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TEILDOKUMENT: ANHANG: DOKUMENTE
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EV Nr. 111 v. 14.5.1932 Nie hat sich jemand vor seinem Feind demütiger verbeugt, niemals haben die Gegner der deutschen Arbeiterklasse ihr ein größeres Kompliment gemacht als es die heutige Reaktion dadurch tut, daß sie alle gegenrevolutionären und antinationalen Bestrebungen der Epoche unter der Firma Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" vereinigt. Mit dem Hute in der Hand, vor Sanftmut, Biederkeit und Treuherzigkeit nur so strahlend ist Gregor Strasser, der maßlos Überschätzte, vor den Reichstag getreten und hat in sozialen Tönen geflennt und gebarmt. Die Nationalsozialisten kommen sich mit ihren Schwindeleien als Schüler Machiavellis vor - und es gibt Leute, die sich antifaschistisch nennen und bei der Rede Gregor Strasser dasaßen wie die Katze, wenn es donnert. Diese vielgerühmte Strasserrede ist der intellektuelle Zusammenbruch des Nationalsozialismus. Nicht nur deswegen, weil hier die Partei des Privateigentums und der Schwerindustrie Sozialismus mimt, oder weil das berühmte Strasserprogramm lauter gute alte, wenn auch etwas reformierte Bekannte aus der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Agitation enthält, sondern weil es die absolute begriffliche Unklarheit über Sozialismus und das Fehlen auch der einfachsten wirtschaftlichen Kenntnisse offenbart. So mußte Hilferding in seiner Antwort erst sagen, was der andere hat sagen wollen unter der Voraussetzung, daß ein Nationalsozialist sich auch wirklich darüber klar ist, was er zu sagen hat. Dabei mußte die Rede Strassers so gehalten werden, wie sie gehalten wurde. Nicht nur die Sehnsucht dieses Bajuwaren nach einem preußischen Ministersessel ist hier die Triebfeder. Der Nationalsozialismus hat den bürgerlichen Topf leer gegessen, jetzt muß er versuchen, seinen Löffel in den proletarischen Topf zu stecken. Der Sturm auf die Betriebe ist im Gange. Dabei wird in der kindlichsten Weise darauf spekuliert, einen Keil zwischen die böse marxistische und verjudete Sozialdemokratie und die biedergermanischen Freien Gewerkschaften zu treiben. Hitlers unreife Parolen von dem Gewinn des antinationalen Lagers" sollen jetzt verwirklicht werden. Die Rede Strassers könnte von Franke oder Kloth oder gar von August Winnig stammen, den weggeworfenen Sozialdemokraten, mit ihrem zusammengestohlenen und verballhornten Gedanken aus dem ersten Band von Karl Marx Kapital" und den schludrig rekonstruierten Gedankengängen aus Bebels Reden in der Zukunftsstaatsdebatte von 1893, die von Strasser in echter Schwindlermanier natürlich als eigenes Gewächs dargeboten wurden. Es ist heute so wie 1847, als Karl Marx schrieb: Der feudalistische Sozialismus, halb Klagelied, halb Pasquill, halb Rückhall der Vergangenheit, halb Dräuen der Zukunft, mitunter der Bourgeoisie ins Herz treffend durch bitteres geistreich zerfließendes Urteil, stets komisch wirkend durch gänzliche Unfähigkeit, den Gang der modernen Geschichte zu begreifen." Nur waren es damals die geistigen Potenzen des Bürgertums, geschult an Kant und Lessing, und heute ist es der ungeschulte Abfall des Kleinbürgertums, intellektuelle Halbstudierte, die mit ein paar zusammengelesenen Zitaten aus Chamberlain und den gefälschten Protokollen der Weisen von Zion die Welt erobern wollen. Die Arbeiter aber mögen die Ohren steif halten! Der Feind will sie jetzt im ganzen Lager im Rahmen der Betriebe und Gewerkschaften angreifen! Die Nationalsozialisten begannen die letzte Reichstagssitzung mit Komödie, die sich so weit steigerte, daß ein Bursche wie Gregor Strasser den Anständigen spielte. Das ging so lange gut, bis in der SA-Debatte Hitlers Intimus Göring, [Wilhelm Hermann Göring (1893-1946). Nach dem Hitler-Putsch 1923 Flucht nach Schweden (dort bis 1927), nach der Rückkehr 1928 MdR und „politischer Beauftragter" Hitlers in Berlin. 1930 zweiter stellv. Fraktionsvors. der NSDAP im Reichstag, 1932 Reichstagspräsident. Jan. 1933 Reichskommissar für das preuß. Innenministerium und Reichsluftfahrtkommissar. 1946 Selbstmord in Nürnberg.] im Bruch des Offiziersehrenwortes eine kongeniale Erscheinung zu Strasser, auf der Bildfläche erschien. Wir wollen nicht untersuchen, aus welchen dunklen Gründen der sonst vorsichtige Göring den wilden Mann spielte und dem wilden Mann Strasser, der den Staatsmann mimte, sein preußisches Porzellan zerschlug. Hier bleibt nur festzustellen, daß bei der Debatte um die Auflösung der Sturmabteilungen der Anstandsfirnis der Nazi abplatzte und das echte Gassenbubentum unwiderstehlich zum Ausdruck kam. Im Zentrum ist man wohl sehr nachdenklich geworden bei diesem Anblick der künftigen Koalitionsbrüder. Für die deutsche Öffentlichkeit aber ist dieser erste mißglückte Versuch, sich anständig zu benehmen, eine Probe auf das Exempel der Legalität. Wenn schon dieses merkwürdige Gemisch von Lumpenproletariat und Lumpenbourgeoisie bei der ersten Nervenprobe einer politischen Debatte versagt, wie soll das erst bei den großen Fragen der Politik ausgehen, die mit der Einhaltung der Legalität stehen und fallen. Die Verwahrlosung und Bestialisierung des deutschen Faschismus ist schon viel zu weit fortgeschritten, um sich noch in einem Rahmen der Legalität halten zu können. Das wird Brüning merken, wenn seine Karte von Lausanne nicht ganz so sticht, wie er versprochen hat. In der Rede Brünings, die ohne Zweifel auch politisch eine Leistung ist und die nur beschränkten Anlaß zur Kritik geben kann, sind doch zwei Momente bedenklich: einmal die absolute Ferne jeder sozialistischen Erkenntnis und das völlige Verkennen der Unfähigkeit des Kapitalismus zur Heilung der Wirtschaftskrise. Zum andern die Ausschließlichkeit, mit der ein hundertprozentig siegreiches Ergebnis von Lausanne als Faktor der Gesundung in Rechnung gestellt wird. Wer gar zu große Hoffnungen erweckt, kann auch bei den ziemlich sicheren Erfolgen von böswilligen Kritikern zum Träger einer Niederlage abgestempelt werden. Die Nationalsozialisten künden das heute schon an. Und wenn Brünings Lausanner Trumpfkarte, so gut sie sein mag, die von ihm selbst so stark geförderten Hoffnungen nicht befriedigt, dann dürfte das Schicksal seiner Regierung bestimmt sein. Die Stärke der Nationalsozialisten liegt in der schwächlichen Abwehr der andern. Nach den gemeinen Roheitsakten am Donnerstag hatte der Ältestenrat sich bereits mit halben, auf die Zukunft vertröstenden Maßnahmen begnügt. Erst der sozialdemokratische Druck hat die vier Schlägerlümmel vermutlich auf ein volles Jahr um ihre Diäten, ihre Freikarte und in das Polizeigefängnis gebracht. Die Bürgerlichen wissen zum großen Teil noch immer nicht, worum es geht. Da ist der Landbund gegen die Regierung, aber in der Regierung sitzen zwei Minister, die dem Landbund angehören. Das will sich die Wirtschaftspartei nicht gefallen lassen und stellt Mißtrauensanträge gegen die Landbundminister. Die Staatspartei sieht darin eine gute Gelegenheit, gegen den Landbundführer Schiele [Martin Schiele (1870-1939), 1914-30 MdR (Dt.-Konservative Partei, DNVP). Jan.-Okt. 1925 Reichsinnenminister, Jan. 1927-Juni 1928 und März 1930-Mai 1932 Reichsernährungsminister. Aug. 1928-Okt. 1930 Geschäftsführender Präsident des Reichslandbundes. Vgl. G. Trittel: Schiele, in: Benz/Graml (Hg.), Biographisches Lexikon, S. 290f.] loszugehen. Kaum macht sie aber den Versuch, da erklärt der Christliche Volksdienst, daß er dann gegen den Minister Dietrich [Hermann Dietrich (1879-1954), einer der Mitbegründer der DDP. 1920-33 MdR (DDP, ab 1930 Dt. Staatspartei). Seit Juni 1928 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, 1.4.-27.6.1930 Wirtschaftsminister und Vizekanzler, 27.6.1930-30.5.1932 Finanzminister. Seit Sept. 1932 Vors. der Dt. Staatspartei. - 1945 Mitbegründer der FDP und seit 1947 Direktor des Amtes für Ernährung und Landwirtschaft in der Bizone. Vgl. H. Auerbach: Dietrich, in: Benz/Graml (Hg.), Biographisches Lexikon, S. 61.] stimmen werde. Der Landbund wieder will gegen das Kabinett stimmen, aber die Mißtrauensanträge gegen seine beiden Minister ablehnen. Die Deutsche Volkspartei ist wohl gegen die Regierung, aber nicht gegen die einzelnen Minister. Und als dieses ganze wirre Durcheinander durch die Schließung der Reichstagssitzung beendet, das wichtige Schuldentilgungsgesetz angenommen und das Gesamtkabinett mit 30 Stimmen Mehrheit gesichert war, da machten die Nationalsozialisten durch ihre grauenhafte Dummheit die Abstimmung gegen die einzelnen Minister unmöglich. Sie ließen auch ihre ganzen Agitationsanträge, wie Aufhebung des SA-Verbots, Unterdrückung des Reichsbanners, der Freiheit und viele andere schöne Sachen, ersaufen. Die Sitzung war geschlossen und der Reichstag ging auseinander. Bloß das Rindvieh stand noch brüllend in seinem Stall. Bei den Nationalsozialisten hatte niemand gemerkt, daß jetzt der Reichstag auf Anordnung des Präsidenten, wahrscheinlich also erst wieder am 6. Juni zusammenzukommen braucht. Roheit, Dummheit, Unanständigkeit, die Dummheit aber ist die größte unter ihnen ... Am stärksten gefährdet wird die politische Situation heute durch anonyme Intriganten in dem Kreis um Hindenburg, im Reichswehrministerium, im Auswärtigen Amt und gewissen Teilen der Wirtschaft. Sichtbar werden diese Gefahren immer nur durch die Unbesonnenheit von Generälen, die gern in der Politik eine Rolle spielen möchten. Diesen Intrigen ist jetzt Gröner als Reichswehrminister zum Opfer gefallen, [Gröner war am Tag zuvor, dem 13.5.1932, als Reichswehrminister zurückgetreten. - Wilhelm Gröner (1867-1939), parteilos, amtierte 1920-23 als Reichsverkehrsminister, ab 1928 bis zu seinem Rücktritt als Reichswehrminister, ab 1931 zugleich als Reichsinnenminster. Am 30.5.1932 trat er (zusammen mit dem Kabinett Brüning) als Reichsinnenminister zurück.] trotzdem die sachlichen Notwendigkeiten ihn eher vom Platz des Innenministers hätten weichen lassen müssen, wie es Brüning wohl auch beabsichtigt hatte. Daß Gröner fiel und Hindenburg schweigend seinen alten Generalquartiermeister aufgegeben hat, beruht auf einer Revolte der Generäle, die einfach dem Reichspräsidenten erklärt hatten, daß die gesamte Reichswehr nicht mehr mit dem Wehrminister zusammenarbeiten würde, der ihr Vertrauen nach der Dienstagrede verloren habe, in der er das Reichsbanner verteidigt und die Aufhebung des SA-Verbots abgelehnt habe. Politisierende Offiziere sind immer ein Unglück und bringen Deutschland heute geradezu in die Gefahr einer Balkanisierung seiner Politik. Die Schleicher, Hammerstein und manche ihrer Kollegen mögen wohl Begabung zum Intrigieren haben, aber politisch sind sie absolut unfähig. Schon Gröner hat vor einiger Zeit mit dem Gedanken gespielt, einmal an Stelle Brünings Kanzler zu werden, dann hat er sich beruhigt und ist durch den Gang der Ereignisse an die Seite Brünings gedrängt worden. Heute möchte General von Schleicher Reichskanzler werden und Hammerstein und die anderen Generäle und Admirale sind nur seine Figuren. Aber bei Schleicher langt es nicht einmal zum Politiker, geschweige denn zum Reichskanzler, und ein Militärkabinett würde heute Deutschlands Unglück sein. Wer nun Gröners Nachfolger wird, ist ungewiß. Ganz bestimmt tragen die Pläne, diesen Ministerposten vorläufig nicht zu besetzen, dafür aber Armee und Flotte als geforderte Säulen dem Reichspräsidenten direkt zu unterstellen, ihre eigenen Gefahren in sich. Es mag sein, daß dabei der Gedanke mitspielt, bei einer eventuell kommenden nationalsozialistischen Regierungsbeteiligung die Reichswehr aus der Einflußsphäre Hitlers herauszuhalten. Aber solche Schachzüge würden eine irreparable Verletzung der Verfassung, eine Zerschlagung des Etatsrechts des Reichstags und das Ohnmächtigmachen des Reichskanzlers bedeuten. Was sich beim Sturz Gröners gezeigt hat, das ist die schleichende Autoritätskrise der Republik, die innere schwärende Krankheit, die in den Zeiten der Zersetzung und Schwächung der zivilen Regierungsgewalten offenbar geworden ist. Ein Staat, der seine Autorität gegenüber intrigierenden Militärs nicht herzustellen vermag, gibt damit ein größeres Zeichen der Kraftlosigkeit, als er es mit jeder außenpolitischen Unterwerfung geben würde. Wir Sozialdemokraten sind auf alles gefaßt! Wir werden im Parlament auf dem Posten sein. Wir wissen aber, daß sich in diesen Wochen der entscheidende Faktor in der öffentlichen Meinung außerhalb des Parlaments bildet. Unsere außerparlamentarischen Machtmittel zu stärken, ist die Aufgabe jedes Arbeiters. Ein ganzes langes Leben voll Aufopferung für die Arbeiterbewegung ist fruchtlos und als ein Nichts zu werten, wenn man in diesen Wochen versagt und nicht sein Alles an die Arbeit der Abwehr und für die Aktionen der Partei einsetzt. Tausend Probleme, die uns bis ins Innerste bewegten, sind heute überholt. Es gilt, die Waffen zu schärfen und, wo es nötig ist, in letzter Stunde zu schmieden. Der Sozialismus ruft! Es darf keine Arbeiter geben, die beiseite stehen! © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000 |