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1. Arbeit im Wandel: Ein Problemaufriß zum transatlantischen Dialog

Seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ist Erwerbsarbeit zum Dreh- und Angelpunkt der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in den Teilen der Welt geworden, die besonders zur westlichen Hemisphäre zählen. Erwerbsarbeit ist in umfassende, ganzheitliche und gesellschaftsgestaltende Strukturen von Arbeitmarkt und Beschäftigungssystem, von Aus- und Fortbildung, von wirtschaftspolitischer und sozial- bzw. wohlfahrtstaatlicher Systemsteuerung integriert. Mit anderen Worten: Arbeit steht im Zentrum moderner, industrieller Gesellschaften. Die Produktion von Gütern, Waren und Dienstleistungen formt Arbeits- und Freizeit, entscheidet über die Nutzung der kreativen Ressourcen und des Engagements der Menschen und über ihre Lebenqualität in einer Gesellschaft, deren „Seele„ eben die moderne Arbeit ist.

Die Arbeitsgesellschaft ist aber keine statische. Sie scheint ein neues Gesicht zu bekommen, dessen Silhouette allerdings erst in Umrissen erkennbar ist. Ganz andere Berufsfelder und neue, innovative Branchen entstehen. Auch die Plazierung von Erwerbsarbeit im Lebenszyklus ändert sich. Lebenslange Beschäftigung in einem Beruf und gar an einem Arbeitsplatz bis zum Erreichen des Rentenalters wird vielleicht immer weniger die gesellschaftliche Norm vom Erwerbsleben sein, dagegen entstehen neue, flexible und diskontinuierliche Muster von Erwerbsbiographien. Wenn diese Konturen am Ende des alten Jahrhunderts mit Blick auf das bevorstehende 21. Jahrhundert aber etwas schärfer werden sollen, müssen erst die richtigen Fragen gestellt werden, um einige Antworten zu erhalten, mit welcher Arbeitsgesellschaft in Zukunft zu rechnen ist und wie sich Umfang, Inhalt und Form der Arbeit wandeln. Unbeantwortet ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Zukunftsaussichten der Arbeitsgesellschaft eigentlich für alle modernen Gesellschaften uniform sind oder ob sich Unterschiede und Nuancierungen finden lassen – im Zuge der europäischen Integration genauso wie diesseits und jenseits des Atlantiks bei fortschreitender Globalisierung. Nationalstaatliche Antworten sind zwar noch immer notwendig, um die anstehenden Hausaufgaben zu lösen, sie reichen aber nicht aus, um langfristige gesellschaftliche und wirtschaftliche Perspektiven zu erarbeiten.

Über den Atlantik hinweg scheint schon so etwas wie ein Vereinigungsprozeß stattzufinden: Durch die internationale Fusion von Unternehmen, durch die Verflechtung von Handels-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, durch die Zusammenarbeit zwischen Universitäten, durch die Integration von Wissenschaft und Technologie etc. Dennoch sind offenkundige Unterschiede vorhanden. Arbeitsmärkte, Systeme von Ausbildung und Beschäftigung, aber auch die industriellen Beziehungen werden mit ganz anderen Instrumenten und gesellschaftspolitischen Wert- und Zielvorstellungen verknüpft und in der Praxis gestaltet. Hieraus schöpft jede Gesellschaft in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht ihre Kraft. Auf diesen Feldern kann noch kaum von einem Angleichungs- oder gar Vereinigungsprozeß gesprochen werden. Wirtschaftliche und politische Erfolge und Mißerfolge können mit ganz anderen gesellschaftlichen Wertungen und Orientierungen verbunden sein. Deutschland und die USA sind ein Beispiel dafür. Deshalb können bestimmte Antworten für eine Zukunftsgestaltung der Arbeitsgesellschaft auch unterschiedlich ausfallen und es ist davor zu warnen, fertige Konzepte eines Landes als Allheilmittel für ein anderes anzusehen. Es sind aber wichtige Diskussionspunkte, denn die Herausarbeitung jeweiliger Stärken und Schwächen kann zu neuen Einsichten und zum Überdenken von nationalen Orientierungen führen. Darin liegt die Chance.

Was ist der Kern eines transatlantischen Erfahrungs- und Gedankenaustauschs, der zum Ziel hat, die Grundzüge der Arbeitsgesellschaft von morgen zu bestimmen? Die Diskussion über denkbare Perspektiven muß von aktuellen, nationalen wie länderübergreifenden Problemen der Erwerbsarbeit ausgehen.

Dazu gehört als erstes der kontinuierliche technische Fortschritt. Technische Innovationen waren schon immer mit einem beschleunigten Strukturwandel der Wirtschaft verbunden. Die Geschwindigkeit dieses Wandels wird immer atemberaubender. Die sogenannten Halbwertzeiten moderner Technologien betragen häufig nur noch knapp ein Jahrzehnt, verändern in vielfältiger Weise die Struktur der Wirtschaft, führen zu Verschiebungen zwischen Wirtschaftssektoren und verändern die Anforderungen, die an den Faktor Arbeit gestellt werden. [ Die Bedeutung des Dienstleistungssektors nimmt z.B. stark zu. In Deutschland wird von einer erheblichen Dienstleistungslücke gesprochen, die noch brachliegt, obwohl sie erhebliche Beschäftigungspotentiale bergen würde. Die USA ist dagegen ein Beispiel für eine fortgeschrittene Nutzung dieses Erwerbspotentials. Aber auch im sekundären Sektor nehmen Tätigkeiten immer mehr dienstleistenden Charakter an, der heutige Industriemeister ist mehr ein Manager mit zahlreichen dienstleistenden Funktionen.] Der technische Wandel hat zugleich Rückwirkungen auf das Bildungssystem. Wissens- und Qualifikationsbestände erhöhen sich nicht nur, sondern erneuern sich parallel zum Entwicklungstempo des technischen Fortschritts. Nur mit lebenslangem Erlernen kann die individuelle Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleiben. Bildungssysteme, die nur in die Eingangsqualifikation der Menschen investieren und das Feld der lebenslangen Aus- und Weiterbildung vernachlässigen, sind nicht mehr zeitgemäß, sondern entwicklungsbedürftig.

Die Globalisierung wird häufig als drohendes Gespenst angesehen, dem etwas nebulös nachgesagt wird, daß es die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet, Arbeitslosigkeit produziert und zu schmerzhaften sozialen Reformen zwingt. Eine solche Sichtweise verkennt sicher die Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten, die die Globalisierung beinhaltet, denn sie reduziert die technischen und auch rechtlichen Hindernisse weltweiter wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Dennoch sollten die Stimmen, in denen Warntöne mitschwingen, nicht überhört werden. Globalisierung verschärft natürlich den Wettbewerbsdruck und beschleunigt den Zwang zu höherer Arbeitsproduktivität, dem nationale Wirtschaft und Erwerbstätige ausgesetzt sind. Die Heftigkeit dieses Drucks verlangt nach neuen Ventilen, die ihn zu kanalisieren vermögen.

Auch der soziale Wandel und die demographische Entwicklung setzen neue Akzente in der Arbeitsgesellschaft, auf die reagiert werden muß. Der Anstieg der Frauenerwerbsquote ist eines der offenkundigsten Indizien für den sozialen Wandel. Aber auch die Tatsache, daß Mehrpersonenhaushalte rückläufig sind, dafür aber die Zahl der Einpersonenhaushalte ansteigt, belegt, wie der Lebensformenwandel die Sozialstruktur verändert und immer mehr Menschen zur Erwerbsarbeit zwingt. Die Frage lautet also: Wie verschaffen wir in unserer Arbeitsgesellschaft all denjenigen, die auf existenzsichernde Erwerbsarbeit angewiesen sind, ein ausreichendes Maß an Arbeit, wenn immer mehr Menschen über die Schwelle des Arbeitsmarktes treten?

Westliche Industriegesellschaften sind zudem von den Folgen der demographischen Entwicklung betroffen. Der Anteil älterer Menschen steigt an, gleichzeitig bewirkt ein verändertes generatives Verhalten, daß weniger Menschen geboren werden. Die Gesellschaft setzt sich alterstrukturell anders zusammen, das Erwerbspersonenpotentail verändert sich und damit die Belastungen zwischen aktiver und nicht mehr aktiver Generation. Die Arbeitswelt und der Sozialstaat wird auch diesen Aspekt berücksichtigen müssen, denn soziale Sicherheit bzw. sozialversicherungsrechtliche Mechanismen sind in Deutschland an ein bestimmtes Leitbild von Normarbeit, der erwerbslebenslangen Beschäftigung in abhängiger Arbeit, gekoppelt.

Die Themenfelder eines transatlantischen Dialogs sind hiermit vorläufig umrissen. Dialog heißt aber auch, daß es nicht um einen Wettbewerb von Systemen, Konzepten und Philosophien geht. Viel wichtiger ist zunächst eine Bestandsaufnahme. Das wird in einem thematisch recht bunten Potpourri erfolgen, an dessen Ende keine Patentrezepte oder vorschnelle Bilanzen stehen. Vielmehr soll dazu angeregt werden, den transatlantischen Dialog künftig durch eine intensive transatlantische Zusammenarbeit fortzusetzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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