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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druck-Ausgabe: S. 26 (Fortsetzung)]
4. Arbeitszeitsysteme im Betrieb
Der Betrieb ist die Realisationsinstanz von Tarifpolitik. Viele Problemfelder werden traditionell im Zusammenspiel von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung reguliert und verbindlich konkretisiert. Die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen tariflicher Vereinbarung und betrieblicher Umsetzung wurden durch die Arbeitszeitpolitik ins Blickfeld gerückt. Die Gestaltungsspielräume auf betrieblicher Ebene haben sich in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet. Die Umsetzung von Arbeitszeitvereinbarungen muß sich an den jeweiligen betrieblichen Voraussetzungen und Strukturen orientieren und gleichzeitig die vielfältigen Interessen von Belegschaften auffangen. Die konkreten betrieblichen Bedingungen, Voraussetzungen und Anforderungen für die Nutzung von Produktionsanlagen werden immer differenzierter. Eine entsprechende Vielfalt von Arbeitszeitsystemen wird in den Betrieben praktiziert. Bei Neuerungen in der tariflichen Arbeitszeitpolitik bzw. bei Veränderungen im tariflichen Regelungsbestand zur Arbeitszeit müssen diese betrieblich umgesetzt und angepaßt werden. Im Verlauf der Tagung wurde über die betriebliche Ebene der Arbeitszeitgestaltung in unterschiedlichen Branchen und aus verschiedenem Blickwinkel berichtet. In den Standorten der Volkswagen AG zogen sich die Umsetzungsverhandlungen zur betrieblichen Einführung der "Vier-Tage-Woche" mehrere Monate bis in den April hin. Jeder Standort hat dabei nach seinen Erfordernissen, Bedürfnissen aber auch nach seinen Notwendigkeiten versucht, die Arbeitszeitverkürzung umzusetzen, so daß es keine für das gesamte Unternehmen einheitlichen Arbeitszeitmodelle gibt. Rechnet man alle Variationen der Arbeitszeitver- [Seite der Druck-Ausgabe: S. 27] teilung einschließlich der "exotischen", nur für relativ wenige Beschäftigte geltenden zusammen, so summiert sich die Zahl in Wolfsburg auf ca. 150 und im Werk Kassel auf rund 120 verschiedene Arbeitszeitregime. Die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten ist allerdings auf bestimmte Standardarbeitszeitsysteme konzentriert. Verkettungen in den Produktionsprozessen insbesondere in Wolfsburg haben dazu geführt, daß dort in einer Reihe von Bereichen weiterhin an 5 Tagen in der Woche bei einer Arbeitszeit von 5 Std. 46 Min gearbeitet wird. Die Umsetzung der Arbeitszeit im Werk Kassel soll aus der Sicht des Betriebsrats einmal näher betrachtet werden. Kassel hat einen Einzugsbereich der bis zu 70, 80 Kilometern reicht. Aufgrund vieler Fahrgemeinschaften war die Möglichkeit unterschiedlicher individueller Arbeitszeiten begrenzt. In den Verhandlungen mit dem Unternehmen wurden die für den BR unabdingbaren Elemente festgehalten:
Das Unternehmen wollte tägliche Arbeitszeitverkürzung, rollierende Freischichten in 3-Schicht-Systemen, 5 Tage Fabriköffnungszeit, Dauernachtschicht, Schichtentkoppelung, usw.. Man hat sich auf 5 Grundmodelle geeinigt, in denen rund 90% der Belegschaft arbeiten. Im 3-Schicht-System, in dem rund die Hälfte der gewerblichen Beschäftigten der Fertigung arbeiten, wurde die tägliche Arbeitszeit beibehalten und die Arbeitszeitverkürzung in einem Blockmodell umgesetzt. In Schichtarbeitsbetrieben, in denen keine 15 Schichten in der Woche notwendig sind und analog in Normalschichtbereichen wird an 4 Tagen die Woche, in der Regel von Montag bis Donnerstag gearbeitet. Eine Verschiebung auf den Zeitraum von Dienstag bis Freitag ist möglich. Die Differenz zwischen der geleisteten Arbeitszeit von 32 Stunden und der vereinbarten Arbeitszeit von 28,8 Stunden wird durch 18 Freischichten (4x4 Tage Blockfreizeit sowie zwei individuelle Freischichten) ausgegli [Seite der Druck-Ausgabe: S. 28] chen. Rund 12000 der 16000 Beschäftigten arbeiten im Rahmen dieses Blockmodells. In einigen Bereichen müssen weiterhin 15 Schichten gefahren werden. Zusätzlich zu den drei bereits existierenden Schichtbelegschaften wird eine vierte eingerichtet. Rekrutiert wird hierzu Personal, das in anderen Bereichen überzählig war. Die Besetzung der Schichten war nicht ganz einfach, da natürlich nicht eine ganze Schicht ausschließlich aus den umgesetzten Beschäftigten zu bilden war, sondern alle Schichtgruppen neu zusammengesetzt werden mußten. Auf eine Frühschichtwoche von 5x8 Stunden folgt eine gleichfalls 40stündige Nachtschichtwoche. Es schließt sich eine Freiwoche an, auf die eine Spätschichtwoche von wiederum 40 Stunden folgt. Die Differenz zur vereinbarten Arbeitszeit wird durch jährlich 6 arbeitsfreie Tage ausgeglichen. Dieses Modell zog zunächst viel Kritik auf sich, wurde dann jedoch angenommen. In Angestelltenbereichen, in denen 5 Fabriköffnungstage notwendig sind, wird das sogenannte 50% Modell praktiziert. Die Beschäftigten eines Arbeitsbereichs werden aufgeteilt und durch Auslosung einer Gruppe zugeordnet. Abwechselnd Montags und Freitags ist ein Wochentag arbeitsfrei. Alle 4 Wochen gibt es so ein superlanges Wochenende mit vier freien Tagen. In einem anderen Modell wird an 5 Tagen in der Woche mit rollierenden freien Tagen gearbeitet. Dies hat den Nachteil, daß in den Bereichen mit Gruppenarbeit sich die Arbeitsgruppen täglich neu zusammensetzen. In besonderen Situationen kann ein Mitarbeiter zur Arbeit am fünften Tag herangezogen werden. Der Zeitausgleich wurde von vornherein in einer Betriebsvereinbarung geregelt. In der gleichen Zeitschicht muß dem Mitarbeiter 3 Wochen später ein freier Tag gewährt werden. Das Arbeitszeitsystem wurde durch die Arbeitszeitverkürzung auf vielfältige Weise umgestaltet und ausdifferenziert. Es ist zu erwarten, daß dieser Prozeß im Zuge der Umsetzung des fortgeschriebenen Tarifvertrages mit seinen erweiterten Flexibilisierungsmöglichkeiten fortschreiten wird. Die Audi AG ist zwar eine Konzerntochter von Volkswagen, fällt jedoch in den tariflichen Geltungsbereich der Metall- und Elektroindustrie. Das [Seite der Druck-Ausgabe: S. 29] Unternehmen mit seinen rund 33 Tsd. Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen hatte in den letzten Jahren erhebliche Absatzschwankungen zu verkraften: 1992 lag der Absatz bei nahezu 500 Tsd., 1993 bei 400 Tsd. und 1994 bei rund 350 Tsd Autos. 1995 werden mit wahrscheinlich 450 Tsd. Autos 50 Tsd. mehr als ursprünglich erwartet produziert. Um diesen Schwankungen begegnen zu können, kommt der Arbeitszeitgestaltung eine wichtige Rolle zu. Seit Ende der 70er Jahre fährt das Unternehmen eine "Personalpolitik der mittleren Linie". Ein wichtiges personalpolitisches Instrumente ist die modulartige Zusammensetzung der Standardarbeitszeitsysteme: Früh- und Spätschicht als Wechselschicht, Dauerfrüh- und Dauerspätschicht, Dauernachtschicht in einigen kapitalintensiven Bereichen. Je nach den Anforderungen werden die einzelnen Schichten so eingesetzt, daß genügend Produktionskapazität vorhanden ist. Wenn der Kapazitätsbedarf sinkt, ist der Schritt die erste Möglichkeit, Module herauszunehmen und damit die Betriebsnutzungszeit zu verkürzen. Das nächste klassische Instrument, das zum Einsatz kommt, wenn die Produktion noch weiter heruntergefahren wird, ist die Kurzarbeit, danach steht ein Personalabbau an. Wenn Absatz und Produktion steigen, kann man Module hinzufügen, etwa eine sechste Dauernachtschicht einrichten oder Sonderschichten fahren. Aufgrund des Produktionsrückgangs summierte sich der Personalüberhang 1994 rechnerisch im gewerblichen Bereich auf 15% und im Angestelltenbereich auf 5% der Beschäftigten. In dieser Situation wurde im Unternehmen der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung in der Metallindustrie in der Variante genutzt, daß man die Arbeitszeit für alle Mitarbeiter kollektiv verkürzte. Am 1.4.94 reduzierte sich die Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer um 10%, d. h. diejenigen mit einer Arbeitszeit von zuvor 36 Stunden arbeiteten in der Folge noch 32,4 Stunden, diejenigen mit einer 40-stündigen Arbeitswoche noch 36 Stunden. Entsprechend dem Tarifvertrag wurde auch das Entgelt um 10% gekürzt. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Solidarität von den Mitarbeitern akzeptiert worden. Gleichzeitig hat sich das Unternehmen verpflichtet, während der Laufzeit (bis 31.12.95) keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen, alle [Seite der Druck-Ausgabe: S. 30] Auszubildenden wurden unbefristet übernommen, die Ausbildungskapazität wurde nicht verkürzt. Aufgrund des Nachfrageanstiegs erhöhte sich der Bedarf an Arbeitskapazität, so daß zum 1.4/95 eine Rücknahme der Arbeitszeitverkürzung bis auf 35 Wochenstunden erfolgte. Dies illustriert aus Sicht des Unternehmens das Vorteilhafte dieses Instruments: Zum 1.4. des Vorjahres mußten 3 Tsd. Arbeitnehmer nicht entlassen werden, umgekehrt standen rechnerisch 3000 qualifizierte Mitarbeiter umgehend zur Verfügung, als der steigende Absatz zu einem erhöhten Personalbedarf führte. Dieses Beschäftigungspaket bedeutet eine neue Qualität in der Arbeitszeitsystematik. Bei den bislang praktizierten, modulartig aufgebauten Arbeitszeitmodellen bleibt die individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit immer unverändert, während sie bei der Beschäftigungssicherungsvereinbarung variiert wurde. Nach Ansicht des Unternehmens sollte die Arbeitszeitregelung zu einem neuen Instrument "Wahlarbeitszeit" ausgebaut werden, bei dem es möglich sein wird, die individuelle Arbeitszeit zu wählen und auch wieder zu wechseln. In diese Richtung geht bereits ein neu begonnenes Modell des gleitenden Ruhestands für ältere Mitarbeiter ab 56 Jahren. Ein 56jähriger verkürzt in einem ersten Schritt seine Arbeitszeit auf 80%, dann in der nächsten Stufe auf 60% und in der dritten Stufe auf 40%. Das Einkommen für die geleistete Arbeit erhöht sich entsprechend dem sogenannten Hälftungsausgleich. Unternehmen und Mitarbeiter teilen sich das, was an Einkommen wegfällt, d.h. bei einer persönlichen Arbeitszeit von 80% der vollen Arbeitszeit werden 90% eines Vollzeiteinkommens gezahlt, bei einer Arbeitszeit von 40% werden 70% des Vollzeitentgelts überwiesen. Das Instrument des gleitenden Ruhestands bei Audi wird in der Belegschaft allerdings nicht akzeptiert und kaum in Anspruch genommen. Die Lebensplanung der Mitarbeiter ist eher daraufhin ausgerichtet, im Alter von ca. 57 Jahren ganz auszuscheiden. Nach Einschätzung der Personalführung des Unternehmens haben sich die Instrumente des Tarifvertrags über die Beschäftigungssicherung in der Praxis bewährt. Auch um in der Arbeitszeitgestaltung auf neuen Wegen [Seite der Druck-Ausgabe: S. 31] voranzukommen sei es notwendig, diesen Tarifvertrag zu verlängern. Als problematisch im einzelnen wird die Frage des Teillohnausgleichs gesehen, der Vollzeitbeschäftigte gegenüber Teilzeitbeschäftigten privilegiert. Die Druckindustrie ist der erste große Tarifbereich, in dem die 35-Stunden-Woche betriebliche Realität wurde. Die Arbeitszeitsysteme im Tarifbereich sind ausdifferenziert: Schicht-, Nacht-, Feiertags- und Wochenendarbeit sind zwar nicht in der gesamten Branche, jedoch in zahlreichen Betrieben, insbesondere in den Zeitungsdruckereien weit verbreitet. Im Verlauf der dritten betrieblichen Umsetzung einer tariflichen Arbeitszeitverkürzung seit 1985, der Einführung der 35-Stunden-Woche zum 1.4.1995, kam es in vielen Betrieben zu erheblichen Schwierigkeiten; Mitte Mai '95 war die tarifliche Vorgabe noch lange nicht in allen Betrieben umgesetzt. Der Betriebsratsvorsitzende der Süddeutschen Verlags GmbH berichtete über den Rahmen und die betriebliche Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung. Im Unternehmen mit ca. 2400 Beschäftigten werden Tageszeitungen und Anzeigenblätter produziert. Es werden 4 Tarifverträge angewendet: ein bundeseinheitlicher für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Druckindustrie, ein bundeseinheitlicher Tarifvertrag für Redakteure an Tageszeitungen, zwei regionale Tarifverträge für das Zeitungsverlagsgewerbe, d.h. die Angestellten in der Druckindustrie. Die Inhalte der Tarifverträge gleichen sich in den wesentlichen Teilen. Die Belegschaft des Unternehmens ist in zahlreiche Abteilungen in den großen Bereichen Technik, Verwaltung, Redaktion gegliedert. Die größte Abteilung hat 312 Beschäftigte. Allein in dieser Abteilung werden 6 unterschiedliche Schichtpläne realisiert. Im gesamten unternehmen existieren 150 verschiedene Arbeitszeitvereinbarungen. Es gibt im Unternehmen allerdings keine Diskussionen über Zeitsouveränität, Gleitzeit und ähnliche Arbeitszeitmodelle; die Präsenzpflicht ist hoch. Die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung brachte wie in den Runden zuvor eine Menge Konfliktstoff mit sich. Die Tarifverträge lassen eine Vielzahl von Umsetzungen der AZV zu, von täglichen Verkürzungen bis hin zu 30 Freischichten im Jahr bei Beibehaltung der 40-Stunden-Woche, einschließlich aller denkbaren Kombinationen. [Seite der Druck-Ausgabe: S. 32] In den Bereichen mit Schichtarbeit wurde großer Wert auf eine Umsetzung in Form von Blockfreizeiten und freien Tage gelegt. So werden in der "schweren Technik" Schichtpläne praktiziert, die über einen längeren Zeitraum 4- und 5-Tage-Wochen kombinieren, aber auch solche, die bei Vollzeitbeschäftigten 3 und 4-Tage-Wochen kombinieren, verbunden mit einer längeren täglichen Arbeitszeit. Der ursprünglich verfolgte Ansatz einer Entwicklung hin zum 7-Stunden-Tag hat eine Verlagerung in eine ganz andere Richtung erfahren. Im Verlagsbereich wurden hingegen überwiegend tages- und wochennahe Umsetzungen, wie z. B. halbe Stunden an einzelnen Tagen vereinbart. Die Arbeitszeitverkürzung war mit einer erheblichen Arbeitsintensivierung verbunden. Nicht nur im betrachteten, sondern auch in weiteren Großbetrieben des Tarifbereichs wurde von den Unternehmen versucht, die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung ohne eine einzige Neueinstellung durchzuführen. Der neue Manteltarifvertrag für die chemische Industrie hat bei der Bayer AG eine intensive Diskussion über Arbeitszeitflexibilisierung ausgelöst. Die Arbeitszeitsituation im Unternehmen ist durch folgende Elemente gekennzeichnet: Leitende Mitarbeiter und Auszubildende nicht eingerechnet, arbeiten 45% der Beschäftigten in einem bereits 1976 eingeführten Gleitzeitsystem. Das Modell läßt eine Variation der täglichen Arbeitszeit zwischen 5,5 bzw. 6 und 10 Stunden zu, daraus abgeleitet ergibt sich eine wöchentliche Arbeitszeitspanne von 30 bis 48 Stunden. 20% der Arbeitnehmer, insbesondere in den Produktionsbetrieben arbeiten in vollkontinuierlichen Schichtsystemen auf der Grundlage zweier verschiedener Basisschichtmodelle. Das traditionelle Modell operiert mit vier Schichten, in der Regel als sogenannter Vorwärtswechsel mit Früh-, Spät-, Nacht-, Freischichtblöcken. Seit 1989 probeweise eingeführt, existiert seit 1991 flächendeckend das Fünfschichtmodell, das auf Schichtgruppen basiert. Die Nachtschichtblöcke sind kürzer als im Vier-Schicht-Modell, zudem sind immer wieder Freischichten eingestreut. Um die Akzeptanz des neuen Schichtsystems in der Einführungsphase zu erhöhen, erhalten die Mitarbeiter einen Zeitvorteil von 2,5 Stunden bei vollem [Seite der Druck-Ausgabe: S. 33] Lohnausgleich gegenüber dem 4-Schicht-Modell. In den Schichtsystemen existieren Flexibilisierungsspielräume insofern die Differenz zwischen tariflicher Arbeitszeit und den Schichtplänen im 4-Schicht-Betrieb durch 26 Freischichten jährlich abgegolten wird. Diese Freischichten können bedarfsgerecht eingeplant werden. Im 5-Schichtsystem wird die Differenz zwischen Schichtplan und der Regelarbeitszeit durch Zusatzschichten ausgeglichen. Diese Schichten können bedarfsgerecht abgefordert werden; es wird jedoch Wert darauf gelegt, daß etwa zwei Drittel dieser Schichten bereits in die Jahresschichtplanung eingehen, z.B. als Urlaubsvertretungen. Rechnet man alle Variationen und Kombinationen von Länge und Lage zusammen, gibt es im Unternehmen rund 400 Teilzeitvarianten. Allerdings sind immer noch 80% der Varianten konventionelle Teilzeitarbeit, d.h. 4-5 Stunden Arbeit am Vormittag. In diesen Status kam Bewegung durch die Diskussion, die in den Tarifvertrag "Beschäftigungssicherung" mündete. In Verbindung mit dem neuen Arbeitszeitgesetz eröffnen sich für jeden, der sich mit Arbeitszeitgestaltung befaßt, vielfältige Möglichkeiten. Das Personalmanagement des Unternehmens sieht sich allerdings vor einigen Umsetzungshürden: einmal den eingebaute Konsenszwang, zweitens die unterschiedliche Sichtweise von Mitarbeitern und Unternehmen, d.h. was kann das Unternehmen für sein Geld verlangen, was kann der Mitarbeiter an Freiheitsspielräumen verlangen. Der Konsenszwang führt dazu, daß das Unternehmen nur das realisieren kann, was im Sinne beider Seiten letzten Endes ausgewogen ist. Kurz: das Unternehmen kann um so mehr verwirklichen, je höher der "Leidensdruck" bei den Beschäftigten ist. In einem florierenden Unternehmen ist allein für Beschäftigungssicherung nicht viel durchzusetzen. Im Ergebnis wurde im Unternehmen in rund 1600 Fällen (zum Teil nur minimal) über den oben beschriebenen Status hinausgegangen. So wurde im Rechenzentrum eine Gleitzeitvariante mit einer Bandbreite von 6 Uhr bis 22 Uhr eingeführt, verbunden mit einer von der zeitlichen Lage her nicht festgelegten täglichen Mindestarbeitszeit von vier Stunden. Im [Seite der Druck-Ausgabe: S. 34] Gegenzug für die Gewährung dieser Freiheitsspielräume erwartet das Unternehmen, daß die Mitarbeiter in wechselseitiger Absprache die gesamte Bandbreite abdecken. In 600 Fällen wurden Nutzungen des Arbeitszeitkorridors vereinbart - ausschließlich nach oben. Das war für die Betriebsräte nicht leicht zuzugestehen, denn man könnte argumentieren: Statt dieses Mehr an Arbeit, das da geleistet wird, sollten Neueinstellungen erfolgen. Die Nutzung des Korridors erfolgte jedoch in Bereichen, in denen nicht absehbar war, ob es sich nicht nur um eine kurzfristige Aufwärtsbewegung handelt, so daß man bei einer Abschwächung die Arbeitszeit wieder auf das tarifliche Normalmaß zurückführen könnte. Trägt die Entwicklung länger, hat sich auch das Unternehmen verpflichtet, den Personalbestand aufzustocken. Für die Zukunft sei ein mehr an Flexibilität als wir es heute haben unverzichtbar, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Das Unternehmen baut auf eine Politik der kleinen Schritte. Pilotprojekte z. B. können im Notfall auch auslaufen, man kann mit ihnen jedoch experimentieren, ausprobieren was möglich ist und Erfahrungen sammeln. Im Bereich der Nichtschichtarbeit liegt ein Schwerpunkt auf modifizierten Gleitzeitsystemen bis hin zu Jahresarbeitszeitmodellen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000 |