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[Seite der Druckausg.: 19 (Fortsetzung)]



3. Sanierung, Modernisierung und Wohnungsneubau –
Konzepte, Umsetzungsstrategien und Erfahrungen vor Ort


3.1 Sanierung und Modernisierung oder Neubau?

Aufgrund des generellen Instandhaltungs- und Instandsetzungsstaus in den neuen Bundesländern und angesichts der begrenzten finanziellen Möglichkeiten haben dort aus Sicht der Wohnungswirtschaft Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen gegenüber Neubauvorhaben derzeit absolute Priorität. Auf diesen Ausgangstatbestand wies der Direktor des Verbandes Sächsischer Wohnungsunternehmen, zu dem Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaften, Wohnungsverwaltungen der Kommunen und rein private Unternehmen gehören, nachdrücklich hin. Die Sicherung und Erhaltung des bestehenden Wohnraums sei nicht nur zwingend erforderlich, um den weiteren Verfall aufzuhalten, sondern verursache im Durchschnitt wesentlich geringere Kosten als der Neubau.

Für den Vorrang der Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen gegenüber Neubauaktivitäten spreche auch, daß sie eher eine Sicherung

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der Sozialstruktur in den entsprechenden Wohngebieten ermöglichen.

Auch der Vertreter des Bundesbauministeriums sah in der Bestandssanierung einen wichtigen Investitionsschwerpunkt, setzte jedoch weniger eindeutige Prioritäten. Vielmehr bemängelte er, es werde in der öffentlichen Diskussion ein künstlicher Gegensatz zwischen Maßnahmen zugunsten des Wohnungsbestandes einerseits und des Wohnungsneubaus andererseits hergestellt. Es gelte vielmehr, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Die Bedarfslage erfordere es auch – was im übrigen auch der Vertreter der Stadt Görlitz bestätigte –, den notwendigen Wohnungsneubau, insbesondere auch im Eigentumsbereich, zu initiieren.

Er verwies auf die Ausweitung der sozialen Wohnungsbauprogramme. Insgesamt werden rund 7 Mrd. DM an Fördermitteln für den sozialen Wohnungsbau in den neuen Bundesländern eingesetzt. Zugleich zielen Maßnahmen auf die Förderung des frei finanzierten Wohnungsbaus (vgl. Abschnitt 2.2).

3.2 Sanierung und Modernisierung durch die sächsischen Wohnungsunternehmen

Aus den oben genannten Gründen haben Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen aus Sicht der sächsischen Wohnungsunternehmen zwingenden Vorrang.

Im vorhandenen Wohnungsbestand der Unternehmen ist ein Instandhaltungs- und Instandsetzungsstau in unterschiedlichen Größenordnungen vorhanden, bei Wohngebäuden älterer Baujahre ist er sehr hoch. Die Kosten für Grundinstandsetzung und Wohnwertverbesserung variieren je nach vorhandener Ausstattung und angestrebtem Wohnstandard. Bei einem industriell errichteten Wohnblock zum Beispiel ist mit etwa 50 000 DM pro Wohneinheit zu rechnen. Das ergibt einen durchschnittlichen Preis von mindestens 800 DM/qm. Im Vergleich dazu liegen die Neubaukosten für Wohnbauten im Standard des sozialen Wohnungsbaus in den neuen Bundesländern über 2500 DM/qm Wohnfläche. Nach diesem Rechenbeispiel braucht also für Instandsetzung

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und Modernisierung nur ein Drittel der Neubaukosten aufgebracht zu werden. Zwar bleiben gewisse Wohnwertnachteile – z. B. innenliegende Naßräume, ungenügende Schallisolierungen – bestehen, doch ergibt sich insgesamt ein entscheidender Kostenvorteil gegenüber dem Neubau.

Ein differenzierteres Bild zeichnete der Vertreter der Stadt Görlitz. Hier seien die Modernisierungskosten im Einzelfall aufgrund des jeweiligen Bauzustandes völlig unterschiedlich zu veranschlagen. Bei einer schweren Bausubstanzschädigung lägen die Kosten in Görlitz bei 1600 DM, und bei manchen Altbauten seien Aufwendungen bis zu 3000 DM nötig. Hier – so der Dezernent für Wirtschaft und Stadtentwicklung – könne Mietwohnungsneubau durchaus billiger sein. Angesichts von 4000 wohnungsuchenden Haushalten stelle sich in Görlitz die dringende Aufgabe, nicht nur instandzusetzen und zu modernisieren, sondern auch neu zu bauen.

Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen dürfen nicht nach Einheitslösungen durchgeführt werden, sondern mit Rücksicht auf Gebäudetyp, Standort, Alter der Gebäude etc. Nach Auffassung des Vertreters der Sächsischen Wohnungsunternehmen kann die Modernisierung auch aus wirtschafts- und strukturpolitischer Sicht nicht auf einheitlichem Niveau erfolgen. Eine Differenzierung hinsichtlich Quantität und Qualität der Modernisierungsaktivitäten sollte sich am zu erwartenden Arbeitsplatzangebot der jeweiligen Region orientieren.

Neben dem Effekt der Betriebskostensenkung wirken sich die Sanierungsmaßnahmen wie die Anbringung wärmedämmender Außenwandbekleidungen, die Ablösung der Einzelofenheizungen und die Umrüstung vorhandener Zentralheizungen auf moderne Systeme zugleich umweltverbessernd und energieeinsparend aus (zu den Sanierungs- und Modernisierungskonzepten der Sächsischen Wohnungsunternehmen im Rahmen der Privatisierung nach der Altschuldenregelung vgl. Abschnitt 4.2.1).

Verschiedene Hindernisse begrenzen allerdings die Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen bei der Durchführung der notwendigen Maßnahmen. In erster Linie ist für den engen finanziellen Handlungsspielraum der geringe Bestand an Eigenkapital sowie die

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Altschuldenbelastung verantwortlich, aber auch die Tatsache, daß teilweise die tatsächlichen Eigentümer der Immobilien nicht in den Grundbüchern eingetragen sind. Die ungeklärten Eigentumsverhältnisse bzw. die nicht entschiedenen Rückgabeansprüche sind nach Aussage des Wohnungsunternehmen-Vertreters nach wie vor ein "riesengroßes Hemmnis" für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Die Aufnahme von Darlehen werde dadurch sehr erschwert bzw. unmöglich gemacht.

Dies bestätigen die Erfahrungen der Wohnungsgesellschaft in Riesa. Nach Angaben ihres Geschäftsführers sind vor allem in den Neubaugebieten unterschiedliche Eigentümer auf demselben Grundstück eingetragen. Außerdem haben Alteigentümer Widerspruch angemeldet. Bemühungen um beschleunigte Erledigung der Verfahren bzw. um Eilerlasse beim Landesvermögensamt blieben erfolglos. Angesichts solch massiver Behinderungen sieht die Wohnungsgesellschaft Riesa ihre Handlungsfähigkeit grundsätzlich in Frage gestellt. Nach Auskunft des Sächsischen Landesamtes für die Regelung offener Vermögensfragen erlauben die zur Verfügung stehenden Planstellen keine schnellere Bearbeitung der Widerspruchsverfahren. Bei 10 000 Verfahren, von denen inzwischen 3200 abgeschlossen sind, gibt es Wartezeiten von anderthalb bis zwei Jahren. Vorrangige Behandlung erfahren nur die Fälle, die mit erheblichen Investitionen und der Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden sind.

3.3 Sanierung, Modernisierung und Wohnungsneubau in Görlitz

Die übergeordnete Zielsetzung der Görlitzer Wohnungspolitik ist zum einen die Schaffung von bedarfsgerechtem und bezahlbarem Wohnraum, zum anderen soll der Tendenz entgegengewirkt werden, daß sich der Anteil der kommunal verwalteten Wohnungen vermindert, während die Zahl der Wohnungssuchenden steigt.

Die Verfolgung dieser Ziele wird erschwert durch die besondere sozialstrukturelle bzw. sozioökonomische Ausgangssituation in Görlitz. Eine Arbeitslosenquote von 16 Prozent – die Erwerbslosigkeit liegt bei über 30 Prozent – und eine überalterte Bevölkerungsstruktur lassen auch in den nächsten Jahren eine fallende Kaufkraftentwicklung erwarten. Neben dem

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unzureichenden regionalen Arbeitsplatzangebot führt auch die unbefriedigte Nachfrage nach Wohnraum zur Abwanderung von jungen Menschen, oft ganzer Familien. Dadurch wird die Tendenz zur Überalterung der Görlitzer Einwohnerschaft weiter verstärkt und ein anhaltender Bevölkerungsrückgang ist die Folge. Dieser wirkt sich jedoch nicht in einer spürbaren Entlastung auf dem Wohnungsmarkt aus. Von den 4000 wohnungsuchenden Haushalten in Görlitz gelten 2400 als dringende Fälle. Die kommunale Wohnungsbaugesellschaft verfügt über 18 550 Wohnungen – davon 5900 im Neubaubereich. Der gesamte Wohnungsbestand beläuft sich auf 37 207 Einheiten, wovon etwa 5000 leerstehen. Nach der Sanierung auf einen normalen Standard wird sich die Zahl auf rund die Hälfte reduzieren. In ca. 6000 Fällen sind Rückforderungsanträge gestellt.

Während in den ersten Jahren die Sicherung der Gebäude im Vordergrund stand, sollen die Investitionsschwerpunkte in den nächsten Jahren auf die Modernisierung der gesicherten Bausubstanz gelegt werden. Das betrifft ca. 1000 bis 1400 Wohnungen.

Die Konzepte zielen auf eine sozialstrukturelle Mischung der Bewohnerschaft. Mit altengerechtem Wohnraum und Kleinwohnungen, gefördertem und frei finanziertem Wohnraum bei gleichzeitiger Förderung von Handels- und Gewerbeansiedlungen soll dies erreicht werden. Allein für die Stadt Görlitz ergibt sich aufgrund der Einschätzung der Gebäudesubstanz ein finanzieller Bedarf für Instandsetzung und Modernisierung von rund 3 Mrd. DM, wobei die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen noch nicht enthalten sind (zum Konzept für instandsetzende und modernisierende Maßnahmen bei den nach der Altschuldenregelung zu privatisierenden Wohnungen in Görlitz vgl. Abschnitt 4.3).

Um die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen zu ermöglichen, versucht die Stadt neben der Bereitstellung eigener Gelder Mittel aus den verschiedenen relevanten Förderprogrammen zu beziehen. So konnten durch die Aufnahme in das Programm der Städtebauförderung sowie in das Modellstadtprogramm drei Sanierungsgebiete eingerichtet werden. Damit standen in den Jahren 1991 bis 1993 rund 64 Mio. DM an Fördergeldern zur Verfügung. Durch die Inanspruchnahme von Städtebaufördermitteln bewegen sich die Einstiegsmieten (Kaltmieten) zwischen 5 und 7 DM/qm bei einer Mietbindung von bis zu 12 Jahren und einer jährlichen Steigerungsrate

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von 0,50 DM/qm.

Mit der Bereitstellung von relativ billigem Wohnbauland wird der Wohnungsneubau – auch für Eigenheimbauer – gefördert. Aufgrund des geringen kommunalen Eigentums an Grund und Boden sind dieser Zielsetzung jedoch enge Grenzen gezogen. So gibt es in Görlitz derzeit einen Standort für Eigenheimbauer zu einem Preis von 40 DM für den unerschlossenen Quadratmeter Bauland. Für die Wohnungspolitik der Stadt Görlitz stellt sich eine gezielte, längerfristig ausgerichtete Baulandpolitik und die Erarbeitung einer Stadtentwicklungskonzeption, die u.a. auch die Erschließung von Neubaugebieten vorsieht, als unumgänglich dar.

Der Stadtdezernent für Wirtschaft und Stadtentwicklung kam allerdings insgesamt zu der Einschätzung, daß bezahlbarer Wohnraum wegen der weiter steigenden Baukosten und Baulandpreise (von 82 DM für den Quadratmeter baureifes Land in 1991 auf 141 DM in 1992) sowie der geringen Renditen im Wohnungsbau wohl auch in den nächsten Jahren Mangelware bleibt.

3.4 Der Handlungsspielraum der privaten Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer

Derzeit befinden sich etwa 45 Prozent der Wohnungen in Ostdeutschland in Privateigentum, knapp die Hälfte davon sind selbstgenutzte Einfamilienhäuser. Die privaten Eigentümer bewirtschaften fast ein Drittel des vermieteten Wohnraums. Der größte Teil davon umfaßt die besonders vernachlässigten und entsprechend sanierungsbedürftigen Altbauten in den Innenstädten. Kaum ein Eigentümer konnte zu DDR-Zeiten infolge der nicht kostendeckenden Mieten Rücklagen bilden. Heute sind viele wegen zu geringer Mieteinnahmen und fehlender Eigenmittel – die meisten Vermieter sind Arbeitnehmer, Arbeitslose, Vorruheständler oder Rentner – nicht kreditwürdig.

Nach Angaben des Verbandspräsidenten der sächsischen Haus- und Wohnungseigentümer müssen die Grundeigentümer besonders in ländlich strukturierten Regionen aufgrund der kommunalen Erschließungsbeiträge

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mit erheblichen finanziellen Belastungen rechnen. Sie können die nach dem Kommunalabgabengesetz auf sie abwälzbaren Kosten der Gemeinden für Kanalisation, Straßenbau und ähnliches in vielen Fällen nicht aufbringen. Notwendig sei es, Umlagen für erstmalige Erschließungen mit einer Kappungsgrenze zu versehen.

Vor diesem Hintergrund sind Sanierungs- und Modernisierungsinvestitionen nach Auffassung des Referenten ein wirtschaftlich höchst riskantes Unterfangen. Hinzu kämen mangelnde Renditen aufgrund zu geringer Mieteinnahmen, zu mieterfreundliche Eigenbedarfskündigungsmöglichkeiten und eine Förderpolitik, die den besonderen Belangen der privaten ostdeutschen Vermieter nicht gerecht werde. Dies gelte insbesondere für die nicht ausreichende Förderung von Instandsetzungsmaßnahmen.

Viele Hauseigentümer sähen sich unter diesen Umständen gezwungen zu verkaufen. Hierin läge die Gefahr der "Zerstörung bestehender Eigentumsverhältnisse, wie sie nicht einmal die DDR wagte". Besser sehe die wirtschaftliche Situation nur bei den wenigen privaten Eigentümern aus, die nicht nur Wohnungen, sondern auch Gewerberäume vermieten.

Dennoch werde von den privaten Vermietern in erheblichem Umfang erneuert und modernisiert – unter Vernachlässigung kaufmännischer Abwägungen. Für den Referenten ist absehbar, daß angesichts der beschriebenen Situation viele private Vermieter über kurz oder lang vor der Zahlungsunfähigkeit stehen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

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