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TEILDOKUMENT:
A. Der Arbeitskräftebedarf bis 2010 nach Tätigkeiten und Qualifikationen 1. Ausgangslage In Ost- wie in Westdeutschland hat die Beschäftigung seit dem Einigungsboom abgenommen. Von 1992 bis 1994 ist die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland von 14,8% auf 15,1% gestiegen, in Westdeutschland von 6% auf 8,4%. Man darf nicht außer acht lassen, daß es sich hierbei nur um die registrierten Arbeitslosen handelt. Nicht enthalten sind die im zweiten Arbeitsmarkt Beschäftigten, die etwa an Arbeitsbeschaffungs- oder Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen teilnehmen, und die stille Reserve. Zur stillen Reserve gehören Arbeitsuchende, die nicht arbeitslos gemeldet sind, weil sie entweder keinen Anspruch auf Unterhaltsleistungen haben oder durch die Arbeitsmarktlage entmutigt sind. Ein Blick in die Zukunft zeigt, daß nach Einschätzung der Prognos AG trotz eines unterstellten Anwachsens des Bruttoinlandsprodukts um 2% in den alten und ca. 9,6% in den neuen Bundesländern die Arbeitslosigkeit zunehmen wird. 41 Mio. Arbeitsanbieter werden einer Beschäftigung von 35 Mio. gegenüberstehen. Daraus ergibt sich eine Arbeitsplatzlücke von 6 Mio. Arbeitsplätzen. Erst nach der Jahrtausendwende wird sich die Arbeitsmarktlage entspannen. Das Arbeitsangebot wird zurückgehen. Dem steht jedoch wegen der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen ein Abbau der stillen Reserve gegenüber, so daß die registrierte Arbeitslosigkeit nur auf 2,6 Mio. sinken wird. Ein Großteil der Arbeitsmarktprobleme läßt sich auf den strukturellen Wandel zurückführen. In den Bereichen der Warenproduktion sind seit langem sinkende Beschäftigungszahlen zu verzeichnen, während die Dienstleistungsbranchen in den letzten zwei Jahrzehnten trotz konjunktureller Schwankungen immer Hauptträger des Beschäftigungszuwachses waren. Die Wertschöpfung in diesem Bereich hat die des produzierenden Gewerbes und der Landwirtschaft längst überholt. Ähnliches gilt für die Arbeitsproduktivität, die Kapitalintensität und den Modernisierungsgrad des eingesetzten [Seite der Druckausgabe: 3] Sachkapitals. Der Dienstleistungsbereich wird auch in Zukunft der wachstumsträchtigste Sektor sein. Betrachtet man das Qualifikationspotential der Erwerbstätigen, so ist auch im internationalen Vergleich ein beachtliches Niveau zu verzeichnen. Rund zwei Drittel aller Erwerbstätigen in den alten und neuen Ländern haben eine berufliche Aus- oder Fortbildung abgeschlossen, jeder Achte eine Hoch- oder Fachhochschulausbildung. Die Zahl der niedrig Qualifizierten ohne Ausbildung ist von über 40% Ende der 50er Jahre auf unter 20% gesunken (Tessaring 1995a). Die folgende Tabelle zeigt, wie stark die verschiedenen Qualifikationsebenen von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Tabelle l: Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten 1994 (%)* (Tessaring 1995b)
* Arbeitslose in % aller Erwerbspersonen (ohne Auszubildende und Soldaten gleicher Qualifikation) Unter den niedrig Qualifizierten ist die Arbeitslosigkeit mit 19,3% in Westdeutschland und über 21% in Ostdeutschland überdurchschnittlich hoch. Gerade sie sind es, die auch unter dem Beschäftigungsrückgang zu leiden haben. Niedrig Qualifizierte werden schneller entlassen, da die Arbeitgeber an ihnen geringeres Halteinteresse haben. Sie sind in Zeiten konjunktureller Aufschwungphasen leichter zu ersetzen als ganz spezifisch im Unternehmen qualifizierte Arbeitnehmer. Auf der anderen Seite werden sie bei der Einstellung oft benachteiligt. Es ist zur Zeit ein Trend zu beobachten, demzufolge die Einstellungsanforderungen an Bewerber und das tatsächlich für die Ausübung der Tätigkeit notwendige Anforderungsprofil weit auseinander driften. Das führt zum Beispiel auch dazu, daß viele Fachkräfte mit betrieblicher Ausbildung unterwertig beschäftigt sind. [Seite der Druckausgabe: 4] 25 - 30% von ihnen arbeiten auf Arbeitsplätzen für Ungelernte (Tessaring 1995a). Weitere Verlierer sind ältere Arbeitnehmer. Sie werden von jüngeren, qualifizierteren Arbeitsuchenden aus dem Markt gedrängt. In der Regel gehen sie dann in Frührente, da eine Wiedereingliederung in eine Beschäftigung kaum eine realistische Aussicht für sie ist. Wie sich die Qualifikationsstruktur des Arbeitskräftebedarfs und des Arbeitskräfteangebotes voraussichtlich entwickeln wird, wird im folgenden Abschnitt betrachtet (in Anlehnung an Tessaring 1995a).
2. Perspektiven
Es ist zu erwarten, daß die Dienstleistungssektoren auch in Zukunft weiter an Bedeutung zunehmen werden. Das Prognos-Institut erwartet einen Zuwachs der Beschäftigung in diesem Bereich von heute 58% auf 65% im Jahre 2010. Im sekundären Sektor (Industrie, Handwerk, Bau) wird sie von heute knapp 40% auf 34% sinken, im primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft) von 3% auf 2%. Es ist durchaus denkbar, daß hier eine Umschichtung der Beschäftigung stattfinden wird. Die im sekundären Sektor Freigesetzten könnten im Dienstleistungssektor wieder neue Arbeitsplätze finden. Dazu bedarf es jedoch erheblicher Fortbildungs- und Umschulungsbemühungen sowie einer höheren Mobilitätsbereitschaft und
Die strukturellen Veränderungen und der Einsatz neuer Technologien wird auch weitreichende Konsequenzen für die Arbeitsinhalte und Qualitätsanforderungen haben. Manuelle und Routinetätigkeiten werden zunehmend an Bedeutung verlieren. Immer wichtiger werden statt dessen komplexe Aufgaben an hochtechnisierten Arbeitsplätzen, flexiblen Fertigungsanlagen und in spezialisierten, beratungsintensiven Dienstleistungen. Neue Produktions- und Organisationskonzepte werden die Verantwortung und Kompetenzanforderungen auch in mittleren Positionen erweitern. [Seite der Druckausgabe: 5] Abbildung l: Erwerbstätige nach Tätigkeitsbereichen 1991/2010 (in %)
Es zeigt sich also, daß die Qualifikationsanforderungen immer weiter zunehmen. Angesichts des zunehmenden internationalen Wettbewerbs muß Deutschland als rohstoffarmes Land versuchen, seine Wettbewerbsposition mit intelligenten, hochwertigen und innovativen Gütern, Dienstleistungen und Produktionsverfahren zu sichern. Es muß auf jeden Fall Nachwuchssicherung an Fachkräften und [Seite der Druckausgabe: 6] Hochqualifizierten betrieben werden. Forschung und Entwicklung, Bildung und Wissenschaft sind wichtiger denn je und müssen entsprechend gefördert werden. Konkrete Vorausschätzungen des Qualifikationsbedarfs sollen anhand der folgenden Graphik veranschaulicht werden. Abbildung 2: Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte 1976/91 und des Arbeitskräftebedarfs 2010 (in %) Legende: BFS = Berufsfachschule; FS = Fach-, Meister-, Technikerschule; FHS = Fachhochschule; UNI = Universität
[Seite der Druckausgabe: 7] Die Schätzungen des IAB und einer Berliner Forschungsgruppe kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Beide sehen voraus, daß sich der Bedarf an ungelernten Arbeitskräften von 1990/91 bis zum Jahr 2010 halbieren wird. Damit verbunden ist ein Arbeitsplatzverlust für Ungelernte von 3,2 Mio. Der Bedarf an Absolventen betrieblicher und berufsfachschulischer Erstausbildungen wird sich von 59% im Jahre 1991 auf 63% in 2010 erhöhen. Das entspricht einem Beschäftigungszuwachs von 1,2 bis 1,4 Mio. Über die Erstausbildung hinaus wird aber auch in Zukunft die berufliche Fortbildung an Fach-, Meister- und Technikerschulen an Bedeutung gewinnen. Hier wird ein Zuwachs der Arbeitsplätze um 14-19% im Projektionszeitraum erwartet. Damit ist ein Zuwachs von 400 000 Arbeitsplätzen verbunden. Der Anteil des Bedarfs an Fachhochschulabsolventen wird von 4% auf rund 5,7% steigen. Den Universitätsabsolventen werden 11-12% aller Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, gegenüber gut 8% im Jahre 1991 (Tessaring 1993).
3. Fazit
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß insgesamt der Qualifikationsbedarf in allen Tätigkeitsfeldern zunehmen wird. Arbeitnehmer ohne Abschluß werden durch qualifiziertere ersetzt werden. Sie werden auch in Zukunft, selbst wenn ihr Anteil an der Bevölkerung rückläufig ist, die größte Problemgruppe unter den Arbeitslosen bilden. Die duale Ausbildung bleibt auch in Zukunft die wichtigste Stütze der Qualifizierung der Jugendlichen. Zwei Drittel der relevanten Altersjahrgänge treten in diese Ausbildung ein. Demgegenüber wählt nur ein Viertel den Zugang zum Hochschulbereich. Um einem zukünftigen Fachkräftemangel vorzubeugen, muß die duale Ausbildung attraktiver gemacht werden. Es müssen Hürden an der Schwelle zwischen Ausbildung und Beruf beseitigt werden und mehr Perspektiven bezüglich einer der Qualifikation entsprechenden Beschäftigung aufgezeigt werden. Die Aufstiegschancen sollten verbessert werden. Den Arbeitnehmern sollten ihre Möglichkeiten durch Personalentwicklungspläne und innerbetriebliche Möglichkeiten der Aufstiegsqualifizierung transparent vor Augen geführt werden. Auf der anderen Seite muß man sich mehr auf die Gruppe der Menschen ohne Ausbildung konzentrieren, indem man ihnen eine besondere Förderung zukommen läßt. Es [Seite der Druckausgabe: 8] sollten Ausbildungsangebote zur Förderung von Lernschwächeren und Benachteiligten eingeführt werden, die ihren spezifischen Fähigkeiten entsprechen. Bereits heute müssen die Weichen gestellt werden, um Berufsnot von Jugendlichen in der Zukunft abzuwenden. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |