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TEILDOKUMENT:
IV. Wirtschaftliche Gefahren der europäischen Währungsunion 1. Stabilitätsrisiken a) Wäre mehr Wettbewerb zwischen den Banken besser? "Je größer ein rechtlich abgesicherter Währungsraum, um so geringer ist die Kontrolle von außen, also die Kontrolle durch den Wettbewerb anderer Währungen". Dieser Gedanke von Prof. Giersch, dem Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, legt die Schlußfolgerung nahe, daß eine europäische Währungsunion schon aufgrund des Verlustes an Wettbewerb zwischen den nationalen Währungen eine Gefahr für die Stabilität bedeutet. Die Vorteile eines Wettbewerbsmodells sind in der Tat nicht von der Hand zu weisen: Bei freier Konvertibilität wird der Wettbewerb mehrerer unabhängiger, auf das Ziel der Preisstabilität verpflichteter nationaler Banken sinkende Inflationsraten und eine Angleichung der Zinssätze für gleichartige Kapitalanlagen in allen EG-Ländern zur Folge haben. Zwar kann die kurzfristige Entwicklung des Preisniveaus in einzelnen Länder zeitlich befristet vom Durchschnitt der Gemeinschaft abweichen - denn das Preisniveau wird ja nicht nur durch die Politik der Notenbank, sondern von einer ganzen Reihe ökonomischer und sozialer Faktoren (vor allem der Tarif- und Finanzpolitik) bestimmt -, jedoch - und das ist der große Vorteil des Wettbewerbsmodells - bleiben die daraus resultierenden Risiken dezentralisiert und damit für die Gemeinschaft insgesamt geringer als bei einer einheitlichen Währung. Dies hat drei Gründe:
Der Wettbewerb nationaler Notenbanken würde in der Konsequenz zu niedrigeren Inflationsraten mit sporadischen "Ausreißern" führen, die im Notfall mit einer Anpassung der Wech [Seite der Druckausgabe: 16] selkurse im Rahmen des EWS zu ahnden wären. Insgesamt kann jedoch davon ausgegangen werden, daß Wechselkursänderungen vermieden werden und sich eine Gemeinschaft relativ harter Währungen herausbildet (wie dies ja derzeit im EWS schon sichtbar wird). Annähernd gleich harte Währungen aber würden die von anderen Mitgliedsländern so gescholtene Ankerfunktion der D-Mark bzw. die geldpolitische Vorherrschaft Deutschlands beseitigen. b) Das unterschiedliche Stabilitätsbewußtsein in den EG-Mitgliedstaaten Es stellt sich die Frage, ob angesichts der Tatsache, daß im Europäischen System der Zentralbanken Vertreter aller an einer Währungsunion teilnehmenden Mitgliedsländer die Geldpolitik bestimmen, eine europäische Einheitswährung so stabil sein kann wie die D-Mark. Denn ohne jeden Zweifel versteht die Mehrheit der Partnerländer unter Geldwertstabilität etwas anderes als die Bundesrepublik. Dies läßt sich anhand der Kaufkraft- und Preisentwicklung in den Mitgliedstaaten belegen. So stiegen die Verbraucherpreise zwischen 1960 und 1990
Noch extremer werden die Unterschiede, wenn man die ärmeren südeuropäischen Länder in den Vergleich miteinbezieht. So beträgt die Kaufkraft ab 1957 gerechnet
Es ist zwar zutreffend, daß in den letzten Jahren eine Annäherung der Inflationsraten innerhalb der EG stattgefunden hat. Nach wie vor sind die Unterschiede aber recht beträchtlich. Sie reichen im Jahre 1991 von 2,8 % in den Niederlanden bis zu 18,5 % in Griechenland. [Seite der Druckausgabe: 17] Es ist auch deshalb zweifelhaft, daß die Europäische Zentralbank das Stabilitätsziel ernsthaft verfolgen wird, weil die für sie maßgebliche europäische Öffentlichkeit nicht so inflationsempfindlich ist, wie es die deutsche Bevölkerung gegenüber der Bundesbank ist. Für die Zukunft stellt sich die Frage, ob die EG-Mitgliedstaaten angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung in ihrem Lande, aber auch auf der Grundlage unterschiedlicher sozio-kultureller Gegebenheiten überhaupt in der Lage oder willens sein werden, das deutsche Stabilitätsniveau zu erreichen. Denn einige Länder (z. B. Griechenland oder Italien) müßten einen so stark restriktiven wirtschaftspolitschen Kurs fahren, daß dies konjunktur- und sozialpolitisch kaum verantwortet werden kann. Außerdem muß berücksichtigt werden, daß einige weniger stabilitätsorientiertere Mitgliedstaaten ohne ein gewisses Maß an Inflation in arge Bedrängnis kommen können: insbesondere in den südlichen und weniger reichen Mitgliedstaaten, in denen Steuerhinterziehung und Steuerwiderstand weit verbreitet sind, bleibt den Regierungen oft nichts weiter übrig als Steuermehreinnahmen über die Inflation zu realisieren. Zudem reduziert die Inflation auch die reale Verschuldung des Staates, was für Länder mit hohen Defiziten durchaus von Bedeutung ist. Darüber hinaus wird Inflation im Verteilungskampf um das Sozialprodukt oft als "soziales Schmiermittel" verwendet. Erst die Preisentwicklungen der nächsten Jahre werden zeigen, ob auf dieses Instrument verzichtet werden kann oder ob zumindest in manchen Ländern bei der Wahl zwischen Inflation und Rezession/Arbeitslosigkeit die Stabilität auf der Strecke bleibt. Diese Befürchtung ist nach den bisherigen Erfahrungen nicht auszuschließen. Zwar haben sich in den vergangenen Jahren einige Mitgliedstaaten, die am Europäischen Währungssystem teilnehmen, sehr stabilitätskonform verhalten. Allerdings ist zu vermuten, daß sie dies aus Angst vor einer Abwertung ihrer Währung getan haben. Entfällt in einer Währungsunion die Möglichkeit und damit auch der Druck der Abwertung, könnte es in den betreffenden Länder nach einer vorübergehenden Phase mit niedrigen Inflationsraten auch wieder zu einem stabilitätswidrigen Verhalten kommen. Die Europäische Zentralbank käme dann mit ihrer Politik in arge Bedrängnis. Denn gibt es keinen stabilitätspolitischen Konsens zwischen Regierungen, Tarifpartnern und Bevölkerung, ist die Notenbank mit der Aufgabe der Sicherung der Preisstabilität überfordert. Hinzu kommt das Problem, daß die Europäische Zentralbank nicht über das lang aufgebaute Vertrauenskapital der Bundesbank, und die Europäische Währungseinheit ECU nicht über das Vertrauen und die Erwartungen der
[Seite der Druckausgabe: 18] c) Die unzureichende Konvergenz der Wirtschaftsstrukturen Die EG-Mitgliedsländer weisen - bei allen Fortschritten auf dem Wege zunehmender wirtschaftlicher Konvergenz - nach wie vor beträchtliche Unterschiede in ihren Industrie- und Agrarstrukturen, im Volumen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, in ihrer Abhängigkeit von Energie (z.B. Öl) und Rohstoffen auf. Dementsprechend verläuft auch die konjunkturelle Entwicklung in den einzelnen Ländern nicht immer parallel. Und dementsprechend müssen auch unterschiedliche geldpolitische Maßnahmen getroffen werden. Dies wird in der Europäischen Währungsunion aber nicht mehr möglich sein. Bei unterschiedlicher konjunktureller Entwicklung taucht dann für den EG-Zentralbankrat das Dilemma auf, an welchen Ländern er seine nicht mehr diffenzierbare Politik ausrichten soll. Dabei ist zu befürchten, daß der Zentralbankrat der Forderung der Rezessionsländer, die Geldpolitik zu lockern, am Ende nicht wird widerstehen können. Auch die Entwicklung der Arbeitsproduktivitäten und andere Bestimmungsgrößen des volkswirtschaftlichen Produktionspotentials innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist unterschiedlich. Bei der Schätzung dieser Größen, die notwendig für die Festlegung der potentialorientierten Geldmenge ist, nehmen anhand der Komplexität auf europäischer Ebene die Fehlerrisiken zu. Wenn dann im Zentralbankrat die Befürchtung besteht, ein nicht ausreichendes, die Beschäftigung bedrohendes Geldmengenwachstum zu beschließen, ist zu erwarten, daß die Geldmenge eher großzügig ausgeweitet, mithin die Preisstabilität eingeschränkt wird. d) Die unzureichende Mobilität von Arbeitskräften Unterschiedliche konjunkturelle Verläufe und unterschiedliche Entwicklungen in den Arbeitsproduktivitäten erfordern die Möglichkeit und Bereitschaft der Arbeitskräfte, aus strukturschwachen Regionen in wirtschaftsstarke abzuwandern. Angesichts der bestehenden sprachlichen und kulturellen Barrieren in den Abwanderungs- und Zuwanderungsländern ist in Europa aber vorerst nur mit einer eingeschränkten Mobilität der Arbeitskräfte zu rechnen. Hinzu kommt das Problem, daß bei der durch die Einführung einer einheitlichen Währung entstehenden monetären Transparenz die Gefahr besteht, daß die Arbeitnehmer in strukturschwächeren Ländern vor Ort eine Angleichung ihres Lohnes an den europäischen Durchschnitt fordern. Das heißt, es könnte - ähnlich wie es bei der deutsch-deutschen Währungsunion zu einer Koordinierung west- und ostdeutscher Lohnstrategien kam - eine supranationale Abstimmung der Lohnpolitik stattfinden. Zu befürchten wäre dann, daß Lohnzuwächse nicht mehr am Zuwachs der Arbeitsproduktivität vor Ort orientiert wären sondern am höheren Lohnniveau in anderen Regionen. Es stellt sich für den Europäischen Zentralbankrat dann die Frage, ob er diese "überzogenen" Lohnzuwächse durch eine Geldmengenausweitung alimen [Seite der Druckausgabe: 19] tiert oder einen harten Stabilitätskurs durchsetzt, der entsprechende Beschäftigungseinbußen zur Folge hat. Die Vermutung, daß der Zentralbankrat eher "unvermeidliche" Inflationsraten akzeptiert ist zumindest nicht von der Hand zu weisen. Damit jedoch entstünde die Gefahr einer einsetzenden Lohn-Preis-Spirale, die nur durch schmerzhafte Eingriffe durchbrochen werden kann. e) Das Auseinanderfallen von Währungsunion und politischer Union Der Maastrichter Vertrag krankt vor allem daran, daß die Wirtschafts- und Währungsunion nicht von einer politischen Union flankiert wird. Dies bedeutet zum einen, daß eine gemeinsame Währung geschaffen werden soll, hinter der im Grunde keine gesamtstaatliche Autorität steht. Die Europäische Zentralbank hat kein direktes Gegenüber in Gestalt einer kompetenten Regierung. Zudem ist die Europäische Gemeinschaft zur Zeit lediglich mit 1,2 %, nach dem Delors-II-Plan in Zukunft mit maximal 1,37 % am Bruttosozialprodukt der Mitgliedstaaten beteiligt. Die Kompetenzen des Rates bleiben auch nach Maastricht beschränkt, die des demokratisch legitimierten Europäischen Parlaments sind noch geringer. Es besteht die Gefahr, daß die einheitliche europäische Währung ein Geld ohne Staat sein wird. Denn kein Land trägt die Verantwortung gegenüber der Europa-Währung. Zum anderen scheint es, als hätte man mit dem Maastrichter Vertrag die Rolle einer unabhängigen Zentralbank für die Erhaltung der europäischen Währungsstabilität überschätzt. Die Währung ist letztendlich so stabil, wie es die Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Tarif- und Sozialpolitik zulassen. Werden diese Politiken nicht auf europäischer Ebene koordiniert und auf das Stabilitätsziel orientiert oder gar verpflichtet, ist der Erfolg einer Währungsunion, d. h. vor allem die Erreichung des Stabilitätsziels, äußerst fraglich. f) Die Kritik an den Konvergenzbedingungen Die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion setzt die Erfüllung der vier sog. Konvergenzbedingungen
voraus. [Seite der Druckausgabe: 20] Das Problem an diesen Kriterien ist, daß sie zwar durchaus einen Hinweis darauf geben, ob eine Volkswirtschaft für die Teilnahme an einem engen Währungsverbund geeignet ist, sie jedoch nichts über die Reife für den Verbleib darin aussagen. So kann ein Land zum Stichtag die Kriterien erfüllen, sich jedoch aufgrund der sich von den anderen an der Währungsunion beteiligten Länder unterscheidenden wirtschaftlichen Entwicklung in den Folgemonaten und -jahren als absolut ungeeignet zur Teilnahme an der Währungsunion erweisen. Die Unzulänglichkeit der Kriterien wird auch daran deutlich, daß selbst Entwicklungsländer - wie z.B. Malaysia - sie heute erfüllen. Gleichwohl wird kaum jemand ernsthaft behaupten, daß Malaysia - rein ökonomisch gesehen - ein geeigneter Partner für eine Währungsunion wäre. Die Kritik an den Kriterien im einzelnen macht sich vor allem an folgendem fest:
Bedenklich stimmt ferner die Beeinflußbarkeit dieses Kriteriums. Die Inflation wird laut Maastrichter Vertrag "unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Definitionen in den einzelnen Mitgliedstaaten" gemessen. Diese Formulierung öffnet Manipulationen Tür und Tor.
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g) Politische statt ökonomischer Entscheidung über die Aufnahme eines Landes in die Währungsunion Die Entscheidung, welche Mitgliedstaaten die notwendigen Voraussetzungen für die Einführung einer einheitlichen Währung erfüllen, wird vom Rat zwar auf der Grundlage o.g. Konvergenzbedingungen getroffen, jedoch sind sie nicht zwingend. Letztendlich handelt es sich um eine politische Entscheidung, wer aufgenommen wird und wer nicht. Inwieweit die Kriterien dann im einzelnen noch erfüllt werden müssen, ist fraglich. Schließlich ist schon heute nicht geklärt, ob jedes Land alle Kriterien gleichzeitig erfüllen muß oder ob lediglich eine gute Mischung genügt. Oder ob eine Nichterfüllung der Kriterien akzeptiert wird, wenn nur die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre erwarten läßt, daß die stabilitätspolitische Konvergenz für die Zukunft gewährleistet ist. Angesichts der Tatsache, daß die Konvergenzbedingungen unterschiedlich interpretiert werden können und einer politischen Bewertung unterliegen und unter Berücksichtigung des Faktums, daß heute nur 3 Mitgliedstaaten, nämlich Luxemburg, Frankreich und Dänemark, die ökonomischen Voraussetzungen zum Eintritt in die Währungsunion erfüllen, muß daran gezweifelt werden, ob die Kriterien in der Praxis nicht zur Makulatur werden. Denn wer wird dem mit
[Seite der Druckausgabe: 22] was passiert, wenn - wie nach jetzigem Stand - nur in 2 oder 3 Ländern die notwendige stabilitätspolitische Konvergenz vorhanden ist? Ist eine Währungsunion mit so wenigen Mitgliedern - und möglicherweise unter Ausschluß der bedeutendsten europäischen Industrienationen - überhaupt sinnvoll oder muß nicht eine Aufweichung der Kriterien die Mitgliedschaft einer größeren Anzahl von Ländern in diesem Fall gewährleisten? Aus heutiger Sicht sprechen viele Fakten dagegen, daß die Konvergenzbedingungen nach Buchstube und Geist des Vertrages interpretiert und einer strengen politischen Bewertung unterzogen werden. Ermessensentscheidungen statt objektiver Prüfungen sind vorprogrammiert. Eine mangelhafte stabiltitätspolitische Konvergenz aber stellt die Funktionsfähigkeit der künftigen Wirtschafts- und Währungsunion in Frage, und insbesondere ihr Ziel der währungspolitischen Stabilität. h) Mangelnde Sanktionsmöglichkeiten bei finanzpolitischer Unverantwortlichkeit Die Stabilität einer Währung ist nur zu erreichen, wenn die handelnden Akteure der Wirtschaft, vor allem die Tarifpartner und die öffentliche Hand, eine entsprechende stabilitätspolitische Verantwortung zeigen. Vereinbarungen zur Lohnpolitik hätten einen Eingriff in die Tarifautonomie bedeutet und konnten deshalb in Maastricht nicht geschlossen werden. Dagegen wurden Regeln für ein finanzpolitisch verantwortliches Handeln aufgestellt, deren Nichtbefolgung sanktioniert werden kann. Allerdings wurden diese Sanktionen (siehe Kapitel 1.1.) im Laufe der Verhandlungen aufgeweicht, ebenfalls fraglich ist ihre Durchsetzbarkeit. Denn im konkreten Fall muß über jede Sanktion politisch im Ministerrat entschieden werden, und das wird um so mühsamer, je mehr Staaten vom Pfad der finanzpolitischen Tugend abweichen. Außerdem handelt es sich in der Beschlußfassung über Sanktionen um einen komplizierten und langwierigen Prozeß, der erhebliche diskretionäre Spielräume offenläßt. So mag der Sanktionsmechanismus von gutem Willen zur Stabilität geleitet sein, droht in der Praxis jedoch folgenlos zu bleiben. Um ein Beispiel zu nennen: die Bundesrepublik Deutschland würde sich derzeit sicher kaum von der Europäischen Gemeinschaft die Finanzierung der Deutschen Einheit beschneiden lassen, nur weil sie fürchtet, daß die Europäische Investitionsbank sonst ihre Darlehenspolitik ihr gegenüber ändert, sie eine Geldbuße entrichten oder eine unverzinsliche Einlage bei der Gemeinschaft hinterlegen müßte. Dies alles sind wohl kaum Sanktionen, die wirklich zu finanzpolitischer Solidität verpflichten. Härtere Maßnahmen wären nötig gewesen, waren aber offenbar nicht durchsetzbar. Ein Indiz dafür, daß die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht aus den Händen geben wollen. Und ein Handicap für die Stabilität der europäischen Währung, für die eine verantwortliche Finanzpolitik unverzichtbare Grundlage ist. [Seite der Druckausgabe: 23] Verstärkt wird diese Kritik noch durch die Tatsache, daß die öffentliche Hände sich laut Maastrichter Vertrag zwar weder bei der Europäischen Zentralbank noch bei den nationalen Notenbanken verschulden dürfen, daß aber nicht expressis verbis ausgeschlossen wurde, daß sie sich Kreditfazilitäten bei Banken in mehrheitlich staatlichem Besitz, und das sind in Frankreich beispielsweise mehr als 50 Prozent, besorgen. Damit verbunden ist auch die Gefahr von Finanzkrisen. Sollte die öffentliche Hand sich nämlich übermäßig bei ihren Banken verschulden, dann aber zahlungsunfähig werden, wären Bankenkrisen nicht auszuschließen. Es wäre deshalb zu überlegen, ob der Anteil von Staatstiteln im Portfolio der Banken nicht generell beschränkt werden sollte. Es fragt sich, warum der Vertrag unter diesen Umständen nicht die Möglichkeit vorsieht, einen Mitgliedstaat der sich trotz aller Bemühungen nicht auf einen Kurs solider Finanzpolitik verpflichten läßt, in letzter Konsequenz wieder aus der Währungsunion auszuschließen. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, die Staatsschulden generell mit der Inflationsrate zu indexieren, so daß aus einer höheren Inflationsrate für ein verschuldetes Land kein Vorteil erwächst. i) Ist die Unabhängigkeit der Europäischen Systems der Zentralbanken ausreichend gesichert? Eine der wichtigsten institutionellen Voraussetzungen für die Stabilität einer Währung besteht in der Unabhängigkeit der Zentralbanken. Dieser Forderung wurde im Maastrichter Vertrag in drei Schritten nachgekommen:
Es werden jedoch immer wieder Zweifel geäußert, ob diese Regelungen in der Praxis ausreichen. Für die Stabilität einer Währung ist die Wirtschaftsgesinnung von entscheidender Bedeutung. Nachgewiesenermaßen (siehe Kapitel III. l .b) besteht in den europäischen Mitgliedstaaten noch kein ausreichender stabilitätspolitischer Konsens zwischen der Politik und der Öffentlichkeit. Stabilität muß in einigen Mitgliedsländern noch stärker "eingeübt" werden. Auf diesem Wege könnten unabhängige Notenbanken ein wichtiger nächster Schritt sein. Es ist deshalb zu bedauern, daß die nationalen Notenbanken erst mit dem Eintritt in die dritte Stufe unabhängig werden müssen. Ein zeitliches Vorziehen dieser notwendigen Anpassung der nationalen Gesetzgebung wäre ein wichtiger Test gewesen, wie ernst es den Mitgliedstaa- [Seite der Druckausgabe: 24] ten mit ihrem Stabilitätswillen ist. Bei der jetzigen Regelung startet man mit einem unnötigen Handicap. Es stellt sich außerdem die Frage, ob die Mitglieder des Direktoriums des Zentralbankrats tatsächlich ausreichend abgesichert sind, um wirklich unabhängig zu sein. Da etwa die 8-jährige Amtszeit für ein jüngeres Direktoriumsmitglied eher kurz ist, müßte über eine gute Bezahlung und entsprechend großzügige Pensionsregelungen sichergestellt werden, daß die Direktoriumsmitglieder wirklich unabhängig, unbeeinflußbar und unbestechlich sind. Ein anderes Problem betrifft die im Zentralbankrat vertretenen Präsidenten der nationalen Notenbanken. Es ist zu befürchten, daß einzelne Mitgliedstaaten den Präsidenten ihrer Zentralbank eher nach der nationalen Gesinnung als nach fachlicher Qualifikation aussuchen. Mit diesem Vorgehen wäre gerade in den Staaten zu rechnen, deren Unabhängigkeit der Nationalbank erst zu einem sehr späten Zeitpunkt erfolgt. Kommen entsprechende Notenbankpräsidenten dann noch aus Ländern, in denen das Stabilitätsbewußtsein weniger verbreitet ist, sind Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Stabilitätsziels im Europäischen Zentralbankrat vorprogrammiert. Ein anderes Problem besteht darin, daß die Amtszeit der Präsidenten der nationalen Notenbanken "nur" mindestens fünf Jahre betragen muß. Diese Bestimmung gewährleistet nicht die persönliche Unabhängigkeit der Präsidenten und schließt folglich nicht aus, daß sie ihr Verhalten auf die nächste Aufgabe in ihren Heimatländern ausrichten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß die Stimmenzahl der nationalen Zentralbankpräsidenten im Verhältnis zum Direktorium beachtlich ist. Für den Fall, daß die Leitungsgremien der Europäischen Zentralbank das Stabilitätsziel nicht ausreichend verfolgen, bestehen weder Regeln noch Sanktionsmechanismen. Denkbar wäre, daß man den Zentralbanken vorschreibt, sich an bestimmte Regelbindungen zu halten. Diese könnten beispielsweise darin bestehen, daß die Geldmenge dem Produktionspotential entsprechend steigen muß o.ä. Ein weiteres Problem ist, daß mit der zunehmenden Zentralisierung der europäischen Geldpolitik durch die Währungsunion eine mangelnde Öffentlichkeit verbunden ist. Dies liegt nicht zuletzt an den unzureichenden Publizitätsvorschriften, denen die Europäische Zentralbank unterliegt. j) Das Wechselkursregime liegt nicht in der Zuständigkeit der Europäischen Zentralbank Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle die Kritik an der Regelung zur Wechselkurspolitik gegenüber Drittlandswährungen erwähnt werden. Im Maastrichter Vertrag wurden die Kompetenzen für Währungsfragen, Wechselkurse und Devisenregelungen dem Rat zugewie [Seite der Druckausgabe: 25] sen, die Europäische Zentralbank kann lediglich Empfehlungen aussprechen. Zwar muß der Rat bei seinen Vereinbarungen das Ziel der Preisstabilität berücksichtigen, trotzdem wäre die Zuweisung dieser Kompetenzen an die Europäische Zentralbank oder zumindest ihr Veto-Recht eindeutig vorzuziehen. Denn bei der jetzigen Regelung ist es der Rat, der die Bewertung zwischen der Festlegung der Wechselkurse und der Preisstabilität festlegt. Auf diese Weise kann die Politik die Unabhängigkeit der Notenbank unterlaufen. Darüber hinaus ist bei dieser Regelung nicht auszuschließen, daß es zu politisch motivierten Kapitalverkehrskontrollen kommt, die nicht zuletzt aus wettbewerbspolitischen Gründen abzulehnen sind.
2. Zunehmende Divergenz der wirtschaftlichen Entwicklung in den EG-Mitgliedstaaten
Aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen in den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft wirken sich auch Angebots- und Nachfrageveränderungen unterschiedlich aus. So hätten etwa Ölpreiserhöhungen auf die Volkswirtschaften Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens äußerst unterschiedliche Effekte. Dies zeigte sich schon während der beiden "Ölkrisen" in den 70er Jahren, die damals Anlaß waren, von einer ins Auge gefaßten stärkeren währungspolitischen Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft wieder Abstand zu nehmen. Eine zunehmende wirtschaftliche Integration Europas, wie sie durch den "Binnenmarkt 93" vorgesehen ist, wird die wirtschaftliche Spezialisierung der Regionen intensivieren. Damit wird die Betroffenheit von wirtschaftlichen Schocks in Europa noch ungleicher. Bisher war es den nationalen Regierungen möglich, in solchen Situationen mit dem Instrument der Wechselkurspolitik oder der Zinspolitik zu reagieren. Mit der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung entfällt aber der Wechselkurs als Puffer, und auch die Zinspolitik liegt nicht mehr in nationaler Kompetenz. Die Ausgleichsfunktion der Wechselkurse muß dann von den Preisen der Produktionsfaktoren übernommen werden. Das heißt, in strukturschwachen Regionen oder Regionen mit langsamer steigender Arbeitsproduktivität muß die Wettbewerbsfähigkeit über sinkende Preise etwa für Immobilien und andere nicht handelbare Güter und vor allem über sinkende Löhne wiedergewonnen werden. Der Lohnflexibilität kommt an dieser Stelle eine besondere Bedeutung zu. Ist sie nicht gewährleistet, kommt es über den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in der betroffenen Region. Nun wird von vielen Ökonomen die Befürchtung geäußert, daß es im Zuge der Verwirklichung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu einer "supranationalen Koordinierung von Lohnstrategien" [Seite der Druckausgabe: 26] kommt bzw. die Transparenz einer einheitlichen Währung relativ höhere Lohnsteigerungen in den Niedriglohnländern der Gemeinschaft hervorrufen wird. Um es einfach auszudrücken: Wenn ein Grieche oder ein Portugiese erst einmal sieht, daß er sich für ein Monatsgehalt - ausgezahlt in der Europäischen Einheitswährung - in München oder Paris wesentlich weniger leisten kann als ein Deutscher oder ein Franzose, wird der Ruf nach "gleichem Lohn für gleiche Arbeit" unter Umständen schnell laut. Inwieweit dann noch am jeweiligen Produktivitätsfortschritt orientierte Lohnerhöhungen durchsetzbar sind, bleibt fraglich. Zwar wissen wir aus den USA und Kanada, daß hohe regionale Reallohnunterschiede für vergleichbare Tätigkeiten in der Praxis durchaus üblich sein können, jedoch lassen nicht zuletzt die Erfahrungen mit der deutsch-deutschen Währungsunion in Europa anderes erwarten. Sollte aber eine Vereinheitlichung der Löhne, der Lohnnebenkosten und eventuell der Sozialausgaben, wie sie von einigen angestrebt wird, verwirklicht werden, wird damit schwachen und von wirtschaftlichen Schocks betroffenen Regionen die Chance zur Anpassung verbaut. Abnehmender Wohlstand und Arbeitslosigkeit wären die ersten Folgen. Bei ausreichender Mobilität der Arbeitskräfte wäre mit einer Abwanderung aus strukturschwachen in wirtschaftsstärkere Regionen zu rechnen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Mobilität der Arbeitskräfte überhaupt gegeben ist. Schließlich existieren in der Europäischen Gemeinschaft außer den Sprachbarrieren auch teilweise noch erhebliche kulturelle Barrieren. Ob es unter diesen Umständen im Interesse der Zuwanderer und auch des Einwanderungslandes liegt, daß es zu massiven Wanderungsbewegungen - wahrscheinlich vom Süden in den Norden Europas - kommt, ist zumindest zweifelhaft. Außerdem könnten derartige Entwicklungen zu einer Entvölkerung und Ausblutung ganzer Regionen führen, während Ballungszentren wahrscheinlich noch mehr expandieren würden. Zunehmende Zentralisierung mit der Folge steigender ökologischer und sozialer Kosten wären die Konsequenz. Die Vereinheitlichung der Löhne und der sozialen Standards wird (ähnlich wie bei der deutsch-deutschen Währungsunion) den Druck auf Transferzahlungen in die strukturschwachen Regionen erhöhen. Bereits jetzt haben die südlichen Gemeinschaftsländer und die Kommission über den in Maastricht beschlossenen Kohäsionsfonds einen erhöhten Finanzbedarf angemeldet, der hauptsächlich für die Unterstützung der Konvergenzbemühungen der "ärmeren" Mitgliedstaaten gedacht ist. Der sogenannte Delors-II-Plan sieht demnach vor, daß der EG-Haushalt von 1,2 % des Bruttosozialprodukts der Gemeinschaft auf 1,37 % erhöht werden soll. Für die Bundesrepublik Deutschland würde dies die jährlichen Zahlungen an die Gemeinschaft von 22 Mrd. DM in 1992 auf 67 Mrd. DM in 1997 hochtreiben, eine Summe, die in die mittelfristige Finanzplanung des Bundes eine erhebliche Lücke reißen würde. Zudem fragt es sich, ob nicht nur die öffentlichen Finanzen, sondern auch die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland nach der Finanzierung der deutsch- [Seite der Druckausgabe: 27] deutschen Einheit mit diesen Zahlungen endgültig überfordert wäre. Vor einer Überbeanspruchung der deutschen Finanzen ist nicht nur die Bundesregierung, sondern auch Europa zu warnen. Schon jetzt ist absehbar, daß die deutsche Regierung, aber auch einige andere Mitgliedstaaten die Dotierung des Kohäsionsfonds möglichst niedrig halten wollen. Dies läßt sich nicht nur finanzpolitisch, sondern auch ökonomisch begründen. Schließlich verzerren Transferzahlungen den Wettbewerb und führen zu Effizienzverlusten. Sie verringern den Anpassungsdruck der Mitgliedstaaten und wirken ökonomisch eher kontraproduktiv. Damit kommt es innerhalb der Gemeinschaft zu Produktivitätsverlusten, die die Kosteneinsparungen einer gemeinsamen Währung leicht übersteigen können. Von den sozialen Verwerfungen gar nicht zu reden. Falls sich die starre Haltung der nördlichen Gemeinschaftsländer bezüglich der finanziellen Ausstattung des Kohäsionsfonds fortsetzen sollte, kann in den strukturschwachen Ländern ein zunehmender Druck nach Schutzmaßnahmen entstehen, z.B. durch eine Abschottung nach außen oder sektorale Stützungsmaßnahmen im Inneren. Vor allem letzteren wurde im Maastrichter Vertrag unter dem Stichwort "Industriepolitik" ausdrücklich ein Platz eingeräumt. Wenn man sich daran erinnert, daß der "Binnenmarkt 93" mit dem Ziel eines intensiveren Wettbewerbs zur Steigerung und Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa, und die Europäische Währungsunion zur Förderung und Unterstützung dieses Binnenmarktes ins Leben gerufen wurden, geben die genannten ökonomischen Folgewirkungen der Währungsunion Anlaß zu Bedenken:
Insbesondere die Erfahrungen mit den Folgen der deutsch-deutschen Währungsunion lassen Befürchtungen aufkommen, daß auch die Vereinheitlichung der europäischen Währungspolitik eine teure Angelegenheit für alle beteiligten Staaten werden kann. Für die "ärmeren", die [Seite der Druckausgabe: 28] - hervorgerufen durch eine Verschlechterung ihrer Wettbewerbsfähigkeit - vor allem von steigender Arbeitslosigkeit und daraus resultierenden Abwanderungszwängen seiner Arbeitnehmer betroffen sein werden, für die "reicheren", weil sie neben den erwähnten ökonomischen Effizienzverlusten der EG-Wirtschaft, erhebliche Transferzahlungen in die südlichen Länder leisten werden müssen.
3. Ökonomische Risiken für die Bundesrepublik
Mit dem Beitritt in die Europäische Währungsunion würde die Bundesrepublik Deutschland ihren größten Wettbewerbsvorteil, die Reservewährung D-Mark, aufgeben. Dies wäre insbesondere dann problematisch, wenn sich die neue europäische Einheitswährung als weniger stabil erweisen würde als die D-Mark. Kapitalumschichtungen zugunsten des Dollars und Yens sowie eine Schwächung auch des Außenwertes der gemeinsamen europäischen Währung wären die Folge. Die Kapitalmarktrisiken, die aus einer mangelnden Stabilität der europäischen Währung resultieren - z. B. die Minderung des Sparfleißes der Bürger - würden vor allem das Investitionsklima in Europa verschlechtern. Für die Bundesrepublik Deutschland wäre dies in einer Phase, in der sie unter den finanziellen Belastungen der deutsch-deutschen Vereinigung leidet und aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu Transferzahlungen in die "ärmeren" EG-Mitgliedsländer gezwungen ist, wahrscheinlich ein noch größeres Problem als für die meisten Partnerländer. Die finanzielle Belastbarkeit der Bundesrepublik könnte leicht überschätzt werden, die Gefahr auftreten, daß Deutschland sich übernimmt. Die daraus resultierende Abnahme der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft würde sicher nicht nur der Bundesrepublik, sondern langfristig auch Europa schaden. Von einer mangelnden Stabilität einer europäischen Währung wären aber auch die deutschen Bürger betroffen. Denn Sparverhalten und Alterssicherung sind in der Bundesrepublik auf niedrige Inflationsraten ausgerichtet. Die Sparquote ist deshalb im internationalen Vergleich hoch. Allein das Geldvermögen der Bundesbürger beläuft sich auf 3000 Mrd. D-Mark. Ein Prozent mehr Inflation bedeutet dann 30 Mrd. D-Mark Verlust für den deutschen Sparer. Dem stehen wirtschaftliche Gewinne durch die Einheitswährung (Minderung der Wechselkursrisiken und Transaktionskosten) von nur 20 - 30 Mrd. D-Mark gegenüber. Sparer und Inhaber von Lebensversicherungen werden aber nicht nur wegen der zweifelhaften Stabilität einer zukünftigen europäischen Währung verunsichert. Unklar ist auch wie die Wertrelationen für den Übergang von der D-Mark zur europäischen Währung aussehen. Was z. B. ist mit den Anleihen und Lebensversicherungen, die nach 1999 fällig werden? Bevor diese Fragen nicht [Seite der Druckausgabe: 29] genau geregelt sind, wird die Zustimmung der Bevölkerung zur Einheitswährung schwer zu erlangen sein. Bei einem anderen Problem, das für die deutsche Wirtschaft mit der Schaffung der europäischen Einheitswährung verbunden ist, handelt es sich um die Aufhebung der seit mehreren Jahren bestehenden Unterbewertung der D-Mark. Nicht zuletzt auf diese Unterbewertung sind die deutschen Exporterfolge der letzten Jahre zurückzuführen. Wie immer man den Tatbestand der Unterbewertung beurteilt, sollte man sich auf jeden Fall bewußt sein, daß mit ihrer Aufhebung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft vermindert wird. Entsprechend dem Maastrichter Vertrag werden nach Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion die nationalen Devisenreserven in einem gemeinsamen Währungspool verwaltet. In der Zwischenzeit, d.h. in der zweiten Stufe, soll das vorläufige europäische Währungsinstitut (EWI) die Devisenreserven einzelner Länder auf deren Antrag verwalten können. Sollten alle Länder dies tun, entstünde für die Bundesrepublik ein psychologischer Druck, sich dem anzuschließen. Über den Griff nach den deutschen Devisenreserven ließe sich dann Einfluß auf die deutsche Währungs- und Zinspolitik nehmen. Die Unabhängigkeit der deutschen Geldpolitik würde damit bereits in der zweiten Stufe unterlaufen.
4. Automatismus
Entgegen allen Warnungen, z. B. von Seiten der Europäischen Kornmission (im Delors-Bericht wurde ausdrücklich von Terminvorgaben für den Eintritt in die nächsten Stufen der Währungsunion abgeraten) wurde gegen Schluß der Konferenz in Maastricht, gewissermaßen in einer "Nacht- und Nebelaktion", der Automatismus beschlossen. Auch die Deutsche Bundesbank hatte eindringlich davor gewarnt, die Gründung der Europäischen Währungsunion mit einer gemeinsamen Währungseinheit von bestimmten Zeitplänen abhängig zu machen und lehnte deshalb jegliche Terminvorgaben entschieden ab. Voraussetzung für das Zustandekommen der Währungsunion sollte vielmehr die Erfüllung vorher festgelegter wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Bedingungen sein. Für die Bundesbank handelte es sich dabei sogar um "unabdingbare und damit nicht disponible Anforderungen". Diesen wurde nun zuwidergehandelt. Unabhängig davon, wieviele Länder bis zum l. Juli 1998 die Konvergenzbedingungen für den Eintritt in die dritte Stufe erfüllen, beginnt die dritte Stufe der Währungsunion am l. Januar 1999. Der Automatismus ist aus vielerlei Gründen problematisch:
[Seite der Druckausgabe: 29]
notwendige Terminvorgabe gemacht. Insbesondere die Entwicklungen der letzten drei Jahre haben gezeigt, wie schnell die Verhältnisse sich ändern können. Auch jetzt befindet sich Europa noch im Umbruch. Angesichts dieser unsicheren Grundlagen wäre es empfehlenswert gewesen, sich einen gewissen Ermessensspielraum für zukünftige Entscheidungen zu gewähren. [Seite der Druckausgabe: 31]
ein Land - sogar gegen seinen Willen - in die Währungsunion aufgenommen wird, wenn die Mehrheit im Rat dies beschließt. Erst einmal Mitglied geworden, gibt es kein Zurück mehr, denn ein Austritt aus der Währungsunion ist laut Vertrag nicht vorgesehen. Wirtschaftliche Gründe für den Automatismus und seine Unumkehrbarkeit gibt es nicht. Dagegen sind die ökonomischen Risiken sehr groß. Ob sie vom erhofften politischen Nutzen aufgewogen werden, darf in Zweifel gezogen werden (siehe Kapitel V.)
5. Marktwirtschaft contra staatlicher Interventionismus
Der marktwirtschaftliche Weg zur einheitlichen europäischen Währung führt über die sogenannte Krönungstheorie. Sie besagt - in kurzen Worten -, daß die realwirtschaftlichen Verhältnisse in den EG-Mitgliedstaaten sich so weit annähern, daß die Wechselkursrelationen zwischen den Ländern praktisch stabil sind und man somit zu einer gemeinsamen Währung übergehen kann. Eine solche Währungsunion wäre nur Institutionen abzusichern, besondere wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen würden sich erübrigen. Die Einheitswährung wäre praktisch das Produkt der wirtschaftlichen Entwicklungen. [Seite der Druckausgabe: 32] Dagegen handelt es sich bei der in Maastricht vereinbarten Wirtschafts- und Währungsunion um ein Produkt der Politik. Die Währungsunion wurde - in weitgehender Abwesenheit von Ökonomen - beschlossen, die wirtschaftlichen (Konvergenz-) Bedingungen für ihr Funktionieren müssen nun erst hergestellt werden. Dazu und damit das System auch nach Inkrafttreten funktioniert, sind staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgefüge notwendig. Insbesondere wenn es zu massiven Transferleistungen von den "reicheren" in die "ärmeren" Mitgliedsländer kommt, oder wenn protektionistische oder industriepolitische Maßnahmen zum Schutze bestimmter Wirtschaftszweige oder Regionen notwendig werden, kommt es zu einem staatlichen Interventionismus, der sich mit dem Grundsatz des Maastrichter Vertrags zu "einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" nicht mehr vereinbaren läßt. Es besteht die Gefahr, daß hier praktisch "durch die Hintertür" eine Abkehr vom Wettbewerb stattfindet und daß ein effizienter Marktmechanismus abgelöst wird von einem sich immer neue Sachzwänge schaffenden staatlichen Interventionismus, der den Wohlstand in Europa verringert und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft schmälert. Wie ein bekannter Ökonom sich ausdrückte, handelt es sich hierbei wirklich um einen "Treppenwitz: Während im Osten die totalitären Systeme von demokratischen ersetzt werden, kreiert Westeuropa ein System mit einer jedenfalls nicht mühelos durchschaubaren Bürokratie, einen abgeschirmten Politbüro (dem Ministerrat), einer Wirtschaftspolitik, die den Begriff "Marktwirtschaft" gelegentlich (nicht nur bei der Agrarpolitik) ziemlich strapaziert, ja sogar mit Pünf-Jahres-Plänen (wie der finanziellen Vorausschau). Und das mit einem Parlament, das wenig mehr besitzt als Alibifunktion." © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999 |