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TEILDOKUMENT:
Reymer Klüver:
Die Erkenntnis war für die versammelten Sozial- und Entwicklungsexperten doch ein wenig überraschend: Erstaunt mußten viele feststellen, wie wenig selbst sie, die Fachleute, letztlich über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte, den Sozialpakt und den Sozialgipfel informiert sind. Damit ist bereits ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis des Hearings und der Diskussion festgehalten: Ein gutes Vierteljahr vor dem Weltsozialgipfel ist das Wissen über das Treffen, vor allem aber über die Bedeutung der in Kopenhagen zu diskutierenden Themen, in der Öffentlichkeit praktisch nicht vorhanden. Eine Informationskampagne über den Weltsozialgipfel, so das Fazit, sollte höchste Priorität haben. Den Grundlagen also muß zunächst das Augenmerk gelten: Was bedeuten die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte im Völkerrecht, was sind die Verpflichtungen für Deutschland? Daraus folgert die Frage nach den Durchsetzungsstrategien für diese Rechte, sowohl im nationalen Kontext wie im internationalen Rahmen. In der Diskussion spitzte sich diese Problematik rasch zu auf die Alternative ILO oder UN-Ausschuß für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte als die besten Organe zur Umsetzung möglicher Ergebnisse des Weltsozialgipfels. Daran schloß sich sofort die Frage an, die dann auch die Diskussion des Seminars nachhaltig bestimmte: Wird der Sozialgipfel überhaupt Ergebnisse bringen, die über die Setzungen des Sozialpaktes hinausgehen, oder könnte der Gipfel gar als Gelegenheit mißbraucht werden, die 30 Jahre alten Errungenschaften des Sozialpakts zu kassieren? Was, so die überwölbende Frage, ist die politisch-praktische Relevanz des Kopenhagener Gipfels? Schließlich: Was müssen die Forderungen sein, soll der Gipfel vor einem Scheitern bewahrt werden? Die Grundlagen: Wesentlich ist die Erkenntnis - von Wissenschaftlern, Gewerkschaftern und Politikern gleichermaßen vorgetragen -, daß dem Sozialpakt von 1966 eher symbolische als praktische Bedeutung zukommt. 1976 in Kraft getreten, sind ihm bisher 130 Staaten beigetreten, darunter auch die Bundesrepublik. Seine Auswirkungen auf die deutsche Politik werden übereinstimmend als äußerst gering eingeschätzt. Während der Politologe Nuscheler die geringe Wirksamkeit des Sozialpaktes auch im internationalen Rahmen betonte, weil der Pakt schlicht nicht als Bestandteil der internationalen Rechtsordnung begriffen werde, hoben die Völkerrechtler Simma und Zöckler sein rechtliches Potential hervor. Der Pakt, so Simma, gelte weithin als "Papiertiger", könne sich aber durchaus als "juristische Pandorabüchse" erweisen, weil er völkerrechtlich bindende Erhaltungspflichten für die Mitgliedsstaaten enthalte, also die Verpflichtung der Staaten, ihren Bürgern die im Pakt vereinbarten rechtlichen, sozialen und kulturellen Rechte und Mindeststandards auch zu gewähren. Auf deren Einhaltung pocht der UN-Ausschuß für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Ihm komme freilich eher bewußtseinsschaffende Funktion zu, so Simmas Resümee, denn über Sanktionen zur Durchsetzung verfügt der Ausschuß freilich so wenig wie andere Menschenrechtsgremien. Philip Alston, Chef des Ausschusses, bestätigte, daß die Gleichwertigkeit von sozialen und politischen Menschenrechten in der Praxis nicht akzeptiert werde. Soziale Menschenrechte würden nur allzu oft als Gnadenakt und nicht als rechtlich bindend verstanden. In Deutschland kommt dem Sozialpakt nach Auffassung des Völkerrechtlers Zöckler eigentlich der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zu. Allerdings seien die zahlreichen, auf die bundesdeutsche Sozialgesetzgebung anwendbaren Normen des Sozialpaktes, noch nicht in die Rechtsprechung eingegangen. So hält Zöckler etwa das Leistungsgesetz für Asylbewerber oder das Wohnungsbauförderungsgesetz im Lichte des Sozialpaktes durchaus für juristisch angreifbar. Die Durchsetzungsstrategien: ILO oder UN-Ausschuß - das schien hier die alles entscheidende Frage zu sein. Was sich vielen zunächst als eine sich wechselseitig ausschließende Alternative darbot, stellte sich im Verlauf des Seminars immer deutlicher als potentielle Ergänzung heraus: Wenn es denn in Kopenhagen Vereinbarungen geben sollte, die der Überwachung bedürften (und wert sein sollten), so könnten dies weder allein die ILO noch der Ausschuß leisten. Beide wären gefordert; vor der Schaffung einer dritten Institution wurde gewarnt. Praktische Relevanz, machten die Gewerkschaftsvertreter deutlich, komme bislang nur den Normen der EU zu und eben den Übereinkommen der ILO: Letztere arbeite höchst effizient, aber auch ihr fehlten Sanktionsmittel zur Durchsetzung der verein-barten Normen. Für die Gewerkschaften sei es allerdings wichtiger, sich bestehender konkreter Möglichkeiten besser zu bedienen, als abstrakte Erklärungen zu verabschieden, hob die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer mehrmals hervor. Die ILO-Mechanismen dürften deshalb in keinem Fall in Frage gestellt werden. Wenn auch unterschiedlich intoniert, so stimmten Ausschußchef Alston und Jack Martin (Assistant Director-General, ILO) darin überein, daß die ILO nicht den ganzen Bereich der sozialen Menschenrechte abdecke, und somit allein gar nicht deren Überwachung leisten könne, sondern es der ergänzenden Arbeit durch den Ausschuß bedürfe. Im nationalen Kontext wurde deutlich, daß die Bundesregierung die aus dem Sozialpakt resultierende Berichtspflicht für den UN-Ausschuß eher als verwaltungstechnische Aufgabe auf internationalem Niveau sieht, denn als Herausforderung für die praktische Politik in Deutschland. Die regelmäßige Abfassung eines Armutsberichts - als eine mögliche Strategie zur Durchsetzung der Bestimmungen des Sozialpaktes auf nationaler Ebene - wird etwa mit der Begründung abgelehnt, daß es ja keine verbindliche Definition von Armut in Deutschland gebe. Eine Beteiligung der Sozialpartner oder Nichtregierungsorganisationen an der Abfassung des Berichts für den Ausschuß wurde vom Vertreter des Bundesarbeitsministeriums als unpraktikabel zurückgewiesen. Die Befürchtungen: Wie ein roter Faden zog sich die unterschwellige Befürchtung durch die Diskussion, daß der Sozialgipfel - nach dem bisherigen Stand der Verhandlungen zu urteilen - eher schaden als nützen könnte. An fünf Punkten machte sich diese Sorge um die "politisch-praktische Relevanz" des Gipfels (Engelen-Kefer) fest: 1. Die Sache der sozialen Menschenrechte wird in Kopenhagen nicht gefördert. Dafür spricht nach Auffassung des Vorsitzenden des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte der zähe Vorbereitungsprozeß. Der könne bisher als Versuch der internationalen Gemeinschaft charakterisiert werden, im Abschlußdokument des Sozialgipfels "um jeden Preis den Gebrauch der Wörter 'soziale und wirtschaftliche Menschenrechte' zu vermeiden" (Alston). 2. Der Gipfel wird zu einer "reinen Akklamationsveranstaltung" (Engelen-Kefer) und nur mit vagen Absichtserklärungen enden. Damit wäre den sozialen Menschenrechten ein "Bärendienst" (Nuscheler) erwiesen, weil der Gipfel den seit 30 Jahren bestehenden Sozialpakt dann nicht fortschriebe, ja unter Umständen dahinter zurückfallen würde und, so vor allem die Sorge des DGB, gar die Arbeit der ILO wieder erschweren könnte. Der Gipfel dürfe nicht überdecken, daß es bereits verbindliche Normen der EU und die Übereinkommen der ILO gebe. Noch fataler wäre nach Auffassung des DGB, wenn in Kopenhagen eine neue Sozialagentur geschaffen würde und damit "bewährte Verfahrensweisen" in Gefahr gerieten. 3. Der Sozialgipfel stellt den Sozialpakt komplett in Frage, indem in Kopenhagen die Forderung nach einer neuen Sozialcharta erhoben wird. Damit wäre der Sozialpakt als Bezugspunkt umgangen, seine Errungenschaften zur Disposition gestellt, "das Rad müßte mal wieder neu erfunden werden" (Alston). 4. Selbst Dietrich Willers (Bundesministerium für Arbeit), führendes Mitglied der deutschen Delegation für die Vorbereitung des Gipfels, erwartet nicht - wie etwa auch Philip Alston -, daß es nach Kopenhagen einen Follow-up-Prozeß geben wird, der den Namen verdient hätte. Denn das setzt "überwachenswerte Verpflichtungen" (Willers) in Kopenhagen voraus, an deren Zustandekommen allgemein gezweifelt wird. 5. Der Sozialgipfel könnte von den Industrieländern in der Frage der sozialen Mindeststandards dazu mißbraucht werden, mit sozialer Verbrämung protektionistischen Tendenzen Vorschub zu leisten. Die Forderungen: Aus der Diskussion schälte sich trotz aller Skepsis über ihre Erfolgsaussichten rasch ein Kernbestand von Erwartungen und Forderungen heraus. Der Sozialgipfel in Kopenhagen sollte also - mindestens mit einer Bestätigung des Sozialpakts enden und alle Staaten zur Ratifizierung des Pakts aufrufen - mit einer Stärkung der bestehenden Institutionen zur Überwachung der sozialen Menschenrechte enden - insbesondere den UN-Ausschuß für wirtschaftliche,soziale und kulturelle Menschenrechte stärken. Der Ausschuß sollte den Auftrag erhalten, alle Staaten auf Einhaltung dieser Rechte hin zu überwachen. Dafür muß er materiell und personell gestärkt werden - die Staaten verpflichten, dem Ausschuß über Umsetzung und Einhaltung der sozialen Menschenrechte zu berichten - Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen ein eigenes Beschwerderecht beim UN-Ausschuß verschaffen - mit konkreten Zeitangaben für einen Follow-up-Prozeß enden - die internationalen Finanzorganisationen, insbesondere Weltbank und Internationalen Währungsfonds, dazu bringen, bei ihrer Arbeit die sozialen Menschenrechte zu achten. Voraussetzung dafür ist, daß die Mitarbeiter der beiden Institutionen über die sozialen Menschenrechte überhaupt informiert werden. Das bedeutet für Weltbank und IMF im einzelnen: Sie sind dem UN-Ausschuß berichtspflichtig. Weltbank und IMF sollten als "instrumentelle Organisationen" der Vereinten Nationen wieder stärker in das UN-System eingebunden werden. Deutschland sollte sein Gewicht in diesen Gremien dementsprechend einsetzen. Darüber hinaus artikulierten sich weitere Forderungen: - Angesichts der Globalisierung des Arbeitsmarktes sollten Entwick-lungs- und Sozialpolitik in Deutschland besser vernetzt werden. Für die Vorbereitung von Kopenhagen bedeutet es, daß das Bundesministerium für Arbeit als federführendes Ressort die Expertise der Nichtregierungsorganisationen und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stärker nutzt. Die EU-Koordination muß verbessert werden. - Die Bundesregierung sollte verpflichtet werden, Berichte nicht nur für den UN-Ausschuß abzufassen, sondern in regelmäßigen Abständen - beispielsweise alle drei Jahre - einen nationalen Armutsbericht vorzulegen. - Einer drohenden Stigmatisierung der Armut in Deutschland sollte mit allen Mitteln entgegengetreten werden. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-bibliothek |