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[Seite der Druck-Ausgabe: S. 19 (Fortsetzung)]

3. Positionen und aktuelle Konflikte

Für die Arbeitgeberseite führte während der Tagung der Tarifexperte der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände aus, daß diese nicht auf flächendeckende Arbeitszeitverkürzungen für alle setzen, sondern auf den bedarfsgerechten Ausbau der unterschiedlichen Differenzierungs- und Flexibilisierungsansätze in den Tarifverträgen entsprechend den jeweiligen Anforderungen der Branchen. Dabei scheine nach den Rückkoppelungen der Unternehmen mehr Flexibilität durch die Ausdehnung des Ausgleichzeitraums bei unterschiedlicher Verteilung der Arbeitszeit in Richtung auf ein Jahr ein Schwerpunkt zu sein.

Mittelfristig sei zu überlegen, Differenzierungsansätze durch Arbeitszeitkorridore anzustreben. Der Trend gehe dabei eher nach oben als in Richtung 30 Stunden.

Die Frage der Samstagsarbeit müsse ein Stück weit mehr entideologisiert werden. Samstagsarbeit werde zunehmend normale, potentielle Arbeitszeit sein. Das heißt nicht, daß jeder jeden Samstag arbeitet, aber in flexiblen Arbeitszeitkonzepten bedeute dies die Einbeziehung des Samstags in die Arbeitszeitverteilung.

Gelängen diese Veränderungen nicht, dann werde möglicherweise der Flächentarifvertrag als Ordnungsfaktor zunehmend der Erosion ausgesetzt. In der Arbeitszeitfrage gebe es keine Patentlösungen, sondern es

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gehe darum, Schnittstellen zwischen den Tarifparteien und den Betriebsparteien zu suchen. Es könne nicht sein, daß die Tarifparteien alle Eckpunkte vorgeben. Die Betriebsparteien brauchten Spielräume - und zwar größere Spielräume als bisher. Das mache die Landschaft heterogener, aber es mache sie nicht ungestaltet.

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie faßte während der Tagung die Handlungserfordernisse in der tariflichen Arbeitszeitpolitik aus seiner Sicht in fünf Thesen zusammen:

  1. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die betriebliche Gestaltung der Arbeitszeit haben den Anforderungen der betrieblichen Praxis um Jahrzehnte hinterhergehinkt. Die gesetzlichen Bestimmungen haben jahrelang keine Neuregelung erfahren. Der Gesetzgeber hat sich seiner Mitwirkungspflicht enthalten. Aber auch viele tariflichen Vereinbarungen gewähren auch heute noch nicht genügend betriebliche Spielräume. Die betriebliche Entwicklung neuer Arbeitszeitformen ist durch das Untätigbleiben der Verantwortlichen entscheidend gebremst worden. Hieraus ergibt sich eine eindeutige Handlungspflicht.
  2. Die Diskussion um den notwendigen Anpassungsprozeß muß auf einer sachlichen Ebene geführt werden. In der Vergangenheit wurde das Thema Flexibilisierung und Differenzierung der Arbeitszeit viel zu häufig gegnerbezogen behandelt, zumeist auch ideologisch überfrachtet. Die Tarifparteien müssen sich künftig daran messen lassen, ob sie die betrieblichen Bedürfnisse, sei es auf der unternehmerischen Seite, sei auf der Seite der Arbeitnehmer, tatsächlich in den Vordergrund ihrer Bemühungen stellen. Es ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien, einen größtmöglichen Gestaltungsspielraum für die betriebliche Regelungssphäre zu schaffen.
  3. Zur Förderung neuer betrieblicher Arbeitszeitgestaltungen und ihrer Umsetzung in der Praxis bedarf es besonderer Aufklärungs-, Überzeugungs- und Informationsarbeit. Die bislang gemachten Erfahrungen deuten auf ein starkes Beharrungsvermögen hin, das

    [Seite der Druck-Ausgabe: S. 21]

    viele Entwicklungen bremst. Arbeitszeitgestaltung muß von Seiten der Unternehmensleitung und des Betriebsrats als Führungsaufgabe begriffen werden.

  4. Die seit Mitte der 80er Jahre durchgeführten Arbeitszeitverkürzungen haben deutlich gemacht, daß für alle Arbeitnehmergruppen gleichermaßen geltende Arbeitszeiten weder mit den individuellen Vorstellungen noch erst recht den betrieblichen Notwendigkeiten in Einklang gebracht werden können. In Zukunft wird es als prägendes Element des Gebildes Arbeitszeit nur noch für Gruppen von Arbeitnehmern oder für Einzelne differenzierte Arbeitszeiten geben. Angesichts dieser Entwicklung ist auch absehbar, daß die bis in jüngste Zeit als Verteilungsthema diskutierte Arbeitszeitfrage im Grunde von der Bildfläche verschwinden wird.
  5. Der Gedanke differenzierter und flexibler Arbeitszeiten und ihrer Gestaltung hat sich im Umfeld der Prosperität der 80er Jahre entwickelt. Vor dem Hintergrund der eingetretenen grundlegenden Veränderungen unserer wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, aber auch vor den Folgen dieser neuen Situation, d.h. Massenarbeitslosigkeit, ist eine Neubestimmung der Bedeutungschancen und Möglichkeiten flexibler und differenzierter Arbeitszeit notwendig. Dauer und optimale Nutzung der Arbeits- und Betriebszeit sind Standortfaktoren, sind aber auch wichtig für die Frage der Beschäftigungssicherung und Ausgangspunkt für Ansätze zur Beschäftigungsförderung. Auch daraus folgt ein eindeutiges Handlungsgebot.

Für die Chemische Industrie sei mit den drei wichtigen Bausteinen einer flexiblen und differenzierten Arbeitszeitgestaltung:

  • der täglichen Variation der Arbeitszeit bis hin zu einer Höchstdauer von 10 Stunden,
  • der Gestaltung der Wochenarbeitszeit, die bei einer Regelarbeitszeit von 37,5 Std. den Korridor anbietet,
  • der Jahresarbeitszeitverteilung über 12 Monate (bei Projektarbeit über 36 Monate),

ein Arbeitszeitsystem entstanden, bei dem von Arbeitgeberseite über Jahre hinaus kein grundlegender Änderungsbedarf gesehen wird.

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Die Textil- und Bekleidungsindustrie ist in besonderem Maße dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Dies hatte und hat Auswirkungen, auf die Höhe der Löhne und insbesondere auch auf Fragen der Arbeitszeitregelung und Flexibilisierung, Maschinenlaufzeiten etc.. Arbeitszeitfragen haben in der Tarifpolitik ein hohes Gewicht. Ein Vertreter der Gewerkschaft Textil und Bekleidung (GTB) berichtete während der Tagung über die grundsätzlichen Konfliktlinien und die Perspektiven in diesem Tarifbereich.

Die Gewerkschaft Textil und Bekleidung (GTB) hat mit ihrer Arbeitszeitpolitik in der Nachkriegszeit immer zwei Ziele verfolgt: Die Humanisierung des Arbeitslebens und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Die Arbeitszeitverkürzungen der Vergangenheit haben Rationalisierungsanstrengungen in der Wirtschaft gefördert. Jeder Schub an Arbeitszeitverkürzungen hat in den Betrieben dazu beigetragen, das Rationalisierungspotential auszuschöpfen. Diesen Aspekt sollte man mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht außer acht lassen. Die Arbeitszeitstrategie der Arbeitgeber in der Textilindustrie bestand bis in die 70er Jahre hinein in der Ausweitung der Maschinenlaufzeiten und im Übergang auf Schichtarbeitssysteme, von der einschichtigen über die zweischichtige hin zur dreischichtigen Arbeitsweise, d.h. in der Entkopplung von Arbeits- und Betriebszeiten. Die GTB war damals gezwungen, diese Wege mitzugehen. Dreischichtarbeit ist heute in der Textilindustrie eine Selbstverständlichkeit.

Die Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche wurde von den Arbeitgebern und ihren Verbänden begleitet von der Forderung nach Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die aus Sicht der GTB durchaus kritisch zu kommentieren ist:

  1. Flexibilisierung nach Lesart der Arbeitgeber schafft keine neuen Arbeitsplätze, sondern erspart Arbeitskräfte.
  2. Im nationalen Rahmen gilt: längere Maschinenlaufzeiten und flexible Arbeitszeiten sind nur solange ein Wettbewerbsvorteil, bis es alle machen.

    [Seite der Druck-Ausgabe: S. 23]

  3. Mit Blick auf den internationalen Wettbewerb stellt sich die Frage, ob wir unsere Standards an diejenigen in Südostasien oder Mittelosteuropa angleichen müssen oder ob es nicht unser Ziel sein muß, daß sich diese an Westeuropa orientieren.
  4. Die Forderung nach Maschinenlaufzeiten an 7 Tagen rund um die Uhr, wie sie in der Textilindustrie praktisch verwirklicht sind, wird zu Veränderungen unseres kulturellen Lebens führen. Es existieren Zweifel, ob dieser Prozeß ungesteuert ablaufen kann. Die GTB stellt sich dieser Verantwortung und ist zum Abschluß von Tarifverträgen bereit, die gewährleisten, daß zumindest nicht jeder jeden Samstag und jeden Sonntag arbeiten muß, und daß dieses nicht alleine in das Dispositionsrecht des Arbeitgebers gestellt ist. Die Tarifvertragsparteien sind aufgefordert, hier Regelungen zu treffen.

Bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit gebe es gegenwärtig zwei Hauptstränge.

  1. Die Arbeitgeber streben nach längeren Verteilungsspielräumen für die Arbeitszeit sowie nach längeren Maschinenlaufzeiten. Die GTB hat ihre Vorleistungen gebracht; gegenwärtig laufen Tarifverhandlungen über die Ausgestaltung der Sonntagsarbeit.
  2. Immer mehr Arbeitnehmer wünschen sich andere Arbeitszeiten als sie derzeit zu leisten haben, d.h. es gibt ein Bedürfnis nach flexiblerer Arbeitszeit entsprechend der persönlichen Belange; je nach der Lebensphase, je nach familiärer Situation kann dies sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Konsequenz für die Gewerkschaften ist: der Tarifvertrag muß das, was die Arbeitnehmer wollen auch zulassen, sonst entwickeln sich die Regelungen am Tarifvertrag vorbei und die Beschäftigten sind dann in einer schwächeren Position. Der Tarifvertrag muß sogenannte Haltepunkte einziehen, die nicht überschritten werden können und Rahmenbedingungen festlegen, um den Verhandlungsnachteil der Arbeitnehmer für derartige Rahmenbedingungen auszugleichen. Nur ein Beispiel sind Rückkehroptionen für Teilzeitbeschäftigte zur Vollzeitarbeit.

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 24]

Um die Funktion des Flächentarifvertrags als Teil gleicher Wettbewerbsbedingungen aufrechtzuerhalten dürfen die Arbeitszeitfragen nicht auf die betriebliche Ebene übertragen werden, weil das zur Folge hat, daß Betriebsräte leichter erpressbar sind und zu Regelungen und Konzessionen bereit sind, die zwangsläufig auf andere Bereiche ausstrahlen und eine Spirale nach unten in Bewegung setzen. Die GTB ist zur Zeit in der Textil- und Bekleidungsindustrie mit der Forderung nach einem Arbeitszeitkorridor konfrontiert. Die Regelarbeitszeit von 37 Wochenstunden soll bis auf 34 Stunden abgesenkt oder bis auf 40 Stunden erweitert werden können. Nach Auffassung der GTB darf diese Frage nicht isoliert, sondern nur in einem Gesamtzusammenhang mit der Arbeitszeitverteilung, der Sonntagsarbeit und Fragen von Jahresarbeitszeitregelungen einschließlich der Verstetigung der Vergütung verhandelt werden.

Ein Tarifexperte der IG-Metall Vorstandsverwaltung wies auf grundlegende Positionen und neue Vorschläge hin. Für die IG Metall stehen bei der Gestaltung der Arbeitszeit zwei Aspekte im Vordergrund. Zum einen ist Arbeitszeitverkürzung ein eigenständiger Politikansatz zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Die Verkürzungen der tariflichen Arbeitszeit in der Metallindustrie waren ein Erfolg und haben deutliche Beschäftigungswirkungen gezeigt, die allerdings unterschiedlich ausgeprägt sind. Nach Erhebungen der IG Metall haben Leistungsverdichtungen im Angestelltenbereich bis zu 80% der Arbeitszeitverkürzung kompensiert, bei Arbeitern im Zeitlohn sind bis zu 50% versickert, während im Leistungslohn die Arbeitszeitverkürzungen zu 100% beschäftigungswirksam geworden seien. Zum anderen ist Arbeitszeitpolitik auch Gesellschaftspolitik, d.h. mehr arbeitsfreie Zeiten bedeuten auch ein Mehr Lebensqualität. Dazu gehört, daß Menschen ihre freie Zeit miteinander verbringen können.

Die Tarifverträge in der Metallindustrie lassen eine breite Spanne von Flexibilisierungsmöglichkeiten zu. Im Rahmen des Tarifkonflikts 1995 hat die IG Metall Arbeitszeitkonten vorgeschlagen, die kurz skizziert folgende Gestalt gehabt hätten: für die Beschäftigten wird ein Arbeitszeitkonto eingerichtet, auf dem Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 25]

(möglicherweise auch Freischichten und Resturlaubstage) gutgeschrieben würden. Den Beschäftigten könnten die Guthaben in Freizeit abgegolten oder vergütet werden. Die Freizeit wäre auch als Block, als Sabbatical oder zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit denkbar. Die Unternehmen hätten bei diesem Modell von deutlich größeren Flexibilitätsspielräumen profitiert, und auch die Beschäftigten hätten sich Spielräume einer eigenständigen Arbeitszeitgestaltung erschlossen. Die Arbeitgeber haben dies abgelehnt.

Nach Einschätzung der IG Metall streben die Arbeitgeber nicht Arbeitszeitflexibilisierung an, sondern die Verlängerung der Betriebsnutzungs- bzw. Maschinenlaufzeiten. Das geht in der Metallindustrie eigentlich nur dann, wenn man den Samstag wieder mit einbezieht. Zwei- und Dreischicht-Arbeitszeitsysteme sind schon jetzt weit verbreitet (von den gewerblichen Arbeitnehmern in der Metallindustrie arbeitet rund die Hälfte in Schichtarbeitssystemen). In den Kernbereichen der Produktion wird zu einem großen Teil in dreischichtiger Arbeitsweise produziert. Eine Ausweitung der Betriebszeiten würde dort zu regelmäßiger Samstagsarbeit führen. Die IG Metall fürchtet, daß Samstagsarbeit nur den Einstieg bildet und Sonn- und Feiertagsarbeit folgt. Nach dem neuen Arbeitszeitgesetz ist eine Voraussetzung für die Bewilligung von Sonntagsarbeit, daß die gesetzlich zulässigen Betriebszeiten bereits weitgehend ausgeschöpft sind, d. h. daß die Betriebe schon regelmäßig samstags arbeiten. Bei regelmäßiger Samstagsarbeit stünde als nächstes der Sonntag zur Disposition.

Die Tarifverträge im Organisationsbereich der IG Metall verteilen die Arbeitszeit auf fünf Werktage - von Montag bis Freitag, wenn auf betrieblicher Ebene nichts anderes geregelt ist. Samstagsarbeit ist also schon heute möglich, fällt aber unter das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte; als Mehrarbeit ist Samstagsarbeit zuschlagpflichtig. Der Einbeziehung des Samstags in die Regelarbeitszeit wird die IG Metall Widerstand entgegensetzen.

Darüber hinaus seien vielfältige Möglichkeiten der Arbeitszeitflexibilisierung denkbar: Arbeitszeitkorridore - aber zu sozialen Zeiten, ohne überlange Arbeitswochen von mehr als 40 Stunden, ohne überlange Arbeits-

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 26]

tage. Samstagsarbeit nicht als Regelarbeitszeit, nicht über einen längeren Zeitraum, nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats. Die vorhandenen tarifkonformen Spielräume der Arbeitszeitgestaltung seien in der Metallindustrie bei weitem nicht ausgeschöpft.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000

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