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4. Tarif- und Betriebspolitik unter neuen Formen der Arbeit

In der Arbeitswelt scheint fast nichts beim alten zu bleiben. Verflüssigung, Flexibilisierung und Virtualisierung von Arbeit sind Alarmsignale für die Sozialpartner, die Tarif- und Betriebspolitik auf den Prüfstand zu stellen. Diese Prüfung soll jetzt erfolgen, denn alte Politikmuster werden schon langsam brüchiger und sind vielfach innovationsbedürftig.

In Deutschland ist z.B. eine Diskussion über die Zukunft von Flächentarifverträgen entfacht, die etwas düster aussieht. Flächentarifverträge scheinen zu erodieren. Das Vorhaben, einen hochdifferenzierten Branchenmix und eine vielseitige Mischung von Betrieben in einer Branche paßgenau in einem Tarifvertrag einzufangen, gelingt zusehendst schwieriger. Darüber hinaus spiegeln die Inhalte von Tarifverträgen z.T. auch noch die Arbeitswelt der alten industriellen Produktionsweisen wider und reagieren zuwenig auf die Umbrüche in der Arbeit. Informationsarbeiter und Beschäftigte in Hochleistungsarbeitssysteme (HPWS) arbeiten heute unter andersartigen Bedingungen.

Die Konturen von Tarifpolitik, Betriebspolitik, industriellen Beziehungen und betrieblichen Arbeitsbeziehungen sind in Deutschland andere als in den USA. Verhandlungen und Konsensfindung sind das Ergebnis kultureller Tradition und nationaler Gesetzesgrundlagen. In den USA könnte der deutsche Weg ebensowenig implementiert werden, wie es nicht funktionieren würde, in Deutschland den amerikanischen Weg nachzugehen. Auch auf dem Gebiet der Tarif- und Betriebspolitik soll daher wiederum kein Wettstreit zwischen den Ländern stattfinden, sondern hochaktuelle Innovationen aus beiden Ländern beispielhaft vorgestellt werden.

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4.1 Transformation der industriellen Beziehungen und neue Konfliktlösungsmuster in den USA

Nach dem II. Weltkrieg bis etwa in die siebziger Jahre verfügten die USA über ein relativ stabiles System industrieller Beziehungen. Ein technisch-organisatorischer Rationalisierungskonsens unterstützte die Bargainingprozesse zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Besonders in den Großunternehmen, z.B. der Automobilindustrie, waren die Gewerkschaften eine durchaus potente Kraft und erreichten zumindest standardisierte Unternehmensvereinbarungen. „New Deal-System„ ist das Schlagwort, das die industriellen Beziehungen zutreffend charakterisiert.

Seit den achtziger Jahren werden die industriellen Beziehungen aber fragiler. In einem schleichenden Umgestaltungsprozeß transformieren die Austauschbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Mehrere Ursachen sind wiederum zu identifizieren:

  • der Druck zur Steigerung der globalen Wettbewerbsfähigkeit,

  • der Zwang zur Effizienzsteigerung,

  • die enormen Reorganisations- bzw. Restrukturierungsschübe und

  • die Entlassungs- und Ausgründungswellen.

Die Statik von Arbeitsorganisation, Arbeitsvollzügen und Arbeitsrollen ändert sich. Eine Anzahl von Betrieben strukturieren ihre Arbeitsorganisation durch Team- und Gruppenarbeit um, andere verharren in herkömmlichen Produktionskonzepten. Die Beziehungen zwischen den betrieblichen Akteuren, Management, Gewerkschaften und Arbeitnehmern, werden vielgestaltiger. In ein und demselben Unternehmen gibt es beispielsweise durchaus Betriebe mit gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern, die in teilautonomen Arbeitsgruppen mit großen Partizipationsmöglichkeiten arbeiten, in einem anderen Betrieb dagegen konfliktorische Arbeitsbeziehungen, die sich durch starre Hierarchiestrukturen, Mißtrauen und schlechte Kooperationschancen auszeichnen.

Damit ist zugleich der Ausgangspunkt für die Krise der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung fixiert. Betrug der Organisationsgrad in den 50er Jahren noch 26%, so ist er seit den 70er Jahren bis heute auf 11% gesunken. Die amerikanischen Gewerkschaften führen mittlerweile einen Überlebenskampf, bei dem noch nicht entschieden ist, wie er ausgehen wird. Die amerikanische Gewerkschaftskrise hat mehrere Ursachen.

Die Arbeitnehmerschaft ist heterogener als früher: durch Teilzeitarbeitsverhältnisse, befristete Arbeit, atypische Arbeitsverhältnisse, ansteigende Frauenerwerbstätigkeit. [ Auch in Deutschland ist nicht umsonst eine Diskussion über atypische Arbeitsverhältnisse und ihre Konsequenzen für die Gewerkschaften in Gang gekommen, wenn sie auch nicht die gleiche Brisanz wie in den USA besitzt.]
Amerikanische Gewerkschafter kritisieren auch die amerikanische Arbeitsgesetzgebung. Nach ihrer Bewertung ist sie wenig effektiv und vermag kaum etwas grundlegend strategisch verändern. Zwar wären gesetzliche Initiativen notwendig, um die antiquierte und erstarrte Gesetzgebung zu reformieren und den veränderten Bedingungen anzupassen. Aber in den USA ist auf diesem Politikfeld ein politischer Stillstand zu verzeichen. [ Allerdings passiert auf der bundesstaatlichen Ebene durchaus schon etwas. Einige amerikanische Bundesstaaten haben z.B. Schutzgesetze erlassen, die das „Hire and Fire„ Prinzip der Arbeitgeber etwas eingrenzen.]
Der Wandel in der Arbeitswelt wird von der Politik zwar wahrgenommen und seine Ursachen werden identifiziert, aber politische Konsequenzen werden daraus nicht gezogen.

Der gewerkschaftliche Überlebenskampf findet aber vor allem in den Betrieben statt. Eine wachsende Opposition des Managements gegenüber den Gewerkschaften potenziert dort den gewerkschaftlichen Machtverlust. [ Ein Schlüsselereignis war die Entlassung der streikenden Fluglotsen durch Präsident Reagen im Jahr 1981. Der politische Rechtsruck machte eine antigewerkschaftliche Haltung salonfähig. Andere Firmen wie die Greyhound Bus Line heuerten Streikbrecher an und versuchten mit unterschiedlichsten Taktiken, die Macht der Gewerkschaften zu brechen.]
Ein Blick hinter die Fassaden der Industriebetriebe verrät, daß der Bedeutungszuwachs des Human-Resource-Management (HRM) die industriellen Beziehungen und betrieblichen Arbeitsbeziehungen ganz entscheidend beeinflußt.

HRM ist in den USA zu einem Main-Stream der Betriebspolitik avanciert. Im HRM behält das Management die Kontrollfunktion, aber innerhalb einer Kooperationskultur, die durch Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten mehr auf Überzeugung als auf Anordnung aufbaut. Viele „HRM-Firmen„ führen zugleich Karriereentwicklungskonzepte ein, zahlen überdurchschnittliche Löhne und implementieren Gewinnbeteiligungsmodelle. Nicht selten setzt sich daher beim Management die Aufassung durch, daß der Einsatz von Instrumenten des HRM die gewerkschaftliche Interessenvertretung eigentlich überflüssig mache, denn das Management selbst kümmere sich schon ausreichend um die Belange der Arbeitnehmer. Das heißt: Die Human-Resource-Manager üben einen Substitutionseffekt auf die Gewerkschaften aus.

Außer dem HRM existieren natürlich auch andere betriebspolitische Gestaltungskonzepte. Amerikanische Forscher charakterisieren sie folgendermaßen:

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Typologien sind in der Realität nie in Reinform vorzufinden, damit auch HRM im Grunde nicht. In der betrieblichen Praxis ergibt sich meistens ein unternehmens- bzw. betriebsspezifischer Strategiemix. Auf welchen Strategiemix oder Main-Stream die Firmen im einzelnen auch setzen mögen, er bleibt nicht folgenlos.

Im Zusammenspiel mit den genannten ökonomischen Rahmenbedingungen werden die wesentlichen Einflußgrößen erkennbar, die die industriellen Beziehungen in den USA sukzessiv umformen:

  • Unterschiedliche Entlohnungsysteme wie Gewinnbeteiligungsmodelle differenzieren Löhne und Gehälter. Nicht mehr so entscheidend ist, ob in den Betrieben gewerkschaftlich organisierte oder nichtorganisierte Arbeitnehmer beschäftigt sind. Das alte Einkommensgefälle zwischen Unternehmen mit organisierter und nichtorganisierter Belegschaft verschwimmt. [ Früher lagen die Löhne im gewerkschaftlichen Organisationsbereichen zum Teil 15-20% höher als heute.]

  • Mit zunehmender Variationsbreite der Arbeitsorganisation unterscheiden sich, trotz vergleichbarer Arbeitstätigkeiten von Arbeitnehmern in verschiedenen Firmen oder Betrieben innerhalb eines Unternehmens, Arbeitsbedingungen, -erfahrungen und -zufriedenheit erheblich. Mit ihnen vervielfältigen sich auch die Arbeitseinstellungen der Beschäftigten.

  • Unterschiedliche betriebspolitische Gestaltungsmuster und Arbeitsbeziehungen verändern die Art und Weise, wie Konflikte und Interessengegensätze betrieblich oder überbetrieblich geregelt und gelöst werden. Das amerikanische Bargaining System war zwar schon immer dezentralisiert. Die Dezentralisierung hat allerdings verschärfte Formen angenommen. Die Stahlindustrie ist ein gutes Beispiel für diesen Trend. Früher gelang es der Stahlarbeitergewerkschaft sogar, industrieweite Kollektivabkommen auszuhandeln. Heute stehen nur noch unternehmens- bzw. betriebsspezifische Tarifverträge auf der Tagesordnung. Meistens sinkt auch ihre materielle Qualität. Lag z.B. das Inflationsrisiko früher noch beim Arbeitgeber, indem die Löhne den Inflationsraten bzw. Lebenshaltungskosten angepaßt wurden, trägt heute der Arbeitnehmer das volle Inflationsrisiko. Zeitgleich vermehren sich die gewerkschaftlich unorganisierten Bereiche in der Stahlindustrie.

  • In den siebziger Jahren legten die amerikanischen Arbeitnehmer noch eine relativ hohe Streikbereitschaft an den Tag. Die Anzahl der Streik ist von 1974 bis 1998 auf Einzehntel gesunken. In einer Art Gegenbewegung entsteht eine Prozeßexplosion. Immer mehr arbeitsbezogene Streitfälle landen bei den Gerichten oder den amerikanischen Regulierungsbehörden. Dort entsteht ein Stau von Streitfällen und die Dauer der Konfliktregelung nimmt zum Mißbelieben von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu.

Die Konfliktregelung bzw.- -schlichtung verläuft daher zunehmend in alternativen Bahnen. In den USA ist nämlich eine interessante Entwicklung zu beobachten. Die Zauberformel heißt „Alternative Dispute Resolution„ (im folgenden ADR).

ADR ist im Prinzip ein privater Ersatz für die öffentliche Regelung und Schlichtung von Streitfällen. Die Unzufriedenheit mit dem Rechtssystem (hohe Kosten und lange Wartedauer) hat fast schon zu einer ADR-Revolution geführt. [ Im Jahre 1998 wurde sogar bundesgesetzlich festgelegt, daß Bundesbezirksgerichte zunächst verpflichtet sind zu prüfen, ob zivilgerichtliche Auseinandersetzungen nicht ebensogut von einer privaten Partei gelöst werden könnten.]
Das heißt im Falle von Arbeitskonflikten auf der betrieblichen Ebene: in Zeiten starken Wettbewerbsdrucks und betrieblicher Umstrukturierungen wird nach neuen Möglichkeiten gesucht, Konflikte unkompliziert und schnell zu bewältigen. Einige Firmen gehen inzwischen sogar dazu über, in neuen Arbeitsverträgen mit (vor allem nicht gewerkschaftlich organisierten) Beschäftigten festzuschreiben, daß Konflikte und Streitfälle primär über Formen von ADR zu lösen sind. Eine vielgenutzte Möglichkeit ist dabei die Einschaltung eines sogenannten Mediators, der ein verbindliches Schieds- bzw. Vermittlungsangebot erarbeitet. [ In Deutschland übernehmen die Betriebsräte viele dieser Konfliktregelungsaufgaben. Sie sind sehr wichtige betriebliche Interessen- und Konfliktmanager und gewissermaßen auch so etwas wie Mediatoren.]

Formen von ADR besagen aber auch, daß die instrumentelle Bandbreite vielfältig ist: Vermittlung, Schiedssprüche durch Dritte, Sichtung von Konfliktursachen, Einschaltung von Ombudspersonen etc. gehören allesamt zu den ADR-Instrumenten. Sie werden mit unterschiedlicher Intensität genutzt:

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Die Nutzung von ADR ist ein zusätzlicher Hinweis darauf, in welche Richtung sich das amerikanische System industrieller Beziehungen bewegt. Das alte System macht einem variationsreicheren Platz. Ob es ein besseres oder schlechteres ist, darüber werden in Zukunft letztlich die verbleibenden Macht- und Einflußchancen von Arbeitnehmern und Gewerkschaften entscheiden.

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4.2 Innovative Tarif- und Betriebspolitik in Deutschland: Das Beispiel debis AG

Flächentarifverträge geraten in Deutschland immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik, da sie von den Betrieben als zu enges Korsett empfunden werden, um flexibel auf die besonderen Marktbedingungen reagieren zu können. Im Eifer des Tagesgeschäfts wird aber zeitweilig übersehen, daß sie für Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch Sicherheiten bieten, denn sie halten die Rahmenbedingungen konstant. Dagegen kann eine Destabilisierung von Flächentarifverträgen ungeahnte und unkalkulierbare Kosten produzieren, wenn in einer national und international verketteten Produktion der Arbeitskampf in einem kleinen (Zuliefer-) Betrieb eine ganze Branche nahezu lahmlegt.

Nachstehend soll aber keine Grundsatzdebatte über Flächentarifverträge geführt werden. Vielmehr wird an einem Fallbeispiel eine Alternative aufgezeigt, wie sich die deutsche Tarif- und Betriebspolitik neu positionieren kann.

Ein spannendes Modellvorhaben findet man bei der debis AG. Das Unternehmen ist anfang der neunziger Jahre aus dem Daimler-Benz Konzern im Rahmen eines Outsourcing-Vorhabens im Bereich Telekommunikation, Informationstechnik, Logistik und Finanzdienstleistungen entstanden. Debis zählt in diesen Bereichen heute zu den führenden Dienstleistungsunternehmen. Debis (heute Services by DaimlerChrysler) ist ein modernes Unternehmen mit einer innovativen, vielleicht zukunftsweisenden Tarif- und Betriebspolitik. Führungskräfte und Betriebsräte scheuen sich nicht, neue Wege zu gehen, ohne allerdings die bislang bewährte Richtung gänzlich zu verlassen. Das Beispiel zeigt, welche neuen Optionen in der Tarif- und Betriebspolitik im industriellen Dienstleistungssektor schon möglich sind, mit denen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter eigentlich recht gut leben können.

Schon in einer grobkörnigen Charakterisierung des Unternehmens fällt bereits einiges auf, was für den Wandel der betrieblichen Sozialstruktur und der Arbeits- und Sozialbeziehungen im industriellen Dienstleistungssektor prägnant ist und für die Tarif- und Betriebspolitik nicht ohne Folgen bleibt:

  • Der Trend zur Wissensgesellschaft macht auch vor den Toren von debis nicht halt, sondern verfestigt sich und verändert die betriebliche Sozialstruktur. Der Anteil von Hochschulabsolventen steigt in der Belegschaft permanent, der Bedarf an hochqualifizierten Mitarbeitern erhöht sich kontinuierlich. Die Beschäftigten, die in der Kommunikations- und Informationsbranche arbeiten wollen, müssen immer höhere Eingangsqualifikationen mitbringen, die nicht erst im Betrieb erworben werden können.

  • Zu einem modernen Unternehmen gehören auch neue Formen der Arbeitsorganisation und zeitgemäße Führungsinstrumente. Debis implementiert Team- und Gruppenarbeit, personalpolitische Instrumente wie Zielvereinbarungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, alternative Führungsstile, die weniger auf Anordnung und Gehorsam, dafür mehr auf Information und Kommunikation (z.B. durch Mitarbeiterfeedback) beruhen sowie eine leistungsbezogene individuelle Honorierung, bei der nicht so sehr die Anwesenheit eines Mitarbeiters als vielmehr seine Leistung im Vordergrund steht.

  • Die Rolle der Betriebsräte ist eine andere geworden. Die Schlagworte sind bekannt, vielleicht auch schon etwas abgegriffen, trotzdem aber zutreffend: Progressive Betriebsräte werden bei debis zu Co-Managern und setzen nicht nur auf ihre Schutzfunktion, sondern versuchen, Gestaltungsfunktion zu übernehmen. Damit ändert sich ihr Selbst- und Rollenverständnis. Sie müssen mehr agieren und dürfen nicht mehr nur reagieren.

Was bedeutet nun vor diesem Hintergrund innovative Tarif- und Betriebspolitik? Hervorstechende Besonderheit ist ein Ergänzungstarifvertrag. Dieser hat zum Ziel, die Regelungen aus Flächentarifverträgen nicht, wie in vielen Haustarifverträgen, einfach zu ersetzen, sondern vielmehr durch firmenspezifische Regelwerke zu ergänzen und zu modifizieren. Daher wurden die Flächentarifverträge Nordwürttemberg/Nordbaden und Berlin/Brandenburg modifiziert. [ Über den Begriff „Ergänzungstarifvertrag„ läßt sich sicher streiten. In einigen Punkten ist er gegenüber den Metalltarifverträgen durchaus auch ein anderer Tarifvertrag.]
Das Innovationspotential, das in diesem Vorhaben steckt, soll mit zwei Beispielen offengelegt werden: den Vergütungs- und Qualifizierungsrichtlinien.

Die Vergütung ist neu geregelt. Seit Januar 1999 gilt folgendes:

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Fixes Monatsgehalt, Leistungszulage, Weihnachts- und Urlaubsgeld gehören üblicherweise zu den Standards von Tarifverträgen. Debis hat diese Vergütungsgrundlagen umgewandelt.

Urlaubs- und Weihnachtsgeld entfallen, dafür wird ein sogenanntes Jahreszielgehalt gezahlt. Dieses Jahreszielgehalt besteht aus einem fixen Anteil, der gezwölftelt und monatlich ausbezahlt wird. Die variablen Anteile des Jahreszielgehalts setzen sich jeweils hälftig aus der individuellen Leistung und dem Unternehmenserfolg zusammen.

Der Unternehmenserfolg wird in seiner „echten„ Ausprägung einbezogen, d.h. in seiner vollen Bandbreite von plus, aber auch minus. [ Allerdings fällt es einem Unternehmen mit guten wirtschaftlichen Prognosen sicher leichter, auf ein solches Vergütungssystem umzusteigen. Im Ergebnis sattelt der Ergänzungstarifvertrag auf dem Flächentarifvertrag drauf. Betriebe, die schon Schwierigkeiten haben, die Mindestanforderungen von Flächentarifverträgen zu erfüllen, dürften auch mit diesem System Probleme bekommen.]
Debis definiert diese Bandbreite von 0 bis 200%. Für die Jahre 1999 und 2000 ist allerdings ein Vertrauensschutz vereinbart. [ Das Vergütungssystem gilt für alle Mitarbeiter. Zunächst war vorgesehen, nicht alle Vergütungsgruppen einzubeziehen, sondern die unteren – ganz im Sinne des Schutzgedankens - von der Variable „Unternehmenserfolg„ auszuschließen. In einem Sturm der Entrüstung fühlten sich die Betroffenen allerdings diskriminiert und das Vorhaben wurde aufgegeben.]
Die Vergütungsvariable „Unternehmenserfolg„ reicht von einem 75%igen Sockel bis zu einer Endmarge von 160% (quasi als Deckelung für den garantierten Sockel). Mitarbeiter und Führungskräfte sollen behutsam in das System eingeführt werden, mit ihm zu leben lernen und als einen wesentlichen Bestandteil ihres zukünftigen Gehaltes etappenweise anerkennen können.

Unter Gewerkschaftern ist selbstverständlich keineswegs unumstritten, ob der Unternehmenserfolg in Anbetracht des Risikos schlechter Unternehmensergebnisse in Vergütungssysteme einbezogen werden sollte. Darüber wurde auch bei debis kontrovers diskutiert. Die verantwortlichen Akteure halten aber dagegen, daß Betriebsräte in wirtschaftlichen schwierigen Zeiten bisweilen gezwungen sind, Standortsicherungsprogramme zu vereinbaren, die Gehaltssumme abzusenken und unliebsamen Maßnahmen wie Kündigungen zuzustimmen. Bei debis würde den Mitarbeitern schlimmstenfalls zunächst etwas in den Geldbeutel gegriffen, dagegen könnten andere, viel unpopulärere Maßnahmen erst einmal ausgesetzt werden.

Betriebsergebnisse können „schöngerechnet„, genauso gut aber auch „schlechtgerechnet„ werden. Da der Daimler-Chrysler Konzern zudem an der amerikanischen Börse in New York notiert ist, wird der Konzern nach der amerikanischen Rechnungslegung behandelt, die vorschreibt, wie sich der sogenannte „operating profit„ zusammensetzen muß. Damit ist eine wesentliche Herausforderung für die Interessenvertretung aufgezeigt. Wenn das Einkommen der Beschäftigten unmittelbar vom ausgewiesenen Unternehmenserfolg abhängt, müssen Betriebsräte und Aufsichtsräte die Verfahren zur Rechnungslegung sehr genau nachvollziehen und überprüfen können. Ihre intensive Schulung ist unverzichtbar, wenn ein derartiges Vergütungssystem eingeführt wird.

Die Leistungsbewertung folgt den wohlbekannten Standards, die üblicherweise in Tarifverträgen festgezurrt sind, allerdings ist das personalpolitische Instrument der Zielvereinbarung in die Leistungsbeurteilungen integriert. Eine Zielvereinbarung mit einem Mitarbeiter soll ausdrücklich nicht auf einem Zieldiktat beruhen. Das Verfahren ist formalisiert und der Mitarbeiter muß die Zielvereinbarung unterschreiben. Viel wesentlicher ist aber, daß die Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern auf eine qualitativ neue Ebene gehoben wird. Die Betroffenen erarbeiten gemeinsam die Ziele und sollen sie aus den strategischen Unternehmens- und spezifischen Bereichszielen ableiten. Die Vorgesetzten sind verpflichtet, anschließend für die Ressourcen zu sorgen, damit der Mitarbeiter, mit dem eine Zielvereinbarung abgeschlossen wurde, seine gesetzten Ziele auch wirklich erreichen kann. Dies ist im Vergleich zu den alten, industriell geprägten Führungsstrukturen durchaus schon ein etwas anderes Verständis von Führungsverantwortung.

Die Qualifizierung der Beschäftigten ist besonders wichtig für den Unternehmenserfolg in dieser Branche. Die Halbwertzeit an technisch-fachlichem Know-How beträgt ungefähr nur drei bis vier Jahre. Ohne Qualifizierung und kontinuierliche Lernprozesse werden Beschäftigte schnell von „High Performern„ zu „Low Performern„. In der Qualifizierungsfrage beschreitet debis deshalb ebenfalls einen noch recht neuartigen Weg.

Die Kosten und die Arbeitszeit aller Bildungsmaßnahmen für die Erfüllung der aktuellen und zukünftigen Aufgaben trägt der Arbeitgeber. Die direkte berufliche Weiterbildung, die erforderlich ist, um eine bestimmte Arbeitsaufgabe erfüllen zu können, geht also voll zu Lasten des Arbeitgebers. Im Gegenzug wird den Beschäftigten eine ausgeprägte Weiterbildungsbereitschaft abverlangt.

Es gibt aber auch andere Bildungsmaßnahmen, die zwar wichtige, aber für die Arbeitsverrichtung nur mittelbar relevante Qualifikationen vermitteln. Dazu gehören z.B. Maßnahmen zur Persönlichkeitsentwicklung, die viele Betriebe häufig noch zu sehr vernachlässigen. Für diese Bildungsmaßnahmen gilt bei debis nun die folgende Regel: Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen sich die Arbeitszeit für Bildungsmaßnahmen, die im überwiegenden Interesse des Arbeitnehmers liegen. Die Kosten der Maßnahmen trägt aber der Arbeitgeber. Darüber hinaus besteht ein Rechtsanspruch auf Qualifizierung, genauer auf 5 Tage pro Jahr oder gebündelt auf 25 Arbeitstage in einem Zeitraum von 5 Jahren.

Die tarifvertraglichen Beispiele zeigen zusammengefaßt, wie debis versucht, mit neuen tarifierten Instrumenten ein höheres Flexibilitätspotential in die Betriebe hinein zu transportieren. Wie in den USA, gehört das HRM dazu. Im Kern veranschaulicht das Fallbeispiel eines Ergänzungstarifvertrags, wie Tarif- und Betriebspolitik anders und vielleicht besser als bisher zusammengeführt werden können. Besonders auch die klein- und mittelständische Industrie könnte prüfen, ob auf diese Weise mehr Flexibilität erreicht werden kann, ohne sich gleich vom Flächentarifvertrag zu verabschieden. Damit sinkt zugleich das Risiko, daß sich eine gebündelte Arbeitnehmerpolitik in atomisierten einzelbetrieblichen Regelungen auflöst, die Betriebsräte abseits von kollektiven Normen in einzelnen Betriebsvereinbarungen erkämpfen müssen. Das würde mehr dem amerikanischen Konzept ähneln, der deutschen Tradition aber widersprechen.

Eventuell ist mit dieser Strategie aber auch schon ein Zukunftsentwurf für internationale Tarifverträge aufgezeigt, die einen Orientierungsrahmen geben, aber gleichzeitig nicht verhindern, daß auf nationale Bedingungen ausreichend reagiert werden kann.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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