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1. Die globale Beschäftigungskrise

Von 2,8 Milliarden Arbeitnehmern in der Welt sind fast ein Drittel entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Dies ist gleichbedeutend mit der schlimmsten Beschäftigungskrise seit den 30er Jahren, die nicht nur enorme Verschwendung von Ressourcen, menschliches Leid und Hoffnungslosigkeit, eine wachsende Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern verursacht, sondern auch den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaften und demokratischen Institutionen gefährdet, so wie wir es in Teilen der ehemaligen Sowjetunion, in Osteuropa, Ländern der Dritten Welt, aber auch in den Industriestaaten registrieren müssen.

Wachsende Beschäftigungskrise und zunehmende Globalisierung der Wirtschaft werden häufig in einen engen Zusammenhang gebracht. Man kann gegenwärtig eine Verschiebung zur negativen Konnotation des Diskurses über internationale ökonomische Zusammenhänge und Zusammenarbeit beobachten. Wenn vor fünfzehn Jahren Wirtschaftswissenschaftler, Arbeitsmarktexperten und Politiker über internationale Wirtschaftsbeziehungen diskutierten, ist dies aus einer positiven Erwartungshaltung heraus geschehen, daß die sich intensivierenden wirtschaftlichen Verflechtungen für alle Beteiligten Vorteile mit sich bringen. Man konzentrierte sich auf Themen wie die Stabilisierung der Wechselkurse, unterschiedliche wirtschaftliche Wachstumsraten in den Industriestaaten, verbesserte wirtschaftliche Wachstumsaussichten in den Ländern der „Dritten Welt" (den Least-Developed-Countries), volkswirtschaftliche Koordination und internationalen Handel. Heute hingegen wird oft, wenn von Globalisierung die Rede ist, über die negativen Auswirkungen auf die Löhne und den Verlust von Arbeitsplätzen in den entwickelten Industriestaaten gesprochen. Diese Schwerpunktverlagerung mit der Tendenz, die Globalisierung der Wirtschaft nicht als Voraussetzung für wachsenden Wohlstand in der Welt, sondern als Bedrohung zu betrachten, wurde von Konferenzteilnehmern als gefährlich eingeschätzt. Wir alle haben ein gemeinsames Interesse daran, daß internationaler Handel betrieben wird und ein Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Menschen erfolgt. Es gibt kein Zurück in eine Zeit, in der es keinen Wirtschaftsaustausch zwischen den Ländern gab.

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Ray Marshall, unter Präsident Jimmy Carter US-Arbeitsminister, bezeichnete es als eine der größten wirtschaftspolitischen Herausforderungen für die nationale und internationale Politik, den Wohlstand wiederherzustellen, den die Industrieländer und viele der Schwellenländer ab den Vierziger Jahren bis in die frühen Siebziger Jahre erlebten. Er analysierte das politische Paradigma, das bis in die Siebziger Jahre von den führenden Industriestaaten praktiziert wurde und in den Vereinigten Staaten die längste Wohlstandsperiode ermöglichte.

Die Produktionssysteme und die Politik der Vereinigten Staaten produzierten das stärkste Wirtschaftssystem der Welt und den höchsten Lebensstandard schon während der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, und das wirtschaftliche Wachstum in den Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg hatte erst recht einen positiven Einfluß auf die ganze Weltwirtschaft. Der wirtschaftliche Erfolg Amerikas begründete sich hauptsächlich auf drei Faktoren. Erstens konnte man auf die reichlich vorhandenen natürlichen Ressourcen zurückgreifen, als Rohstoffe noch von großer Wichtigkeit waren, während sich ihre Bedeutung heute aufgrund technologischer Veränderungen stark relativiert hat. Zweitens konnten amerikanische Unternehmen eine Massenproduktion fahren aufgrund des Vorteils, den die Größe des wachsenden Binnenmarktes bot. Auch heute liegen die durchschnittlichen Produktionsquoten trotz der sich abschwächenden Wachstumsperiode in den Vereinigten Staaten relativ hoch, weil die Vereinigten Staaten immer noch den größten nationalen Markt haben. Drittens bewirkten politische Maßnahmen und Institutionen den wirtschaftlichen Erfolg, besonders die Politik der Dreißiger Jahre, die zu einer gerechteren Verteilung des Wachstums führte. Dazu gehörten Tarifverhandlungen, die Einführung und der Ausbau von Sozialhilfesystemen, der Arbeitslosenunterstützung und die progressive Einkommensteuer, die zwar zu keiner Gleichheit in den Vereinigten Staaten führten, aber zu einer gerechteren Verteilung der Einkommen als zuvor in den Zwanziger oder ab den Achtziger Jahren.

Diese Vorteile relativierten sich jedoch im Laufe der Zeit durch eine rapide Verbreitung moderner Technologien in einer zunehmend offeneren Weltwirtschaft, in der sich der Wettbewerb auf den internationalen Märkten verschärfte. Diese Veränderungen hatten politische Konsequenzen: die Regierungen haben seitdem weniger Kontrolle über ihre

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Volkswirtschaften, die nationalen Firmen weniger Einfluß auf die Märkte, und die Gewerkschaften haben an Macht verloren, die Arbeitsbedingungen durch Verhandlungen bestimmen zu können. Kein Land kann mehr hohe Löhne und Vollbeschäftigung durch einen traditionellen Politikmix aus geld-, fiskal- und handelspolitischen Maßnahmen und administrierten Löhnen und Preisen und festen Wechselkursen sicherstellen.

Eine keynesianische Wirtschaftspolitik trug bis in die 70er Jahre entscheidend zum Wohlstand der Industrieländer bei. Der inflationäre Druck infolge externer Schocks in den Siebziger Jahren (Stichwort: Ölpreiskrisen) ließ sich damit allerdings nicht mehr in den Griff bekommen. Die keynesianischen Politikinterventionen trugen außerdem nur wenig dazu bei, die Produktivität zu steigern, eine Hauptdeterminante des wirtschaftlichen Erfolges in einer wettbewerbsverschärften Weltwirtschaft. Von größter Bedeutung war jedoch, daß sich in den 70er und 80er Jahren der Internationalisierung die Verflechtung zwischen inländischem Konsum, Investitionstätigkeiten und Output abschwächte, welche die Grundstruktur des keynesianischen Nachfragepolitik ausmachte. In der Diskussion wurde hierzu angemerkt, daß sich seit den 60er Jahren in der Zusammensetzung der öffentlichen Investitionen eine für die Produktivkraftsteigerung und volkswirtschaftliches Wachstum nachteilige Verschiebung entwickelte. Deckten in den 60er Jahren Investitionsanteile für Bildung/Qualifizierung, Forschung & Entwicklung und Infrastruktur fast 25 % des Staatshaushaltes in den USA ab, so reduzierten sich diese Haushaltsposten heute auf 10 % mit weiter abfallender Tendenz.

Die Abschwächung der Verknüpfungen zwischen politischen Interventionen zur Steigerung des Konsums und der Investitionstätigkeit in den USA zeigte sich besonders deutlich, als in den Vereinigten Staaten die Steuerkürzungen der frühen 80er Jahre den Konsum ankurbelten, damit jedoch auch den Import steigerten und deshalb einen sehr viel geringeren Anstieg in den inländischen Investitionen auslösten, als dies Steuerkürzungen noch in früheren Perioden bewirkten, als die Märkte noch weniger globalisiert waren. Nach den Steuerkürzungen im Jahre 1981 deckten Importe einen großen Teil der Konsumgüternachfrage ab und fast die gesamte gestiegene Nachfrage nach Anlagegütern. Die Bezie-

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hung zwischen erhöhtem Verbrauch und höheren Investitionen, die früher existierte, ist in einer globalisierten Wirtschaft nicht mehr automatisch gegeben.

Eine stärker dem globalen Wettbewerb ausgesetzte wissensintensive Wirtschaft sieht sich damit auch neuen beschäftigungspolitischen Problemen ausgesetzt. In einem Land, in dem die Löhne hoch sind, ist ein angemessenes wirtschaftliches Wachstum notwendig, damit Produktivitätsfortschritte nicht zu wachsender Arbeitslosigkeit führen. Es ist zu bedenken, daß Länder ihre Wirtschaft immer weniger nur durch eine keynesianische Nachfragepolitik ankurbeln können. Die Beschäftigungsprobleme wachsen, wenn eine globale Wachstumslokomotive fehlt, deren Rolle nach dem 2. Weltkrieg von den Vereinigten Staaten und expandierenden globalen Märkten 30 Jahre lang übernommen wurde. Heute können die Vereinigten Staaten diese Funktion nicht mehr erfüllen und der Verzicht auf politische Koordination besonders zwischen den Vereinigten Staaten, Deutschland und Japan behindert globales Wachstum und wirtschaftliche Stabilität. Außerdem haben veraltete internationale Wirtschaftsinstitutionen und Politiken es sehr erschwert, die nötigen Investitionen, Entwicklungsprogramme und Nachfragemärkte zu schaffen, die das globale Wachstums durch die Nachfrage aus der „Dritten Welt" stimuliert hätte. Viele der Probleme in der Welt beruhen heute auf einer fehlenden Absprache in der nationalen und internationalen Wirtschaftspolitik, die während der 70er Jahre noch zustande kam. Ohne weitere wirtschaftliche Wachstumsraten in den Schwellenländern wird es auch keine ausreichenden Wachstumsraten und Wohlstandszuwächse in den Industrieländern geben. Darauf hatte bereits der Brandt-Bericht zu Beginn der 80er Jahre hingewiesen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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