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TEILDOKUMENT:
B. Senkung der Lohnnebenkosten im Rahmen einer ökologischen Steuerreform 1. Problemstellung Die ökologische Steuerreform ist ursprünglich als umweltpolitisches Lenkungsinstrument konzipiert. Sie soll eine Alternative zu den gebräuchlichsten Methoden der Umweltpolitik darstellen, den Auflagen und Verboten. Der Vorteil der Umweltabgaben liegt darin, daß es im Interesse der einzelnen Individuen liegt, Umweltbelastungen zu vermeiden, und sie dabei die Möglichkeit haben, dies auf dem ökonomisch günstigsten Weg zu tun. Die derzeitige Abgabenlast in der Bundesrepublik ist jedoch bereits so hoch, daß eine zusätzliche Abgabe nicht ohne Widerstand angenommen würde. Hier kommt erst der beschäftigungspolitische Aspekt der Steuerreform zum Tragen: das Aufkommen aus der Umweltabgabe soll aufkommensneutral wieder umverteilt werden. Dabei besteht die Möglichkeit, Nachteile abzubauen, die das bestehende Abgabensystem mit sich bringt. Das betrifft vor allem die hohe Belastung des Faktors Arbeit mit Abgaben, die einem höheren Beschäftigungsvolumen im Wege steht. Wie kann man die Umweltabgabe konkret ausgestalten? Welche Anreizwirkungen gehen von ihr aus? Und schließlich, welche gesamtwirtschaftlichen Wirkungen und damit auch Beschäftigungswirkungen hätte die konkrete Ausgestaltung der ökologischen Steuerreform? Diesen Fragen ist ein Mitarbeiterteam des DIW im Auftrag von Greenpeace auf den Grund gegangen (DIW 1994).
2. Ausgestaltung der Steuerreform
Der Untersuchung des DIW (1994) liegt das Konzept einer Energiesteuer zugrunde. Sie ist von den bisher diskutierten Umweltabgaben die bedeutendste. Eine Reduktion des Energieverbrauchs ist für die Umweltschützer ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. [Seite der Druckausgabe: 10] Die Energiesteuer soll stetig steigen. Es ist wichtig, daß die Reform schrittweise durchgeführt wird, um nicht den bereits bestehenden Kapitalstock abzuwerten. Die Ausgestaltung muß für jedes Unternehmen durchsichtig sein, damit Planungssicherheit gewährt werden kann und Unternehmer ihre Investitionsentscheidungen entsprechend anpassen können. Besteuerungsbasis sollen alle fossilen Energieträger und die Elektrizität sein, während alle erneuerbaren Energien von der Besteuerung ausgenommen sind. Es wird ein fester Steuersatz auf jede Einheit Energiegehalt (9 DM je Gigajoule) erhoben, der im Zeitverlauf um einen festen Prozentsatz (7%) steigt. Bei den zugrundegelegten Zahlen steigt der Preis für Strom für die Industrie am meisten (um 94% innerhalb von zehn Jahren), gefolgt vom Preis für Heizöl für private Haushalte (73%); der Preis für Strom für private Haushalte steigt um 46%, für Normalbenzin um 24%. Abbildung 2.1: Entwicklung der Energiepreise
Wie wirkt sich nun die Erhebung der Steuer auf das Verhalten der Unternehmen und Haushalte aus? Zunächst verändert sich der Preis für Zwischen- und Endprodukte, und zwar gemäß ihrem Energiegehalt. Energieintensive Produkte werden relativ teurer, arbeitsintensive Produkte relativ billiger. Dementsprechend geht die Nachfrage für ener- [Seite der Druckausgabe: 11] gieintensive Produkte zurück, während die für arbeitsintensive steigt. Der Unternehmer wird seine zukünftigen Investitionsentscheidungen den veränderten Rahmenbedingungen anpassen und solche Technologien auswählen, die relativ mehr Arbeitseinsatz erfordern, da er aufgrund der veränderten Nachfrage dort größere Gewinnchancen zu erwarten hat. Es läßt sich also festhalten, daß allein schon aufgrund der Preisveränderungen und Nachfrageverschiebungen ein Beschäftigungsanstieg zu erwarten ist. Es bleibt zu fragen, ob die Einführung einer Energiesteuer auch im nationalen Alleingang möglich ist oder ob die Harmonisierungsbestrebungen der Europäischen Union ein derartiges Vorgehen vereiteln würden. Das wäre nicht der Fall. Es bleibt den einzelnen Staaten auch nach Inkrafttreten des Binnenmarktes unbenommen, einzelne Verbrauchssteuern zu erheben, solange diese im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedsländern keine mit dem Grenzübertritt verbundenen Formalitäten nach sich ziehen. Unabhängig davon, ob sich der Politik weitere europäische Länder anschließen oder nicht, ist die Einführung der Energiesteuer rechtlich möglich. Neben der Erhebung der Steuer sieht das Konzept des DIW eine aufkommensneutrale Kompensation vor. Denn erstens soll weder die Gruppe der Unternehmen noch die Gruppe der privaten Haushalte durch die Erhebung der Steuer schlechter gestellt werden;
Die Kompensation der privaten Haushalte ließe sich am einfachsten über eine Reduktion der Mehrwertsteuer realisieren. Diese Alternative ist jedoch aus europarechtlichen Gründen nicht durchführbar. Daher müßte man auf eine Pro-Kopf-Erstattung, den sogenannten Öko-Bonus zurückgreifen.
[Seite der Druckausgabe: 12]
3. Gesamtwirtschaftliche Effekte
Zunächst sollten hier die Preisentwicklungen betrachtet werden. Wie bereits oben erwähnt, steigt der Preis für alle Güter, zu deren Produktion direkt oder indirekt Energie eingesetzt wird. Je nach Energiegehalt steigt der Preis in unterschiedlichem Maße. Wie die Preisveränderungen in den einzelnen Branchen wirken, hat das DIW in einem statischen Preismodell der Input-Output-Analyse untersucht. Nettoentlastungen ergeben sich hier vor allem für Produkte des Investitionsgütergewerbes, für Leistungen des Staates, für Dienstleistungen, für Post- und Fernmeldedienste, für Großhandelsleistungen und Bauleistungen. Demgegenüber werden Produkte des Grundstoff- und Produktionsgütergewerbes, einige Produkte des Verbrauchsgütergewerbes und Verkehrsleistungen netto belastet. Am stärksten wirkt sich die Belastung im Bereich der eisenschaffenden und der chemischen Industrie aus. Diese Branchen erweisen sich als besonders problematisch, da aufgrund von Überkapazitäten in der EU seit Mitte der achtziger Jahre bereits ein Preis-Verfall stattfindet. Bei einer Verteuerung der Produkte der inländischen Branchen würde man diese einem internationalen Wettbewerbsdruck aussetzen, dem sie kaum noch standhalten könnten. Hinzu kommen regionale Probleme: Sie treten auf, wenn eine Branche in einer Region eine besonders hohe wirtschaftliche Bedeutung hat. In Duisburg sind beispielsweise mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer in der eisenschaffenden Industrie tätig. Schwer betroffen wäre auch das Saarland. In der chemischen Industrie sind Ludwigshafen, Darmstadt, Recklinghausen, Frankfurt/Main und Wiesbaden stark betroffen. In der Stahlindustrie sind im Verlauf von 10 Jahren Preissteigerungen von 20% zu erwarten, in der Grundstoffchemie von 6 %. Natürlich ist der Widerstand dieser Branchen gegen die Einführung einer Energiesteuer entsprechend groß. Dem muß man zum einen entgegenhalten, daß Wechselkursänderungen ganz andere Auswirkungen auf das internationale Preisgefüge haben können als eine Preissteigerung um 6% und diese in der Regel auch aufgefangen werden können. Zum anderen sind die Produktionsprozesse auch anpaßbar. Derartige Veränderungen sind in der Prognose der Preisentwicklung noch nicht enthalten. Deshalb müßten die Preissteigerungen relativiert werden. [Seite der Druckausgabe: 13] Dennoch sind die regionalen Probleme nicht wegzudiskutieren. Eine Lösungsmöglichkeit besteht darin, daß mit Hilfe der im öffentlichen Dienst eingesparten finanziellen Mittel Strukturpolitik betrieben wird, die den Strukturwandel beschleunigt und negative Auswirkungen ein wenig abfedert. In der Modellrechnung müssen Annahmen über die Geld-, Finanz- und Lohnpolitik getroffen werden. In der Basisvariante wird unterstellt, daß sich das tarif- und finanzpolitische Verhalten nicht verändert, ebensowenig der Außenwert der D-Mark und die Realzinsen. Um die Sensitivität der Ergebnisse abschätzen zu können, werden Alternativrechnungen durchgeführt, in denen die Rahmenbedingungen ein wenig abweichen. Besonders hervorzuheben ist der positive Beschäftigungseffekt. Die Beschäftigung steigt demnach in zehn Jahren um 2,1%. Das entspricht in absoluten Zahlen einem Beschäftigungszuwachs von einer halben Million zusätzlich Beschäftigter. Angesichts einer prognostizierten Beschäftigungslücke von 6 Millionen im Jahre 2000 mögen Kritiker das Ergebnis belächeln. Man darf jedoch nicht außer acht lassen, daß die ökologische Steuerreform, wie sie hier vorgestellt wurde, zunächst als umweltpolitisches Instrument konzipiert war, für das vor allem auch positive Beschäftigungswirkungen sprechen.
4. EU-Variante der ökologischen Steuerreform
Im Gegensatz dazu beschäftigt sich die EU-Kommission (1993) primär mit der Frage, wie die Beschäftigungslücke im ganzen europäischen Raum verringert werden kann. Dazu betrachtet sie zunächst die Struktur der Arbeitslosigkeit. Es läßt sich festhalten, daß ein Großteil der Arbeitslosen zu den Langzeitarbeitslosen gehört und nur eine sehr niedrige Qualifikation ausweisen kann. Der Hauptgrund für die Beschäftigungslücke liegt, wie oben bereits erwähnt, in den hohen Lohnnebenkosten. Sie begrenzen die Nachfrage nach Arbeit von seiten der Unternehmen. Ein neuer Aspekt der EU-Studie beleuchtet die Tatsache, daß nur weniger qualifizierte Arbeitnehmer in Konkurrenz zu Arbeitnehmern aus Billiglohnländern stehen, nicht jedoch höher Qualifizierte. Trägt man diesem Zusammenhang Rechnung, indem man nur die Lohnnebenkosten derer senkt, die von der internationalen Konkurrenzsituation be- [Seite der Druckausgabe: 14] troffen sind, etwa das unterste Drittel der Einkommensbezieher, lassen sich wesentlich größere Beschäftigungseffekte erreichen. Die EU-Kommission sieht eine europaweite Energiepreiserhöhung von 2,5% vor. Die Modellrechnungen kommen zu beachtlichen Ergebnissen. Es ließe sich ein Beschäftigungszuwachs im Niedrig-Lohn-Sektor von 10-12% erreichen. Die Ausgestaltung der Kompensation als selektive Form der Rückerstattung ließe sich auch auf ein Modell des nationalen Alleingangs übertragen. [Seite der Druckausgabe: 15] Tabelle 2.1: Gesamtwirtschaftliche Effekte einer ökologischen Steuerreform Abweichungen gegenüber Referenzsimulation in % nach 10 Jahren
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |