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2. Strukturwandel der Arbeit und Arbeitsformen der Zukunft: Trends und Prognosen

Wer beabsichtigt, Prognosen über die Arbeitsgesellschaft zu erstellen, muß zunächst eine Inventur machen und moderne Arbeitsfomen mit zukunftsweisendem Charakter herausarbeiten. Noch hängt über der Arbeitsgesellschaft des 21. Jahrhundert dichter Nebel. Diese Nebelwand soll im folgenden wenigstens ein wenig gelichtet werden.

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2.1 Hochleistungsarbeitssysteme und partizipative Arbeitsorganisation in amerikanischen Betrieben

Die Kenntnis, unter welchen Bedinungen in amerikanischen Firmen gearbeitet wird, hilft moderne Formen von Arbeitsorganisation und betrieblichen Arbeitsbeziehungen verstehen zu lernen. Amerikanische Forscher haben auf einer forschungsgestützten Grundlage die ersten Zukunftstrends beschrieben. In amerikanischen Betrieben haben Hochleistungsarbeitssysteme, die „High Performance Work Systems„ (im folgenden HPWS) Einzug gehalten. Sie sind in der amerikanischen Arbeitswelt zwar noch keineswegs flächendeckende Arbeitsrealität, zeigen aber eine mögliche Richtung auf, wie die Beschäftigten künftig arbeiten werden.

Die Gründe, warum Betriebe zunehmend auf HPWS umstellen, reichen schon mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Die siebziger und achtziger Jahre waren schwierige Zeiten für die amerikanische Wirtschaft, wie aber auch für die anderen modernen westlichen Industriegesellschaften. Der Ölpreisschock ließ Krisenstimmung aufkommen. Die USA hatten mit hoher Arbeitslosigkeit, geringem Produktivitätswachstum und hohen Inflationsraten zu kämpfen. Die makroökonomischen Rahmenbedingungen standen unter ungünstigen Vorzeichen. Die US-amerikanische Zentralbank setzte auf eine Politik hoher Zinssätze, um die Inflationsrate unter Kontrolle zu bringen. Mit einem überbewerteten Dollar fiel es amerikanischen Firmen gleichzeitig schwer, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten. Japanische, aber auch deutsche Firmen nahmen den amerikanischen Unternehmen immer mehr Marktanteile, nicht nur in der Automobilindustrie, sondern z.B. auch im Stahlbereich, Flugzeugbau oder Computergeschäft. Amerikanische Arbeitgeber reagierten darauf fürs erste mit dem üblichen Repertoire aggressiver personalpolitischer Maßnahmen, wie z.B. Lohnsenkungen oder die Verringerung der Mittel für Aus- und Fortbildungsmaßnahmen. Die eigentlichen Ziele, die Kostenstrukturen zu verbessern und die Produktivität zu steigern, wurden damit aber nicht erreicht.

Entscheidende Verbesserungen brachten erst die neunziger Jahre. Die Initialzündung gaben vornehmlich die veränderten makroökonomischen Ausgangsbedingungen ab, z.B. im Bereich der Zins- und Geldpolitik. Auch technologische Innovationsschübe und erhebliche Investitionen in die Informations- und Kommunikationstechnologien haben dazu beigetragen, daß sich die amerikanische Wirtschaft im globalen Wettbewerb nunmehr auf einer herausragenden Position behauptet. Aber es gibt auch andere Faktoren, die den wirtschaftlichen Erfolgskurs der USA fördern und den Wandel von Arbeit einleiten. Sie zeigen auch, daß Rentabilität und arbeitsorganisatorische Innovationen ein Zwillingsgespann bilden. Das eine geht in der Regel nicht ohne das andere.

Die Umstellung auf eine schlanke Just-in-Time Produktion sowie immer diversifiziertere Kundenwünsche mit hohen Qualitätserwartungen zwangen, klassische Arbeitsbeziehungen und alte Arbeitsorganisationsformen zur Disposition zu stellen. Die Japaner führten der ganzen Welt schon frühzeitig vor, welche Produktivitätsfortschritte und Wettbewerbsvorteile zu erreichen sind, wenn das Gestaltungs- und Innovationspotential der Beschäftigten besser genutzt wird. Auch die amerikanischen Unternehmer lernten die Lektion, daß Investitionen in neue Arbeitssysteme und arbeitsorganisatorische Innovationen nachhaltig zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Diese Erkenntnis ist mehr und mehr in das unternehmerische Denken eingeflossen. Das Management entdeckte die Beschäftigten als eine wichtige Ressource, um im internationalen Wettbewerb wie auch auf den nationalen Absatzmärkten Vorteile zu erzielen.

Im Zuge dieser Umorientierung werden HPWS implementiert. Sie beinhalten im Prinzip folgendes.

HPWS ermöglicht den Beschäftigten, die keinen Vorgesetztenstatus besitzen, mehr an betrieblichen und arbeitsplatzbezogen Entscheidungen teilzunehmen. Partizipation in HPWS bedeutet direkte Beteiligung an wesentlichen Reorganisationsfragen im tagtäglichen Arbeitsprozeß, und nicht nur an Nebensächlichkeiten. Sie ist keine Scheinpartizipation. Beschäftigte, die in HPWS arbeiten, erledigen ihre Arbeitsaufgaben autonomer, können mehr darüber entscheiden, wie sie die Arbeit verrichten. In HPWS müssen die Beschäftigten in der Arbeit über die Arbeit kommunizieren, d.h. zur Arbeitsleistung gehört auch, arbeitsbezogene Probleme in einem Dialog mit Kollegen, Vorgesetzten, betrieblichen Fachexperten und im Bedarfsfall mit Kunden oder Händlern zu bewältigen. Der Partizipationsgrad, verstanden als Ausmaß der Selbstregulierung, liegt demnach relativ hoch.

Die Beteiligung an der Problemlösung und Entscheidungsfindung kann mit unterschiedlichen betriebsspezifischen Formen umgesetzt werden. Zu den Varianten zählen z.B. selbstregulierende Teams in Form von Gruppenarbeit, spezielle Problemlösungsgruppen, Qualitätsverbesserungsteams oder die in Eigenverantwortung durchgeführte statistische Prozeßkontrolle.

Beteiligungsverfahren können aber nicht voraussetzungslos eingeführt werden. Beteiligung muß erlernt werden und in einem betrieblichen Umfeld stattfinden, das dazu motiviert. Ohne Human-Resource-Mangement (im folgenden HRM) würden HPWS nicht richtig funktionieren. Besonders zwei Komponenten des HRM stehen im Vordergrund: die Aus- und Fortbildung sowie die Förderung der Arbeitsmotivation.

Die Aus- und Fortbildung vermittelt den Beschäftigten diejenigen fachlichen Fähigkeiten und sozialen Handlungskompetenzen, die sie befähigen und ihnen das Vertrauen geben, an betrieblichen Entscheidungen teilzunehmen. Viele der zusätzlichen, fachlichen Fähigkeiten, die Beschäftigte in HPWS benötigen, sind firmenspezifisch und müssen Bestandteil betrieblicher Fortbildungsprogramme sein. Aber auch Partizipationskompetenz ist nicht angeboren, sondern muß erworben werden. Diese einfache Erkenntnis erhält in HPWS eine spezifische Bedeutung. Die Beschäftigten müssen lernen, wie man in Gruppen, mit Vorgesetzten, Experten oder Kunden kommuniziert und seine Interessen, Anregungen und Vorschläge durchsetzen kann.

Ein weitere Funktionsvoraussetzung ist der Aufbau von Beteiligungsmotivation. Die Beschäftigten müssen grundlegend motiviert werden, sich mit den betrieblichen Arbeitsabläufen inhaltlich auseinanderzusetzen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Problemlösungen einzuspeisen und neue Ideen zu entwickeln, die die Arbeits- und Organisationsroutinen verändern. Das heißt in vielen Fällen aber auch, daß die Arbeitnehmer ihre Arbeit rationalisieren. Eine Voraussetzung, HPWS in Gang zu setzen, ist daher die Beschäftigungssicherheit. Sie ist ein unentbehrlicher Motivationsverstärker und ein Vertrauensschutz. Die Beschäftigten müssen sicher sein, daß sie sich im ungünstigsten Fall nicht selbst wegrationalisieren, wenn sie an betrieblichen und arbeitsplatzbezogenen Entscheidungen teilnehmen. Diese Arbeitsplatzsicherheit sollte in Vereinbarungen fixiert werden, wie es immer häufiger Praxis in amerikanischen Firmen ist, die ihre Arbeitsorganisation auf der Grundlage von HPWS umstrukturieren. [ Das ist in den USA einmal mehr angesichts des vergleichsweise schlechten gewerkschaftlichen Flankenschutzes besonders elementar.]
Gewinnbeteiligungsmodelle können flankierend motivieren und die Funktionsfähigkeit von HPWS stärken. Sie bieten nicht nur einen zusätzlichen Leistungs-, sondern auch einen Beteiligungsanreiz. US-Firmen vernetzen HPWS daher nicht selten mit der Implementation von Gewinnbeteiligungsmodellen.

Ein Betrieb mit einem Hochleistungsarbeitssystem zeichnet sich demnach dadurch aus, daß ein Set von Instrumenten installiert worden ist, das den Beschäftigten Motivationsgrundlagen, Fähigkeiten und Möglichkeiten vermittelt, an Entscheidungen teilzunehmen, um die Produktions- und Arbeitsleistung zu verbessern.

Die Forschung hat die Auswirkungen von HPWS in verschiedenen Branchen untersucht. Ohne Einzelheiten und Differenzierungen zwischen Branchen vorzustellen, sind einige Forschungsresultate sehr aufschlußreich, um die Zukunftsrichtung moderner Arbeit auszuloten.

Die Forschungsergebnisse bestätigen: Betriebe implementieren HPWS nur unter der Bedingung erfolgreich und ziehen daraus reale wirtschaftliche Vorteile, wenn ihnen eine effektive Kombination von neuer Arbeitsorganisation, Beschäftigtenbeteiligungsverfahren, motivationalen Anreizen und Beschäftigungssicherungsmechanismen gelingt. In diesem Fall profitieren Arbeitnehmer und Arbeitgeber von den arbeitsorganisatorischen Innovationen und den erneuerten betrieblichen Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen.

Im Spiegel der Forschungsergebnisse kann bilanziert werden:

  • Die Kombination aus HPWS und Human-Resource-Management (HRM) steigert zwar nicht automatisch die Produktivität und senkt die Arbeitskosten, sie ist für die Unternehmen aber durchaus profitabel. Die Partizipation der Beschäftigten in effizienten Informations- und Kommunikationstrukturen verschafft den Unternehmen neue Wettbewerbsvorteile. Diese werden erreicht, da die Umstellung auf HPWS für die Mitarbeiter vorteilhaft ist.

  • Die Beschäftigten sind durchaus Nutznießer des organisations- und personalpolitischen Innovationskonzepts. Sie arbeiten nun - häufig ganz im Gegensatz zu früher - mehr und mehr in einer Vertrauensorganisation und ihre Vertrauensbeziehung zu den betrieblichen Vorgesetzten wird positiv beeinflußt. In einer partizipativen Arbeitsorganisation steigt die intrinsische Arbeitsmotivation. In der Regel verbessert sich die emotionale Bindung an die betriebliche Organisation, an das Unternehmen und den Arbeitgeber. Beschäftigte in HPWS sind mit ihrer Arbeit meistens zufriedener und bewerten ihre Arbeitstätigkeit als kreativ und abwechslungsreich. [ Dieser Effekt kann allerdings nicht in allen Branchen nachgewiesen werden, denn die Arbeitszufriedenheit hängt natürlich in starkem Maße von den konkreten Arbeitstätigkeiten und –belastungen ab.]

  • Die Beschäftigten merken auch weniger oder seltener an, daß sie gezwungen sind, unfreiwillig Überstunden zu leisten, unter unsicheren oder unsauberen Arbeitsbedingungen leiden, ihre Arbeitsmittel und Zeitressourcen unzulänglich sind oder Konflikte mit Kollegen entstehen.

  • In HPWS nimmt auch der Arbeitsstreß offenbar nicht zu. Das bedeutet zwar nicht, daß Streß für die Beschäftigten in HPWS-Betrieben ein Fremdwort ist. Aber er ist zumindest nicht ausgeprägter als bei Beschäftigten in traditionell organisierten Betrieben.

  • Die Beschäftigten erzielen im Durchschnitt höhere Löhne (um die 5-7%). Nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer machen durch die Einführung von HPWS einen besseren Schnitt.

HPWS allein erhöhen die globale Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Firmen sicher nicht. Darüber entscheiden vor allem makroökonomische Rahmenbedingungen. Unter guten und stabilen makroökonomischen Rahmenbedingungen bieten sie allerdings Wettbewerbsvorteile gegenüber traditionell organisierten Betrieben, denn HPWS verbessern die betriebliche Leistungsfähigkeit.

HPWS sind noch ein Trend. Amerikanische Forscher räumen ein, daß die Anzahl von „glasklaren„ HPWS-Betrieben noch nicht sehr hoch liegt, zumindest wenn sämtliche Kriterien angelegt werden, die einen HPWS-Betrieb ausmachen. Das amerikanische Beispiel liefert aber deutliches Anschauungsmaterial, wie zukunftsfähige neue Formen von Arbeit im Entstehen sind und welche Folgen sie für Betriebe und Beschäftigte haben. Die erste Bilanz fällt zumindest positiv aus.

Der Umbruch in der Arbeitswelt reicht aber noch viel weiter. Er beinhaltet allerdings nicht nur Chancen, sondern auch Risiken für die Beschäftigten. Davon zeugt die anschließende Analyse der deutschen Arbeitsgesellschaft und ihre Projektion in die Zukunft, die schon mit einer ersten Folgenabschätzung verbunden ist.

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2.2 Umbruch von Arbeit und Transformation von industrie- zu wissensökonomischen Strukturen in Deutschland

Zweifellos befindet sich auch die deutsche Arbeitsgesellschaft in einer Umbruchsituation. Schon seit Anfang der achtziger Jahre ist in Deutschland ein beschleunigter Strukturwandel zu beobachten, der mit wachsenden Arbeitsmarktproblemen verkoppelt ist. Vielfach wird in Deutschland auf makro- und mikroökonomische Rahmenbedingungen verwiesen und gehofft, mit einer anderen Politik würde schon alles besser werden. Dies könnte sich allerdings als ein Trugschluß erweisen, der zu kurz greift.

Wissenschaftler meinen zu erkennen, daß die entscheidenden Ursachen für die deutsche Arbeitsmarktmisere nicht, wie oft vermutet, in fehlendem staatlichen Nachfragemanagement oder in zu hohen Löhnen, Steuern und Sozialabgaben zu suchen sind, sondern vor allem im Übergang von der Industrie- zu einer Wissensgesellschaft aufgespürt werden müssen. Diese Annahme überrascht zunächst und ist erklärungsbedürftig. Sie kann aber durch konkrete Entwicklungstrends gestützt werden, die anhalten und die die tatsächlichen politischen Handlungsbedarfe aufzeigen.

Drei Grundprobleme kennzeichnen Erwerbsarbeit in Deutschland:

  • die Erosion der Normarbeit und die Zunahme atypischer Arbeit,

  • die strukturelle Zunahme des Anteils nicht genutzten Arbeitsvermögens und

  • das Anwachsen der Langzeitarbeitslosigkeit.

Hinter diesen Grundproblemen stehen bereits konkrete Ziffern:

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1) Quoten der offenen und verdeckten Arbeitslosigkeit
2) Anteil der LZA an allen registrierten AL
3) 1995; Anteil an allen abhängig Beschäftigten und abhängig Selbständigen; alle Zahlen in vH

Die Entwicklung ist auffällig: Der Anteil der abhängig Beschäftigten in der sogenannten Normarbeit ist rückläufig. Das nicht genutzte Arbeitsvermögen steigt an und die Quote von Langzeitarbeitslosigkeit nimmt zu. Was aber steckt hinter diesen Zahlen? Sie sind interpretationsbedürftig.

Die Entwicklung kann keinesfalls allein aus makro- und mikroökonomischen Weichenstellungen erklärt werden, sondern dahinter verbirgt sich der informationstechnikinduzierte Wandel. Internet und Intranet sind die Stichworte. Diese Techniken werden immer intensiver genutzt. Verlage, Finanzdienstleistungen, Touristikunternehmen, die Unterhaltungsbranche, Versandhäuser, Computerhersteller und der Handel sind am stärksten von den Veränderungen betroffen. Unternehmen aus diesen Branchen haben in wachsendem Maße mit Informationsprodukten zu tun. Informationsprodukte setzen alte Srukturen außer Kraft. Sie legen den Grundstock für die neue Wissensgesellschaft.

Das bedeutet nichts anderes: Es findet eine Transformation von industrieökonomischen in informations- und wissensökonomische Strukturen statt. Ihre Antriebsfeder ist eine Kommunikationsrevolution. Diese verändert

  • wirtschaftliche Praktiken und Verfahren,

  • Beziehungen zwischen Zulieferern, Herstellern, Handel und Kunden,

  • Beziehungen zwischen Unternehmen und Branchen und

  • Teilprozesse innerhalb der Unternehmen.

Die elektronisch vernetzte Wissensökonomie braucht ganz andere Formen von Arbeit als die alte Industrieepoche. Im Übergang in eine Informations- und Wissensökonomie determinieren elektronische Netzwerke die Nutzung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens. Sie könnten die industriegesellschaftlich geprägte Arbeitswelt auf den Kopf stellen.

Bestimmte Trends, die in diesem Zusammenhang bereits festzustellen sind und die Transformationsvorstellung untermauern, sind keine temporären Erscheinungen, sondern sie haben langfristigen Charakter.

Über die Dienstleistungsgesellschaft wird in Deutschland schon seit längerem geredet. Der Schwerpunkt von Arbeit verlagert sich immer weiter auf tertiäre Funktionen bzw. Tätigkeiten. Nach Berechnungen und Schätzungen der Prognos AG und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) werden z.B. Dienstleistungen im Bereich Ausbildung, Beratung, Information sowie Organisation und Management die höchsten Zuwächse, d.h. Arbeitsplatzgewinne aufweisen (bezogen auf die Zeitspanne von 1991 bis 2010).

Die Entwicklung geht aber noch viel tiefer. Wenn von einer Tertiärisierung der Wirtschaft die Rede ist, ist damit nicht nur der Vormarsch des Dienstleistungssektors gemeint. Innerhalb der Industrie wird nämlich in zunehmendem Maße ebenfalls Informations- bzw. Wissensarbeit geleistet.

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Tertiarisierung im Produzierenden Gewerbe BRD (W) 1984-95


Der Befund zeigt: Im produzierenden Gewerbe steigt der Anteil tertiärer Tätigkeiten, d.h. produktionsnaher Dienstleistungen innerhalb des Sektors.

Wissensarbeit verstärkt zugleich den Trend zur Wissensintensivierung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens. Das hat zur Folge, daß die Qualifikationsansprüche, die Unternehmen an ihre Beschäftigten stellen, stetig steigen. Wenn die Anforderungen an qualifizierte Arbeit steigen, bleibt dies für den Arbeitsmarkt nicht ohne Konsequenzen.

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Qualifikationsstruktur 1991 - 2010


Die Qualifikationsstruktur der Erwerbstätigen von 1991 zeigt im Vergleich mit der prognostizierten Qualifikationsstruktur im Jahre 2010, daß Absolventen mit Universitätsausbildung oder Fachhochschulausbildung immer gefragtere Arbeitskräfte sind. Die Nachfrage nach Personen dagegen, die sehr geringe Qualifikationen besitzen und keine Ausbildung abgeschlossen haben, wird sich voraussichtlich halbieren. Dieser Nachfragerückgang wirft die arbeitsmarktpolitisch brisante Frage auf, wie die nicht oder nur gering Qualifizierten auf dem Arbeitsmarkt aufgenommen werden können bzw. ob das überhaupt noch gelingt. Integrationsansätze, wie niedrigentlohnte und geringfügige Beschäftigung werden vielleicht nicht mehr als eine Erstehilfemaßnahme sein, mit der das strukturelle Problem selbst nicht in den Griff zu bekommen ist.

Zum strukturellen Kennzeichen der Arbeitsgesellschaft von morgen könnte auch gehören, daß Arbeit künftig immer weniger auf dauerhaft und feststrukturierten Arbeitsplätzen verrichtet wird. Sie wird flexibel und bedarfsorientiert von Unternehmen nachgefragt werden. Die Unternehmen werden den Versuch unternehmen, den Arbeitseinsatz zu verflüssigen, um ihn an die schnell wechselnden Marktbedingungen anzupassen. [ In den USA setzt sich z.B. auch die Praxis immer mehr durch, daß Unternehmen selbst hochqualifizierte Arbeitskräfte von Leihfirmen rekrutieren, nicht nur um Personalkosten einzusparen, sondern auch zur Verflüssigung des Arbeitseinsatzes.]
Die konventionelle Normarbeit erfährt dabei einen Bedeutungsverlust, die heute noch meist als atypisch geltenden Arbeitsverhältnisse einen Bedeutungszuwachs.

Dieser Trend scheint nicht rückholbar. Normarbeit ist im öffentlichen Sektor und in der privaten Wirtschaft im Zeitraum von 1985 bis 1996 bereits zurückgegangen. Ausgeweitet hat sich dagegen die unselbständige Teilzeitarbeit, aber auch die selbständige Arbeit (außerhalb der Landwirtschaft). Nichts spricht gegenwärtig dagegen, daß dieser Trend in der Zukunft anhält.

Neue Arbeitsformen entstehen. Eine von ihnen ist die Telearbeit. In Europa arbeiten schätzungsweise schon über 4,6 Millionen Telearbeiter entweder in einem Arbeitsverhältnis oder aber als sogenannte Freelancer, d.h. im Prinzip als Selbständige. In Großbritannien arbeitet ein vergleichsweise großer Teil der Telearbeitern bereits als Freiberufler. Zwar ist die Bedeutung von Telearbeit in Deutschland im Vergleich zu Großbritannien noch gering, aber es gibt durchaus ernstzunehmende Prognosen, nach denen sie zum Prototyp von Arbeit in der Wissensökonomie werden könnte. In der Netzwerkwirtschaft entwickelt sich Telearbeit allmählich von einem Randphänomen zur allgemeinen Arbeitsform. Wenn das tatsächlich der Fall sein sollte, ist eine Konsequenz vorgezeichnet.

Die Bedeutung selbständiger Arbeitsformen nimmt schon heute zu und die Telearbeit könnte zu einem weiteren Einfallstor für Selbständigkeit werden. Aus amtlichen Statistiken ist gegenwärtig ein Anstieg der Selbständigenquote abzulesen. Zwar liegen die Zuwachsraten noch nicht besonders hoch, sie sind im Gegensatz zu früher aber gleichwohl eindeutig nach oben gerichtet. Echte Selbständigkeit wie Scheinselbständigkeit, die längst ein prominentes politisches Thema geworden ist, könnten ein prägnantes Merkmal von Erwerbsarbeit in der neuen Wissensökonomie sein. Das ist für diejenigen, die sich auf Dienstleistungsmärkten bzw. auf den Auftragsmärkten zurechtfinden und eine starke Marktstellung erlangen, eine durchaus positive Entwicklung. Probleme bekommen allerdings diejenigen, deren Auftragsvolumen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts ausreicht, weil sie von bestimmten, vielleicht nur von einem Auftraggeber abhängig sind.

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Selbständige in BRD (W)W außerhalb der Landwirtschaft 1985 bis 1996


Die Anzahl von sogenannten Selbstangestellten, von Einpersonenunternehmen wächst. Das IAB schätzt z.B., daß Ende 1996 etwa 431.000 Personen, das sind etwa 12,6% aller selbständig Erwerbstätigen, von einem Arbeitgeber abhingen bzw. die Kriterien von Scheinselbständigkeit erfüllten. Scheinselbständigkeit wird mit Sicherheit also weiterhin politischen Zündstoff bieten. Allerdings stellt sich, falls der Trend zur Selbständigkeit und zur Verflüssigung des Arbeitseinsatzes richtig ist, die Frage, ob eine politische Strategie, die (Schein-) Selbständigkeit in Normarbeit zurückzuholen beabsichtigt, auch zukunftsfähig und zukunftstragend ist. Möglicherweise muß der Fokus anders gesetzt werden und zwar dahingehend, daß sie als reguläre gesellschaftliche Arbeit anerkannt und organisiert wird. In diesem Fall wäre allerdings das Problem zu lösen, wie sie mit den Finanzierungsschwierigkeiten und den Regeln des Sozialversicherungsrechts kombinierbar ist, ohne die Substanz des Sozialversicherungssystem gänzlich aufs Spiel zu setzen. Unbeanwortet ist damit nach wie vor die Frage, wie die sozialen Sicherungssysteme auf diese neue Form von Selbständigkeit zugeschnitten werden können.

Was bedeutet nun die Erosion von Normarbeit, die Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse, die Verflüssigung des Arbeitseinsatzes, steigende Qualifikationsanforderungen, Wissensarbeit, Telearbeit in virtuellen Unternehmen für die Zukunft? Ein Szenario von einem Erwerbspersonenpotential könnte in Deutschland Wirklichkeit werden, das sich wie folgt strukturiert.

In einer pyramidenförmigen Zusammensetzung bilden die kleine Spitze des Erwerbspersonenpotentials Stammbelegschaften und Wissensarbeiter. Sie machen möglicherweise nur etwa 20% des Erwerbspersonenpotentials aus. Dies wären die Kernbelegschaften von virtuellen Unternehmen, von großen Unternehmensnetzwerken sowie Mitarbeiter aus dem öffentlichen Sektor. Die restlichen Erwerbstätigen könnten in kleinen Unternehmen, in sogenannten Mikrounternehmen tätig sein. Ein Teil von ihnen wäre selbständig. Daneben existiert ein Reservoir an geringfügig Beschäftigten, Teilzeitbeschäftigten, Leiharbeitnehmern und befristet Beschäftigten, die nach heutigen Maßstäben allesamt in atypischen Arbeitsverhältnissen arbeiten. Am unteren Ende der Pyramide stünde der Sockel von Langzeitarbeitslosen – und damit auch eins der zentralsten Problemstellungen künftiger Beschäftigungspolitik. [ Dieses Zukunftsbild spiegelt auch eine gespaltene Gesellschaft wider und wirft erneut das noch ungelöste Problem der politischen Steuerung auf.]

Wenn sich das Erwerbspersonenpotential in einer neuen Arbeitswelt verändert, wird auch ein neues Verhältnis der Arbeitskräfte zu ihrer Arbeit verlangt. Das bedeutet zugespitzt: In der Wissensökonomie ist ein neuer Leittypus unselbständig Beschäftigter gefragt, der von Industriesoziologen schon als Arbeitskraftunternehmer bezeichnet wird. Er unterscheidet sich deutlich vom Typus des beruflichen Arbeitnehmers aus der Industriewirtschaft:


Industriewirtschaft

Wissensökonomie

Leittypus der gesellschaftlichen Verfassung

der Arbeitskraft

Typus des „beruflichen Arbeitnehmers„

Typus des „Arbeitskraftunternehmers„

Steuerung und Nutzung
des Arbeitsvermögens
der Arbeitsperson

  • Detaillierte und standardisierte Strukturierung von Arbeitsverhältnissen
  • Feste Strukturierung der Arbeitsaufgaben in Arbeitsplätzen
  • Rigide Steuerung von Arbeitsprozessen
  • Sicherung der Arbeitsleistung durch betriebliche Kontrolle
  • Abbau fester Arbeitsstrukturen
  • Schaffung von Freiräumen
  • Ermöglichung und Forderung von Selbstorganisation und Selbststeuerung des Arbeitsvermögens durch die Arbeitsperson
  • Selbstkontrolle der Arbeitsleistung durch die Arbeitsperson

Verhalten der Arbeitsperson gegenüber ihrem

Arbeitsvermögen

  • Reaktives Verhalten der Arbeitskräfte
  • Keine eigenständige Verwertung der Arbeitskraft im Hinblick auf wirtschaftliche Zwecke
  • Geringe eigenständige Entwicklung des Arbeitsvermögens durch die Arbeitsperson
  • Eigenständige strategische Verwertung und Vermarktung des Arbeitsvermögens durch die Arbeitsperson
  • Eigenständige stragegische und kostenbewußte Entwicklung des eigenen Arbeitsvermögens

Verhältnis
von
Alltag
und
Erwerbsarbeit

  • Ausrichtung des Alltags auf relativ stabile Erfordernisse der Erwerbsarbeit
  • Separierung von Alltag und Erwerbsarbeit
  • Trennung von Arbeitszeit und Freizeit
  • Trennung von Arbeitsort und Wohnstätte
  • Trennung von sozialen Rollen in der Arbeits- und in der Lebenswelt
  • Bewußte Entwicklung und effiziente Gestaltung der Organisation des gesamten Lebenszusammenhangs
  • Integration der ständig wechselnden Erfordernisse der Erwerbsarbeit mit denen des Alltag
  • Durchmischung von Arbeits- und Freizeit
  • Verschwimmen von Arbeitsorten und Wohnstätte

Übersicht: Johann Welsch 1999, nach Voß 1998

Das Arbeitsvermögen wird von den beiden Arbeitnehmertypen unterschiedlich genutzt:

  • In der Industriewirtschaft sind die Arbeitsverhältnisse standardisiert, die Arbeitsvollzüge durchstrukturiert und die Arbeitsprozesse werden noch relativ rigide gesteuert. Arbeitsleistung wird durch betriebliche Kontrolle gesichert. Anders in der Wissensökonomie. Dort werden feste Arbeitsstrukturen abgebaut und Freiräume für die Beschäftigten geschaffen, die es ihnen ermöglichen, ihre Arbeit selbst zu organisieren und ihr Arbeitsvermögen selbst zu steuern. Die Ausschöpfung des Leistungsvermögens wird auf den Arbeitnehmer übertragen. Durch Zielvereinbarungen üben Arbeitnehmer eine Selbstkontrolle der Arbeitsleistung aus.

  • Das Verhalten der Arbeitskräfte ist in der Industriewirtschaft eher reaktiv. Die Verwertung der Arbeitskraft erfolgt nicht eigenständig, sondern im Rahmen eines Betriebes und seiner Ziele. Die Entwicklung des Arbeitsvermögens wird durch betriebliche Weiter- und Fortbildungspolitik gefördert. Auch dieses Bild verkehrt sich in der Wissensökonomie. Das Arbeitsvermögen wird durch die Arbeitsperson strategisch verwertet und vermarktet. Die Selbstangestellten suchen sich ihre Auftragggeber. Organisation und Finanzierung von Fort- und Weiterbildung muß die Arbeitsperson in Eigenregie bewältigen.

  • Das Verhältnis von Alltags- und Erwerbsarbeitssphäre wird ein anderes sein. Gegenwärtig sind Alltag und Erwerbsarbeit, Arbeits- und Freizeit, Arbeitsort und Wohnstätte sowie die sozialen Rollen in der Arbeits- und Lebenswelt stark voneinander abgegrenzt. Die Erwerbsarbeit determiniert den übrigen Lebenszusammenhang. Selbstangestellte müssen dagegen den gesamten Lebenszusammenhang in beiden Sphären gestalten. Permanent wechselnde Erfordernisse der Erwerbsarbeit müssen in die Rollen und Erfordernisse des Alltags integriert werden. Arbeits- und Freizeit werden im Tages- und Wochenablauf nachhaltig durchmischt und Arbeitsorte und Wohnstätten sind nicht mehr voneinander abgezäunt.

Der Wandel in der Erwerbsarbeit und die strukturellen Veränderungen und Phänomene, die mit ihm verbunden sind, werden erhebliche Anforderungen an die Politik stellen. Um nur drei wesentliche zu bennen:

  • Die Wissensökonomie erfordert eine ständige Fortbildung, da die Halbwertzeit des Wissens immer kürzer wird. Das Bildungs- und Ausbildungssystems muß sich der Wissensökonomie anpassen.

  • Der Trend zur selbständigen Arbeit läßt die vorhandenen Systeme der rechtlichen Normierung von Arbeit und des Schutzes der Arbeitnehmer vor sozialen Risiken ins Leere laufen.

  • Die vorhandenen sozialen Sicherungssysteme geraten unter Druck, da der wachsende Anteil von Selbständigen ihre Finanzierungsbasis aushöhlen könnte.

Die Debatte darüber, wie mit dieser Entwicklung politisch umgegangen wird, hat erst gerade begonnen. Sie ist noch von einem Schwachpunkt geprägt. Der Strukturwandel von Arbeit wird in den gewohnten Kategorien der Industrieepoche interpretiert und es wird übersehen, daß sich die Spielregeln der Wirtschafts- und Arbeitswelt fundamental verändern. Damit wird die Neujustierung der Arbeits- und Sozialpolitik aber ein schwieriges Unterfangen. Nicht nur in den Köpfen der Beschäftigten, sondern auch der Politiker muß sich daher in Deutschland langsam die Erkenntnis durchsetzen, daß man mit den alten Denkschablonen nicht mehr viel weiter kommen wird.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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