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TEILDOKUMENT:
III. Was spricht für eine gemeinsame europäische Währung? l. Ökonomische Gründe a) Die Theorie der optimalen Währungsräume Die Einführung einer gemeinsamen Währung beseitigt Transaktionskosten und Wechselkursrisiken und kann auf diesem Wege den freien Handel mit Gütern und Dienstleistungen zwischen den beteiligten Ländern fördern. Dem steht der Nachteil gegenüber, daß eine gemeinsame Währung die Aufgabe einer unabhängigen, nationalen Geldpolitik, d. h. der Möglichkeit, durch Zins- und Wechselkursänderungen auf eine Veränderung der Nachfrage nach heimischen Produkten zu reagieren, bedeutet. Damit es sich für eine Gruppe von Ländern lohnt, eine Währungsunion einzugehen, müssen diese Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden. Voraussetzung für die Vorteilhaftigkeit einer gemeinsamen Währung ist nach der Theorie der optimalen Währungsräume (erstmals aufgestellt von Robert Mundell), daß die beteiligten Länder von ähnlichen Nachfragestörungen betroffen sind und ihre Arbeitskräfte über die Grenzen dieser Länder hinweg mobil sind. Denn bei Nachfragestörungen ähnlicher Art hilft die Möglichkeit individueller nationaler Zins- und Wechselkursänderungen wenig, da alle Länder ohnehin die gleiche Geldpolitik verfolgen müssen. Mögliche regionale Nachfragestörungen können dadurch ausgeglichen werden, daß die Arbeitskräfte aus Regionen mit rückläufiger Nachfrage in Regionen mit höherer Nachfrage abwandern. Der Nutzen einer Währungsunion muß danach bemessen werden, in wieweit die Vorteile in Form einer Erleichterung und Verbilligung von Transaktionen und einer Erweiterung des Finanzmarktes die Nachteile, daß man auf Nachfragestörungen nicht mehr durch Änderung der heimischen Zinsen und des Wechselkurses reagieren kann und es zu möglicherweise unerwünschten Wanderungsbewegungen kommt, überwiegen. Was bedeutet diese Theorie der optimalen Währungsräume für Europa? Aktuell weisen die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft noch große Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung auf. Vor allem die Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur (Produktmix), die unterschiedliche Abhängigkeit von Rohstoffen (vor allem von Öl) sowie die unterschiedliche Abhängigkeit von Auslandsmärkten führen dazu, daß es in den einzelnen Ländern zu sehr ungleichen Nachfragestörungen kommen kann. Außerdem ist die Mobilität der Arbeitskräfte in Europa aufgrund der bestehenden Sprachbarrieren und Kulturen vergleichsweise [Seite der Druckausgabe: 10] beschränkt. Mithin sind beide Bedingungen für einen optimalen Währungsraum in der Europäischen Gemeinschaft derzeit nicht erfüllt. Sie könnten es in Zukunft sein, wenn
b) Die Weiterentwicklung des EG-Binnenmarktes mit der Folge von Wachstumsgewinnen In ihrer Veröffentlichung "Ein Markt, ein Währung" hat die Europäische Kommission die Vorteile einer gemeinsamen Währung aufgelistet. Dort wird unter anderem darauf verwiesen, daß eine einheitliche Währung in Europa notwendig sei, um den freien Handel mit Gütern und Dienstleistungen, der mit dem EG-Binnenmarktprojekt für 1993 realisiert werden soll, zu vollenden. Nach dem Cecchini-Bericht setzt die Vollendung des Binnenmarktes erhebliche wirtschaftliche Wachstumskräfte in Europa frei, die sich in einer Steigerung des EG-Bruttosozialprodukts um einige Prozentpunkte niederschlagen. Falls eine gemeinsame Währung diesen Freihandel tatsächlich erleichtert, wofür es gute Gründe gibt (siehe Punkte c) und d), wäre die Währungsunion entsprechend an den Wachstumsgewinnen beteiligt. Daß dies nicht so ohne weiteres der Fall ist, behaupten jedoch u. a. so namhafte Ökonomen wie der amerikanische Harvard-Professor und ehemalige Vorsitzende des Wirtschaftsbeirats Martin Feldstein, der behauptet, daß "ohne Zweifel (...) eine gemeinsame Währung nicht notwendig (ist), um die Vorteile des Freihandels innerhalb Europas zu nutzen; sie kann sich sogar als kontraproduktiv erweisen." Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn ein Hersteller in einem Land sich auf ein bestimmtes Produkt spezialisiere. Bei zunehmender Konkurrenz aus dem Ausland könnte ein entsprechend flexibler Wechselkurs es dem Produzenten weiterhin ermöglichen, seine Waren zu exportieren. Bei festen Wechselkursen oder einer einheitlichen Währung wäre dies nicht möglich. Somit könnte es für die Hersteller eines EG-Landes uninteressant sein, den Markt eines anderen EG-Landes zu erschließen. In diesem Fall würde ein Währungsverbund den freien Handel eher einschränken. Insgesamt dürften die positiven Auswirkungen der Währungsunion auf den Binnenmarkt '93 allerdings überwiegen. Denn mit der Währungsunion entstünde der größte Finanzraum der Welt, der für externe Schocks wahrscheinlich weniger anfällig wäre als die nationalen Währungsräume. Mit der weltweiten Akzeptanz der Gemeinschaftswährung als Reserve- und Abrechnungswährung könnten sich auch Handelsvorteile ergeben. Eines darf bei der Beurteilung der Rolle der Währungsunion für den Binnenmarkt jedoch nicht übersehen werden: Für die Vollendung bzw. das Funktionieren des Binnenmarktes ist eine gemeinsame europäische Währung weder notwendig noch zwingend. [Seite der Druckausgabe: 11] c) Die Vermeidung von Wechselkursrisiken und Transaktionskosten Aktuell belaufen sich die Kosten für den Währungsumtausch und die Wechselkurssicherung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft auf 20 - 30 Mrd. D-Mark jährlich. Bei Einführung einer einheitlichen europäischen Währung könnten diese Kosten eingespart und einer produktiveren Verwendung zugeführt werden. Daraus konnten nicht nur oben erwähnte Wachstumsgewinne entstehen; eine gemeinsame Währung wäre für in Europa agierende Unternehmen aber auf für Reisende wesentlich angenehmer als die bestehende Vielfalt der verschiedenen Währungen. Das Argument der Vermeidung von Wechselkursrisiken und Transaktionskosten hat für die Bundesrepublik jedoch keine sehr große Relevanz. Denn rund 80 % der deutschen Exporte und ca. 60 % der Importe (Ausnahme Energie) werden in D-Mark fakturiert. Außerdem darf nicht vergessen werden, daß der Wegfall von Transaktionskosten erst mit der endgültigen Einführung einer einheitlichen Währung stattfindet. Wann das der Fall ist, ist heute jedoch noch nicht absehbar. d) Die Förderung der Geldwertstabilität in Europa Der Vorläufer der Europäischen Währungsunion ist das Europäische Währungssystem (EWS). Es trat 1979 in Kraft und sah ein System fester Leitkurse vor, wobei der Wert jeder Währung in einer Europäischen Währungseinheit (ECU) festgelegt wurde. Zwischen den beteiligten Währungen wurden sogenannte "Bandbreiten" von ± 2,25 % (in Ausnahmefällen auch ± 6 %) vereinbart, innerhalb derer die Kurse schwanken durften. Bei Ausschöpfung der Bandbreiten mußten die Notenbanken die Kurse der beteiligten Währungen durch Käufe und Verkäufe stützen. Eine Neufestsetzung der Leitkurse (Realignement) ist in diesem System möglich, jedoch - insbesondere in den letzten Jahren - selten. Ziel des EWS war und ist es, eine Zone währungspolitischer Stabilität zu erreichen, in der über stabile Wechselkurse hinaus auch eine allgemeine Geldwertstabilität erreicht wird. Dies ist - gerade in den vergangenen Jahren - auch erreicht worden. Nachdem die Zahl der Neufestsetzungen von Leitkursen innerhalb des EWS auf ein Minimum gefallen ist - d. h. die Wechselkurse zwischen den Währungen der Mitgliedstaaten haben sich in den vergangenen Jahren mit Ausnahme der italienischen Lira nicht geändert-, setzt sich auch eine zunehmende Stabilität der Währungen innerhalb der Mitgliedsländer durch. So sind die Inflationsraten in den meisten Mitgliedsändern in den letzten Jahren auf ein nicht zu erwartendes niedriges Niveau gefallen und die Unterschiede zwischen den einzelnen Inflationsraten geringer geworden. Das Europäische Währungssystem hat bisher also sehr erfolgreich gearbeitet. Im Zuge der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes sollte es mit dem Ziel der weiteren Stärkung der Geldwertstabilität - und zwar innerhalb der Gemeinschaft und nach außen - zur [Seite der Druckausgabe: 12] Europäischen Währungsunion ausgebaut werden. Insbesondere von deutscher Seite verspricht man sich dadurch den "Export" der deutschen Stabilität auf Europa. Dem entspricht auch das Versprechen deutscher Regierungspolitiker, daß die "Europäische Währung mindestens so stabil sein werde wie die D-Mark". Für eine Zunahme der Stabilität der europäischen Währungen in den nächsten Jahren spricht einiges. Im Zuge der Vorbereitung auf den Beitritt in die Währungsunion werden die meisten EG-Länder eine Stabilitätspolitik verfolgen, die es ihnen ermöglicht, Ende der 90er Jahre die Konvergenzbedingungen zu erfüllen und auf dieser Grundlage Mitglied des Währungsverbundes zu werden. Im Zuge dessen werden die Inflationsraten sich weiter verringern, die Zinsen werden längerfristig sinken (wodurch - ein positiver Nebeneffekt - die Investitionen in Sachkapital rentabler werden). Der Außenwert der Europäischen Einheitswährung könnte durch diese Stabilitätspolitik ebenfalls gestärkt werden. Es wäre möglich, daß auf einem tripolaren Geldmarkt internationale Anleger ihr Geld dann in zunehmendem Maße in Europa investieren. Es käme somit zu einer Umschichtung von internationalem Kapital nach Europa. Ob die Hoffnung auf eine große "Stabilitätszone Europa" aber wirklich berechtigt ist, wird ausführlich in Kapitel IV erörtert. e) Befreiung vom "dictat allemand" Während die Bundesregierung danach strebt, die deutsche Stabilität auf die Europäische Gemeinschaft zu transferieren, versprechen sich andere Mitgliedstaaten von der Europäischen Währungsunion eher eine Befreiung von der geldpolitischen Führerschaft der Deutschen Bundesbank, für die in Frankreich der kritische Ausdruck "dictat allemand" gefunden wurde. Tatsächlich stellt die Vorherrschaft der D-Mark im Europäischen Währungssystem für viele Mitgliedsländer ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Ökonomisch, weil sie aufgrund der Abhängigkeit von der deutschen Geldpolitik keine ihrer wirtschaftlichen Entwicklung angemessene Zins- und Wechselkurspolitik machen können, politisch, weil sie nach der deutsch-deutschen Vereinigung eine wiedererstarkte Großmacht fürchten, die nicht militärisch aber dafür wirtschaftlich ihre Stärke ausspielt. Gerade in den letzten Monaten hat sich wieder gezeigt, wie sehr unsere Partnerländer unter der deutschen Geldpolitik leiden. Als die Deutsche Bundesbank im vergangenen Dezember auf der Grundlage objektiver Daten - vor allem über die Geldmengenentwicklung -, aber auch um an die Tarifpartner Signale für die anstehenden Lohnverhandlungen auszusenden, die Leitzinsen erhöhte, gab es in Frankreich und Großbritannien einen Aufschrei der Entrüstung. Beide Länder befinden sich - wie die meisten anderen, nicht nur europäischen Staaten - in einer angespannten konjunkturellen Situation und hätten zur Ankurbelung ihrer Wirtschaft [Seite der Druckausgabe: 13] Zinssenkungen bitter nötig gehabt. Sie kritisieren deshalb an der Entscheidung der Bundesbank, daß sie es an Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen der Partnerländer habe fehlen lassen, einzig und allein, um zu dokumentieren, daß es ihr mit der Geldwertstabilität im Inneren der Bundesrepublik ernst sei. Die Kritik an der Bundesbank ist aus der Sicht der betroffenen Länder durchaus verständlich. In der Tat sollten sie die Möglichkeit haben, selbst darüber zu entscheiden, wieviel Prozent Arbeitslosigkeit und wieviel Prozent Inflation sie in ihrem Lande wollen. Für die Bundesrepublik wird an dieser Stelle aber auch die Crux einer noch stärkeren währungspolitischen Zusammenarbeit deutlich. Denn offenbar messen Frankreich und Großbritannien der Stabilitätspolitik doch nicht eine so große Bedeutung zu. Hätten sie die Zinserhöhungen sonst so vehement kritisiert? Es stellt sie mithin die Frage, ob die Befreiung der anderen Länder vom "dictat allemand" für die Bundesrepublik nicht ein "dictat europeen d'inflation" beinhaltet.
2. Politische Gründe
a) Festigung und Vertiefung der Gemeinschaft Das überhastete Zustandekommen der Verträge von Maastricht läßt vermuten, daß nicht ökonomische, sondern politische Gründe ausschlaggebend für die Entscheidung zur Wirtschafts- und Währungsunion waren. Erreicht werden sollte ein weiterer Schritt auf dem Wege zu einer politischen Union. Vor allem die Bundesrepublik Deutschland verfolgt das langfristige Ziel eines "föderativen Bundesstaates Europa", dem allerdings manche Mitgliedstaaten mit äußerster Zurückhaltung, andere mit offener Ablehnung entgegensehen. Die Erfolge bei der Weiterentwicklung der politischen Union waren in Maastricht äußerst dürftig. Dadurch sahen sich die Befürworter einer engeren Zusammenarbeit in Europa offenbar gezwungen, ihre bisherige Strategie zu ändern. Wurde in der Vergangenheit eine einheitliche Währung in Europa als krönender Abschluß einer politischen Union gewertet, soll sie nun Antriebsmotor derselben sein. Denn durch eine gemeinsame Währung und die Übertragung der geldpolitischen Kompetenzen der nationalen Notenbanken auf eine Europäische Zentralbank werden weitreichende Befugnisse von nationalen Regierungen auf die entstehende europäische Zentralregierung übertragen. Zudem zieht der Verzicht auf eine nationale Geldpolitik bald den Verzicht auf eine autonome Wirtschafts- und Finanzpolitik nach sich. Soll die Funktionsfähigkeit der Währungsunion gesichert sein, werden die Ein [Seite der Druckausgabe: 14] engung des Handlungsspielraums nationaler Finanzpolitik, die zunehmende Zentralisierung des Steuersystems und die Intensivierung der Industriepolitik unausweichlich. Es wird also ganz automatisch eine zunehmende Kompetenzverlagerung von den Nationalstaaten auf die EG-Zentrale stattfinden. Gewünscht wird dieser schleichende Prozeß zur politischen Union allerdings nicht von allen Mitgliedstaaten. Das Ausscheren von Großbritannien aus der Sozialunion sowie die dänische Ablehnung der Maastrichter Verträge können als erste Anzeichen wachsenden Unmuts gegen eine mögliche Bevormundung der Gemeinschaft aufgefaßt werden. Dem stehen die Bemühungen anderer Mitgliedstaaten, allen voran Frankreich und die Bundesrepublik, die EG-Staaten stärker politisch einzubinden, insbesondere auch das größer gewordene Deutschland. In Maastricht ging es deshalb auch darum, die "Unumkehrbarkeit" des europäischen Einigungsprozesses zu dokumentieren. Es stand weniger zur Diskussion, ein gegen alle Risiken abgesichertes wirtschaftliches Projekt zu verwirklichen, sondern Befürchtungen entgegenzutreten, daß die Gemeinschaft im Gefolge der Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa wieder in überholt geglaubte Formen nationalstaatlicher Bündnispolitik zurückfallen könnte. Nicht zuletzt ist mit der Entscheidung zur Währungsunion der Versuch verbunden, ein Stück "europäischer Identität" zu schaffen. b) Der Preis für die Wiedervereinigung? Im Zuge der deutsch-deutschen Einigung im Jahr 1990 versicherte der deutsche Bundeskanzler den europäischen Partnerländern, daß ein wiedervereinigtes Deutschland fest in die europäische Staatengemeinschaft eingebunden werde und Europa ein größeres Deutschland politisch und wirtschaftlich nicht zu fürchten brauche. Damit erreichte er die Zustimmung der Alliierten und der Europäischen Gemeinschaft zum Projekt der Deutschen Einheit. Nachdem sich die deutsche Regierung, unterstützt von der Bundesbank, lange gegen eine zu schnelle Weiterentwicklung der währungspolitischen Zusammenarbeit in Europa gewehrt hatte, sah sie sich in Maastricht offenbar gezwungen, das Festhalten des größer gewordenen Deutschlands an der Europäischen Gemeinschaft zu demonstrieren. So stimmte sie in Maastricht bezüglich der Wirtschafts- und Währungsunion Regelungen zu, die führende deutsche Geldpolitiker bis zum Schluß ablehnten. Das betrifft vor allem die in der letzten Nacht der Verhandlungen in den Vertrag aufgenommenen Formulierungen zum 1999 in Kraft tretenden Automatismus. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999 |