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[Seite der Druckausgabe: 4]

1. Die Ausgangslage: Drohender "Verkehrsinfarkt" In den Städten

Der motorisierte Verkehr in der Bundesrepublik Deutschland wächst kontinuierlich. Mit einer Motorisierungssättigung ist erst ab dem Jahr 2020 zu rechnen. Bis zum Jahr 2010 nimmt man eine Steigerung der Pkw-Fahrleistungen um 30-40%, für den Straßengüterverkehr sogar um 60-95% an. Da bisherige Prognosen zum Verkehrswachstum grundsätzlich von der Realität überholt worden sind, müssen wahrscheinlich auch diese Zahlen nach oben korrigiert werden. "Vor allem in Ballungsräumen gilt, daß noch mehr Autoverkehr nicht mehr, sondern weniger Mobilität bedeutet" (Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, im folgenden: MSV, 1994: 7).

Soll aber die Mobilität für alle Teile der Bevölkerung erhalten bleiben und die Lebensqualität in den Städten verbessert werden, müssen die Kommunen stärker auf umwelt- und stadtverträglichere Verkehrskonzepte setzen. Der in den 1970er Jahren auf die fiskal- und kulturpolitische Innenstadtproblematik bezogene Slogan "Es ist fünf vor zwölf in unseren Städten" von Hans Koschnick, damals Präsident des Deutschen Städtetags, ist heute unter dem Gesichtspunkt Verkehr aktueller denn je.

Vor diesem Hintergrund kann die städtische Verkehrsplanung nicht mehr ohne eine stärkere Berücksichtigung des Fahrrades v.a. für den Kurzstreckenbereich auskommen. Wie sehr sich aber das Automobil als Symbol für Wohlstand und als Garant einer funktionierenden Wirtschaft in unseren Köpfen festgesetzt hat, zeigen die Reaktionen auf Maßnahmen zur Einschränkung des motorisierten Verkehrs, welche v.a. in innerstädtischen Bereichen zur Aufrechterhaltung des Verkehrsflusses und der Erreichbarkeit notwendig sind. Nicht nur in durch Automobilindustrie geprägten Regionen wird die Beschneidung des Autos oftmals mit der Gefährdung von Arbeitsplätzen assoziiert, was die Durchsetzung eines fahrradfreundlichen Verkehrsleitbildes in entsprechenden Städten erschwert.

[Seite der Druckausgabe: 5]

Auf höchster politischer Ebene findet der Umdenkprozeß zugunsten des nicht-motorisierten bzw. öffentlichen Verkehrs bereits seit der Erdölkrise von 1973 statt, allerdings ohne bisher einen tiefgreifenden Wandel in der Realität bewirkt zu haben. Der damalige Verkehrsminister Lauritzen gab die Devise "Der Mensch hat Vorfahrt!" aus, und den meisten sind noch die sonntäglichen Fahrverbote in Erinnerung. Dennoch drängt sich heute der Eindruck auf, daß aus der Strategiefolge Verkehrsvermeidung-Verkehrsverlagerung-Verkehrslenkung der letzte Punkt besonders gern aufgegriffen wird, weil er mit vergleichsweise wenigen unpopulären Maßnahmen auszukommen scheint. Die gegenwärtigen Bemühungen auf dem Gebiet der Verkehrslenkung/Telematik sind in diesem Zusammenhang zwar nützlich und erzielen eine bessere Infrastrukturauslastung (v.a. im ÖPNV), schaffen aber keine grundlegenden Lösungen für das Problem der Verkehrszunahme. Vielmehr scheint dieses Thema eine Pause in der aktuellen Strategiediskussion zu ermöglichen und zögert damit letztlich die unvermeidbare Durchsetzung auch unpopulärer, restriktiver Maßnahmen gegen den weiteren Zuwachs des motorisierten Individualverkehrs hinaus.

Die dringend notwendige Verkehrsverlagerung v.a. in den Städten umfaßt auch die vielfach zitierte Strategie zur Vermeidung des motorisierten Verkehrs. Ein entsprechendes Leitbild der "Stadt der kurzen Wege" muß sich daher das Ziel einer verbesserten Erreichbarkeit per öffentlichem und nicht-motorisiertem Verkehr zum Ziel setzen. In der kommunalpolitischen Diskussion werden als Grund für mangelhafte ÖPNV-Systeme oftmals die teuren Investitionen für eine entsprechende Infrastruktur genannt. Bei der Planung eines Radverkehrsnetzes finden sich dagegen kaum stichhaltige Gegenargumente, da es mit vergleichsweise einfachen, kreativen Mitteln zu realisieren ist (vgl. Punkt 4.).

Vor diesem Hintergrund greifen neben Klein- und Mittelstädten zunehmend auch Großstädte die Förderung des Fahrradverkehrs auf. Ein Beispiel ist die Stadt Köln mit ihrem Slogan "Wir haben umgedacht: Für die kurzen Wege gibt's nichts Besseres als das Fahrrad".


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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