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[Seite der Druckausgabe: 1]

Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Die Bauwirtschaft steht derzeit vor vielfältigen Herausforderungen. Der Rückgang der Baunachfrage auf breiter Front hat zu einem beträchtlichen Preis- und Wettbewerbsdruck in der Branche geführt. 1996 sind die Bauinvestitionen um 3 vH zurückgegangen, 1997 um weitere 2 vH. Starke Rückgänge waren beim öffentlichen und beim gewerblichen Bau zu verzeichnen. Zuwächse konnte allein der ostdeutsche Wohnungsbau erzielen. Hier sind jedoch wegen der Kürzung der Sonderabschreibungen in diesem Jahr erheblich weniger Investitionen zu erwarten. Während optimistische Beobachter für Westdeutschland bereits für 1998 mit einer Stabilisierung rechnen, zeichnet sich für Ostdeutschland ein weiterer kräftiger Rückgang der Baunachfrage ab - diesmal in allen drei Sparten.

In den neuen Ländern ist auch mittelfristig nicht mit einer Erholung der Baunachfrage zu rechnen. Die Phase, in der die für eine Wirtschaft im Wiederaufbau typische und angemessene Baulastigkeit von Nachfrage und Produktion nach der Einschränkung von großzügig bemessenen Fördermaßnahmen schrittweise auf ein 'Normalniveau' zurückgeführt wird, hat gerade erst eingesetzt. Der ostdeutschen Bauwirtschaft stehen mithin weitere schmerzhafte Kapazitätsschrumpfungen bevor. Einzig für das Ausbaugewerbe stehen die Zeichen etwas günstiger: Die Sanierung der Altbausubstanz ist noch lange nicht abgeschlossen und die Förderung von Modernisierungsmaßnahmen im Bestand wird auf hohem Niveau fortgesetzt.

Branchenkonjunkturen können sich nur in begrenztem Ausmaß von der gesamtwirtschaftlichen Konjunktur abkoppeln. Nur wenn die Binnennachfrage wieder Tritt faßt, wird auch die Baunachfrage - nach Eigenheimen, Werkstätten, Fabrikhallen, etc. - wieder anziehen. Doch wäre auch die westdeutsche Bauwirtschaft nicht gut beraten, im Vertrauen darauf, daß ein allgemeiner Konjunkturaufschwung ihr schon bald aus der Krise hilft, unternehmerisches Handeln zu unterlassen. In der derzeitigen gesamtwirtschaftlichen Strukturkrise fehlt es an effektiver Nachfrage. Die hohe Arbeitslosigkeit schafft ein allgemeines Klima der Verunsicherung und des Investitionsattentismus. Trotz historisch niedriger Hypothekenzinsen und der verbesserten Wohneigentumsförderung trifft dies auch den selbstgenutzten Wohnungsbau. Dieser hat sich keineswegs so dynamisch entwickelt, wie es sich die Bundesregierung erhofft hatte. Zu den notwendigen grundlegenden Reformen, die das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik wieder herstellen könnten, wird es vor den Bundestagswahlen im September 1998 nicht mehr kommen. Um so mehr wird die neue Bundesregierung gefordert sein.

Allein die Nachfrageschwäche wäre wohl nicht Anlaß genug gewesen, einen wirtschaftspolitischen Diskurs über die Zukunft der Bauwirtschaft auszurichten. Die Branche hat sich weiterer Bedrohungen zu erwehren.

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In den letzten Jahren sind neue Formen der Konkurrenz aufgetreten, die die wirtschaftlichen Positionen von Arbeitnehmern und Unternehmern gleichermaßen bedrohen. Die Unternehmer begegnen der Billiglohnkonkurrenz aus dem EU-Ausland, indem sie Unteraufträge an ausländische Subunternehmer vergeben.

Dieses aus unternehmerischer Sicht verständliche Verhalten bedroht freilich die Arbeitsplätze der inländischen Bauarbeiter. Der wirklichen Herausforderung sehen sich denn auch die heimischen Facharbeiter und Hilfskräfte am Bau gegenüber. Sie müssen Lohnverzicht leisten und sich ständig neue Fertigkeiten und Kenntnisse aneignen. Selbst wenn sie sich als flexibel und aufnahmebereit erweisen, droht ihnen der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Die Lage auf dem Bauarbeitsmarkt bleibt unverändert kritisch. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit hat sich im letzten Jahr mit kaum vermindertem Tempo fortgesetzt. Im Jahresdurchschnitt 1997 waren bei der Arbeitsverwaltung 272.100 arbeitslose Bauarbeiter registriert - 22 vH mehr als ein Jahr zuvor. Dabei hat die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland weit stärker zugenommen als in Westdeutschland.

Die Mindestlohnregelung des Entsendegesetzes und die Einschränkung der Werkvertragskontingente für osteuropäische Arbeitskräfte haben zwar für eine gewisse Entlastung des Arbeitsmarktes gesorgt. Doch täuscht sich keiner der Beteiligten darüber, daß es sich nur um zeitlich begrenzte Notmaßnahmen handelt, mit denen man sich vorübergehend etwas Luft verschaffen konnte. Der Vertreter des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau erklärte, daß sein Ministerium eine Verlängerung des Entsendegesetzes über das Jahr 1999 hinaus skeptisch beurteile. Die Bauwirtschaft wäre daher gut beraten, wenn sie die Übergangszeit nutzt, um die notwendigen Umstrukturierungen energisch anzugehen.

Das Programm der Bundesregierung zur Verstetigung der Baunachfrage wurde vom Bundesvorsitzenden der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt als im Ansatz geeignet, aber unzureichend bezeichnet. Zukunftsweisend an diesem Programm sind weniger die zusätzlichen zinsverbilligten Kredite als die Ansätze zur Privatfinanzierung öffentlicher Bauvorhaben. Das private Engagement eröffnet Möglichkeiten, trotz fehlender öffentlicher Mittel Baunachfrage aus dem öffentlichen Bereich zu mobilisieren. Angesichts der von den Maastricht-Kriterien und dem Stabilitätspakt erzwungenen Austeritätspolitik rechnet niemand ernsthaft mit großzügig dotierten Förderprogrammen zur Stabilisierung der Baunachfrage. Die Gemeinden sind daher aufgefordert, mit ihrem tradierten Verhalten zu brechen, und die neuen Instrumente zur privaten Finanzierung öffentlicher Bauvorhaben einzusetzen, wenn immer sie wirtschaftlich vorteilhaft sind.

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Alles in allem kann die Bundesregierung derzeit nicht viel mehr tun, um der Bauwirtschaft zu helfen. Es verdient Anerkennung, daß die Regierung mit dem sektorspezifischen Konjunkturprogramm über ihren eigenen ordnungspolitischen Schatten gesprungen ist. Der Vertreter des Bauministeriums hat überdies auf die ordnungspolitisch begrenzten Möglichkeiten des Staates verwiesen, sektorale Krisen mit Subventionen wirksam zu bekämpfen. Derartige Interventionen würden dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen, der Arbeitnehmer und ihrer jeweiligen Verbände widersprechen und überdies Forderungen anderer Branchen nach sich ziehen, die dann kaum noch zurückgewiesen werden könnten. Außerdem würden Subventionen zu einer entsprechenden 'Subventionsmentalität' führen, die der wirtschaftlichen Dynamik und der Innovationsfähigkeit nicht eben förderlich sei.

Entgegen dem allgemeinen Abwärtstrend konnten bei den Genehmigungen für Eigenheime Zuwächse erreicht werden. Die Bundesregierung hatte mit einer Reihe von Maßnahmen den Schwerpunkt der Wohnungsbauförderung in Richtung selbstgenutztes Wohneigentum verlagert. In diesem Bereich stecken noch große Chancen für die Bauwirtschaft. Wenn es gelingt, familiengerechte Eigenheime durch kosten- und flächensparendes Bauen zu wesentlich geringeren Kosten anzubieten, kann die förderbedingt expandierende Nachfrage noch weiter gesteigert werden ('junges Bauen'). Familien könnten schon wesentlich früher in ihrem Lebenszyklus in die Lage versetzt werden, selbstgenutztes Wohneigentum zu erwerben. Mit dem Instrument des Erbbaurechts können die Gesamtkosten und die monatliche Belastung noch weiter gesenkt werden. Doch sollte die Bundesregierung darauf achten, daß der Bau von Mietwohnungen nicht vollends zum Stiefkind der Wohnungsbauförderung wird. Die Steuerreformpläne der Regierung haben in diesem Bereich für große Verunsicherung gesorgt.

Die Tarifparteien haben die Herausforderungen der Situation angenommen. Wenn auch nach langen Verhandlungen und begleitet von Streikdrohungen, können sie doch beachtliche tarifpolitische Erfolge vorweisen. Es ist ihnen gelungen, die Mindestlöhne erneut für allgemeinverbindlich erklären zu lassen und eine weitgehend eigenverantwortliche Absicherung gegen das Schlechtwetterrisiko zu installieren. Mit der Senkung der Lohnnebenkosten, dem Einfrieren der ostdeutschen Baulöhne, den Einstiegstarifen und der Öffnungsklausel für die ostdeutschen Baubetriebe haben die Tarifparteien einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Krise und zur Sicherung der Beschäftigung auf einem freilich reduzierten Niveau geleistet.

In Ostdeutschland, wo sich die Gewerkschaft zu besonders weitgehenden Konzessionen bereit gefunden hat, ist dennoch bereits jeder fünfte Bauarbeiter arbeitslos. Unter den Unternehmen herrscht ein gnadenloser Wettbewerb und eine ständige Auslese, die entsprechend viele In-

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solvenzen und Betriebsschließungen nach sich zieht. Unter diesen Bedingungen beginnt die Einigkeit im Arbeitgeberlager zu bröckeln. Drei ostdeutsche Landesverbände sind aus dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes ausgetreten, weil nach ihrer Auffassung die Tarifabschlüsse zu weitgehende Zugeständnisse an die IG Bau und die Bauindustrie beinhalten.

In der Führung der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt gibt man sich keinen Illusionen über die Lage und die Aussichten der deutschen Bauwirtschaft hin. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft hat die Bauunternehmer vor dem Versuch gewarnt, der Krise allein mit Kostensenkungsprogrammen und der Verpflichtung von ausländischen Subunternehmern zu begegnen. Auch und gerade im Interesse der Unternehmen müßten Innovationsmanagement und Mitarbeiterqualifizierung verbessert werden. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt hat in diesen Bereichen große Defizite erkannt.

Neben der Privatfinanzierung öffentlicher Bauvorhaben wurden weitere konkrete Strategien genannt, die insbesondere auch für mittelständische Bauunternehmen in Frage kommen. Das schlüsselfertige Bauen gilt als das klassische Beispiel für ein Komplettangebot aus einer Hand, das den Kundennutzen erhöht. Es zeichnet sich ab, daß in Zukunft vermehrt Finanzdienstleistungen und andere Dienstleistungen im Paket mit Bauleistungen angeboten werden. Mit Hilfe von Kooperationen lassen sich weitere Stufen der Wertschöpfungskette integrieren, ohne daß erst mühsam eigene Kompetenz aufgebaut werden muß. Ein Beispiel dafür sind Kooperationen mit Baustofflieferanten, die Kosteneinsparungen durch den Einsatz vorgefertigter Teile ermöglichen. Als Vorbild für eine weitere Krisenbewältigungsstrategie kann das konsequente Innovationsmanagement der Firma Garbersbau aus Lüneburg dienen, das die Erfahrung und die Kreativität der Mitarbeiter mobilisiert.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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