Bürokraten in einer Atmosphäre menschenrechtlichen Scheinfriedens in Genf nichts mehr, aber schon gar nichts mehr zu tun hat. Was die Klärung von Inhalt und Tragweite der Verpflichtungen aus dem Pakt angeht, so treibt der Ausschuß dieses Geschäft vor allem durch seine Alltagstätigkeit, eben die Berichtsprüfung, permanent voran. Daneben hat er jedoch zwei spezielle Instrumente für die Ausdeutung des normativen Inhalts des Paktes entwickelt, die ich kurz erwähnen möchte. Zum einen widmet der Ausschuß jeweils einen Tag in jeder (dreiwöchigen) Session der Diskussion und Vertiefung einer grundsätzlichen Frage, sei es einer bestimmten Verpflichtung aus dem Pakt oder der Diskussion eines übergreifenden Problems. So wurde zum Beispiel die Brauchbarkeit von wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren für die Kontrolltätigkeit des Ausschusses, das Recht auf Wohnung oder das Thema Menschenrechtserziehung am Tag der allgemeinen Diskussion besprochen. Diese Diskussionen sollen in der Regel die Grundlage für den Einsatz eines zweiten Instruments schaffen, welches der Klärung der Paktnormen dient, nämlich der General Comments, auf die ich vorher schon kurz eingegangen bin. Dabei handelt es sich um Texte, in denen der Ausschuß seine Jurisprudenz über die Verpflichtungen aus dem Pakt entwickeln kann. Bisher [Stand: Ende 1994] hat der Ausschuß vier derartige General Comments verabschiedet, davon drei zu allgemeinen Problemen und einen über ein konkretes Paktrecht, nämlich das Recht auf Wohnung. Gegenwärtig sind "allgemeine Bemerkungen" über die Rechte von Behinderten und älteren Personen in Vorbereitung. Den "General Comments" kommt als solchen selbstverständlich keine Rechtsverbindlichkeit zu. Doch ist zu hoffen, daß sie in Zukunft in Folge ihrer Autorität bei der Auslegung und Anwendung des Paktes auf der innerstaatlichen Ebene, wie auch im Verfahren der Berichtsprüfung auf zwischenstaatlicher Ebene, doch eine Art Argumentationsrahmen bilden werden, der letztendlich das Verständnis der vertraglichen Rechtsbegriffe mitprägt. Es klingt vielleicht ein wenig provokant, wenn ich meine, daß in Zukunft ein Diskurs über Inhalt und Tragweite bestimmter Verpflichtungen aus dem Sozialpakt nicht lege artis stattfinden kann, wenn man sich dabei mit den General Comments des Ausschusses nicht auseinandergesetzt hat. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es bekanntlich zurück. Auf die Tätigkeit des Ausschusses bezogen soll dies heißen, daß die Vollständigkeit und Aussagekraft der Staatenberichte wesentlich dadurch mitgestaltet werden wird, daß der Ausschuß dafür genaue Vorgaben macht, daß er also angibt, welche Informationen er präzise erhalten will. Diese Angaben hat er in den sogenannten "guidelines", d.s. Richtlinien für die Berichterstattung, niedergelegt. Als der Ausschuß ursprünglich zusammentrat, fand er zwar solche Richtlinien vor, die vom Sekretariat erstellt worden waren. Diese Richtlinien waren jedoch vollkommen unnütz, weil viel zu global und allgemein. Daher begann der Ausschuß bald mit der Ausarbeitung neuer Richtlinien, die dann auf der fünften Tagung verabschiedet werden konnten. Bei dieser Arbeit ist dem Ausschuß übrigens von Seiten nichtstaatlicher Organisationen wichtige Unterstützung zuteil geworden. Wenn man sich die Richtlinien ansieht, so wirken sie auf den ersten Blick ein wenig einschüchternd. Bei genauerer Lektüre wird aber deutlich, daß sie ohne weiteres angetan sind, die Arbeit der Ministerialbeamten, Experten oder Diplomaten, welche die Staatenberichte zu verfassen und zu präsentieren haben, zu erleichtern. So geben sie den Staaten die Möglichkeit, sich ganz weitgehend auf andere, zum Beispiel der ILO oder der UNESCO erstattete Berichte abzustützen. Im übrigen sind sehr viele Fragen in den "guidelines" ohne weiteres mit einem schlichten "ja" oder "nein" zu beantworten. Was die "guidelines" jedenfalls erschweren wollen, ist die Vernebelung der faktischen Situation, die Möglichkeit, die Kontrolle des Standes der Pakterfüllung durch einen Wust von Gesetzestexten und unbrauchbaren Statistiken unmöglich (jedenfalls viel schwieriger) zu machen. Die Richtlinien konzentrieren sich daher immer auf die tatsächliche Lage, und zwar nicht des Durchschnitts der Bevölkerung eines Vertragsstaates, sondern der wirtschaftlich, sozial und kulturell besonders verletzbaren oder gefährdeten Bevölkerungsgruppen, die der Staat im übrigen selbst identifizieren soll. Ferner betonen die "guidelines" immer die Entwicklung der Realisierung des Paktes über einen bestimmten Zeitraum, wie etwa in den letzten fünf oder zehn Jahren. Seit einigen Jahren wird der allgemeine Fragenkatalog der Richtlinien durch einen weiteren Katalog von Fragen ergänzt, den eine Untergruppe des Ausschusses anfertigt, wenn feststeht, daß ein bestimmter Staat, der einen Bericht vorgelegt hat, diesen Bericht auf der bevorstehenden Sitzung des Ausschusses vertreten wird. In diesem zusätzlichen Fragenkatalog sollen Schwächen oder Lücken der Staatenberichte aufgegriffen werden. Trotz der damit beschriebenen Bemühungen, die Berichterstattung seitens der Staaten stärker auf den Punkt zu bringen, ist der Ausschuß mehr denn je zuvor auf Informationen aus nichtstaatlichen Quellen angewiesen, weil Regierungen stets dazu neigen werden, die Menschenrechtslage in ihren Ländern nach Art von Tourismusprospekten zu verschönern, also auf bewährte Weise sozialpolitische Baulücken und -ruinen zu verstecken. Was die Herkunft solcher Informationen aus nichtstaatlichen Quellen anbetrifft, so spricht der Pakt selbst von den Sonderorganisationen, wie etwa ILO und WHO. Darüber wird sicher heute Nachmittag noch gesprochen werden. Wie ich bereits früher angeführt hatte, erhält der Ausschuß von der ILO in der Tat wertvolles Material, aber immer noch viel zu wenig. Von der WHO erfahren wir sehr wenig, vom Rest der VN-Familie in der Regel nichts. Dieser Stand der Dinge macht die Informationsbeschaffung seitens der nichtstaatlichen Organisationen zu einer conditio sine qua non der Effektivität der Ausschußarbeit. Wenn der Ausschuß keine Dossiers, vielleicht sogar echte "Parallelberichte", von Organisationen wie Habitat International Coalition oder FIAN erhielte, würden die Mitglieder, die ja zwischen den Treffen des Ausschusses nur beschränkt Zeit für das Studium der Staatenberichte und ihre eigene Vorbereitung haben, nur selten an den Kern der eigentlichen Probleme herankommen. Vielleicht könnte man etwas boshaft sagen, daß die Vertragsstaaten der Menschenrechtsverträge, als sie diese mit "treaty bodies" aus Experten ausrüsteten, auch gar nicht gewollt haben, daß die Mitglieder dieser Gremien für die paar Wochen, in denen sie sich in Genf, New York oder Wien versammeln, zu viel know how zur Verfügung haben. Ein Problem, welches allen Kontrollausschüssen im Menschenrechtsbereich zusetzt, ist die Säumigkeit der Vertragsparteien bei der Erfüllung ihrer Berichtspflichten. So waren etwa Anfang 1993 von damals 119 Vertragsstaaten unseres Paktes nicht weniger als 65 Parteien im Verzug. Professor Alston hat in einer Studie, die er für die Generalversammlung der Vereinten Nationen angefertigt hat, vor ein paar Jahren Zahlen über die Gesamtsumme der rückständigen Berichte genannt, welche irgendwo zwischen 500 und 1000 liegen. Mit anderen Worten: Gegenüber der Gesamtheit aller Menschenrechtsausschüsse der Vereinten Nationen sind viele hunderte Berichte überfällig! Bei diesem Stand der Dinge haben die "treaty bodies", an der Spitze mein Ausschuß, eine Reihe von Maßnahmen eingeführt. So fordern wir etwa ECOSOC auf, besonders lange säumige Staaten anzumahnen ihre Berichtspflichten nun doch endlich zu erfüllen. Der ECOSOC hat dies auch getan. Weiter hat der Ausschuß beschlossen, daß die Lage der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in Staaten, die mit ihren Berichten besonders lange im Verzug sind, notfalls auch ohne Vorlage eines Berichtes und in Abwesenheit einer Regierungsdelegation vom Ausschuß geprüft wird. In diesem Sinne haben wir vor einigen Jahren die ersten vier besonders säumigen Staaten bestimmt und angekündigt, daß wir auf der nächsten Tagung (im Frühjahr 1993) die Lage der Paktrechte in diesen Staaten aufgrund eigener Recherchen überprüfen würden. Daraufhin hat einer der betroffenen Staaten einen Erstbericht vorgelegt und erschien auch zur Berichtsprüfung. Zwei Staaten haben die alsbaldige Vorlage der Erstberichte versprochen und dieses Versprechen mittlerweile auch erfüllt. Nur ein einziger Staat blieb sozusagen "verstockt", nämlich Kenia. Daraufhin prüfte der Ausschuß im Jahre 1993 die Situation der Paktrechte in Kenia auf der Grundlage eigener Untersuchungen und beschloß im Konsensverfahren "concluding observations" über Kenia, die als eigenständiges VN-Dokument allgemein zugänglich sind, für VN-Verhältnisse überaus deutlich gehalten sind und auch eine gewisse Wirkung in Kenia gehabt haben sollen. Eine dieser Wirkungen ist darin zu sehen, daß Kenia im Frühjahr 1994 einen Bericht vorlegte, der allerdings so unbefriedigend ausfiel, daß ihn der Ausschuß gleich wieder zur Überarbeitung zurückverwies. Die Regierung Kenias versprach daraufhin, im Jahre 1995 einen Bericht nach den Regeln der Kunst vorzulegen. Am bemerkenswertesten sind aber wohl gewisse Neuerungen, die der Ausschuß im Verfahren der eigentlichen Berichtsprüfung eingeführt hat. Hier wurde einmal der Berichtszyklus verlängert. Interessanter ist aber, wie sich das Ergebnis der Berichtsprüfung entwickelt hat. Gemäß dem ursprünglichen Verständnis (oder Mißverständnis) der Rolle der Vertragsorgane sollten diese Gremien nur einen sogenannten "konstruktiven Dialog" mit den Vertragsstaaten führen, dem jedes Element einer eigentlichen Beurteilung der Vertragserfüllung fehlt. Nach diesem ursprünglichen Verständnis sollten die Ausschüsse also nur für einen Erfahrungsaustausch sorgen und die Vertragsstaaten gleichsam zu einer perfekteren Vertragserfüllung stimulieren. Diese Sicht der Dinge war nicht nur unter den sozialistischen Staaten herrschend. So hat die Schweiz vor drei Jahren ihren Eidgenössischen Räten die Pakte zur Zustimmung vorgelegt (inzwischen ist die Schweiz Vertragspartei geworden). In den Erläuternden Bemerkungen zur Vorlage der Schweizer Regierung heißt es dann, daß der Ausschuß, dem ich angehöre, gar nicht in der Lage sei, eine eigene Bewertung der Erfüllung der Vertragspflichten vorzunehmen. Wie dem auch sei, innerhalb von ein paar Jahren hat der Ausschuß - wie auch die übrigen treaty bodies - die Praxis entwickelt, daß das Gremium als solches sogenannte "concluding observations" beschließt, also eine echte Bewertung der Pakterfüllung formuliert. Dabei wird in den letzten Jahren nicht mehr um den Brei herumgeredet, sondern die Dinge werden beim Namen genannt. So hat der Ausschuß in einer ganzen Reihe von Fällen von klaren Vertragsverletzungen gesprochen. Diese Fälle betrafen bisher alle das Recht auf Wohnung, welches vor allem in zentralamerikanischen Staaten durch großangelegte Massenräumungen von Favelas oder Barrios verletzt wurde. Der Ausschuß hat sich aber nicht damit begnügt, die Verletzungen beim Namen zu nennen, sondern an die betreffenden Staaten die Aufforderung gerichtet, diese Praktiken abzustellen und so rasch wie möglich zu berichten. In zwei Fällen hat er auch darauf gedrängt, die Staaten, in denen eine derartige paktwidrige "Wohnungspolitik" betrieben wurde, zu besuchen und seine Expertise für eine Verbesserung der Situation im Vertragsstaat zur Verfügung zu stellen (inzwischen, im April 1995, hat der erste Besuch dieser Art in Panama stattgefunden). Zum Abschluß folgende Zusammenfassung: Alles, was ich Ihnen vorgestellt habe, ist sicherlich in keiner Weise spektakulär zu nennen. Aber für den Kenner der VN-Menschenrechtsszene erscheinen diese kleinen Schritte doch relevant, vor allem auch deshalb, weil in der stillschweigenden Akzeptanz dieser Maßnahmen durch die Vertragstaaten eine gewisse Bereitschaft der Staatengemeinschaft zum Ausdruck zu kommen scheint, eine Kontrolle der Erfüllung menschenrechtlicher Pflichten zuzulassen, die diesen Namen wirklich verdient. Damit scheint mir die Zeit reif zu sein für eine Diskussion weitergehender Möglichkeiten - eventuell in Richtung auf ein Fakultativprotokoll, daneben aber auch in Richtung auf eine mögliche Rolle des Paktes und seines Implementierungsorgans für die Durchsetzung der Ergebnisse des bevorstehenden Sozialgipfels in Kopenhagen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek |