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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 49 ( Fortsetzung) ] 5. Hauptergebnisse und Schlußfolgerungen aus den Länderberichten, Lehren für die Bundesrepublik Deutschland 5.1. Deregulierung Die Länderberichte haben ergeben, daß die Erfolgsaussichten eines reinen Deregulierungsansatzes, wie er in Großbritannien verfolgt wird, nicht besonders groß sind. Die Tatsache, daß Großbritannien diesen Ansatz [Seite der Druckausg.: 50 ] gleichzeitig auf dem Arbeitsmarkt und den Gütermärkten verfolgt hat, gab zu dem Einwand Anlaß, daß die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt auch auf letzteres zurückgeführt werden können, wie jüngste Studien ergeben hätten. Ein zweiter Einwand war, daß deregulierte Verhältnisse die Zeitperspektive von Arbeitnehmern einengen, so daß sie die Aufwendungen für Qualifizierung, berufliche Weiterbildung und dergleichen nicht als lohnend ansehen. Dies wurde vom englischen Referenten ebenfalls bestätigt. Wiewohl der britische Arbeitsmarkt 1979 auch nach Ansicht des englischen Vertreters überreguliert war und zurecht flexibler gemacht wurde, lassen sich mit den Deregulierungsmaßnahmen keine durchschlagenden Beschäftigungserfolge in Verbindung bringen. Dagegen sind die sozialen Folgen dieser Politik am Arbeitsmarkt unübersehbar: Lohnspreizungen, Mehrfachbeschäftigung, niedrige Bildungsaktivität. Da weder die Erwerbstätigkeit überdurchschnittlich stieg, noch die Erwerbsquote in eine positive Richtung ging, schlug die Strategie, mit verschlechterten Inaktivitätsbedingungen und ökonomischen Zwängen eine Zunahme der Beschäftigung zu erreichen, also bisher fehl. Ob dieser Befund allerdings dauerhaft ist, wurde vom britischen Vertreter bezweifelt. Insbesondere die Tatsache, daß die einzelnen Deregulierungsmaßnahmen in vollem Umfang erst kurze Zeit in Kraft sind, spricht dagegen. Die Akteure des Arbeitsmarktes haben, so seine Beobachtung, bisher eher passiv und defensiv auf die so veränderten Bedingungen reagiert. Die Frage ist also noch offen, ob sich durch einen aktiveren Umgang mit den neuen Rahmenbedingungen eine positivere Wirkung ergibt. Immerhin ist die Reaktionsweise der britischen Linken so, daß sie keinen grundsätzlichen und generellen Widerstand gegen die Deregulierung geleistet hat. Auch sie hat das Insider-/Outsider-Problem als Ausgrenzungsphänomen wahrgenommen, von dem eine wesentliche Begründung für die Deregulierung ausgegangen war. Die Linke legt in letzter Zeit auch eher den Schwerpunkt auf die Versorgung mit neuen Jobs als auf die Vermeidung von Entlassungen. Überreguliertheit des Arbeitsmarktes mag es, so der britische Vertreter, auch in anderen Ländern, z.B. in Deutschland, geben. Sie im einzelnen festzustellen und zu beseitigen, sei sicher vernünftig, könne aber nicht mit kurzfristigen Beschäftigungszielen verknüpft werden. Es gibt zwar die [Seite der Druckausg.: 51 ] These, daß wir die politische Option haben zwischen einer deregulierten, aber ungerechten Wirtschaft, die dafür aber mit hoher Beschäftigung einhergeht, und einer regulierten, gerechten, aber mit hoher Arbeitslosigkeit einhergehenden Wirtschaft. Die Beweise für diese These stehen, so das Resümee des britischen Vertreters, noch aus. 5.2. Arbeitsmarktpolitik Die Durchschlagskraft der zweiten Alternative scheint ebenso begrenzt zu sein: Auch eine forcierte Arbeitsmarktpolitik, die auf Deregulierung und Lohnsenkung weitgehend verzichtet, wie im Falle Schwedens, kann Massenarbeitslosigkeit nicht ausschließen. Bereits die Tatsache, daß diese Strategie in der schweren Rezession der 90er Jahre nicht mehr fortsetzbar war, ist ein klarer Hinweis auf die Grenzen dieses Ansatzes. Die in langen Jahren davor aufgelaufenen Defizite und deren negativen Folgen für das Zinsniveau und die Inflation hatten den Handlungsspielraum allzu sehr eingeschränkt. Schließlich scheint die Diskussion über die mittel- und langfristige Effektivität der aktiven Maßnahmen auch innerhalb Schwedens auf die Akzentuierung der Politik Einfluß zu haben. So richten sich die Maßnahmen stärker auf den regulären Arbeitsmarkt aus, eine Absenkung der Lohnersatzleistungen ist in Aussicht genommen, und die Diskussion über Niedriglohnsubventionen hat begonnen. Der Einwand, daß die Konzentration auf den Hochtechnologiesektor und auf die Qualifizierung nicht die wirklich benötigten Beschäftigungsexpansionen erzeugen könnte, scheint berechtigt. Weitergehend wurde in Diskussionsbeiträgen bezweifelt, ob es überhaupt ein derartiges Mißmatchproblem zwischen den in den Industrieländern angebotenen und nachgefragten Qualifikationen gebe. Außerdem wurde stark bezweifelt, daß alle Geringqualifizierten qualifizierbar sind. Eine globale Qualifizierungsstrategie riskiere also, an den Arbeitslosen vorbeizugehen, da es in diesem Arbeitsmarktsegment effektiv an Nachfrage fehle. Die Steigerung dieser Nachfrage wird insbesondere in den Niederlanden und Frankreich durch reguläre Lohnsubventionen betrieben. Dabei hat sich in beiden Fällen die Struktur und Höhe der Sozialversicherungsbeiträge als Interventionspunkt herausgebildet, die zwar gesamtwirtschaftlich nur einen von vielen Kostenbestandteilen darstellen, von Kleinbetrieben [Seite der Druckausg.: 52 ] und Privatpersonen jedoch als der problematischste und aufwendigste empfunden werden. Während Holland hierbei die Mobilisierung von Langzeitarbeitslosen durch Umwandlung der passiven Leistungen in Zuschüsse verfolgt, geht Frankreich den Weg der Umwandlung von Schwarzarbeit in legale Beschäftigung mithilfe der sogenannten Dienstleistungsschecks. Die Lohnsubventionsmodelle anderer Länder wurden vom deutschen Vertreter zwiespältig beurteilt. Der Interventionspunkt Sozialversicherungsbeiträge stehe in Deutschland wegen seiner maßgebenden Bedeutung für die individuelle Leistungsseite aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zur Verfügung. Eine allgemeine Lohnsubvention für Beschäftigung im Privathaushalt stoße an finanzielle Grenzen und berge die Gefahr der Verdrängung regulärer Beschäftigung. Im deutschen System sei die Umwandlung von passiven Leistungen in Zuschüsse durch administrativ steuerbare Instrumente für definierte Zielgruppen effektiver als allgemein zur Verfügung gestellte Steuersubventionen. Die Möglichkeiten kollektiver Arbeitszeitverkürzungen spielen vor allem in der deutschen Diskussion eine Rolle. Eine expansive Beschäftigungswirkung wurde ihnen in der Diskussion nahezu einhellig abgesprochen. Sie seien passive Maßnahmen, die höchstenfalls auf Betriebsebene positive Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen könnten. Der Hinweis des niederländischen Vertreters, daß die kollektiven Vereinbarungen wegen der Flexibilisierungseffekte keinen expansiven Effekt mehr hätten, wurde vom deutschen Vertreter bestätigt. Er ergänzte, daß sie auch kontraproduktive Effekte haben könnten, da die Entwicklung der Reallöhne Tendenzen zu Zweitbeschäftigung und Schattenwirtschaft in der freigestellten Arbeitszeit auslösen könnten. Schließlich wurde auch die in der deutschen Diskussion wichtige Frage, ob die Lohnkosten, sowie die darin enthaltenen Sozialabgaben zu einem Beschäftigungshindernis bzw. einem Standortnachteil geworden sei, erörtert. Mehrfach wurde bezweifelt, ob angesichts des internationalen Wettbewerbs und der sich verstärkenden internationalen Verflechtung dieses Kostenniveau insgesamt gehalten werden könnte. Die zusätzlichen Kostensteigerungseffekte der Sozialabgaben, so die Argumentation, erwiesen sich als erschwerender Faktor. Dem wurde vor allem von französischer, schwedischer und niederländischer Seite entgegnet, daß es zu stabilen sozialen Sicherungssystemen [Seite der Druckausg.: 53 ] keine Alternative gebe. Erst die damit gewährleistete Sicherheit mache Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt möglich. Notwendig sei auch eine untere Auffanglinie außerhalb des Lohnsystems, wie sie in den Niederlanden beim Modell des garantierten Grundeinkommens diskutiert wird. Der französische Vertreter erinnerte unter Hinweis auf die gegenwärtig stark umstrittenen Einsparungspläne der Regierung daran, daß die französische Sozialversicherung aus der ökonomischen Trümmerlandschaft des Jahres 1945 entstanden ist. Die damals extrem niedrige Produktivität und die niedrigen Einkommen der Bevölkerung standen dem Aufbau eines solchen solidarischen Systems nicht entgegen. Es zeichne sich im Gegenteil die Gefahr ab, daß die durch Sozialabbau verunsicherten Bevölkerungsschichten sich vermehrt politischen Extremen zuwendeten. Der deutsche Vertreter betonte, daß die Arbeitsmarktpolitik angesichts der verlangsamten Wachstumsprozesse unverzichtbar sei. Der Befund eines "jobless growth" sei angesichts der Tatsache, daß ein Wachstum von 2% allein zur Sicherung des Status Quo notwendig sei, nicht von der Hand zu weisen. Dadurch werde die Bedeutung der Arbeitsmarktpolitik unterstrichen. Zugleich ergebe sich daraus die Notwendigkeit, mit den Nachbarländern die Erfahrungen mit den eingesetzten Instrumenten und neuen Experimenten auszutauschen und zu bewerten. Nicht zuletzt die Zielsetzung einer gemeinsamen europäischen Beschäftigungsstrategie, wie sie der Europäische Rat in Essen 1994 beschlossen hatte, setzt solche Erfahrungsaustausche und Vergleiche voraus. Der Umfang der eingesetzten Mittel und das Verhältnis zwischen aktiven Maßnahmen und passiven Lohnersatzleistungen ist von Land zu Land sehr unterschiedlich, wie bereits die Ausführungen des WZB-Vertreters zeigten. Dennoch gingen diese Unterschiede auf mittel- und langfristige Sicht nicht konform mit entsprechenden Abweichungen bei der Arbeitslosigkeit. Besonders das schwedische Beispiel zeigt nach Ansicht des deutschen Referenten, daß auch der massive Einsatz aktiver Beschäftigungsförderung und Arbeitsmarktpolitik auf längere Sicht keinen Schutz vor hoher Massenarbeitslosigkeit bietet. So beträgt die schwedische Arbeitslosenquote Mitte 1995 9,3%, trotzdem dort die Aufwendungen für aktive Arbeitsmarktpolitik mit 2,95% des Bruttoinlandsprodukts mehr als doppelt so hoch ist wie in Deutschland (1,32%), dessen Arbeitslosenquote zum gleichen Zeitpunkt 8,2% betragen hat. Auch in der schwedischen Diskussion über die langfristigen Effekte dieser Politik werden die tat- [Seite der Druckausg.: 54 ] sachlichen Integrationserfolge im regulären Arbeitsmarkt inzwischen niedrig bewertet. Ihnen stünden zudem Mitnahmeeffekte, Verdrängungseffekte regulärer durch geförderte Arbeit, sowie Wachstumsverluste durch die hohe und defizitfinanzierte Staatsquote gegenüber. Dennoch hat sich aus der Diskussion über die schwedische Arbeitsmarktpolitik die These ergeben, daß die hohen passiven Kosten der Arbeitslosigkeit wesentlich sinnvoller zur Förderung von Beschäftigung eingesetzt werden könnten. Die in Deutschland in diesem Zusammenhang gestellten Forderungen nach einem Zweiten Arbeitsmarkt, der aus öffentlich geförderter Arbeit in marktfernen Beschäftigungsfeldern bestehen soll, folgt diesem Grundgedanken. Mit den einschränkenden Bedingungen, daß dadurch dem regulären Markt keine Beschäftigungsfelder entzogen werden und Mitnahmeeffekte vermieden werden, kann ein solcher Ansatz überall dort erfolgreich sein, wo - wie z.B. in den neuen Bundesländern - strukturelle Ungleichgewichte des Arbeitsmarktes und Infrastrukturschwächen zusammentreffen. Hier können die beschriebenen pauschalierten Lohnkostenzuschüsse in Höhe der durchschnittlichen Lohnersatzleistungen helfen, die aus Finanzknappheit unterbliebenen Infrastrukturinvestitionen zu tätigen. Diese Form der Umwandlung passiver Leistungen in aktive Maßnahmen kann durchaus weiterentwickelt und ausgebaut werden. Sie ist jedoch eng mit den lokalen Verhältnissen und der Einbeziehung der lokalen Akteure verbunden. Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Mitgliedstaaten liegen die Verwaltung und Zahlung passiver Leistungen, die Arbeitsvermittlung und die Handhabung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums in einer Hand. Die Voraussetzungen für eine Steigerung der Effizienz dieses Instrumentariums - wie sie von der EU-Kommission gefordert wird - sind also gegeben. Die Wirksamkeit der Instrumente muß durch stärkere Verlagerungen der Verantwortung auf die einzelnen Arbeitsämter und eine Stärkung ihrer Entscheidungsfreiheit über den Einsatz von Haushaltsmitteln verbessert werden, um auf lokale Erfordernisse flexibel reagieren zu können. Auch ein begrenzter Spielraum zur Erprobung neuer Instrumente, die die lokalen Bedingungen erfordern, müßte hinzutreten. Im traditionellen Instrumentarium lassen sich insbesondere durch eine stärkere Verknüpfung der Elemente Qualifizierung und Beschäftigung [Seite der Druckausg.: 55 ] Weiterentwicklungen denken, die aus den Erfahrungen in anderen Ländern, z.B. der skandinavischen Staaten, nutzbar gemacht werden können. Insbesondere die Weiterbildungs-Module in der dänischen Arbeitsmarktpolitik sind hier geeignet, dem hohen Qualifizierungsbedarf der ungelernten Arbeitnehmer Rechnung zu tragen. Eine Verknüpfung von kürzeren Weiterbildungsabschnitten mit betrieblichen Praktika könnte den Lerngewohnheiten der Zielgruppen dieses Arbeitsmarktsegments besser gerecht werden, als die gegenwärtigen 12 - 24-monatigen Kurse, die von vergleichsweise kurzen Praktikumsphasen unterbrochen werden. Mit der Adaption des niederländischen START-Modells durch ein Gemeinschaftsprojekt der öffentlichen Hand mit den Sozialpartnern in Nordrhein-Westfalen und Hamburg konnte auch ein öffentlicher Bewußtseinswandel eingeleitet werden, der den Vorurteilen gegenüber Langzeitarbeitslosen entgegenwirkt. Auch die Tarifpartner beginnen, mit der Vereinbarung von abgesenkten Einstiegslöhnen diesem Prozeß Rechnung zu tragen. Der Ausbau der Teilzeitarbeit wird in Deutschland ebenfalls mit Blick auf die Erfolge in den Niederlanden, in Schweden und in Dänemark gefordert. Die oben beschriebene Schere zwischen dem Angebot von ca. 2 Millionen teilzeitwilligen Arbeitnehmern und der dürftigen Nachfrage zeigt das hier liegende Beschäftigungspotential. Wie die Studie von MC Kinsey im vergangenen Jahr zeigte, eröffnet die Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitarbeit ein produktivitätssteigerndes und kostenreduzierendes Potential. Die Zurückhaltung der Unternehmen bei diesem Arbeitszeitinstrument kann deshalb nur mit Vorurteilen bzw. mit traditionsverhafteten Vorbehalten erklärt werden. Die niederländische Erfahrung, daß Teilzeitarbeit auch ohne arbeitsmarktpolitische Flankierung ausbaufähig ist, ließe sich bei einem entsprechenden Sinneswandel auf Arbeitgeberseite auch in Deutschland wiederholen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001 |