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TEILDOKUMENT:

ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[19.]
„Der Appell an den inneren Schweinehund".
Rede am 23.2.1932 im Deutschen Reichstag


Protokoll Reichstag, 57. Sitzung v. 23.2.1932, S. 2254f.

Meine Damen und Herren!

Es hat keinen Zweck, gegen die Ungeheuerlichkeiten, die aus dem Munde der Herren Goebbels und Strasser kamen, mit einem formalen Protest anzugehen. Diese Dinge sind ja nur Teile eines ganzen Systems der Agitation. Wir wenden uns dagegen, auf diesem Niveau moralischer und intellektueller Verlumpung und Verlausung zu kämpfen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten. - Glocke des Präsidenten.)

Präsident Löbe: Herr Abgeordneter Dr. Schumacher, ich rufe Sie zur Ordnung!

Dr. Schumacher (SPD): Das deutsche Volk wird Jahrzehnte brauchen, um wieder moralisch und intellektuell von den Wunden zu gesunden, die ihm diese Art Agitation geschlagen hat. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Als Vertreter der marxistischen Arbeiterbewegung betone ich mit Stolz, daß System und Politik des Marxismus derartige persönliche Schmutzigkeiten immer ausgeschlossen haben. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)

Eine Auseinandersetzung ist schon darum nicht möglich, weil wir in dem Nationalsozialisten nicht das gleiche Niveau achten können. Wir sehen keinen Gegner, mit dem wir die Klinge kreuzen könnten. Außerdem lehnen wir es gerade bei dieser Frage grundsätzlich ab, die sozialdemokratische, durch Opfer an Gut und Blut erhärtete Politik in nationalen Fragen vor solcher Art Kritikern zu rechtfertigen. Den Herren fehlen die politischen Kenntnisse, denn die meisten von ihnen beschäftigen sich erst zwei oder drei Jahre mit Politik, so daß ihnen das alles fern liegen muß. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)

Die Herren bringen auch keinerlei Voraussetzungen mit, um ein kritisches Urteil über uns abgeben zu können. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten. - Große Erregung bei den Nationalsozialisten. - Glocke des Präsidenten.)

Präsident Löbe: Herr Abgeordneter Dr. Schumacher, ich bitte Sie, solche Wendungen nicht zu gebrauchen. Im übrigen bitte ich Sie, mit diesen Dingen zum Schluß zu kommen.

Dr. Schumacher (SPD): Wenn wir irgend etwas beim Nationalsozialismus anerkennen, dann ist es die Tatsache, daß ihm zum erstenmal in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen ist.

Ich kann Ihnen ein kleines persönliches Beispiel dafür geben. Ich bin im Dezember 1914 verwundet worden. Von der Führung der württembergischen Nationalsozialisten ist systematisch die Nachricht verbreitet worden, ich hätte mich selbst verstümmelt. (Lebhafte Rufe bei den Sozialdemokraten: Pfui!) Drei dieser Leute sind bereits gerichtlich verurteilt. Zwei davon sind nationalsozialistische SA-Leute, einer ist Sturmführer. [Vgl. hierzu Kap. X.4.] Aber diese Untermenschen sind heute noch Kameraden von diesen Leuten (zu den Nationalsozialisten). Ich meine, die Selbstverstümmelung á la Buttler, (lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten) und die aktive Freundschaft mit den Gegnern deutscher Außenpolitik überlassen wir den Nationalsozialisten a la Feldmann-Hessen, der vom Reichsgericht zu fünf Jahren wegen Spionage im Dienste Frankreichs verurteilt ist. (Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten. - Große Unruhe rechts.) Man kann ja den Herren Nationalsozialisten diese politische Methode nicht verübeln. Diese Methode ist ja erwachsen aus dem völligen Fehlen jeder geistigen und wissenschaftlichen Fundierung der Bewegung. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Beispielsweise ist das einzige Stück Sozialismus in dem nationalsozialistischen Programm darin zu sehen, daß sie fremdes geistiges Eigentum entschädigungslos expropriiert haben. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Herr Dr. Goebbels hat sich hier als ein großer Leitartikel gebärdet, und er ist doch nur ein mißratenes kleines Feuilleton. (Sehr gut! und große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Wir wollen mit dem Herrn Dr. Goebbels über Fragen des Krieges nicht streiten. Der Herr Dr. Goebbels bringt dafür so viel mit wie etwa Herr Frick [Wilhelm Frick (1877-1946), MdR NSDAP Mai 1924-45.] zu einer Unterhaltung über seine Kriegserlebnisse. (Sehr gut!) Und Herr Kaufmann [Karl Kaufmann (1900-1969), MdR NSDAP 1930-45.] kann uns einiges davon erzählen, wie man Orden und Ehrenzeichen bekommt. (Erneutes lebhaftes: Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Diese Partei dort drüben steht ja überhaupt zum größten Teil unter der Führung von Leuten, die sich im Krieg um ihre Militärpflicht gedrückt haben. (Sehr wahr!) Diese Leute wollen zu deutschen Frontsoldaten reden, diese Leute sagen bombastisch: „Wir deutschen Frontsoldaten", aber diese Leute waren, wie Herr Karpenstein, [Wilhelm Karpenstein (1903-1968), MdR NSDAP 1930-Aug. 1934.] zu Beginn des Krieges 11 Jahre alt. Nicht anders war es bei Herren, wie Dr. Frank II [Hans Frank (1900-1946), MdR NSDAP 1930-1945.] und ähnlichen Geistern. Ich stelle hiermit fest: Von der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion haben im Krieg 73 Prozent aktiv gedient. Von den Herren Nationalsozialisten haben 77 den Krieg mitgemacht; davon aber beinahe die Hälfte als Offiziere, ein anderer Teil wurde erst 1918 eingezogen und ist nicht mehr ins Feld gekommen. (Hört! Hört!)

Abschließend sage ich den Herren Nationalsozialisten: Sie können tun und lassen was sie wollen; an den Grad unserer Verachtung werden sie niemals heranreichen. (Lebhafter und anhaltender Beifall bei den Sozialdemokraten. - Lärm bei den Nationalsozialisten.)


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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