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TEILDOKUMENT:


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Christhard Hoffmann
Die Lage deutscher wissenschaftlicher Immigranten in Skandinavien


1. Vorbemerkung

Die Wissenschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den skandinavischen Ländern haben eine lange Tradition. Seit dem Spätmittelalter galten deutsche Universitäten als Hauptanziehungspunkt für Studenten aus Schweden, Dänemark und Norwegen, und beim Aufbau eigener Universitäten und Studiengänge im 18. und 19. Jahrhundert orientierte man sich meist am deutschen Vorbild.[Fn_1] Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die deutsche Dominanz im skandinavischen Universitätsleben durch englische und dann vor allem amerikanische Einflüsse abgelöst. Inwieweit der Wissenstransfer zwischen Deutschland und Skandinavien sich nicht nur über die in Deutschland ausgebildeten skandinavischen Studenten, sondern auch durch die Tätigkeit deutscher Wissenschaftler an skandinavischen Universitäten vollzog, ist bisher weitgehend unerforscht, es fehlt auch jede statistische Übersicht. Lediglich für die Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung gibt es einen Überblick über die geflüchteten Wissenschaftler, die in Skandinavien Aufnahme – und vereinzelt auch eine Stellung – gefunden haben.[Fn_2] Über diejenigen deutschen Wissenschaftler, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Skandinavien emigrierten, gibt es hingegen bisher kaum offizielle Kenntnisse.[Fn_3]

Der folgende Bericht basiert daher zum einen auf Beobachtungen und Erfahrungen, die ich in den letzten drei Jahren (seit August 1998) als Außerordentlicher Professor für neuere europäische Geschichte an der Universität Bergen gemacht habe, zum anderen auf der Auswertung einer Umfrage, die ich im Sommer 2001 unter deutschen wissenschaftlichen Migranten in den drei skandinavischen Ländern durchgeführt habe. Da es keine offizielle Statistik über die Zahl, die Fachdisziplin und den Karriereverlauf der an skandinavischen Universitäten und Hochschulen fest

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angestellten deutschen (bzw. aus Deutschland stammenden) Wissenschaftler gibt, sollte die Umfrage (unter Verwendung des von Eberhard Demm 1999 entwickelten Fragebogens) in erster Linie dazu dienen, die eigenen Beobachtungen auf eine breitere Grundlage zu stellen, typische Karrieremuster der nach Skandinavien emigrierten deutschen Wissenschaftler zu verdeutlichen und ein Meinungsbild über die Vor- und Nachteile des deutschen Universitätssystems (im Vergleich zum skandinavischen) zu erstellen. Der Fragebogen wurde per e-mail an ca. 50 Wissenschaftler in Dänemark, Norwegen und Schweden geschickt (Adressenverzeichnis ehemaliger Studienstiftler im europäischen Ausland, eigene Recherchen, "Schneeballsystem"). Über die Hälfte (29) haben den ausgefüllten Fragebogen zurückgeschickt, davon 10 aus Dänemark, 9 aus Norwegen und 10 aus Schweden; nur 2 der Befragten sind in der DDR aufgewachsen und ausgebildet, alle anderen kommen aus der (alten) Bundesrepublik. Wegen der relativ kleinen Zahl ist eine quantitative Auswertung der erhobenen Daten nicht sinnvoll. Die Auswahl ist natürlich auch nicht repräsentativ. Gleichwohl lassen sich einige qualitative Charakteristika und Tendenzen (Emigrationsverlauf, Karrieremuster, gesellschaftliche Integration) ablesen.

2. Emigrationsverläufe und Karrieremuster

Ausgehend von den Kriterien "Emigrationsalter", "Emigrationszeitraum", und "wissenschaftliche Ausbildung" habe ich die Gesamtgruppe der in Skandinavien dauerhaft beschäftigten Wissenschaftler in vier signifikante Untergruppen aufgeteilt:

A. Die Gruppe derjenigen, die bereits in jungen Jahren (im Alter zwischen 19 und 25) nach Skandinavien gezogen sind und dort ihre Universitätsausbildung vollständig oder überwiegend erhalten haben (insgesamt 7, davon 5 männlich, 2 weiblich, 5 in Schweden (künftig S.), 2 in Dänemark (künftig DK)). Der Emigrationszeitraum liegt zwischen 1966 und 1977; die Auswanderung war in erster Linie persönlich oder politisch motiviert: Ehepartner, Attraktion des "schwedischen Modells", Umgehung der Wehrpflicht etc. Fast alle (6 von 7) haben einen skandinavischen Ehepartner. Die Bereitschaft, eine "vergleichbare Stelle" in Deutschland anzunehmen, ist relativ gering (1 ja, 3 unter Umständen, 3 nein).

Die wissenschaftliche Karriere verlief oft über mehrere Stationen, meist an anderen skandinavischen Universitäten. Die jetzige akademische Position wurde erst nach einem längerem Aufenthalt in Skandinavien (zwischen 3 und 30 Jahren, durchschnittlich 18 Jahre nach der Emigration) erreicht. Die Wissenschaftler dieser Gruppe sind entweder Theologen und Religionswissenschaftler (3) oder Geisteswissenschaftler (4).

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B. Die Gruppe derjenigen, die im Alter zwischen 26 und 31 emigriert sind, jedoch ihre Universitätsausbildung (einschließlich Promotion und gegebenenfalls Habilitation) ganz oder überwiegend noch in Deutschland absolviert haben (insgesamt 4, alle männlich, 2 nach DK, jeweils einer nach S und Norwegen (künftig N)). Der Emigrationszeitraum lag relativ früh (1962-1968). Wie bei der ersten Gruppe gaben bei der Auswanderung "persönliche Gründe" den Ausschlag; mit einer Ausnahme sind alle mit einem skandinavischen Ehepartner verheiratet. Die Rückkehrbereitschaft ist, schon aus Altersgründen, sehr gering (2 nein, bei 2 stellt sich die Frage nicht (mehr)). Die jetzige akademische Position wurde bei der einen Hälfte quasi sofort, bei der anderen Hälfte erst durchschnittlich 15 Jahre nach der Emigration erreicht.

Unter den vertretenen Fächern dominieren Germanistik und Geschichte (3), es gibt einen Naturwissenschaftler.

C. Die Gruppe derjenigen, die im Alter zwischen 39 und 50 nach Skandinavien emigriert sind und die in Deutschland nicht nur ihre gesamte Universitätsausbildung absolviert haben, sondern auch langjährige – oft auch internationale – Erfahrungen in Forschung und Lehre mitbringen (insgesamt 8, davon 7 männlich, 4 nach N, 2 nach DK, 2 nach S). Der Emigrationszeitraum lag, von einer Ausnahme (1987) abgesehen, in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre (1994-2000). Die Emigration ist bei allen ausschließlich durch die – altersbedingt dringliche – Stellensuche motiviert, soziale und kulturelle Bindungen nach Skandinavien bestanden vor der Emigration meist nicht. Keiner ist mit einem skandinavischen Ehepartner verheiratet, keiner hat vor der jetzigen Position eine andere Stelle in Skandinavien innegehabt. Die Mehrheit (5) hat gewisse internationale Erfahrungen, d.h. hat vor der Emigration nach Skandinavien in einem dritten Land studiert (1) oder dort wissenschaftlich gearbeitet (4). Die Bereitschaft, eine vergleichbare Stelle in Deutschland anzunehmen, liegt relativ hoch (2 ja, 5 unter Umständen, 1 nein).

Die in dieser Gruppe vertretenen Fächer verteilen sich gleichmäßig auf die historisch-philosophische (4) und die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät (4).

D. Die Gruppe derjenigen, die im gleichen Zeitraum (1993-2000), aber in jüngerem Alter (zwischen 26 und 37) emigriert sind (insgesamt 10, 7 männlich, 3 weiblich, 5 nach DK, 4 nach S, 1 nach N). Mit einer Ausnahme haben alle ihre gesamte Universitätsausbildung in Deutschland absolviert, 4 sind mit einem skandinavischen Ehepartner verheiratet. Fast die Hälfte ist vor der Emigration bereits in einem dritten Land wissenschaftlich tätig gewesen. Zwei haben vor der jetzigen Stelle bereits einige Jahre an einer anderen skandinavischen Universität gearbeitet (Post-docs). Bei den Emigrationsmotiven geben 2 persönliche Gründe, 2 Stellensuche und 6 wissenschaftliche Gründe (d. h. innovative/attraktive Arbeitsbedingungen) an. Die

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Bereitschaft, nach Deutschland zurückzukehren, ist ungleich verteilt (3 ja, 3 unter Umständen, 4 nein).

Unter den vertretenen Fächern dominieren in dieser Gruppe eindeutig die Naturwissenschaften (8), es gibt daneben nur noch einen Geistes- und einen Wirtschaftswissenschaftler.

Mit dem Vorbehalt, dass die in der Fragebogenaktion ermittelten Daten weder vollständig noch repräsentativ sind, lassen sich folgende Emigrationsmuster klar ablesen: Während die Emigration der 1960er und 1970er Jahre überwiegend aus persönlichen Gründen erfolgte und eine wissenschaftliche Tätigkeit oftmals erst nach einer langjährigen Ausbildung und Sozialisation im Gastland aufgenommen wurde (Gruppen A und B), war die Emigration der 1990er Jahre fast ausschließlich wissenschaftlich, d. h. durch Stellensuche oder die Attraktivität innovativer wissenschaftlicher Projekte, motiviert (Gruppen C und D). Maßgebliche Faktoren der wissenschaftlichen Emigration nach Skandinavien in den letzten zehn Jahren sind vor allem: die zunehmende akademische Arbeitslosigkeit in Deutschland; eine größere Öffnung skandinavischer Universitäten gegenüber ausländischen Bewerbern, die nachgefragte Spezialgebiete vertreten; die Internationalisierung/Europäisierung der Wissenschaften (Bildung internationaler Arbeitsgruppen und Forschungsprojekte, vor allem in den Naturwissenschaften).

3. Stellenausstattung, Lehr- und Forschungsbedingungen

Soweit mir bekannt ist, gab und gibt es in keinem der drei skandinavischen Länder offizielle Programme, um ausländische (oder speziell deutsche) Wissenschaftler ins Land zu holen, wie es das z. B. in Norwegen seit einigen Jahren zur Anwerbung deutscher Ärzte gibt. Die Einstellung deutscher Wissenschaftler erfolgte also ganz auf individueller Basis durch Bewerbung auf Stellenausschreibungen, die in einigen (aber lange nicht allen) Fällen auch in deutschen Zeitungen veröffentlicht worden waren. Die Tatsache, dass zahlreiche deutsche Wissenschaftler, die in Deutschland trotz hoher Qualifikationen keine Chancen auf eine Stelle hatten, in Skandinavien zum Zuge kamen (besonders die oben beschriebene Gruppe C), geht nicht zuletzt auf die Besonderheiten (Transparenz, "Objektivität") des Berufungsverfahrens an skandinavischen Universitäten zurück. In Norwegen z. B. läuft ein typisches Berufungsverfahren folgendermaßen ab: Die ausschreibende Institution (Universitätsinstitut) bildet eine dreiköpfige Expertenkommission, der mindestens ein, meist zwei Wissenschaftler von einer anderen Universität (oft auch aus dem Ausland) angehören. Die Expertenkommission sichtet die Bewerbungen, schreibt auf der Grundlage von ca. zehn eingereichten wissenschaftlichen Werken über jeden Bewerber ein Gutachten und erstellt daraufhin eine Rangliste der drei bis vier Be-

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werber, die den im Ausschreibungstext festgelegten Kriterien am besten entsprechen. Gutachten und Rangliste werden daraufhin allen Bewerbern zugeschickt, die Gelegenheit erhalten, die eigene Beurteilung durch die Kommission zu kommentieren (zu ergänzen, Widerspruch zu erheben etc.). Auf der Grundlage der Expertengutachten und der – gegebenenfalls modifizierten – Rangliste lädt das Institut dann gewöhnlicherweise die drei Erstplatzierten zu Interview und Probevorlesung ein, woraufhin die endgültige Platzierung erfolgt. Meist bestätigt sich dabei das "ranking" durch die Expertenkommission. Die Einstellung erfolgt allein durch die Universität, eine Bestätigung (oder gar Auswahl) durch das Ministerium findet nicht statt. Dieses Verfahren gilt in den wesentlichen Punkten auch in den beiden anderen skandinavischen Staaten.

Die in Deutschland übliche, im Rahmen von Berufungsverhandlungen festzulegende "Ausstattung" von Stellen ist in Skandinavien unbekannt bzw. wird dort, wo es Vergleichbares gab (wie in Schweden), gerade abgebaut. Das heißt, dass Neuberufene in der Regel außer einem Büro und einem Computer keine stellenbezogenen Mittel (wie z.B. persönliche Bibliotheks- und Reisemittel, studentische Hilfskräfte, Assistenten, Sekretärin) erhalten. Mittel (Reise-, Forschungsmittel) werden im Instituts- bzw. Fakultätsrahmen auf Antrag vergeben, wobei alle Bewerber grundsätzlich gleichberechtigt sind. In Norwegen gibt es z. T. auch persönliche Zuwendungen, die für die Betreuung von Magisterstudenten und Doktoranden nach abgeschlossenem Examen als "Belohnung" vergeben werden und die nach eigenen Prioritäten für wissenschaftliche Zwecke ausgegeben werden können. Ein deutlicher Unterschied zu Deutschland liegt nicht zuletzt in den niedrigeren Professorengehältern in Skandinavien.

Es gibt im wesentlichen zwei Kategorien von wissenschaftlichen Dauerstellen: Außerordentliche Professoren (lector, førsteamanuensis) und Professoren. Beide Gruppen unterscheiden sich nur nach dem Gehalt, nicht aber in ihren Rechten und Pflichten. Außerordentliche Professoren haben die Möglichkeit, sich auf ihrer eigenen Stelle um eine Beförderung zum Professor zu bewerben, wenn sie entsprechende Forschungsleistungen (in der Regel zwei Abhandlungen) vorweisen können. Wegen dieser Regelung werden die meisten Stellen heute auf dem (preiswerteren) Niveau des Außerordentlichen Professors ausgeschrieben. Das bedeutet, dass es für junge Wissenschaftler wesentlich leichter als in Deutschland möglich ist, bereits nach der Promotion (bzw. nach einem post-doc Projekt) eine Dauerstelle – und damit eine gewisse Sicherheit in der eigenen Lebensplanung (Forschung, Familie) zu erlangen. Viele Antworten sehen in der akademischen Unabhängigkeit in einem frühen Karrierestadium einen entscheidenden Vorteil des skandinavischen Systems. Der Beamtenstatus für Professoren ist inzwischen fast überall abgeschafft, so dass auch festangestellte Lehrkräfte (theoretisch) entlassen werden können.

Die akademische Lehre ist in den meisten Fächern anders organisiert als in Deutschland; sie stellt quantitativ oft geringere, qualitativ jedoch höhere Anforde-

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rungen. Das Angebot an Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Seminare) ist insgesamt geringer, es gibt eine stärkere kollegiale Zusammenarbeit in der Lehre (z. B. Übersichtsvorlesungen im Team), und eine dem englischen Tutor-System vergleichbare Tradition der Einzelbetreuung von Hauptfachstudenten (über 2-3 Jahre). Insgesamt kommt der Lehre (fast alle Antworten betonen dies) ein weit höherer Stellenwert zu als in Deutschland. Es gilt die Verpflichtung, die Studenten, die ein Studium begonnen haben, auch zu einem positiven Abschluss zu führen. Die Nachteile dieses Systems liegen in einer starken Verschulung des Grundstudiums (vor allem in den Naturwissenschaften), in einem insgesamt – verglichen mit Deutschland – niedrigeren wissenschaftlichen Niveau und einer schlechteren Leistungsmotivation der Studenten. Die positiven Auswirkungen liegen in einer wesentlich geringeren Zahl von Studienabbrechern, in einer didaktisch oft erstklassig aufbereiteten akademischen Lehre und in einem wesentlich persönlicheren Lehrer-Schüler-Verhältnis. Fast alle Emigranten aus Deutschland haben die hohen Qualitätsanforderungen, die die Lehre an skandinavischen Universitäten mit sich bringt, als Herausforderung begriffen und sich entsprechend umgestellt. Examen werden in Skandinavien grundsätzlich von externen Prüfern abgenommen. Bei Doktorprüfungen kommen diese oft aus dem Ausland. Der "Doktorvater(-mutter)" hat in dem Examenskomitee weder Platz noch Stimme.

Nach den in den Fragebögen angegebenen Informationen zu urteilen, sind die Forschungsbedingungen für deutsche Emigranten je nach Fach und Ort ganz unterschiedlich. Grundsätzlich gilt, dass etwa knapp die Hälfte der Arbeitszeit für Forschung zur Verfügung stehen sollte (Richtlinie zum Verhältnis von Forschung, Lehre, Verwaltung in Norwegen: 45:45:10). In der Regel gibt es nach sechs Semestern ein Freisemester für die Forschung, in Schweden allerdings unter Reduktion der Bezüge. Es besteht auch die Möglichkeit, sich über einen längeren Zeitraum durch Forschungsprojekte von den Lehrverpflichtungen "freikaufen" zu können, dann wird die (halbe) Stelle für eine (Lehr-)Vertretung aus den Mitteln des Forschungsprojektes finanziert. Die Forschungsbedingungen variieren je nach Fach und Arbeitsgebiet. Während einige der jüngeren Naturwissenschaftler (Gruppe D) die hervorragenden Forschungsbedingungen in ihrem Spezialfeld hervorheben, beklagen andere die völlig unzureichende finanzielle Förderung ihrer Arbeit, Geisteswissenschaftler bezeichnen oft die mangelnde Bibliotheksausstattung und Quellenferne an ihrer Universität als ein Hindernis.

Da auch in Skandinavien der Drittmittelforschung ein immer höherer Stellenwert zukommt, gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der emigrierten Wissenschaftler, sich in die Besonderheiten der jeweiligen staatlichen und privaten Forschungsförderung einzuarbeiten. Eine spezielle Hürde liegt darin, Zugang zu der weit verbreiteten, privat finanzierten "Auftragsforschung" zu erhalten, da die Vergabe der Forschungsaufträge oft nicht nach öffentlicher Ausschreibung, sondern über informelle Kontakte erfolgt.

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4. Wissenschaftliche und soziale Integration

Die wissenschaftliche und soziale Integration der nach Skandinavien emigrierten deutschen Wissenschaftler ist oft von ganz spezifischen (persönlichen und lokalen) Faktoren abhängig – Emigrationsalter, familiäre Bindungen im Gastland, Sprachkenntnisse, offenes oder geschlossenes Milieu am Niederlassungsort etc. – und daher nicht einfach auf einen Nenner zu bringen. Wenn man den Integrationsgrad von Einwanderern generell an der Mitgliedschaft in relevanten Vereinigungen und den gemeinsamen Aktivitäten mit den Einheimischen ablesen kann, so bieten die skandinavischen Universitäten gute Integrationsmöglichkeiten. Durch die flache Hierarchie in den Instituten, ein kollegiales, konsensorientiertes Arbeitsklima und die tägliche Notwendigkeit zur engen Zusammenarbeit – in der Selbstverwaltung des Instituts, der Lehre, bei Examen, (bisweilen) in der Forschung – werden Neuankömmlinge relativ rasch in die bestehenden Strukturen einbezogen. Auch die verbreitete Gleichheitsideologie und eine gewisse Kultur der Bescheidenheit – es gilt als anstößig, eigene Leistungen öffentlich herauszustreichen – wirken sozial egalisierend und damit tendenziell inklusiv. Potentiell birgt dieser Punkt jedoch auch Konflikte – gerade für diejenigen deutsche Wissenschaftler, die in ihrem Selbstverständnis stärker leistungs- und konkurrenzorientiert sind und die sich nur schwer mit dem vergleichsweise niedrigeren Sozialprestige und der entsprechend geringeren Bezahlung eines skandinavischen Professors abfinden können. Konflikte können besonders auch dort entstehen, wo die deutschen Wissenschaftler sich engagiert um grundlegende Reformen und Veränderungen bemühen. Auch wenn diese in der Sache gerechtfertigt sein mögen, führen Änderungsvorschläge bei den einheimischen Wissenschaftlern, die meist nur ihre eigene Universität kennen, oft zu erheblichen Widerständen. Ein seit 14 Jahren in Norwegen tätiger Kollege resümierte seine diesbezüglichen Erfahrungen so: "Meine Versuche, Erfahrungen aus dem deutschen Universitätssystem einzubringen, wurden als Kritik missverstanden, und ich habe es deshalb aufgegeben, mich aktiv zu engagieren. Es ist zu frustrierend, gute und solide Vorschläge an Kollegen, Techniker, Sekretärinnen und Studenten zu schicken, die Bergen niemals verlassen haben und die auf alles, was neu und nicht erprobt ist, allergisch reagieren. Ich habe jetzt, wo ich mich heraushalte, ein viel angenehmeres Leben." Andere sind als Deutsche von vornherein vorsichtig mit Kritik. Ein Naturwissenschaftler bemängelte etwa, dass es in Dänemark "politisch nicht akzeptabel ist zu sagen, dass nur diejenigen Studenten an die Universität gehören, die auch die entsprechenden Leistungen erbringen können." Auf einen Konflikt habe er es dennoch nicht ankommen lassen wollen, "da ich als Deutscher und Gast in Dänemark auf Grund der Geschichte mich lieber zurückhalte." Diesen eher resignativen Erfahrungen stehen zahlreiche andere Stimmen gegenüber, die von einem gelungenen (Wissenschafts-)Kulturtransfer von Deutschland nach Skandinavien berichten und die der eigenen akademischen Akkulturation auch positive Seiten abgewinnen kön-

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nen. So loben manche in den Fragebögen "Kollegialität statt Rivalität", "unprätentiöses Leben", "Toleranz, Freundlichkeit, Arbeitslust" oder "Vereinbarkeit von Familienleben und Wissenschaft".

Wenn trotz äußerlich gelungener Integration Defiziterfahrungen bleiben, so drücken sich diese bei den Naturwissenschaftlern meist in der Klage über die geringen Vorkenntnisse der Studenten, die Verschulung des Studiums und das relativ niedrige wissenschaftliche Niveau aus; bei den Geisteswissenschaftlern werden eher die geringe Größe und gesellschaftliche Isolation des akademischen Milieus und die allgemeine Bildungsfeindlichkeit (besonders in Norwegen) beklagt. Ein Religionswissenschaftler drückte diese Kritik folgendermaßen aus: "Der nationale Gesprächskreis in Norwegen ist zu klein. In Deutschland finden sich mehr qualifizierte Gesprächspartner auch in anderen Fächern. In Norwegen leben viele, auch unter den Kollegen, noch vor der Aufklärung."

Eine wesentliche Voraussetzung für die soziale Integration von Einwanderern liegt nicht zuletzt in den allgemeinen Lebensverhältnissen. Diese werden je nach den individuellen Erfahrungen der Neueinwanderer (Gruppen C und D) ganz unterschiedlich beurteilt: Positiv herausgestrichen wird besonders die größere Familienfreundlichkeit der skandinavischen Gesellschaften und eine entsprechend bessere Vereinbarkeit von Familie und (Wissenschaftler-)Beruf – gerade auch für Frauen. Auch andere soziale Errungenschaften, wie z. B. die vorbildliche Betreuung und Integration von behinderten Kindern im Schulsystem, können im Einzelfall die Lebensverhältnisse wesentlich erleichtern. Auf der anderen Seite gehört es zu den einschneidendsten Erfahrungen der meisten Emigranten (und dies gilt in erster Linie für Norwegen), dass eine "feste Stelle" nicht unbedingt von finanziellen Engpässen befreit. Die Kombination von relativ niedrigen Gehältern, hohen Steuern und ausgesprochen hohen Lebenshaltungskosten (u. a. ca. 25 % höhere Nahrungsmittelpreise, 100 % Luxussteuer auf Autos, überhitzter Wohnungsmarkt in den Universitätsstädten) trägt dazu bei, dass ein in Deutschland selbstverständlich gewordener Lebensstandard – Auto, Urlaubsreisen, Restaurantbesuche – im "reichsten Land Europas" aus finanziellen Gründen starken Einschränkungen unterworfen sein kann.

5. Das deutsche Universitätssystem aus der Perspektive der Emigranten

Wie beurteilen die nach Skandinavien emigrierten deutschen Wissenschaftler das deutsche Universitätssystem, ein System also, das sie, besonders wenn sie erst kürzlich emigriert sind, gründlich aus eigener Erfahrung kennen, nun aber von "außen" wahrnehmen? Bei den Antworten muss man in Rechnung stellen, dass die Emigrationssituation und ihre individuelle Verarbeitung (Akkulturation, Identifizierung, Integration) die Beurteilung beeinflusst haben. Gleichwohl finden sich in den Antworten nur wenige Pauschalurteile und – bei aller Kritik – erstaunlich wenig

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Ressentiments gegen ein System, das die eigene Karriere verhinderte und so die Auswanderung notwendig machte.

Es sind typischerweise einzelne Vertreter der Gruppe A (Emigration bereits in den 1960er Jahren, Universitätsausbildung im Ausland), die ihre Kritik am deutschen Universitätssystem auf allgemeine kulturelle Faktoren, besonders die Unterschiede im akademischen Habitus und Lebensstil zwischen Skandinavien und Deutschland, reduzieren und zugespitzt so kontrastieren: "Freundlichkeit", "Toleranz", "Kollegialität" in Skandinavien versus "Erfolgsneurose", "Verbiestertheit" und "Professorenherrlichkeit" in Deutschland. Als Grundsatz einer deutschen Universitätsreform bietet sich entsprechend das Motto "mehr Bescheidenheit" an.

Die Mehrheit der Antworten deutet in die gleiche Richtung, zeigt dabei aber eine differenziertere Betrachtungsweise. Als Vorteile und Stärken des deutschen Systems werden, im Vergleich zum skandinavischen, folgende Faktoren hervorgehoben: die Solidität und fachliche Breite des Studiums, die relativ guten Vorkenntnisse der Studenten, insbesondere in Naturwissenschaften, Mathematik, Sprachen, das hohe Potential sehr guter Studenten, die Förderung von Grundlagenforschung ohne unmittelbare Nutzanwendung, die gute wissenschaftliche Infrastruktur (Bibliotheken, Forschungseinrichtungen), die Wettbewerbs- und Leistungsorientierung und nicht zuletzt die "angemessene" Bezahlung akademischer Arbeit. Dafür werden im deutschen Universitätswesen vor allem folgende Nachteile und Schwächen ausgemacht: Unterfinanzierung der Universitäten und Massenbetrieb, Unflexibilität und Schwerfälligkeit der Bürokratie, geringe Entscheidungsautonomie der Universitäten und Institute, verkrustete hierarchische Strukturen (C3-C4), die Fixierung auf die Habilitation, die geringen Chancen für den Nachwuchs und entsprechend die existentielle Unsicherheit junger Wissenschaftler, die Länge und Undurchsichtigkeit von Berufungsverfahren, Rückständigkeit im Bereich von Datenverarbeitung und Internet, mangelnde Internationalisierung, Geringschätzung der akademischen Lehre.

Die aus dieser Beurteilung resultierenden Vorschläge zur Reform des deutschen Systems lassen sich unter vier Titeln zusammenfassen:

1. Einebnung der hierarchischen Strukturen und Demokratisierung: Abschaffung des Beamtenstatus; Mittelvergabe an Institute, nicht an Lehrstühle; gleicher Zugang zu Forschungsmitteln; Finanzierung aufgrund von Leistung.

2. Bessere Nachwuchsförderung: Abschaffung der Habilitation; "tenure track" bzw. feste Anstellung von jungen Wissenschaftlern als Assistenzprofessoren mit der Möglichkeit der Beförderung bei entsprechenden Forschungsleistungen; kurze, transparente und demokratische Berufungsverfahren (mit externen Kommissionsmitgliedern).

3. Verbesserung der akademischen Lehre: Stärkung der Hochschuldidaktik; häufigere studienbegleitende Prüfungen; bessere Doktorandenausbildung; Einbindung der Doktoranden in Forschung und Lehre; Examen durch externe Prüfer.

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4. Internationalisierung: Dissertationen auf Englisch, insbesondere in den Naturwissenschaften; Nutzung des Internet.

6. Schluss

Wie bei allen Migranten, so lässt sich auch die Lage der nach Skandinavien emigrierten deutschen Wissenschaftler nicht auf eine Differenzanalyse der akademischen Strukturen und Lebensbedingungen im Herkunfts- und Aufnahmeland reduzieren. Es ist der oft schwierige Vorgang der Emigration selbst – das Verlassen vertrauter Strukturen, die Begegnung mit einer anderen akademischen Kultur, das Bemühen um eine neue Synthese –, der innovative Kräfte freisetzt. Der Zusammenhang zwischen Emigration und wissenschaftlicher Innovation ist zwar seit der Antike immer wieder behauptet worden, doch fehlt nach wie vor eine systematische Forschung zu diesem Thema. Damit soll nicht gesagt sein, dass emigrierte Wissenschaftler als solche kreativer oder innovativer sind als die Zurückgebliebenen. Aber offenbar gibt es ein besonderes innovatives Potential, das aus der lebensgeschichtlichen Situation der Entwurzelung und Akkulturation resultiert. Ich möchte mit dem Zitat eines jetzt in Schweden tätigen Mathematikers schließen, das diesen positiven Effekt der Emigration zum Ausdruck bringt: "Weil meine Bewerbungsmisserfolge in Deutschland mich aus Modeströmungen und Schulen hinauskatapultiert haben, brauchte ich diesbezüglich keine Rücksichten mehr zu nehmen und konnte eigene Problemlösungs- und Theorieansätze entwickeln, die weder in eine Modeströmung noch in eine etablierte Schule passen."



    [Fußnoten]

    1. - Vgl. John Peter Collett, Der deutsche Einfluss auf die norwegische Wissenschaft und Universitätsausbildung, in: Jarle Simensen (Hg.), Deutschland und Norwegen. Die lange Geschichte, Oslo 1999, S. 56-70.

    2. - Vgl. Helmut Müssener, Exil in Schweden. Politische und kulturelle Emigration nach 1933, München 1974, S. 271-293; Einhart Lorenz, Exil in Norwegen. Lebensbedingungen und Arbeit deutschsprachiger Flüchtlinge 1933-1943, Baden-Baden 1992, S. 296-307; Willy Dähnhardt und Birgit S. Nielsen (Hg.), Exil in Dänemark. Deutschsprachige Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller im dänischen Exil nach 1933, Heide 1993, S. 93-319.

    3. - Anfragen bei den deutschen Botschaften in Stockholm, Oslo und Kopenhagen sowie bei den statistischen Büros in den drei Ländern blieben ergebnislos.



© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | July 2003

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