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[Seite der Druckausgabe: 5]

l. Ökonomische Besonderheiten der Bauwirtschaft

Die Bauwirtschaft weist einige ökonomische Besonderheiten auf, die ihr eine besondere Stellung im Wirtschaftskreislauf verleihen und die ggf. besondere branchenbezogene wirtschaftspolitische Maßnahmen erforderlich machen:

  • Das Endprodukt der Bauwirtschaft, die Immobilie, gehört zu den wenigen nicht transportfähigen Produkten. Sie läßt sich an verschiedene Verwendungszwecke anpassen und ist eines der dauerhaftesten Erzeugnisse des Menschen. Immobilien liefern die physische Infrastruktur zum Leben und Arbeiten und zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Die meisten Bauprojekte sind Prototypen. Das Angebot am Immobilienmarkt weist nach Typen, Regionen und Qualitäten eine dementsprechend heterogene Struktur auf: 'Jede Immobilie ist verschieden von allen anderen.’ Schließlich bedürfen Immobilien der regelmäßigen Instandhaltung und ggf. auch der Modernisierung: Die Hälfte aller Bauprojekte betrifft Renovierungsarbeiten. [ Fn. 1: Mitteilung der EU-Kommission vom 4.11.1997 an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der Regionen: Die Wettbewerbsfähigkeit der Bauwirtschaft.]

  • Die Bauinvestitionen hatten 1997 einen Anteil von knapp 60 vH an den gesamten Anlageinvestitionen in Deutschland. Der Anteil der Bauinvestitionen am BIP lag bei fast 13 vH. Die Bauinvestitionen sind ein makroökonomisches Aggregat von einem so großen Gewicht, daß von ihm gesamtwirtschaftliche Störungen ausgehen können. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß sich die Bauinvestitionen durchaus nicht immer parallel zum allgemeinen Konjunkturzyklus, aber auch nicht völlig unabhängig von ihm, entwickelt haben. Die von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen haben einen wesentlichen Einfluß auf ihre Entwicklung. Dies ist bei den öffentlichen Bauten ganz offensichtlich. Es gilt aber auch für die Wohnungsbauinvestitionen, die der Staat mit den Mitteln des Mietrechts und der verschiedenen Förderinstrumente bewußt oder unbewußt beeinflußt. Die Konjunkturabhängigkeit ist bei den gewerblichen Bauinvestitionen am höchsten.

  • Innerhalb des produzierenden Gewerbes weist die Bauwirtschaft die höchste Arbeitsintensität auf. Ihr kommt mithin eine wichtige Rolle bei der Sicherung der Beschäftigung zu.

  • Die Europäische Bauwirtschaft ist mit 8,8 Millionen Beschäftigten bzw. 7 vH der europäischen Erwerbsbevölkerung der größte Arbeit-

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geber in Europa. Nach der SECTEUR-Studie entstehen durch jeden neuen Arbeitsplatz im Baugewerbe zwei weitere Arbeitsplätze in benachbarten Sektoren. Man schätzt, daß die 8,8 Millionen Arbeitsplätze im europäischen Baugewerbe und die 0,1 Millionen in der Planung weitere 2,5 Millionen direkte Arbeitsplätze im Bereich der Bauprodukte und 14,3 Millionen indirekte Arbeitsplätze in anderen Zulieferbereichen geschaffen haben. Man kann also sagen, daß über 26 Millionen Arbeitsplätze in der Europäischen Union unmittelbar oder mittelbar von der Bauwirtschaft abhängen. [Fn. 2: Mitteilung der EU-Kommission vom 4.11.1997.] Der deutsche Baumarkt ist mit Abstand der größte in der EU. So waren die deutschen Bauinvestitionen 1996 beinahe so hoch wie die in Frankreich, Italien und Großbritannien zusammengenommen.

Abb. 1: Bauinvestitionen in der EU 1996

Quelle: Hauptverband der Deutschen Bauindustrie

  • Die Bauwirtschaft ist ein heterogener und zersplitterter Wirtschaftsbereich, der eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Branchen mit unterschiedlichen Interessen umfaßt. Die Baumärkte sind überwiegend Märkte mit lokalem bzw. regionalem Charakter. Eine weitere Besonderheit ist die mittelständische Struktur der Bauwirtschaft. 83 vH der westdeutschen und 64 vH der ostdeutschen Betriebe haben weniger als 20 Beschäftigte. 90 vH aller Betriebe beschäftigen weniger als 50 Mitarbeiter.

  • Eine traditionelle Lehrmeinung besagt, daß Standortprobleme für die Bauwirtschaft nicht die gleiche Rolle wie für das verarbeitende Gewerbe spielen. Anders als für Industrieprodukte gelte für die Erstel-

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    lung von Bauleistungen das Prinzip der "Produktion vor Ort'. Doch gilt dieses Prinzip aus folgenden Gründen bei weitem nicht mehr so absolut wie in der Vergangenheit:

    • Der Einsatz vorgefertigter Teile (Fertigbau bzw. Teilfertigbau) wird im Trend weiter steigen. Die Bauproduktion wird daher in Zukunft ein Stück weit die Eigenschaften eines industriell geprägten Endmontageprozesses annehmen.

    • In den letzten Jahren haben erhebliche Arbeitskräftewanderungen aus verschiedenen europäischen Niedriglohnländern und das damit einhergehende Konkurrenzangebot ausländischer Subunternehmer die Abschottungswirkung geradewegs in ihr Gegenteil verkehrt. Die Wettbewerbsnachteile der deutschen Bauwirtschaft auf Grund der höheren Sozialstandards in Deutschland können immer weniger durch regional bedingte Standortvorteile ausgeglichen werden.

  • Die Markteintrittsbarrieren liegen an den meisten Teilmärkten niedrig. Unternehmen können sich leicht etablieren, da eine Neugründung relativ wenig Betriebskapital erfordert. Das Geschehen an vielen Baumärkten wird daher von einem intensiven Wettbewerb bestimmt.

  • Logistik und Transport sind für die Bauwirtschaft von größter Bedeutung. Die Bauwirtschaft ist einer der geographisch am weitesten verzweigten Wirtschaftssektoren.

  • Das Baugewerbe weist stärkere Produktions- und Beschäftigungsschwankungen auf als andere Wirtschaftszweige. Die Schwankungen der Nachfrage treffen die Betriebe und die Arbeitnehmer gleichermaßen. Folgende Gründe sind dafür maßgeblich:

    • Als Bereitstellungsgewerbe kann das Baugewerbe lediglich Bauleistungen anbieten und hat in der Regel keinen Einfluß auf das Produktionsprogramm. Das Baugewerbe unterliegt dem Auftragsrisiko, das warenproduzierende Gewerbe dagegen dem Absatzrisiko.

    • Eine Produktion auf Lager ist grundsätzlich nicht möglich.

    • Die Bauproduktion unterliegt in besonderem Maße witterungsbedingten Einflüssen und ist mitunter noch immer Saisonarbeit. Im Winter droht den Arbeitnehmern saisonale Arbeitslosigkeit.

    • Als ein Wirtschaftszweig, der ausschließlich langlebige Investitionsgüter herstellt, ist die Bauwirtschaft in besonderem Maße von Nachfrageschwankungen betroffen. Die Nachfrage nach langlebigen Investitionsgütern reagiert schon bei vergleichsweise geringfügigen Änderungen bestimmter Rahmenbedingungen, die die zukünftigen Erlöse oder Kosten beeinflussen (Zinsen, Löhne, Förderprogramme), äußerst sensibel.

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    • Angebot und Nachfrage nach Immobilien zeigen kurz- und mittelfristig vergleichsweise starre Reaktionen auf Marktsignale. Von der Investitionsentscheidung bis zur Fertigstellung einer Immobilie können wegen Verzögerungen durch Planungs-, Genehmigungs- und Bauzeiten Jahre vergehen. Die Immobilienmärkte sind daher anfällig für eigendynamische Zyklen, die selbstverständlich auf die Nachfrage nach Bauleistungen durchschlagen.

  • Auch der Bau-Arbeitsmarkt weist einige Besonderheiten auf:

    • Der Bau-Arbeitsmarkt nimmt traditionell eine große Zahl wenig qualifizierter Hilfskräfte auf.

    • Wegen der heterogenen und zersplitterten Struktur des Baugewerbes und der Besonderheiten des Marktes (mobile Arbeitskräfte, instabile Nachfrage und harter Wettbewerb) sind die Unternehmen bei Investitionen in die Aus- und Fortbildung oft zurückhaltender als es gesamtwirtschaftlich verträglich erscheint.

    • Wegen der hohen Mobilität der Arbeitskräfte kam es im EU-Raum zu großen Arbeitskräftewanderungen in die Hochlohnländer mit einer großen Nachfrage nach Bauleistungen, in erster Linie nach Deutschland. Die angelernten ausländischen Arbeitskräfte sind oft bereit, ihre Arbeitskraft unterhalb des Tariflohns anzubieten.

    • Die Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten im Baugewerbe nehmen mit der Weiterentwicklung der Bautechnik und dem intensiven Wettbewerb an den Arbeitsmärkten ständig zu.

    • Im Vergleich zu anderen Branchen ist der Anteil selbständiger Arbeit hoch. Auch Zeit- und Teilzeitarbeit sowie Gelegenheitsarbeit kommen häufiger vor. Die Arbeitsverträge sind oft auf die Projektdauer befristet. Das Arbeitsrecht und die Tarifpartner sind daher in besonderem Maße gefordert, um den Arbeitnehmern der Bauwirtschaft stabile Beschäftigungsverhältnisse zu garantieren.

    • Die Arbeiten am Bau sind für die Arbeitnehmer gefahrvoll. Arbeitsunfälle kommen verhältnismäßig häufig vor.

  • Die Bauwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig von größter umweltpolitischer Bedeutung. Das Baugewerbe produziert große Mengen an Bauschutt und Abbruchmaterial (im gesamten EU-Raum über 270 Millionen Tonnen jährlich). Auf Bauwerke entfallen 42 vH des Energieverbrauchs der Europäischen Union. Das Baugewerbe nimmt unter den Verursachern von CO2Emissionen den zweiten Platz ein. [Fn. 3: Mitteilung der EU-Kommission vom 4.11.1997.]

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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