FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 25 (Fortsetzung)]



4. Die Privatisierung von kommunalem und genossenschaftlichem Wohnraum im Rahmen des Altschuldenhilfegesetzes


Von den 7,08 Mio. Wohnungen in den neuen Bundesländern befanden sich 1990 41 Prozent in privater Hand, 42 Prozent gehörten volkseigenen Wohnungsunternehmen, 17 Prozent waren in genossenschaftlichem Eigentum. Auf der Grundlage des Einigungsvertrages wurden die volkseigenen Betriebe der Wohnungswirtschaft den Kommunen übertragen, die zugleich die Schuldenlasten des jeweiligen Wohnungsbestandes übernahmen. Dies war der erste Schritt der Umstrukturierung der ehemals staatswirtschaftlich

[Seite der Druckausg.: 26]

gelenkten Wohnungswirtschaft, dem die Bildung von Einzeleigentum und die Übertragung der Wohnungen insbesondere an die Mieter folgen sollen.

Das private Eigentum, auch das Wohneigentum, ist ein tragendes Element unserer Gesellschaftsordnung. Von der Bildung von mehr Wohneigentum wird darüber hinaus ein wichtiger Beitrag zur Entlastung der Wohnmärkte erwartet. So ist die Privatisierung ein Ziel, das nicht nur von der Bundesregierung mit Nachdruck verfolgt wird, sondern auch in breiten Kreisen der Öffentlichkeit auf grundsätzliche Zustimmung trifft. Hinsichtlich des angestrebten Ausmaßes und der Vorgehensweisen bei der Privatisierung in Ostdeutschland wird jedoch immer wieder zur Behutsamkeit gemahnt – die soziale Lage und die Bedürfnisse der Mieter dürften nicht aus dem Blickfeld geraten.

Zunächst wurde versucht, das Privatisierungsziel auf freiwilliger Basis mit Hilfe von staatlich geförderten Modellvorhaben zu forcieren. Der Vertreter des Bundesbauministeriums berichtete von positiven Erfahrungen, wertete diese Privatisierungsprojekte als Erfolg und stellte fest, daß die Privatisierungstätigkeit mittlerweile kräftig ansteige. Dem hielt ein Vertreter der SPD-Bundestagsfraktion entgegen, daß Privatisierung zwar ein sinnvoller Weg sei, damit Angebote entstehen für diejenigen, die sich auch eine größere und bessere Wohnung leisten können. Insgesamt betrachtet sollte man dabei jedoch sehr sorgfältig vorgehen und bedenken, wieviel Geld der einzelne Haushalt denn tatsächlich zur Verfügung habe und wie groß seine Kapitalreserven seien. Man solle sich nicht an den falschen Maßstäben orientieren, indem man den Vergleich mit dem Anteil an Eigentumswohnungen in Westdeutschland zugrundelege.

Die Modellprojekte zur Umwandlung von Mietwohnungen zu Eigentumswohnungen betreffen – so der SPD-Abgeordnete – sehr oft alte Neubauten aus den sechziger Jahren mit einer zumeist soliden Grundsubstanz und vernünftiger Ausstattung. Nicht wesentliche Veränderungen verursachten dann Kosten in der Größenordnung von 90 000 bis 100 000 DM. Weiterhin wird als problematisch hervorgehoben, daß eine umfassende Beratung der betroffenen Mieter keineswegs sichergestellt sei. Für den Fall, daß die Mieter die modernisierte Wohnung nicht kaufen wollen oder können, sei bei einem Erwerb durch Dritte nicht für dauerhafte Lösungen gesorgt. Hier müsse in besonderer Weise der "psychologische Faktor" bei der Privati-

[Seite der Druckausg.: 27]

sierungsstrategie beachtet werden.

Einen entscheidenden Impuls für die Privatisierung verspricht sich die Bundesregierung von der Verknüpfung zwischen Altschuldenhilfe und Privatisierungsauflage, wie sie im Altschuldenhilfegesetz festgeschrieben ist. Die Privatisierung verfolgt hier vor allem das Ziel, neue Finanzierungsmittel für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen der Wohnungsunternehmen zu erschließen.

Die Schuldenregelung sieht vor, daß nach Anerkenntnis der Altschulden, die überwiegend Kredite aus DDR-Zeiten beinhalten, eine Schuldenkappung bei einem Betrag von über 150DM/qm Wohnfläche erfolgt, sofern die Privatisierungsauflage erfüllt wird. Durch die Altschuldenregelung werden Hindernisse bei der Kreditaufnahme und der Beleihung von Grundstücken beseitigt, aber auch Privatisierungspflichten zur Schaffung von Wohneigentum mit der Auflage zur Abführung von Erlösen in den Erblastenfonds verordnet. Im Falle der Inanspruchnahme der Altschuldenhilfe schreibt das Gesetz den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen vor, mindestens 15 Prozent ihres Wohnungsbestandes zu privatisieren. Dabei wird der Mieterprivatisierung ein ausdrücklicher Vorrang eingeräumt. Wenn das Wohnungsunternehmen die Verpflichtung zur Privatisierung nicht bzw. nicht fristgerecht erfüllt, ist der Teilentlastungsbetrag einschließlich Zinsen dem Erblastentilgungsfonds zu erstatten. Gut die Hälfte dieser Altschulden übernimmt damit der Steuerzahler. Ab Mitte 1995 bringt die öffentliche Hand für die Kappung der Schulden 31 Mrd. DM auf, mit 7 Mrd. DM tragen Bund und Länder die volle Übernahme der Zinslast vom 1.1.94 bis zum 30.6.95.

4.1 Das Altschuldenhilfegesetz in der Diskussion

Aus Sicht der ostdeutschen Mieterschutzvereine und eines Vertreters der Stadt Görlitz handelt es sich bei den Altschulden um politische Schulden und nicht um Mieterschulden. Nach dieser Auffassung mußte der Mieter bereits durch seinen Beitrag zum Steueraufkommen den Mietwohnungsbau mitfinanzieren und wird heute nun ein zweites Mal zur Kasse gebeten.

[Seite der Druckausg.: 28]

Der Deutsche Mieterschutzbund kritisiert das Festhalten an einer Bedienung der verbliebenen Altschuldenzinsen. Daraus folge eine Mehrbelastung ohne Gegenleistung für die Mieter und auf seiten der Wohnungsunternehmen werde der Spielraum für die Finanzierung wohnungswirtschaftlich und wohnungspolitisch notwendiger Investitionen nicht vergrößert, sondern weiter eingeengt. Als Lösungsvorschlag wurde empfohlen, den Ländern die Möglichkeit einzuräumen, sich durch Übernahme der Zinszahlungen an den Bund langfristige Miet- und Belegungsbindungen zu sichern. Auf diesem Wege könnte auch in Ostdeutschland ein langfristig preis- und belegungsgebundener Bestand an Sozialwohnungen aufgebaut werden.

Moniert wurde auch der hohe Entscheidungsdruck, dem die Wohnungsunternehmen mit dieser Regelung ausgesetzt werden. Gefordert seien zeitlich gestreckte Privatisierungskonzepte, die sowohl die Unternehmen als auch die Mieter nicht in finanzielle Abenteuer stürzen. Es müsse rechtlich abgesichert sein, daß der Verkauf vorrangig an die Mieter erfolgt. Beim Verkauf an Dritte müsse ein lebenslanges Wohnrecht für den Mieter garantiert sein.

Die Kritik des Vertreters des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft zielte auf den Umstand, daß mit der Privatisierungsauflage ein fester Prozentsatz zu privatisierender Wohnungen verordnet wird. Zum einen bedürfe es einer entsprechenden Einkommensentwicklung, um 15 Prozent des Wohnungsbestandes überhaupt verkaufen zu können. Darüber hinaus seien die Verkaufsmöglichkeiten regional sehr unterschiedlich verteilt. Das Altschuldenhilfegesetz müsse der spezifischen Situation des jeweiligen Gebietes und des einzelnen Wohnungsunternehmens angepaßt werden. Wieviele Wohnungen zu verkaufen seien, müsse jeweils von den Vorständen und Geschäftsführern der Wohnungsgesellschaften entschieden werden. Grundsätzlich jedoch wurde das Privatisierungsvorhaben begrüßt, weil Wohneigentum in Ostdeutschland Nachholbedarf habe. Das Altschuldenhilfegesetz biete die Möglichkeit, erstmals eine unternehmerische Wohnungswirtschaft aufzubauen. Für die ostdeutschen Wohnungsunternehmen stelle es eine Chance dar, sich betriebswirtschaftlich zu bewähren in der Entscheidung, ob man das Gesetz in Anspruch nimmt oder nicht.

Auch nach Darstellung des Vertreters der Sächsischen Wohnungsunternehmen ist die Altschuldenregelung für die Wohnungsgesellschaften

[Seite der Druckausg.: 29]

eine "durchaus akzeptable Lösung", die wohl von allen genutzt werde. Für die Wohnungsgenossenschaften dagegen ergäben sich erhebliche Probleme, denn nach dem Genossenschaftsgesetz ist die Privatisierung oder der Verkauf an andere nur mit der Zustimmung aller Mitglieder möglich. In der Privatisierungsverpflichtung auch der Genossenschaften erkannte der Vertreter der Sächsischen Mieterschutzvereine einen "Konstruktionsfehler" des Altschuldenhilfegesetzes. Er erinnerte daran, daß die Genossenschaftsmitglieder bereits Teileigentümer des genossenschaftlichen Eigentums sind; daher sei genossenschaftliches Eigentum bereits als privates Eigentum zu betrachten.

Ein Vertreter der Wohnungsgenossenschaft Riesa verdeutlichte die Schwierigkeiten mit der Altschuldenregelung bzw. der Privatisierungsverpflichtung. Zum einen sei das Kaufinteresse unter den Genossenschaftsmitgliedern minimal: Lediglich 18 von 5000 Mietern – nach der 15prozentigen Auflage wären 750 erforderlich – wollen ihre Wohnung kaufen. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Riesa bekommen potentielle Interessenten keine Kredite zum Wohnungskauf. Es kommt erschwerend hinzu, daß sich die anderen Mieter gegen Verkäufe sperren. Angesichts dieser Situation hielt der Genossenschaftsvertreter die Erfüllung der Privatisierungsauflage nicht für realisierbar. Die betriebswirtschaftlich notwendige Inanspruchnahme der Altschuldenhilfe – die Wohnungsgenossenschaft Riesa hat eine Schuldenbelastung von 230 DM/qm – werde damit ausgeschlossen.

Der Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft Riesa wies auf das Problem der sogenannten "Wendewohnungen" hin. Diese Objekte – vor dem Ende der DDR begonnen und nach der Vereinigung fertiggestellt – sind mit besonders hohen Schulden belastet. Bei 200 Wendewohnungen in Riesa liegen sie durchschnittlich bei 3000 DM/qm. Ohne diesen Wohnraum betrüge die Schuldenbelastung der Wohnungsgesellschaft bei den übrigen 9000 Wohnungen lediglich 170 DM/qm. Die von der Stadt Riesa verfügte Übernahme auch der Wendewohnungen macht die Inanspruchnahme der Altschuldenregelung mit den damit verbundenen Auflagen nunmehr unausweichlich.

Nach Auffassung des Verbandspräsidenten der sächsischen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer führt die wohnungspolitische

[Seite der Druckausg.: 30]

"Konzeptionslosigkeit" in der Frage der Privatisierung dazu, daß der verfassungsmäßige Eigentumsbegriff für den einfachen Bürger zur Farce werde, denn zahlreiche Kommunen "treiben wie unseriöse Immobilienhändler die Preise für den Normalbürger unerschwinglich in die Höhe." Die daraus resultierende Eigentumsumverteilung zugunsten kapitalkräftiger Interessenten habe zum Teil "koloniale Züge" angenommen, "werden doch fast immer Westdeutsche die neuen Eigentümer und damit die künftigen Nutznießer des Systemwechsels".

4.2 Privatisierung – Lösungsvorschläge und praktische Erfahrungen



4.2.1 Konzepte und Erfahrungen des Verbandes Sächsischer Wohnungsunternehmen

Die gesetzliche Bestimmung der Altschuldenregelung, wonach der Teilentlastungsbetrag einschließlich Zinsen dem Erblastentilgungsfonds zu erstatten ist, wenn die Verpflichtung zur Privatisierung nicht bzw. nicht fristgerecht erfüllt wird, setzt die Wohnungsunternehmen unter erheblichen zeitlichen Druck. Es müssen Privatisierungsmodelle entwickelt werden, die die im Zeitablauf progressiv steigende Abführungspflicht von Erlösanteilen an den Tilgungsfonds berücksichtigen, damit finanzielle Verluste vermieden werden können. Für Verkäufe bis zum 31.12.94 betragen die Erlösabführungen bis zu 20 Prozent; bis zu 90 Prozent der Erlöse sind für Verkäufe in den Jahren 2001 bis 2003 zu leisten. Aus unternehmerischer Sicht ist also eine frühzeitige Privatisierung angezeigt.

  • Um die für den Verkauf geeigneten Wohngebäude zu ermitteln, ist abzuklären,

  • ob Restitutionsansprüche geltend gemacht werden,

  • wie die soziale Zusammensetzung der Mieterschaft beschaffen ist,

  • welche Kaufnachfrage besteht und ob die tatsächliche Erwerbsmöglichkeit der Mieter gegeben ist,

  • ob die Verkaufsobjekte in einem bautechnischen Zustand sind, der eine umfassende Sanierung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ermöglicht und

  • ob der Verkaufspreis die Sanierungsaufwendungen deckt.

[Seite der Druckausg.: 31]

Von zentraler Bedeutung ist die Entscheidung, ob die Wohnungen vor oder nach der Sanierung veräußert werden. Wenn es sich um Geschoßwohnungsbauten handelt, empfiehlt der Verband der Sächsischen Wohnungsunternehmen die Sanierung vor dem Verkauf. In jedem Falle jedoch sollte eine Sanierung mindestens des Gemeinschaftseigentums durchgeführt werden, um nicht einzuschätzende Kostenrisiken für den Erwerber zu vermeiden. Im Falle einer Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums nach Begründung der Eigentümergemeinschaft ist wegen der zu erwartenden unterschiedlichen Interessenlagen der Neueigentümer mit erheblich größeren Problemen bei der Einigung auf Sanierungsmaßnahmen zu rechnen; zumal davon auszugehen ist, daß bei der Privatisierung in Geschoßwohnungsbauten ein Teil der Wohnungen von den Mietern nicht übernommen wird, was die Abstimmung der verschiedenen Interessen weiter kompliziert. Soll die Sanierung dem neuen Eigentümer überlassen bleiben, ist eine umfassende Aufklärung des Käufers über die erforderlichen Sanierungskosten notwendig.

Die Festlegung des Veräußerungspreises muß sowohl unter wirtschaftlichen als auch sozialen Gesichtspunkten erfolgen. Während einerseits die vorrangig zu berücksichtigenden Mieter nicht zu hoch belastet werden dürfen, muß das Wohnungsunternehmen auf der anderen Seite das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten. Beim Verkauf zum Verkehrswert wirkt sich wertmindernd aus, daß die bestehenden Mietverträge für den Erwerber bindend sind und seine Dispositionsfreiheit über das erworbene Objekt beschränken.

4.2.2 Lösungsvorschläge der privaten Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer

In einer Problemstudie der Landesvereinigung der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümervereine Sachsen-Anhalt wird betont, daß die Privatisierung von kommunalem und genossenschaftlichem Wohnraum in den neuen Bundesländern nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein "hochbrisantes" politisches und soziales Problem sei. Eine falsche Privatisierungspraxis könne negative Auswirkungen auf die politischen

[Seite der Druckausg.: 32]

Anschauungen und Wertvorstellungen der Bürger in den neuen Ländern zur Folge haben.

So sollte die Privatisierung in Form einer Veräußerung von ganzen Gebäuden an Investoren möglichst vermieden werden. Die Aufteilung der zu verkaufenden Objekte in Wohneigentum und der Verkauf an die Mieter ist erfahrungsgemäß eine komplizierte und zeitaufwendige Aufgabe, die – so die Einschätzung der Landesvereinigung – die Wohnungsunternehmen nach Möglichkeit umgehen möchten. Angesichts von Verkaufspreisen, die für die meisten Mieter unbezahlbar seien, bewege sich die Kaufbereitschaft auf niedrigstem Niveau. Der Verkauf ganzer Objekte an Investoren werde dann von den Wohnungsunternehmen als unumgänglich dargestellt. Im Ergebnis entstehe Wohnraum, der nur von den wenigsten Bürgern in Ostdeutschland bezahlt werden könne.

Es wird befürchtet, daß die daraus entstehenden sozialen Probleme insgesamt die Begriffe "Privatisierung" und "Privates Eigentum" auf lange Zeit negativ belasten würden. Nur mit einem sozialverträglichen, schrittweise angelegten Privatisierungsmodell könne es breiten Bevölkerungsschichten ermöglicht werden, ihre Wohnung zu kaufen.

Hinsichtlich der Frage, ob der Verkauf in saniertem oder unsaniertem Zustand erfolgen solle, wird die zweite Variante favorisiert. Der Verkauf einer sanierten Wohnung bringe Vorteile hinsichtlich der Risikominderung für den Käufer und der klaren einfachen Ausgestaltung des Kaufvertrages. Negativ schlage jedoch der hohe Endverkaufspreis der Wohnung zu Buche. Verkaufspreise in saniertem Zustand zwischen 2300 und 3000 DM/qm könnten beim derzeitigen Einkommensniveau in den neuen Bundesländern von den meisten Mietern nicht aufgebracht werden. Nach Umfragen seien bei einer derartigen Preisgestaltung höchstens 5 bis 20 Prozent der Mieter bereit, ihre Wohnung zu erwerben.

Wenn die Haus- und Wohnungseigentümer den Verkauf in unsaniertem Zustand favorisieren, gehen sie davon aus, daß die Anforderungen der meisten Mieter in den neuen Bundesländern weniger auf höchsten Wohnstandard gerichtet sind, sondern vielmehr auf preiswertes und bezahlbares Wohnen. Daher könne dieses Modell Akzeptanz in breiten Schichten der Mieter finden.

[Seite der Druckausg.: 33]

Bei dem vorgeschlagenen Modell einer Privatisierung in unsaniertem Zustand ist die Gestaltung des Verkaufspreises von zentraler Bedeutung. Danach sollte er zwischen 500 und 800 DM/qm betragen. Nach Auffassung des Verbandes bietet der Verkauf in unsaniertem Zustand zum Verkehrswert den Wohnungsunternehmen die Möglichkeit, die gekappten Altschulden zu tilgen und gleichzeitig über einen gewissen finanziellen Spielraum zu verfügen. Der Abgabepreis an den zukünftigen Wohnungseigentümer sollte sich allerdings in einer Größenordnung von 1600 DM/qm bewegen. Die Differenz zum realen Verkehrswert, also 800 bis 1100 DM/qm, sollte sofort zur Bildung einer Instandsetzungs- und Modernisierungsrücklage für die Eigentümergemeinschaft genutzt werden. Mit der Festlegung des Endabgabepreises von 1600 DM/qm werde gleichzeitig verhindert, daß Mieter ihre Wohnung kaufen, die auf längere Sicht die Bewirtschaftung einer Eigentumswohnung finanziell nicht verkraften können.

In diesem Privatisierungskonzept ist auch die Vertragsgestaltung von entscheidender Wichtigkeit. Parallel mit dem eigentlichen Kaufvertrag sollte ein "Sanierungsvertrag" abgeschlossen werden, in dem der Sanierungsumfang und dessen zeitliche Abfolge detailliert festgelegt sind. So werde sichergestellt, daß die finanzielle Belastung für den Wohnungseigentümer genau kalkulierbar ist und daß auch finanzstärkere Wohnungseigentümer nicht durch Mehrheitsbeschluß eine schnellere und damit kostenaufwendigere Sanierung erzwingen können.

Die Vorteile dieses Privatisierungsmodells lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die finanzielle Anfangsbelastung des Käufers ist vergleichsweise gering.

  • Die Komplettsanierung des Hauses wird über einen längeren Zeitraum gestreckt. Damit ist die Sozialverträglichkeit von Sanierung und Modernisierung sowie ein hohes Mitspracherecht der Wohneigentümergemeinschaft bei der Durchführung der Maßnahmen gesichert, indem die Käufer bereits mit Beginn der ersten Vorbereitungen in die Entscheidungen einbezogen werden und auf diese Weise unsinnige oder zu teure Lösungen verhindern können.

[Seite der Druckausg.: 34]

  • Der Käufer kann die gesamten Förderungsmöglichkeiten für die neuen Bundesländer in Anspruch nehmen, die bei einer Modernisierung und Sanierung vor dem Verkauf für ihn entfallen würden.

  • Die Modernisierung innerhalb der jeweiligen Wohnung im Sondereigentum bleibt die Angelegenheit des Erwerbers. Eigenleistungen können kostensparend eingebracht werden.

Während die Problemstudie aus Sachsen-Anhalt eine klare Präferenz für die Sanierung nach Verkauf erkennen läßt, zielt der Lösungsvorschlag des sächsischen Landesverbandes auf eine flexible Verknüpfung beider Modelle unter Abwägung ihrer jeweiligen Vor- und Nachteile. Auf jeden Fall seien die (potentiellen) Käufer bereits mit Beginn der ersten Vorbereitungen in die Entscheidungen einzubeziehen. Leistungsschwächeren Interessenten müsse jederzeit der Rücktritt einräumbar sein.

Als problematisch wird beim Verkauf vor Sanierung die Vereinbarkeit der Interessen der Eigentümergemeinschaft eingeschätzt. Für Instandsetzungen sind mehrheitliche und für Modernisierungen einstimmige Beschlüsse erforderlich. Vor allem in sozial gemischten Gemeinschaften ist mit erheblichen Unterschieden in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Wohnungseigentümer zu rechnen. Grundsätzlich fraglich bleibt, ob die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen bereit und in der Lage sind, die Vielzahl erforderlicher Verhandlungen mit den kaufbereiten Mietern und Neueigentümern zu führen.

4.3 Die Durchführung von Privatisierungsvorhaben am Beispiel der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Görlitz

Bei der Aufgabe der Privatisierung von kommunalem Wohnraum befinden sich die Kommunen, die zugleich Gesellschafter der Wohnungsunternehmen sind, in einer Konfliktsituation. Zum einen muß für die Bürger genügend bezahlbarer Wohnraum bereitgestellt werden, auf der anderen Seite sind die Wohnungsgesellschaften aufgefordert, aus ihrem Bestand zu privatisieren.

[Seite der Druckausg.: 35]

Auch die Stadt Görlitz sieht sich in diesem Spannungsfeld zwischen Notwendigkeit zu wirtschaftlichem Handeln und sozialer Verpflichtung. Der Dezernent für Wirtschaft und Stadtentwicklung unterstrich, daß das Verfolgen beider Zielvorstellungen ein ständiges Abwägen erfordert. So muß in einem intensiven Abstimmungsprozeß mit der eigenen Wohnungsgesellschaft entschieden werden, welche Förderinstrumente die Gesellschaft nutzt, weil damit Konsequenzen für den kommunalen Wohnungsbestand verbunden sind. So verpflichtet zum Beispiel die Inanspruchnahme von Städtebaufördermitteln in der Regel zu bestimmten Einstiegsmieten und Mietbindungen von mehreren Jahren. Der Vertreter der Stadt Görlitz versicherte, daß bei dieser "Gratwanderung" die Verpflichtung den Bürgern gegenüber doch letztendlich ausschlaggebend sei.

Um in Görlitz die Altschuldenproblematik im Rahmen der Altschuldenregelung lösen zu können, muß die Wohnungsbaugesellschaft mindestens 15 Prozent des Eigenvermögens, das sind ca. 1200 Wohnungen bzw. 68 000 qm Wohnfläche, privatisieren. Die im Altschuldenhilfegesetz festgelegten und zeitlich bestimmten Abgaben an den Erblastentilgungsfonds zwingen den Veräußerer – so der Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Görlitz –, ein enormes Tempo vorzulegen. Jedes Jahr Verzögerung kann einen Verlust von ca. 1,5 Mio. DM an Zinszahlungen bedeuten. Geplant ist bis Ende 1994 die Privatisierung von 100 Wohnungseinheiten, 1995 und 1996 sollen jeweils 400 und 1997 die letzten 300 Wohnungen verkauft werden.

Die Baugesellschaft beabsichtigt die Privatisierung sowohl an Neubaustandorten als auch im innerstädtischen Bereich. Damit soll auch ein wichtiger Beitrag geleistet werden, um den besonders sanierungsbedürftigen alten Stadtkern, aus dem sich im Laufe der Jahre aufgrund der verfallenden Bausubstanz die Bürger zurückgezogen haben, wieder zu bevölkern.

Im einzelnen umfaßt die Vorgehensweise für die in Görlitz geplanten Privatisierungen folgende Schritte:

  • 1) Mieterumfrage

  • 2) Durchführung von Hausversammlungen in den Objekten mit der größten Resonanz

[Seite der Druckausg.: 36]

  • 3) Mietereinzelgespräche

  • 4) Erstellung eines Sanierungskonzepts

  • 5) Erarbeitung eines Kostenplans sowie seine Vorstellung bei den Mietern des zu privatisierenden Grundstücks

  • 6) Aufstellung eines Finanzierungskonzepts für den Mieter

  • 7) Beantragung der entsprechenden Fördermittel

  • 8) Entwurf der Kaufverträge sowie der entsprechenden Teilungserklärung

  • 9) Sanierung (im Idealfall)

  • 10) Abschluß der Kaufverträge.

In 7527 (von insgesamt ca. 30 000) Haushalten hat die Wohnungsbaugesellschaft eine Meinungsumfrage durchgeführt, um die Kaufbereitschaft der Mieter zu ermitteln. 3171 Haushalte sandten die Fragebögen ausgefüllt zurück. 596, also 8 Prozent der befragten Haushalte und rund 19 Prozent der Rückmelder, beabsichtigen den Erwerb der eigenen Mietwohnung. Dazu kommen 279 kaufbereite Mieter, welche in einer anderen Wohnlage Wohneigentum erwerben würden.

Aufgrund der Ergebnisse der Umfrage zeichnen sich folgende Probleme ab:

  • Höchstens 10 Prozent der kaufbereiten Mieter wollen ihre Wohnung in unsaniertem Zustand erwerben; alle anderen möchten nur Wohneigentum bilden, wenn vorher saniert wird. Hier stellt sich jedoch das Problem, daß diese Variante für die Mehrheit der Kaufinteressenten nicht finanzierbar ist.

  • In der Regel wollen weniger als die Hälfte der Mieter in demselben Objekt ihre Wohnung käuflich erwerben. Das bedeutet, daß ein Großteil der Sanierungskosten bei der Wohnungsbaugesellschaft verbleibt. Nur ein geringer Teil kann über Modernisierungsumlagen zurückgeholt werden.

  • Der Sanierungsaufwand ist in vielen Fällen so groß, daß eine Vollsanierung in bewohntem Zustand nicht durchgeführt werden kann. Hier taucht das Problem auf, daß während der Zeit der Bausanierung den Mietern leerer sanierter Wohnraum als Ausweichlösung zur Verfügung gestellt werden muß.

[Seite der Druckausg.: 37]

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangssituation hat die Wohnungsbaugesellschaft Görlitz ein Privatisierungskonzept entwickelt, das in wesentlichen Punkten Übereinstimmungen sowohl mit den Empfehlungen der Haus- und Grundeigentümer aus Sachsen-Anhalt als auch mit dem Konzept des Verbandes Sächsischer Wohnungsunternehmen aufweist. Zugleich belegen die von der Wohnungsbaugesellschaft angestellten Überlegungen zu sozial unterstützenden Maßnahmen bei der Privatisierung, daß hier nicht dem bequemeren Weg einer Veräußerung an Investoren der Vorrang gegeben wird:

Je nach dem Wunsch und den finanziellen Möglichkeiten der Mieter soll der Wohnungsverkauf in unsaniertem oder saniertem Zustand erfolgen. Ist die Durchführung notwendiger Instandsetzungen und/oder Modernisierungen erst nach dem Verkauf vorgesehen, wird sie bereits im Kaufvertrag vereinbart. Dies betrifft vor allem die Sanierung des Gemeinschaftseigentums (Dach, Fenster, Sanitärleistungen, Heizung, Fassade), die im einzelnen mit den Kaufinteressenten abzustimmen ist. Bei unsaniertem Verkauf wird die Finanzierung über eine erhöhte Instandsetzungsrücklage sichergestellt, um damit schrittweise die Sanierungmaßnahmen vorzunehmen. Nach den Erfahrungen in den bisherigen Sanierungsstandorten bewegen sich die Kosten pro Quadratmeter Wohnfläche – je nach Sanierungsbedarf und je nach Vereinbarung mit den Mietern – zwischen 500 und 700 DM. Diese werden dem Verkaufspreis von ca. 700 DM/qm zugeschlagen.

Erfahrungsgemäß gibt es in der ersten Privatisierungsphase nur eine niedrige Kaufbereitschaft. Daher soll den Mietern eine Kaufoption angeboten werden. Diese gibt ihnen die Sicherheit, auch zu einem späteren Zeitpunkt die eigene Wohnung kaufen zu können. Damit kann den vorhandenen Ängsten vor einem Verkauf an Dritte entgegengewirkt werden. Darüber hinaus soll eine verstärkte Beratung und Öffentlichkeitsarbeit mehr Bürger mit den Möglichkeiten der Finanzierung vertraut machen.

Nach Auffassung des Vertreters der Wohnungsbaugesellschaft Görlitz muß über die Darlehen der Sächsischen Aufbaubank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau hinaus nach neuen Wegen einer Anschubfinanzierung für die Kaufinteressenten gesucht werden. Eine Möglichkeit könne sein, daß die

[Seite der Druckausg.: 38]

Wohnungsbaugesellschaft Bausparverträge mit einmaliger Zahlung abschließt, die dann an die Mieter bei Kauf übertragen werden. Als ein weiteres Hilfsmittel der Finanzierung wäre auch das Modell der Stundung von Kaufpreisen denkbar.

Hier sieht der Geschäftsführer allerdings die Wirkungsmöglichkeiten einer Wohnungsgesellschaft bereits überschritten. Bei solchen Hilfsmaßnahmen könne es sich daher nur um Ausnahmen handeln, um insbesondere sozial schwachen Bürgern Unterstützung zu gewähren.

Nach seiner Einschätzung wird der Verkauf der Wohnungen an die Mieter in Görlitz trotz aller Fördermaßnahmen nicht im vorgesehenen Rahmen zu realisieren sein. Ein Verkauf an Dritte, beispielsweise institutionelle Kapitalanleger (vgl. den Exkurs "Institutionelle Anleger als Kapitalgeber für den ostdeutschen Wohnungsmarkt?" in Kapitel 2), sei letztlich unvermeidlich, sollte aber erst dann erfolgen, wenn endgültig feststeht, daß der Verkauf an die Mieter keinen Erfolg hat. Eine frühere Veräußerung an Investoren sollte zumindest vertraglich absichern, daß der Erwerb durch die Mieter möglich bleibt. Der Referent zog allerdings in Zweifel, ob die Investoren in diesem Fall noch Interesse hätten.

Bei der Durchführung der Privatisierungsvorhaben hält die Wohnungsbaugesellschaft eine Unterstützung von selten der Stadt für unumgänglich. Die entsprechenden Einrichtungen der Stadtverwaltung müßten in die Aufgaben eingebunden werden. So müsse das Amt für soziale Wohnungsangelegenheiten Ausweichwohnraum zur Verfügung stellen, wenn ganze Wohnblöcke im Rahmen der Sanierung geräumt werden müssen. Die Mitarbeit der Bauaufsichtsbehörde sei hinsichtlich einer schnelleren Bearbeitung der Genehmigungsverfahren gefordert. Notwendige Vermessungen – Voraussetzung für die verbindliche Information von Kaufinteressenten und für die Bestimmung der Verkaufspreise – seien vom Vermessungsamt zügiger durchzuführen. Insgesamt erfordere die Erfüllung der vielfältigen und aufwendigen Privatisierungsaufgaben eine Aufstockung des dafür zuständigen Personalbestands bei der Wohnungsbaugesellschaft.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

Previous Page TOC Next Page