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TEILDOKUMENT:
l. Der Konflikt über die Neuordnung der Elektrizitätswirtschaft in Ostdeutschland a) Energieversorgung und kommunales Selbstbestimmungsrecht Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sichert mit Artikel 28 Absatz 2 den Gemeinden das Recht zu, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln". Zu dieser kommunalen Daseinsvorsorge gehört, daß die Gemeinden Grundstücke erschließen, Straßen bauen und die Wasserversorgung sowie die Ableitung und Entsorgung von Abwasser gewährleisten. Zum Teil betreiben die Kommunen auch Müllverbrennungsanlagen und Unternehmen für den öffentlichen Nahverkehr und für Badeanstalten. Außerdem regeln sie die Versorgung von Haushalten, Industrie und Gewerbe mit den leitungsgebundenen Energien Strom, Gas und Fernwärme. In vielen Städten und Gemeinden werden diese unterschiedlichen Aufgaben von einem einheitlichen kommunalen Unternehmen im Querverbund wahrgenommen. So gehören heute in Deutschland über 720 dieser Einrichtungen dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) an. Nach Auffassung kommunaler Spitzenverbände wäre es verkürzt, die unternehmerischen Aktivitäten der Gemeinden als bloße Dienstleistungen zu verstehen, die gleichrangig auch von privaten Unternehmen erbracht werden könnten. Die kommunalen Versorgungsleistungen stellen auch einen Beitrag zur demokratischen Selbstverwaltung dar. Das Recht und die Pflicht der Kommunen, die Versorgung der Bürger mit wichtigen Dienstleistungen zu regeln, bedeutet jedoch nicht, daß die Gemeinden als Körperschaft die einzelnen Aufgaben selbst ausführen oder eigene Unternehmen damit beauftragen müssen. Gerade auf dem Gebiet der Energieversorgung sind die Gemeinden in der Regel nicht selbst Eigentümer und Betreiber der für die örtliche Versorgung notwendigen Anlagen. Zwar besitzen mehr als 200 kommunale Unternehmen eigene Stromerzeugungsanlagen, aber die überwiegende Zahl von Gemeinden hat fremden Firmen oder Unternehmen, an denen Kommunen beteiligt sind, die Versorgung mit leitungsgebundenen Energien überlassen. [Seite der Druckausgabe: 4] Doch auch dann, wenn Kommunen Dritte mit der Energieversorgung des Gemeindegebietes beauftragen, haben sie das Recht und die Möglichkeit, auf die Versorgung Einfluß zu nehmen. Das Instrument dazu ist der Konzessionsvertrag. Der Konzessionsvertrag regelt die Bedingungen, zu denen die Gemeinde dem Energieversorger das Recht einräumt, für seine Anlagen und Netze gemeindeeigene Grundstücke zu nutzen. Das kommunale Wegerecht gibt den Gemeinden damit die Gelegenheit, Ziele der Stadt- und Gemeindeentwicklung mit den Aktivitäten des Energieversorgers zu verbinden. So ist es zum Beispiel möglich, im Konzessionsvertrag Vorrangregelungen für das Angebot bestimmter Energien in ausgewählten Gemeindegebieten festzuschreiben, Ziele der sparsamen Energieverwendung zu bestimmen, die Nutzung regenerativer Energieträger zu vereinbaren und die Konditionen für die Einspeisung von Strom in das Netz auszuhandeln. Darüber hinaus kann die Gemeinde den Energieversorger verpflichten, an der Aufstellung örtlicher Energieversorgungskonzepte mitzuwirken. Die vom Energieversorger an die Gemeinde zu entrichtende Konzessionsabgabe stellt nach kommunalem Selbstverständnis nicht lediglich ein Entgelt für die Gestaltung des Wegerechts dar. Die Abgabe ist zugleich eine Bezahlung für die Bereitstellung des Marktes durch kommunale Vorleistungen sowie für die Einräumung der Ausschließlichkeit: Die Gemeinde verpflichtet sich, das Recht zur Versorgung mit leitungsgebundenen Energien in ihrem Gebiet für einen festgelegten Zeitraum an keinen anderen Anbieter zu vergeben. Während sich der Abschluß von Konzessionsverträgen vor allem für Kommunen mit einer geringeren Einwohnerdichte empfiehlt, kann es für einige Städte und Gemeinden wirtschaftlich attraktiv sein, die Versorgung mit leitungsgebundenen Energien in einem eigenen Stadtwerk zu betreiben. So lassen sich in einem Querverbund von Energie- und Wasserversorgung, Entsorgung und Verkehrsbetrieben defizitäre Bereiche wie der öffentliche Personennahverkehr mit Hilfe der ertragreichen Stromerzeugung teilfinanzieren. In den neuen Ländern stellt zudem das gut ausgebaute Fernwärmenetz einen Anreiz für Städte und Kommunen dar, die Energieversorgung in die Hand eines eigenen Unternehmens zu legen. Während im alten Bundesgebiet etwa 6 Prozent der Wohnungen an Fernwärmenetze angeschlossen sind, werden in den neuen Ländern rund ein Drittel der Wohnungen mit Fernwärme beheizt Wenn kommunaleigene Stadtwerke sowohl die Strom- als auch die Wärmeversorgung übernehmen, können sie mit Kraft-Wärme-Kopplung einen hohen Nutzungsgrad [Seite der Druckausgabe: 5] des eingesetzten Primärenergieträgers erzielen, zur Umweltentlastung beitragen und ihre Abnehmer zu günstigen Konditionen mit Strom und Wärme beliefern. Allerdings sind viele der in den neuen Ländern vorhandenen örtlichen Heizwerke technisch veraltet. Sie arbeiten oft unwirtschaftlich und verursachen hohe Umweltbelastungen. Daher müssen die am Aufbau einer eigenen Energieversorgung interessierten Städte und Gemeinden nicht nur ihr Fernwärmenetz ausbauen, sondern auch die Erzeugungsanlagen sanieren und zum Teil erweitern. Diese Aufgaben scheinen vielen Städten und Gemeinden nur dann finanzierbar zu sein, wenn das eigene Stadtwerk die Kraft-Wärme-Kopplung ausbaut und den gesamten so erzeugten Strom für die Versorgung der Endabnehmer einsetzt. Dafür wäre allerdings ein kommunalpolitischer Gestaltungsspielraum notwendig, der nach den energiewirtschaftlichen Weichenstellungen kurz vor dem Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik nicht mehr gegeben ist.
b) Die Sanierung der ostdeutschen Stromwirtschaft zu Lasten der Kommunen
Mit dem Ende des realen Sozialismus stellte sich zunächst in der DDR, dann in den neuen Ländern die gewaltige technische und wirtschaftliche Herausforderung, eine materiell verschlissene, bürokratisch organisierte, ineffiziente und in hohem Maße umweltbelastende Energiewirtschaft zu sanieren. Um Devisen zu sparen, die in allen Zentralverwaltungswirtschaften knapp waren, hatte die DDR-Führung die Energieversorgung des Landes auf den einzigen in nennenswertem Umfang vorhandenen eigenen Energieträger, Braunkohle, gestützt. Der Anteil dieses Brennstoffs an der Deckung des Primärenergiebedarfs lag bei rund 70 Prozent. Rund vier Fünftel der erzeugten Elektroenergie stammten aus Kraftwerken, die mit Braunkohle befeuert waren. Veredelt zu Brikett, war Braunkohle der Hauptenergieträger für die Beheizung von Wohngebäuden, Gewerberäumen und kommunalen Einrichtungen. Die Organisationsstruktur der Energiewirtschaft folgte dem in der DDR üblichen Zentralismus. Während sich in der Bundesrepublik mit Verbundunternehmen, regionalen Energieversorgern und Stadtwerken ein dreistufiges System bei der Versorgung mit leitungsgebundenen Energien entwickelt hatte, lag die Energieversorgung der DDR in der Hand zentralgeleiteter Kombinate. Diese waren für die Braunkohlenförderung, den Kraftwerksbau und die Schaffung und Wartung der [Seite der Druckausgabe: 6] Verbundnetze zuständig. Die Verteilung der Energie besorgte in jedem der 15 DDR-Bezirke ein Bezirks-Energiekombinat. Auf dem Gebiet der Energiewirtschaft machte sich die Innovationsfeindlichkeit der Planwirtschaft besonders drastisch bemerkbar. Veraltete Technologien in Industrie und Gewerbe führten zu einem höheren spezifischen Energieverbrauch als technisch nötig. Ende der achtziger Jahre arbeiteten die Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von durchschnittlich 26 Prozent. Nahezu die Hälfte der installierten Dampferzeuger und mehr als ein Drittel der Turbinen in den Wärmekraftwerken war älter als 20 Jahre. Weil Sparanreize fehlten, Energie in den Haushalten hoch subventioniert und die Temperatur in zentralbeheizten Wohnräumen nicht individuell zu regulieren war, wurde Energie vergeudet: Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 7,8 Tonnen Steinkohleeinheiten lag der Primärenergieverbrauch je Einwohner in der DDR um rund 20 Prozent über dem Pro-Kopf-Verbrauch in der Bundesrepublik Deutschland. Und schließlich konnte die Zentralverwaltungswirtschaft nicht einmal die sichere und reibungslose Energieversorgung gewährleisten: In harten Wintern fror die sehr wasserhaltige Braunkohle auf den Tagebauen, an Baggerschaufeln, auf Transportbändern und in Waggons fest. Noch Ende der achtziger Jahre, im Januar 1987, litt das real-sozialistische Industrieland unter der Witterungsanfälligkeit seiner Energieversorgung: Als eine mehrere Tage anhaltende Kältewelle die Braunkohle erstarren ließ, blieben kommunale Einrichtungen, Betriebe und Zehntausende von Wohnungen in mehreren Bezirken der DDR tagelang ohne ausreichend Strom und Wärme. Betriebe führen an Wochenenden Sonderschichten, um Produktionsausfälle aufzuholen. Hinzu kommt, daß die Umweltauswirkungen der Energiewirtschaft verheerend waren. Um die benötigten Braunkohlemengen zur Verfügung zu stellen, wurden im Jahr rund 300 Millionen Tonnen dieses Rohstoffs gefördert. Dem Tagebau fielen jährlich 3000 Hektar Nutzfläche zum Opfer; immer weiter griff der Tagebau in dicht besiedelte und landwirtschaftlich intensiv genutzte Gebiete ein. Ausgekohlte Tagebaue wurden nur unzureichend rekultiviert, großräumige Grundwasserabsenkungen gefährden die Grundwassernutzung in den Bergbauregionen. Außerdem zählen die Kraft- und Fernheizwerke der ehemaligen DDR zu den größten Luftverschmutzern Europas. Aus den Schloten der Kraft- und Fernheizwerke stammten über 78 Prozent der 5,25 Millionen Tonnen Schwefeldioxid-Emissionen, die im Jahre 1989 auf dem Gebiet der DDR an die Luft abgegeben wurden, sowie über 44 Prozent der [Seite der Druckausgabe: 7] Stickoxide (Gesamtemissionen: 0,67 Millionen Tonnen) und über 54 Prozent des Staubs (Gesamtemission 2,1 Millionen Tonnen). Zu Recht sah daher die DDR-Regierung nach der demokratischen Wende den Umbau der Energiewirtschaft als zentrale Voraussetzung für den wirtschaftlichen Neuaufbau des Landes an. Zwar gingen die meisten Prognosen angesichts der zu erwartenden Betriebsstillegungen von einem zunächst fallenden Primärenergieverbrauch in den nächsten Jahren aus, dennoch war deutlich, daß ohne eine gründliche Sanierung der veralteten Kraftwerke und Verteilungsnetze und ohne den Zubau moderner Anlagen die Energieversorgung auf Dauer nicht zu vertretbaren Preisen und mit umweltpolitisch annehmbaren Folgen zu sichern wäre. Auf der anderen Seite verfügte die DDR weder über genügend technisches Know-how noch über ausreichende finanzielle Mittel, um Aufgaben wie die Verbesserung des Wirkungsgrades der Kraftwerke, die Nachrüstung von Strommeilern mit Rauchgasentschwefelungsanlagen, den Austausch veralteter Dampferzeuger, die Sanierung der Leitungsnetze und den Neubau moderner Kraftwerke zu bewältigen. Verhandlungen mit den drei großen bundesdeutschen Energieversorgern Bayernwerk Aktiengesellschaft (BAG), PreussenElektra Aktiengesellschaft und RWE Energie Aktiengesellschaft (RWE Energie) führten am 22. August 1990 zur Unterzeichnung des sogenannten Stromvertrages. Als Vertragspartner traten die westdeutschen Unternehmen auf der einen Seite sowie die DDR, vertreten durch ihren damaligen Minister für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit, und die Treuhandanstalt auf der anderen Seite auf. Die Treuhandanstalt hatte auf der Grundlage des Treuhandgesetzes die Verwaltung der inzwischen in Kapitalgesellschaften umgewandelten Energiekombinate übernommen und war Alleingesellschafter dieser Unternehmen. Die drei großen Energieversorgungsunternehmen sicherten im Stromvertrag zu, die DDR zuverlässig und preisgünstig mit Elektrizität zu versorgen, dabei modernen ökologischen Anforderungen gerecht zu werden und die herausragende Rolle der Braunkohle bei der Stromerzeugung zu erhalten. Außerdem sollten die Unternehmen den Personalbestand in der Elektrizitätswirtschaft sozialverträglich an betriebswirtschaftlich tragbare Größenordnungen anpassen, Potentiale für die Kraft-Wärme-Kopplung auf Verbundebene erschließen, dezentrale Energieversorgungskonzepte ausbauen und dabei regionale sowie kommunale Interessen angemessen berücksichtigen. [Seite der Druckausgabe: 8] Zur Absicherung ihrer Unternehmensstrategie erhielten die drei beteiligten Unternehmen die Geschäftsbesorgung für die braunkohlebefeuerten Großkraftwerke sowie für das Verbundnetz und für die Nachfolgeunternehmen der früheren Bezirks-Energiekombinate auf dem Gebiet der Stromwirtschaft zugesprochen. Des weiteren legte der Stromvertrag fest, daß der größte Teil der für die Stromerzeugung nötigen Anlagen und Netze in den Besitz der drei Verbundunternehmen übergeht. So wurde vereinbart, daß ab 1. Januar 1991 75 Prozent der Besitzanteile an der zu gründenden gemeinsamen Gesellschaft für die Großkraftwerke und für das überregionale Verbundnetz auf die drei Verbundunternehmen übertragen würden. Um die restlichen Anteile von 25 Prozent konnten sich andere interessierte westdeutsche Stromverbundunternehmen bewerben. Zudem sicherte der Stromvertrag den drei großen westdeutschen Energieversorgern auch die zukünftige Beteiligungsmehrheit an den regionalen Verbundunternehmen zu. So sollen die Mehrheiten an den ehemaligen Bezirks-Energiekombinaten Chemnitz, Leipzig und Cottbus von der RWE übernommen werden, die PreussenElektra erhält die Mehrheitsanteile in Rostock, Neubrandenburg, Magdeburg, Potsdam und Frankfurt (Oder) und das Bayernwerk engagiert sich bei den thüringischen Werken Erfurt, Gera/Jena und Suhl/Meiningen. Die Stromversorgung in Berlin sowie in den ehemaligen Bezirken Dresden, Halle und Schwerin übernehmen kleinere Versorgungsunternehmen. Mit dem Stromvertrag waren die zukünftigen Beteiligungsverhältnisse an den 15 regionalen Stromversorgungsunternehmen so aufgeteilt, daß in jedem dieser Unternehmen ein bis drei westdeutsche Konzerne die Kapitalmehrheit erhielten. Außerdem verpflichtete der Stromvertrag die regionalen Versorgungsunternehmen, 20 Jahre lang 70 Prozent des von ihnen verkauften Stroms von dem überregionalen Verbundunternehmen zu beziehen. Von der Bundesregierung und von den westdeutschen Verbundunternehmen wurde diese weitgehende Übernahme der Stromwirtschaft auf dem Gebiet der früheren DDR mit dem Argument verteidigt, die westdeutschen Unternehmen würden die Kosten für die Sanierung der Stromwirtschaft tragen. Angesichts des hohen Aufwands für die Sanierung der Braunkohlenkraftwerke könnten die Unternehmen nur dann einen Strompreis auf dem Niveau der alten Länder anbieten, wenn sie sämtliche Rationalisierungsmöglichkeiten ausschöpfen würden. Doch Städte und Gemeinden der neuen Länder begehrten gegen den Stromvertrag auf. [Seite der Druckausgabe: 9] Die Städte und Gemeinden sehen ihr kommunales Selbstverwaltungsrecht eingeengt, da der Stromvertrag sie letztlich dazu zwingt, einen wesentlichen Teil ihres Elektrizitätsbedarfs von einem Unternehmen zu beziehen, an dem sie bestenfalls Minderheitsbeteiligungen besitzen dürfen. Angesichts der monopolistischen Struktur der Energieversorgung beharren die Kommunen gerade bei den leitungsgebundenen Energien Gas, Strom und Fernwärme auf wirksamere Einflußmöglichkeiten bei der Gestaltung der Versorgung. Zudem scheint vielen Städten und Gemeinden nunmehr ihr Anliegen, ein leistungsfähiges und umweltgerechtes Fernwärmenetz auf der Basis von Kraft-Wärme-Kopplung aufzubauen, kaum noch finanzierbar. Zwar dürfen sie den Strom aus den von ihnen betriebenen Heizkraftwerken in das Netz des Regionalversorgers einspeisen. Doch bei einem Entgelt von rund 10 bis 11 Pfennig pro Kilowattstunde, das sie dafür vom Regionalunternehmen beziehen würden, und einem Vorlieferantenpreis von 15 bis 17 Pfennig, den sie an das Unternehmen für den Strombezug bezahlen müssen, sehen sich die Gemeinden zu einem für sie unwirtschaftlichen Verhalten gezwungen, wenn sie ihren Strom weiterhin vom Regionalversorger beziehen. Daher haben viele Städte und Gemeinden bei dem zuständigen Wirtschaftsminister des Bundeslandes die Vergabe einer § 5-Genehmigung nach dem Energiewirtschaftsgesetz beantragt, die ihnen erlauben würde, die Stromversorgung in ihrem Gebiet in eigener Regie zu übernehmen. Das Energiewirtschaftsgesetz verlangt eine energieaufsichtliche Genehmigung für jeden, der die öffentliche Versorgung mit Strom oder Gas aufnehmen will. Diese Genehmigung darf nur versagt werden, wenn die Betriebsaufnahme zu einer Schwächung bestehender Versorgungsunternehmen führt, zum Beispiel durch Zersplitterung oder Herauslösung von Verbrauchsschwerpunkten. Außerdem ist die Genehmigung zu versagen, wenn es zu unwirtschaftlichen Doppelinvestitionen in die gleiche Energieart kommt oder Sicherheit und Preiswürdigkeit der Versorgung auf sonstige Weise gefährdet werden. Die Aufnahme einer eigenen Stromversorgung setzt allerdings voraus, daß die Kommunen nicht nur mit Minderheitenbeteiligungen am Regionalversorger abgefunden werden, sondern die Anlagen und Leitungen für die Energieversorgung selbst übernehmen. Um dies erreichen zu können, haben insgesamt 164 Städte und Gemeinden eine Verfassungsbeschwerde eingelegt, mit der sie anzweifeln, daß die im Stromvertrag festgelegte und vom Einigungsvertrag bestätigte Übertragung des Eigentums an den Versorgungsanlagen mit dem grundgesetzlich verbürgten Recht [Seite der Druckausgabe: 10] der Kommunen zu vereinbaren ist, die sie betreffenden örtlichen Angelegenheiten selbstverantwortlich zu regeln.
c) Die Verfassungsbeschwerde der Städte und Gemeinden
Im Verlauf der demokratischen Wende bildeten sich für die Kommunen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zunächst günstige rechtliche Voraussetzungen für den Aufbau einer eigenen Energieversorgung heraus. So rechnete die im Mai 1990 in Kraft getretene Kommunalverfassung der DDR die Versorgung mit Energie und Gas zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Kommunen. Diesen wird das Recht eingeräumt, die zur Durchführung ihrer Aufgaben nötigen Unternehmen zu gründen, zu übernehmen, zu erweitern, zu unterhalten sowie Konzessionsverträge abzuschließen, wenn dadurch die Erfüllung der Gemeindeaufgaben nicht gefährdet ist und die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Gemeinde und ihrer Einwohner gewahrt bleiben. Das vom Einigungsvertrag übernommene Treuhandgesetz der DDR vom 17. Juni 1990 bestimmt in § 1 Absatz 1 Satz 3, daß das den kommunalen Aufgaben und Dienstleistungen dienende ehemalige volkseigene Vermögen durch Gesetz den Gemeinden und Städten zu übertragen sei. Und das ebenfalls vom Einigungsvertrag übernommene Kommunalvermögensgesetz (KVG) vom 6. Juli 1990 legt in § 4 Absatz 2 fest, daß von jenen Betrieben und Einrichtungen, die bereits in Kapitalgesellschaften umgewandelt seien, die entsprechenden ehemaligen volkseigenen Anteile in das Eigentum der Gemeinden und Städte übergehen. Zudem gewährt der Einigungsvertrag den Städten Anspruch auf Vermögenswerte, die von Körperschaften des öffentlichen Rechts dem Zentralstaat unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden. Diese Restitution betrifft unter anderem das Vermögen ehemaliger kommunaler Unternehmen. Noch zu Beginn der fünfziger Jahre gab es in der DDR rund 160 kommunale Querverbundunternehmen, die in zentralgeleitete Kombinate überführt worden sind. Und schließlich legt der Einigungsvertrag fest, daß das kommunale Wegerecht ab 1. Januar 1992 auch in den neuen Ländern gilt. Seit dem haben die Gemeinden die Befugnis, gestützt auf ihr Wegeeigentum, Konzessionsverträge zur Regelung der Energieversorgung am Ort abzuschließen. Vorher konnten die regionalen Energieversorger die Wege kostenlos und ohne Zustimmung der Gemeinden nutzen. Allerdings schränkt eine Regelung im Einigungsvertrag die kommunalen Besitzansprüche auf dem Gebiet der Elektrizitätsversorgung weitgehend ein. So wird im [Seite der Druckausgabe: 11] Einigungsvertrag § 4 Absatz 2 das Kommunalvermögensgesetz um einen Satz 2 erweitert. Nach dieser Ergänzung können die Gemeinden nur noch einen Anteil von höchstens 49 Prozent an den regionalen Strom- und Gasversorgungsgesellschaften, den Nachfolgern der ehemaligen Bezirksenergiekombinate, erlangen, denn es heißt: "Soweit die Summe der Beteiligungen der Gemeinden, Städte und Landkreise 49 vom Hundert des Kapitals einer Kapitalgesellschaft für die Versorgung mit leitungsgebundenen Energien überschreiten würde, werden diese Beteiligungen anteilig auf diesen Anteil gekürzt." (Einigungsvertrag Anlage II Kapitel IV Abschnitt III/2) Mit dieser Ergänzung zum Kommunalvermögensgesetz sichert der Einigungsvertrag die im Stromvertrag festgeschriebene Mehrheit für die westdeutschen Energieversorgungsunternehmen. Für die Kommunen und Städte in den neuen Ländern wurde damit die Aufnahme einer eigenständigen Stromversorgung blockiert, denn die Herauslösung kommunaler Versorgungsanlagen für einzelne Gemeinden aus dem Besitz des Regionalunternehmens und die Überführung dieser Anlagen in kommunales Eigentum würde an der Mehrheit der anderen Anteilseigner scheitern. Die Ergänzungsregelung des Einigungsvertrages führt damit auf dem Gebiet der Stromwirtschaft zu einer anderen Versorgungsstruktur als im Westen der Bundesrepublik üblich. Zwar wäre die Gründung von Stadtwerken weiterhin möglich, doch auf die Stromsparte müßten die Städte zumeist verzichten. Mit ihrer Beschwerde gegen diese Regelung des Einigungsvertrages wollen die 164 Kommunen vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen, ob sie sich mit Minderheitsanteilen an den regionalen Energieversorgungsunternehmen begnügen müssen oder ob sie statt dessen Anspruch auf die Herausgabe der Stromerzeugungsanlagen und Verteilernetze haben. Diesen Anspruch leiten die Beschwerdeführer aus Artikel 28 Absatz 2 Grundgesetz ab. Dem Verlangen der Kommunen nach Herausgabe von Anlagen und Netzen halten die Regionalversorger, die Verbundunternehmen sowie die Bundesregierung entgegen, die sichere und preisgünstige Energieversorgung des Umlandes könnte gefährdet sein, wenn Städte und Gemeinden Strom aus eigenen Stadtwerken beziehen und Anlagen aus dem Vermögen des Regionalversorgers herauslösen. Zudem müsse die herausragende Bedeutung der Braunkohle für die Verstromung in den neuen Ländern gesichert bleiben. Ohne die weitgehende Nutzung der Braunkohle als Primärenergieträger wären zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet. Außerdem trage die [Seite der Druckausgabe: 12] Braunkohlenförderung und -nutzung auf hohem technischem Niveau dazu bei, die Importenergieabhängigkeit der Bundesrepublik zu mildem. Und schließlich erleichtere die Aufrechterhaltung des Bergbaubetriebes die Sanierung der Altlasten und die Rekultivierung der zerstörten Landschaft. Allerdings läßt sich der Bergbau nur sichern, wenn Braunkohle auch in Zukunft der wichtigste Primärenergieträger für die Stromerzeugung in Ostdeutschland bleibt und die nötigen Investitionen für die Braunkohlenwirtschaft möglichst rasch eingeleitet werden können. Beides war aufgrund des Streits um die Stromverträge lange nicht gewährleistet. So sollen Investitionen der Konzerne RWE, Bayernwerk und PreussenElektra im Umfang von 30 bis 40 Milliarden DM blockiert sein. Eine Verständigung im Stromstreit war daher dringend erforderlich - und nach einer Ende letzten Jahres getroffenen Vereinbarung der Kontrahenten auch näher gerückt. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |