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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[20.]
Zu neuen Kämpfen. Zwischen dem 13. März und 10. April


STW Nr. 62 v. 15.3.1932

Der weitaus größte Teil des deutschen Volkes ist antifaschistisch. Es ist das Unglück der deutschen Republik, daß sich diese antifaschistische Mehrheit nicht realisieren läßt, weil die Gegnerschaft in ihrem Lager viel zu groß ist. Es ist aber eine mehr komisch zu wertende Anschauung, wenn die Tatsache, daß Hindenburg „nur" 49,5 Prozent der abgegebenen Stimmen im ersten Wahlgang erhalten hat, von der völkischen und deutschnationalen Seite als Volksmehrheit gegen das System ausgebeutet wird.

Nächst Südbayern und Nord-Westfalen hat Württemberg die höchste Stimmenzahl für Hindenburg aufgebracht. Aber im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Wahlkreisen und den Württemberg in diesen Stimmenzahlen folgenden Kreisen Köln-Aachen und Westfalen-Süd ist die Zusammensetzung der württembergischen Bevölkerung eine so andersartige, daß die württembergische Leistung eine noch höhere Anerkennung verdient. In diesen Wahlkreisen, die mit großer absoluter Mehrheit für Hindenburg votiert haben, ist das Gros der Bevölkerung katholisch. Das bedeutet, daß dort die sozialdemokratische Arbeiterbewegung nicht nur mit den christlichen Gewerkschaften, sondern auch mit gewaltigen Mengen katholischen Bauern- und Bürgertums zusammenarbeiten konnte. In Württemberg aber sind mehr als zwei Drittel der Bürger protestantisch und die objektiven Schwierigkeiten darum entsprechend größer. Das Zentrum und die Bayerische Volkspartei konnten es sich erlauben, diese Frage in höherem Sinne politisch zu behandeln, das protestantische Bürger- und Kleinbauerntum aber ist darin viel unerzogener und belasteter und orientiert sich mehr nach Stimmungen und Strömungen des Tages. Es ist geradezu ein von Bösartigkeit nicht freier Witz der Geschichte, daß die sozialdemokratischen Arbeiter, die doch das Recht hätten, den alten Soldaten Hindenburg viel reservierter zu betrachten, und daß die katholischen Süd- und Westdeutschen, denen der straff protestantische ostelbische Militär viel fremder sein mußte, die politische Einsicht zur Wahl Hindenburgs besaßen. Ein großer Teil des protestantischen Bürgertums - in Württemberg ist er glücklicherweise nicht allzu groß - aber hat sich gegenüber seinem Abgott Hindenburg einfach unter allem Hund benommen. Hindenburg ist von diesen Kreisen als eine überparteiliche, in wohlgemeintem deutschen Spießersinne unpolitische Persönlichkeit gepriesen und dann zugunsten des nächsten hergelaufenen politischen Reklamesozialisten mit abstoßender Treulosigkeit als „Greis" im Stich gelassen worden, nachdem er sich geweigert hatte, Parteikandidat der Rechten und damit präsumtiver Eidbrecher zu werden. Ein besonders nachdenkliches und beschämendes Kapitel ist da der deutsche Osten.

(...) [Im folgenden erörtert Schumacher die spezifische Bedeutung des Wahlausganges für Württemberg und Stuttgart.]

Trotzdem besteht eine politische Gefahr für den deutschen und den württembergischen Abwehrkampf, gleichgültig welcher Spielart und aus welchen Motiven heraus er entstanden ist und kämpft. Diese Gefahr ist darin zu sehen, daß das rein formale Gelingen der Hindenburgwahl am 10. April viele befriedigt. Erschlaffen und Nachlassen aus Bequemlichkeit oder aus kleinlichen taktischen Hintergründen, das landesübliche törichte Gerede, daß es ja in Württemberg nicht so schlimm sei wie im Reich, hindern an der politischen Auswertung des ersten Wahlganges. Die Lage in Deutschland und auch in Württemberg ist so, daß man die Gegensätze nicht mehr einschläfern und durch eine gewisse Vertagung allmählich aus der Welt schaffen kann. Damit würden die Krankheitskeime nur künstlich konserviert, um dann bei einer gefährlicheren Gelegenheit umso verderblicheres Fieber zu erzeugen.

Nein, es soll und muß gekämpft werden! Der 10. April soll weichende Kommunisten sehen. Er muß eine nationalsozialistische Bewegung erblicken, die in Beginn eines unaufhaltsamen Rückzuges steht. Darum muß Hindenburg in Deutschland und in Württemberg am 10. April mehr Stimmen erhalten als am 13. März! Der Faschismus muß sterben, wenn Deutschland leben soll. Die Arbeiter haben es begriffen und mit großartiger Disziplin und Entschlossenheit danach gehandelt. Es wird Zeit, daß es auch die anderen begreifen!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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