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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 1] Zusammenfassung und Schlußfolgerungen Die Diskussion über den Generationenvertrag wird heute primär von der Frage nach Zustand und Zukunftstauglichkeit des deutschen Rentensystems dominiert. Dabei geht die Problematik insgesamt weit über die Frage des Rentensystems hinaus. Der Terminus Generationenvertrag umschreibt einen umfassenden Gesellschaftsvertrag zwischen der aktiven Erwerbstätigengeneration, der Generation der Ruheständler und der Generation der Kinder und Jugendlichen, dessen Ausgestaltung und Umsetzung zugleich elementare Auswirkungen auf die Lebensumstände und Zukunftschancen der noch nicht geborenen, zukünftigen Generationen hat. Wesentlich wichtiger als die derzeit innerhalb der Rentenkontroverse diskutierten Verteilungsprobleme zwischen Erwerbstätigen- und Rentnergeneration sind daher die Faktoren, die die Zukunftschancen der jungen und der noch nicht geborenen Generationen unmittelbar determinieren. Hierzu zählen Fragen des Zugangs junger Menschen zu Bildung, Ausbildung und Erwerbsleben ebenso wie die von der jetzigen Politikergeneration angehäufte Staatsverschuldung, die den Handlungsspielraum späterer Generationen dramatisch einschränken wird. Das alles überlagernde und letztlich zentrale Generationenproblem liegt jedoch im ökologischen Bereich. Denn erstmals in der Geschichte der Menschheit droht die realistische Gefahr, daß zukünftigen Generationen von ihren Eltern und Großeltern eine nicht mehr lebenswerte Umwelt hinterlassen wird. Der Vertreter der Gesellschaft für die Rechte zukünftiger Generationen beklagt, daß sich die heute herrschenden Generationen ihren Wohlstand zu Lasten späterer Generationen sichern. Viele heute anstehenden Probleme würden nicht wirklich gelöst, sondern lediglich in die Zukunft verschoben. Diese Futurisierung der Probleme führe zu einer Bedrohung der ökonomischen und ökologischen Grundlagen zukünftiger Generationen. Durch dieses egoistische Verhalten sei der Generationenvertrag inzwischen zum "Generationenbetrug" degeneriert. Junge SPD-Abgeordnete aus Bundes- und Länderparlamenten fordern die Aushandlung eines neuen Generationenvertrages. Dieser neue Generationenvertrag setze den Zugang junger Menschen zu Bildung, Ausbildung und Erwerbsarbeit ebenso voraus wie eine nachhaltige ökologische Entwicklung und ein zukunftstaugliches Rentensystem. [Seite der Druckausgabe: 2] Die Forderungen nach einem neuen Generationenvertrag stoßen insbesondere - aber keineswegs ausschließlich - bei Vertretern der älteren Generation auf erheblichen Widerspruch. Die im- oder explizit vorgebrachten Vorwürfe an die ältere Generation seien ungerecht, da diese Generation einen erheblichen Beitrag zum Aufbau des Wohlstandes geleistet hätten, von dem auch die Jungen in einem hohen Maße profitierten, und den sie als "Erbengeneration" eines Tages übernehmen werden. Ein Gewerkschaftsvertreter sieht die Debatte als Modeerscheinung einer zunehmend entsolidarisierten Gesellschaft. Letztlich sei die Diskussion nicht mehr als eine von interessierter Seite inszenierte Scheindiskussion. Die gesetzliche Rentenversicherung gilt in Deutschland als institutionalisierter Generationenvertrag, da eine unmittelbare Umverteilung zwischen den Generationen stattfindet. Bei dem der Rentenversicherung zugrundeliegenden Umlageverfahren werden die Beiträge der versicherungspflichtigen Erwerbstätigen, die hälftig von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebracht werden, unmittelbar zur Auszahlung an die Rentner weitgereicht. Ein solches Verfahren reagiert entsprechend sensibel auf Veränderungen im Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern. Und in dieser Relation haben sich in den letzten Jahren aufgrund von Massenarbeitslosigkeit, Frühverrentung und demographischer Entwicklung sowie den Auswirkungen der deutschen Vereinigung erhebliche Veränderungen ergeben. Vor diesem Hintergrund findet in Deutschland derzeit eine intensive Diskussion über die aktuellen und langfristigen Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung statt. Weitgehende Einigkeit besteht dabei darüber, daß die aktuellen Finanzierungsprobleme hauptsächlich aus der Massenarbeitslosigkeit und anderen problematischen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt wie dem Ausufern versicherungsfreier 610-DM-Arbeitsverhältnisse oder der sogenannten "Scheinselbständigkeit" resultieren. Die hieraus folgenden Einnahmeprobleme werden zusätzlich dadurch verschärft, daß die Rentenversicherung ebenso wie die anderen Sozialversicherungssysteme von der Bundesregierung seit Ende der 80er Jahre verstärkt mit sogenannten "versicherungsfremden Leistungen" überfrachtet worden ist. Der zur Gegenfinanzierung dieser Leistungen dienende Bundes- [Seite der Druckausgabe: 3] zuschuß aus dem allgemeinen Steueraufkommen deckt diese Leistungen nur noch zu einem Teil ab. Durch eine vollständige Finanzierung aller versicherungsfremden Leistungen aus dem allgemeinen Steueraufkommen könnte der Beitragssatz zur Rentenversicherung deutlich gesenkt werden. Während die aktuellen Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung nach übereinstimmender Einschätzung auf diesem Wege entschärft werden könnten, werden die aufgrund der demographischen Entwicklung zu erwartenden langfristigen Finanzierungsprobleme sehr kontrovers eingeschätzt. Unstrittig ist nach Expertenmeinung, daß die Rentenversicherung aufgrund der demographische Entwicklung mittel- und langfristig vor einem erheblichen Finanzierungsproblem steht. Die Bundesregierung hat deshalb im Rahmen der Rentenreform 1999 die Ergänzung der Rentenformel um eine sogenannte demographische Komponente beschlossen, wodurch das durchschnittliche Rentenniveau bis zum Jahre 2030 um rund 9 Prozent abgesenkt werden soll. Nach Einschätzung des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung führt dies zu keinen Rentenkürzungen, lediglich der Anstieg der Renten wird verlangsamt. Gleichwohl sind diese Maßnahmen auf deutliche Kritik gestoßen, da sie zu einer unangemessenen Belastung der heute jungen Generation führen, die heute hohe Beitragssätze zahlen müßte, um im Jahre 2030 vergleichsweise niedrige Rentenleistungen zu empfangen. Der Vertreter der Arbeitsgruppe der Senioren in der SPD kritisiert, daß viele Rentner als Folge dieser Absenkung in die Höhe des Sozialhilfeniveaus abrutschen würden. Die jungen SPD-Abgeordneten aus Bundes- und Länderparlamenten plädieren für die schrittweise Schaffung eines das Umlageverfahren ergänzenden Kapitalstocks, der in der Phase der demographischen Belastung ab dem Jahr 2015 zur Entlastung der Beitragszahler dienen soll. Zudem könne das in dem Kapitalstock angesammelte Kapital nach dem Vorbild angelsächsischer Pensionsfonds teilweise als Risikokapital für Existenzgründer und junge Technologieunternehmen zur Verfügung gestellt werden, wodurch zugleich ein positiver Effekt auf den Strukturwandel der Wirtschaft und damit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze erzielt werden könne. Dieser Vorschlag eines Vorsorgefonds wird auch von dem Vertreter der LVA Thüringen und den Unternehmensvertretern unterstützt. Zugleich werden Zweifel [Seite der Druckausgabe: 4] vorgebracht, inwieweit es gelingen könne, den Kapitalstock vor einem mißbräuchlichen Zugriff der Politik abzusichern. Diesen Einwänden wird entgegengehalten, daß auch das jetzige Umlageverfahren mißbraucht werden könne, wie das Beispiel der ausufernden versicherungsfremden Leistungen zeige. Auf grundsätzlichen Widerspruch stoßen die Vorschläge zur Ergänzung des Umlageverfahrens um Kapitaldeckungsanteile dagegen bei Vertretern der Gewerkschaften und der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Ihrer Meinung nach sind kapitalgedeckte Systeme für die gesetzliche Rentenversicherung vollkommen ungeeignet und lediglich für die betriebliche und private Altersvorsorge sinnvoll. Dieser Einschätzung werden die Erfahrungen mit ausländischen kapitalgedeckten Pensionsfondssystemen entgegengehalten, bei denen bereits nach wenigen Jahrzehnten alleine die Zinserträge der eingezahlten Beiträge zur Deckung von rund 80 Prozent der Rentenauszahlungen dienten, während lediglich 20 Prozent aus dem aktuellen Beitragsaufkommen finanziert werden mußten. Die Risiken eventueller Börsencrashs ließen sich zudem durch eine professionelle Streuung der Anlagen in unterschiedlichen Anlageformen und verschiedenen Kapitalmärkten wirksam ausschalten. Grundsätzliche Zweifel an der Zukunftstauglichkeit der gesetzlichen Rentenversicherung in seiner bisherigen Form werden von seiten der Unternehmensverbände und dem Vertreter eines Versicherungsunternehmen vorgebracht. Weder das Umlageverfahren noch die alternativ hierzu vorgeschlagenen Kapitaldeckungssysteme könnten zukünftig für eine angemessene Altersvorsorge der Menschen sorgen. Eine weitere Belastung des Faktors Arbeit durch erhöhte Rentenversicherungsbeiträge sei angesichts des zunehmenden internationalen Wettbewerbsdrucks unmöglich. Vor diesem Hintergrund sei die Reduktion der gesetzlichen Rentenversicherung auf eine Grundsicherung gegen existentielle Risiken und die parallel dazu eingeleitete Stärkung der privaten Altersvorsorge notwendig. Derartigen Vorschlägen zum radikalen Systemwechsel innerhalb der gesetzlichen Altersvorsorge von der Lebensstandardsicherung zu einer schlichten Grundsicherung halten die Vertreter des Thüringer Sozialministeriums und der LVA Thüringen entgegen, daß die Protagonisten solcher Vorschläge letztendlich in eine andere Republik wollten. Grundsicherungsmodelle liefen stets auf eine "Rente nach Kassen- [Seite der Druckausgabe: 5] lage" hinaus, da damit zu rechnen sei, daß solche Grundsicherungs-Renten bei der notorisch angespannten Kassenlage der öffentlichen Haushalte alsbald auf Sozialhilfeniveau abgesenkt würden. Die Verlagerung von Bestandteilen der gesetzlichen Rentenversicherung auf die private Vorsorge sei zudem problematisch, weil viele Menschen aufgrund niedriger Einkommen oder Arbeitslosigkeit gar nicht in der Lage seien, die dann entstehende Versorgungslücke aufzufüllen. Angesichts der heftigen Auseinandersetzung über die dauerhafte Finanzierung der Rentenversicherung spielen Fragen nach einem grundlegenden Reformbedarf innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung derzeit lediglich eine untergeordnete Rolle. Eine Sozialwissenschaftlerin und die jungen SPD-Abgeordneten halten eine Anpassung des Rentensystems an die neuen Erwerbsbiographien für notwendig. Die "Normalbiographie" mit 45jähriger Vollerwerbstätigkeit und Durchschnittsverdienst als Voraussetzung zur Erlangung des Anspruchs auf die sogenannte Eckrente sei für Frauen seit jeher, neuerdings aber auch für viele Männer eine Fiktion geworden. Dringender Reformbedarf bestehe darüber hinaus bei der eigenständigen Alterssicherung der Frauen, insbesondere im Bereich der Hinterbliebenenrenten. Zudem sollte die Zukunftsinvestition Ausbildung bei der späteren Rentenhöhenbemessung viel stärker berücksichtigt werden. Obwohl die Diskussion über den Generationenvertrag von der Rentenproblematik dominiert wird, sind andere Faktoren für die langfristigen Fragen der Generationengerechtigkeit von wesentlich größerer Bedeutung. Dies gilt insbesondere für den Aspekt Bildung und Ausbildung. Der Zugang zu Bildung und Ausbildung ist heute der Schlüssel für die Zukunft junger Menschen. Der Generationenvertrag beinhaltet nicht nur die Verpflichtung der jungen Generationen zur sozialen Absicherung der Älteren, sondern fordert von den Älteren, die nachkommenden Generationen so gut wie möglich auszubilden. Diese Bedingung wird heute in Deutschland nicht mehr eingehalten. Die Zahl der fehlenden Lehrstellen hat in diesem Jahr ebenso wie die Jugendarbeitslosigkeit einen Rekordstand erreicht. Einem zunehmenden Teil der jungen Generation bleibt daher der Zugang zu einer Ausbildung und damit der Einstieg in das Berufsleben verwehrt. Um mehr Ausbildungsplätze zu schaffen und gleichzeitig das duale System der Berufsausbildung zu erhalten fordern SPD-Abgeordnete [Seite der Druckausgabe: 6] die Einführung einer "Ausbildungsplatzabgabe". Betriebe und öffentliche Verwaltungen, die sich ihrer Ausbildungspflicht entziehen, sollen in einen Fonds zahlen, der zur Einrichtung weiterer Ausbildungsplätze genutzt werden soll. Vertreter der Unternehmen und Wirtschaftsverbände bezweifeln, daß eine gesetzliche Ausbildungsplatzabgabe geeignet ist, das Problem der fehlenden Ausbildungsplätze zu lösen. Viel sinnvoller sei die Schaffung marktgerechter Berufsbilder sowie die Modernisierung der Berufsausbildung. Denn nur so könne den Anforderungen moderner Dienstleistungs- und High-Tech-Unternehmen standgehalten werden. "Lebenslanges Lernen" könne den weiteren beruflichen Aufstieg parallel zum Besuch von Universitäten und Fachhochschulen sichern. Hierzu wird die Einführung eines modularen Systems vorgeschlagen. Danach soll die berufliche Ausbildung aus mehreren Bausteinen bestehen, die zu unterschiedlich qualifizierten Abschlüssen führen können. Dies führe auch zu einer Entlastung der Hochschulen in Deutschland, was angesichts der dortigen Situation nur wünschenswert sei. Denn schon heute kommen an Deutschlands Universitäten auf einen Studienplatz zwei Studenten. Prognosen gehen von einem weiteren Zuwachs um 25 Prozent in den nächsten zehn Jahren aus. Die derzeitige Reformdiskussion im Hochschulbereich muß vor allem unter dem Blickwinkel der allseits leeren Kassen gesehen werden. Studierendenvertreter beklagen, daß die große Bedeutung von Wissenschaft, Forschung und Lehre für die Zukunftsperspektiven Deutschlands zwar von allen Politikern hervorgehoben werden, die staatlichen Zuschüsse aber dennoch seit Jahren rückläufig sind. Der Präsident der Universität Hamburg kritisiert, daß die derzeitigen Hochschulreformen insbesondere zu Lasten zukünftiger Hochschulgenerationen gehen, da ihnen der Zugang erschwert oder gänzlich verwehrt werde. Dem entgegnet die Berliner Finanzsenatorin, daß die derzeitige Reformdiskussion die Chance eröffne, Reformen so zu gestalten, daß sie auch zukünftigen Generationen zugute kämen. Hierzu zähle insbesondere der Ansatz, den Hochschulen eine verstärkte Autonomie zu gewähren. Die Bereitschaft der Politiker, in diesem Bereich Kompetenzen abzugeben, resultiere primär aus den Finanzproblemen der öffentlichen Haushalte. Die Hochschulen seien jetzt aufgefordert, die eingeräumte Autonomie zu wirklichen Reformen zu nutzen. Studierendenvertreter und ein Berliner SPD-Abgeordneter interpretieren diese Ansätze dagegen primär als Versuch [Seite der Druckausgabe: 7] des Staates, sich aus der Verantwortung zu stehlen und die Universitäten lediglich mit einem Globalhaushalt abzuspeisen. Die Diskussion um mehr Autonomie müsse daher sehr eng mit der Frage nach der Demokratisierung der Hochschulen verknüpft werden. Zur Sicherung des Generationenvertrags an den Hochschulen gehöre insbesondere die Stärkung der Mit- und Selbstverantwortung der Studierenden. Hierzu sei die Weiterentwicklung der Gruppenuniversitäten dringend erforderlich. Dem entgegnet der Präsident der TU Berlin daß Entscheidungskompetenz nicht von der entsprechenden Verantwortung abgekoppelt werden kann. Die Gruppenuniversität sei in der Praxis oftmals ein System organisierter Unverantwortlichkeit, da Gremien Beschlüsse faßten, für die sie letztlich nicht sanktioniert werden könnten. Daher müßten die Kuratorialverfassungen der Universitäten ebenfalls einem Reformprozeß unterworfen werden. Einigkeit besteht bei allen Teilnehmern darüber, daß die Universitäten zu mehr Effizienz gelangen müssen, um den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden zu können. Über die hierfür einzuleitenden Wege herrscht jedoch ein erheblicher Dissens. Während sich der Präsident der TU Berlin in Übereinstimmung mit der Berliner Finanzsenatorin für die Einführung neuer Steuerungsmodelle mit klaren Kennzahlensystemen ausspricht, wird von Studierendenvertretern darauf verwiesen, daß der qualitative Zustand einer Hochschule nicht in Zahlen meßbar ist. Zudem scheitere ein allseits geeignetes Kennzahlensystem an der Verbeamtung der Professoren, die jede Sanktionierung bei Ineffizienz verhindere. Der Präsident der TU Berlin verspricht sich zudem von der Einführung von Studiengebühren Impulse für eine Effizienzsteigerung an den Hochschulen. Zur Vermeidung unsozialer Auswirkungen könnte jedem Studierenden ein Darlehen in Höhe der anfallenden Studiengebühren gewährt werde, das er nach Abschluß des Studiums in Abhängigkeit von Einkommen und familiärer Situation zurückzuzahlen habe. Die Studierendenvertreter sprechen sich ebenso wie der Berliner SPD-Abgeordnete gegen die Einführung von Studiengebühren aus. Die Finanzierung von Bildung müsse eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleiben. Zudem ließen sich die davon versprochenen Verbesserungen auch auf anderen Wege erzielen. Der Präsident der Universität Hamburg sieht in kreditfinanzierten Studiengebühren lediglich den Versuch der jetzt berufstätigen Generation, der [Seite der Druckausgabe: 8] nächsten Generation die Last ihrer Ausbildung selber aufzubürden. Sinnvoller sei vielmehr das Modell eines durch staatliche Anreize geförderten Bildungssparens, bei dem jede Generation ein Bildungsguthaben für die nächste Generation ansparen könne. Im Sinne eines echten Generationenvertrages müsse an solchen Konzepten gearbeitet werden, statt die Lasten einseitig auf die nächsten Generationen abzuschieben. Das eigentliche Generationenproblem ist jedoch die Frage, welches ökologische Erbe die heute herrschende Politiker- und Unternehmergeneration späteren Generationen hinterlassen wird. Die Prognosen hierfür sind düster angesichts einer dramatisch voranschreitenden Umweltverschmutzung und der Taten- und Hilflosigkeit, mit der den Umweltproblemen begegnet wird. Bei aller prinzipiellen Einigkeit über diesen kritischen Befund besteht unverändert ein erheblicher Dissens über Art und Umfang der notwendige Maßnahmen. Die Vorsitzende des Umweltausschusses im Thüringer Landtag kritisiert die einseitige Dominanz der primär ökonomisch dominierten Standortdebatte gegenüber den ökologischen Aspekten. Statt Ökonomie und Ökologie als scheinbare Gegensätze zu begreifen, müßten die Standortdebatte und die Diskussion über nachhaltige und auf Dauer tragfähige Entwicklung miteinander verbunden werden. So hat der Begriff "Sustainable Development" ("Nachhaltige Entwicklung") zwar heute in der umweltpolitischen Diskussion eine zentrale Bedeutung, wird aber in der alltäglichen ökonomischen Praxis der Unternehmen kaum beachtet. Der Vertreter der Gesellschaft für die Rechte zukünftiger Generationen bezeichnet die Energiepolitik als exemplarisches Beispiel für nicht-nachhaltiges, sondern lediglich an den Anforderungen der Gegenwart orientiertes Handeln. Die heutige Form der Energiegewinnung mit dem Schwerpunkt auf fossilen Energieträgern ermögliche zwar derzeit in den Industrieländern einen einmalig hohen Lebensstandard, dafür würden jedoch gravierende Nachteile in der mittelfristigen Zukunft von zwanzig bis dreißig Jahren in Kauf genommen. Der Vertreter des Fördervereins ökologische Steuerreform unterstreicht, daß ein Weitermachen im bestehenden System unmöglich ist, da die heutige Wirtschaftsweise nicht das Prinzip der Nachhaltigkeit erfülle und zu dramatischen ökologischen Schädigungen führe. Daher bedürfe es einer "Ökostrojika" zur Verbesserung von Innovation und Ressourceneffizienz. [Seite der Druckausgabe: 9] Einigkeit besteht darüber, daß Deutschland eine internationale Vorreiterrolle bei den Bemühungen um einen weitreichenden Umweltschutz einnehmen muß. Die Vertreter der Unternehmen und ihrer Interessenverbände bestätigen, daß sich die deutsche Industrie dieser Verantwortung bewußt sei. Entsprechend hätte die Industrie im Rahmen von Selbstverpflichtungen Reduktionen beim CO2- Ausstoß versprochen und teilweise bereits umgesetzt. Derartige Selbstverpflichtungen der Industrie seien der effizienteste Weg, um zu ökologischen Verbesserungen zu gelangen. Dieser Einschätzung wird entgegengehalten, daß mittels solcher Selbstverpflichtungen immer nur das Stadium erreicht werden könne, das von der Industrie ohnehin gewinnbringend umzusetzen sei. Dies sei bei weitem nicht ausreichend, um die notwendigen Umweltschutzziele erreichen zu können. Der Vertreter des Fördervereins ökologische Steuerreform bezeichnet die Hoffnung, der Markt und die Marktteilnehmer könnten die Umweltprobleme alleine lösen als eine von der Industrie gezielt verbreiteten Illusion. Strukturelle Defizite und falsche Anreize führten vielmehr zu einem eklatanten Marktversagen, das zwingend den Eingriff des Staates notwendig mache. Ein effizientes Instrument für diesen Eingriff müsse in der Lage sein, die Rahmenbedingungen so zu verändern, daß ökologische und ökonomische Rationalität stärker zur Deckung kämen und gleichzeitig die Gesamtbelastung von Bürgern und Wirtschaft durch Steuern, Abgaben und Vorschriften nicht anstiege. Das Ordnungsrecht sei hierzu nur teilweise geeignet und ohnehin in Deutschland weitgehend ausgereizt. Sinnvoller sei es, die Marktanreize derart zu korrigieren, daß sie dem Ziel eines reduzierten Umweltverbrauches dienten. Denn nur durch die Schaffung solch gezielter Impulse für einen schonenden Umgang mit der Ressource Umwelt lasse sich das Ziel einer flächendeckenden Zurückdrängung des Energieverbrauchs erreichen. Das Instrument für eine solche marktwirtschaftliche Neuorientierung sei die ökologische Steuerreform. Dagegen halten der Vertreter der Bayer AG ebenso wie die Industrieverbände die ökologische Steuerreform für den denkbar ungeeignetesten Weg zur Erreichung der anvisierten Ziele. Die Verteuerung von Energie in Deutschland würde zu einer dramatischen Verschärfung der Kostensituation der energie- und rohstoffintensiven [Seite der Druckausgabe: 10] Branchen und in der Konsequenz zu deren Abwandern ins Ausland führen. Die Umweltprobleme würden nicht gelöst, sondern lediglich verlagert. Ganz besonders problematisch wäre der Einstieg in eine ökologische Steuerreform, falls dies in Form eines nationalen Alleingangs stattfände. Denn dann würden die deutschen energieintensiven Unternehmen innerhalb kürzester Zeit einen dramatischen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren Konkurrenten erleiden. Derartigen Szenarien wird entgegengehalten, daß eine Reihe europäischer Staaten im Gegensatz zu Deutschland längst mit dem Einstieg in eine ökologische Steuerreform begonnen hätten. Deutschland werde nur dann einen Sonderweg innerhalb der Europäischen Union einschlagen, wenn es sich dauerhaft dem Einstieg in eine ökologische Steuerreform verweigere. Zudem plädieren auch die Befürworter einer ökologischen Steuerreform dafür, im ersten Schritt einer ökologischen Steuerreform Ausnahmeregelungen für besonders energieintensive Branchen gelten zu lassen. Damit solle eine wettbewerbsverzerrende Belastung dieser Unternehmen gegenüber ausländischen Konkurrenten vermieden werden. Der Vertreter des Fördervereins ökologische Steuerreform, die jungen SPD-Abgeordneten und die Vorsitzende des Umweltausschusses im Thüringer Landtag versprechen sich von der Einführung einer ökologischen Steuerreform positive Effekte auf die deutsche Wirtschaft als Ganzes. Ein Einstieg mit moderaten Schritten in Kombination mit vernünftigen Übergangsregelungen werde die Belastung für Unternehmen und Verbraucher in engen Grenzen halten und zugleich positive Markteffekte generieren. Dadurch könne das notwendige Innovationspotential der deutschen Wirtschaft entscheidend gestärkt werden. Der Vertreter des Unternehmerverbandes European Business CounciI for a Sustainable Energy Future (E5) ist davon überzeugt, daß durch eine ökologische Steuerreform positive Effekte für deutsche Unternehmen zu erzielen seien. Seiner Einschätzung nach könne davon ausgegangen werden, daß zukunftsgerichtete Unternehmen die ökologische Steuerreform befürworteten, da eine solche Reform zugleich eine Fülle neuer Wettbewerbschancen, nicht zuletzt für die chemischen Industrie, biete. Die ökologische Steuerreform sei vielleicht nicht der Königsweg zum Erzielen eines verbesserten Schutzes der natürlichen Ressourcen; ganz ohne Zweifel sei sie jedoch ein sinnvoller Weg zur Reduktion des Energieverbrauchs. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001 |