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[Seite der Druckausg.:6]



1. Turkmenistan - im Land des Präsidenten auf Lebenszeit


Präsidentielle Omnipotenz und parlamentarische Farce

Das politische System Turkmenistans ist als Präsidialrepublik konzipiert worden (Verfassung von Mai 1992). Seit seiner Wahl zum Präsidenten am 27.10.1990 durch den Obersten Sowjet Turkmenistans, bekleidet General Saparmurad Nijazow das höchste Staatsamt. Er ist in dieser Funktion gleichzeitig oberste Entscheidungsinstanz der Regierung, deren Minister er nach eigenem Gutdünken ernennen und entlassen kann, ein Usus, von dem Nijazow bisher reichlich Gebrauch gemacht hat. [Vgl. Erich Follath: Stalins Disneyland, in: Der Spiegel, Nr. 3/2001, S. 130-136, S. 132f: „Außenminister Batur Berdijew gilt als eine Art Ziehsohn des Führers, oder vielleicht sollte man besser sagen: als Liebling der Saison. Denn die Halbwertzeit der Mitglieder im Kabinett beträgt derzeit weniger als ein Jahr." ]
Das Kabinett ist hier nicht dem Parlament, sondern dem Präsidenten verantwortlich – und damit von seinem Wohlwollen abhängig. Als oberste exekutive Autorität ist der turkmenische Präsident zudem nicht nur Dienstherr des Polizeiapparates und des Geheimdienstes, sondern auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Das Parlament besteht aus zwei Kammern: dem Abgeordnetenhaus (Majlis) mit 50 Mitgliedern, die für eine fünfjährige Legislaturperiode vom Volk gewählt werden sowie dem Volksrat (Chalk Maslahaty) als eine Art erweiterte parlamentarische Kammer. Dieser stellt die eigentliche „Legislative" dar, kommt aber nur zu sehr unregelmäßigen Sitzungen zusammen. Ihm gehören neben den Majlis-Abgeordneten noch 50 weitere, gewählte Deputierte an, der Staatspräsident selbst, das gesamte Kabinett sowie weitere Mitglieder, die der Präsident beruft. [Vgl.http://www.cia.gov/cia/publications/factbook/geos/tx.html / Die weiteren Mitglieder, die der Präsident beruft, sind die 10 Gouverneure der Provinzen bzw. Großstädte, der Vorsitzende des Obersten Gerichts, der „Rat der Alten" (Ak Sakal) sowie Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppierungen. Vgl. Angaben zu Turkmenistan bei http://www.auswaertiges-amt.de]
Offiziell fungiert das Zweikammer-Parlament zwar als höchstes Repräsentativorgan, hat jedoch keine echten Vollmachten und kann angesichts der beschriebenen Verteilung der Kompetenzen kaum als Volksvertretung bezeichnet werden. [Vgl. Eschment, Autoritäre Präsidialregime, S. 24] Auch die Judikative unterliegt dem Einfluss des Staatsoberhaupts, da nur er Richter ernennen und entlassen kann. So ermöglicht die Kompetenz des Präsidenten, die Mitglieder der Legislative zu ernennen, ihm nicht nur die personelle, sondern auch die sachliche Kontrolle der „Volksvertretung". [Vgl. John Anderson: Authoritarian political development in Central Asia: the case of Turkmenistan, in: Central Asian Survey, 14 (1995) 4, S. 511f]
Darüber hinaus müssen alle Bewerber für einen Sitz im Abgeordnetenhaus die Zustimmung des Präsidenten für ihre Kandidatur einholen, eine zusätzliche Gelegenheit für das Staatsoberhaupt, ungenehme Personen von vornherein auszuschalten und so potentielle Kritiker aus öffentlichen Institutionen fernzuhalten.

Das turkmenische Parlament ist dergestalt zum reinen Akklamationsorgan degradiert worden und wird von der Exekutive bzw. deren Exponenten kontrolliert. Das herausragendste Beispiel seiner Servilität lieferte das Parlament am 28. Dezember 1999, als es einstimmig die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten aufhob und damit Nijazow de facto zum Präsidenten auf Lebenszeit bestellte. Schon vorher, im Oktober 1993, hatte Nijazow sich vom Parlament den offiziellen Ehrentitel „Turkmenbaschi" (Haupt/Führer der Turkmenen) verleihen lassen und damit einen grotesken Personenkult entfacht, der denjenigen Stalins oder Maos noch zu übertreffen scheint: nach ihm benannt sind nicht nur der Flughafen der Hauptstadt Aschchabad, zahlreiche Plätze und Straßen in allen Städten des Landes, unterschiedlichste Konsumartikel (Wodka, Parfüm etc.), sondern auch die ehemalige sowjetische Hafenstadt Krasnowodsk am Kaspischen Meer, die durch eine Präsidentenverfügung in Turkmenbaschi umgetauft wurde. [Vgl. Follath, Disneyland, S. 130-136,]

Schlusslicht in der OSZE bei den Menschenrechten

Die Grundrechte, die die Verfassung Turkmenistans gewährt, spiegeln sich in der politischen Realität des Landes nicht einmal im Ansatz wider. Entsprechend ist Turkmenistan von der Helsinki-Föderation für Menschenrechte als „repressivstes Mitgliedsland der OSZE" gebrandmarkt worden. Und die amerikanische Organisation „Freedom House"

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platzierte Turkmenistan bei der Bewertung der Kategorien „Politische Rechte" und „Bürgerliche Freiheiten" in denkbar schlechte Gesellschaft mit Staaten wie dem Irak, Afghanistan und Somalia. [Vgl. http://www.freedomhouse.org/survey99/tables/indep-tab.html]
Amnesty international berichtet von Folter an politischen Gefangenen in Gefängnissen, Schikanen der Behörden gegen religiöse Minderheiten, internen Verbannungen, Arbeitslagern (deren Zweck die „geistige Läuterung" ist), psychischem Druck und Terror bis zu fingierten Morden an den Angehörigen politisch Missliebiger sowie Schauprozessen – überspitzt formuliert: Turkmenistan in „bester" sowjetischer Tradition. [Vgl. http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/ be9e68e195e0a1e6c1256aa000463df7?OpenDocument]

Ein Präsident - eine Partei - eine Meinung

Es gibt in Turkmenistan nur eine Quelle politischer Meinung und Handlung, den Turkmenbaschi, der gleichsam als „Monarch unter dem Präsidententitel" (Uwe Halbach) regiert. Jeder Ansatz von politischem Pluralismus und Oppositionsbildung wurde und wird von der herrschenden „Ein-Mann-Nomenklatura" im Keim erstickt. Am sichtbarsten wird dies bei der Betrachtung der Parteienlandschaft: so wurde die frühere Kommunistische Partei Turkmenistans nach der Unabhängigkeit in „Demokratische Partei Turkmenistans (DPT)" umbenannt, deren Vorsitzender Nijazow ist. Andere Parteien sind verboten. Entsprechend entstammen alle 50 Mitglieder des Majlis der DPT. Dadurch ist die originäre Funktion von Parteien, nämlich den politischen Willensbildungsprozess der Bevölkerung zu fördern, Meinungen zu bündeln und in politische Programme umzusetzen sowie für den „Nachwuchs" politischer Führungskräfte zu sorgen, außer Kraft gesetzt. Oppositionelle Gruppen existieren gleichwohl im Untergrund, allerdings ist ihr Zugang zur Bevölkerung durch die repressive Lage stark erschwert und ohnehin begrenzt. [Vgl. Roland Götz/Uwe Halbach: Politisches Lexikon GUS, 3. n. A., München 1996, S. 345]
Als Abschreckung für die Bevölkerung sind auch fadenscheinige Anschuldigungen und Verfahren gegen Oppositionelle zu sehen, wie etwa gegen den Vorsitzenden der verbotenen Freiheitsbewegung Agsybirlik, Nurberdy Nurmamedow, der zu fünf Jahren Gefängnis wegen „Aufruhr" verurteilt wurde.

Festgehalten werden kann, dass Turkmenistan sich seit der Loslösung von der UdSSR in der festen Hand seines ersten und bisher einzigen Präsidenten, Saparmurad Nijazow, befindet, der im selbstherrlichen Stil eines gleichsam absolutistischen, mittelalterlichen Khans über das Land herrscht. Es gibt zur Zeit auch keinerlei Anzeichen dafür, dass über kurz oder lang ein politisches Tauwetter die autokratische Präsidialrepublik aufweichen und die politische Realität des Landes zumindest in die Nähe der konstitutionellen Vorgaben führen könnte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2001

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