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TEILDOKUMENT:
II. Tourismus-Entwicklung national und International 1. Reisetrends Die Entwicklung des Tourismus in Thüringen wird maßgeblich mitbestimmt von seiner allgemeinen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und dem Reiseverhalten der Deutschen und Europäer, die vermutlich in absehbarer Zeit den größten Gästeanteil stellen werden. Die touristischen Regionen in den neuen Bundesländern, deren Entwicklung eine z.T. wirtschaftstragende Bedeutung - wie z.B. in Thüringen - zugeschrieben wird, treten in einer Zeit des Umbruchs auf den Markt, dessen Auswirkungen auch von Insidern noch schwer abgeschätzt werden können. Ohne Zweifel ist die Tourismusindustrie in die wirtschaftliche Entwicklung jeden Landes fest eingebunden, vor allem weil die Bereitschaft, für touristische Dienstleistungen Teile des Einkommens auszugeben, von der tatsächlichen und erwarteten Einkommensentwicklung geprägt wird und auf Veränderungen sensibel reagiert. Tourismus ist und bleibt der größte Wirtschaftszweig der Welt, daran wird sich - so eine Studie des World Travel and Tourism CounciI - bis weit in das nächste Jahrhundert hinein nichts ändern. Wenn die für 1993 geschätzten Einnahmen 3,5 Billionen Dollar erreichen, werden sie sich gegenüber 1990 um 20 Prozent erhöht haben. Voraussichtlich werden Investitionen in Höhe von 422 Milliarden Dollar vorgenommen werden. Die Summe entspricht 6,7 Prozent aller Investitionen auf dem Globus. Derzeit sind 127 Millionen Menschen im Tourismus beschäftigt. Bedrohung kann lediglich, so die Experten, aus ungelösten Verkehrs- oder Umweltproblemen entstehen. Die Deutschen gaben 4 Prozent ihres privaten Budgets für Reisen ins Ausland aus, womit sie deutlich über dem europäischen Durchschnitt (3%) liegen. Für 1993 wird in einer Untersuchung der Dresdner Bank eine Erhöhung von 6 Prozent auf 61 Milliarden DM angenommen. Da Auslandsreisen als konjunktureller Spätindikator gelten und die wirtschaftliche Entwicklung des Vorjahres für die Reiseentscheidung maßgeblich ist, wird für 1994 jedoch mit keiner weiteren Steigerung gerechnet. Vor allem durch das Auftreten der Bürger aus den neuen Bundesländern auf dem Markt waren 1992 die Ausgaben für Auslandsreisen um 14 Prozent gestiegen. [Seite der Druckausgabe: 5] Die Steigerungsraten im Reiseverkehr nach Deutschland dagegen sind rückläufig. Hier wird im Kreise der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr nicht nur die Wirtschaftslage in den Herkunftsländern als Grund genannt, sondern auch die Übergriffe auf Ausländer in der Bundesrepublik könnten dazu führen, daß Deutschland seinen guten Ruf als sicheres Reiseland verliert, so befürchtet man in Frankfurt.
2. Reiseindustrie
Für die Anbieter touristischer Dienstleistungen wird die Situation durch die Konkurrenz zu anderen Unternehmen stark mitbestimmt und von der Möglichkeit, sich in die sich vollziehenden Konzentrationsprozesse dieses Sektors einzuklinken oder erfolgreich und bewußt eigenständig ein "Nischenprodukt" zu entwickeln und zu vermarkten. Für touristische Regionen in den neuen Bundesländern spielt zukünftig die ökonomisch-soziale Entwicklung in der Bundesrepublik und im europäischen Ausland eine besondere Rolle - einerseits weil die ganz überwiegende Zahl der Gäste, die den Tourismus in Thüringen in der Vergangenheit geprägt hat, aus der DDR kam, - andererseits, weil für den Aufbau einer marktgerechten touristischen Infrastruktur z.T. erhebliche - öffentliche - Gelder zur Verfügung gestellt werden müßten, sie also folglich von politischen Entscheidungen abhängt. Das einschneidende Ereignis für die deutsche Tourismusindustrie wird die Entstehung des europäischen Binnenmarktes 1993 sein. Den unbehaglichen Gedanken an dieses Datum haben die deutschen Touristiker lange unbehandelt vor sich hergeschoben; die Vorstellungen von den Auswirkungen sind noch immer sehr diffus. Jetzt endlich ist die Reisebranche It. 0. Schneider, dem Präsidenten des Deutschen Reisebüroverbandes, dabei, " mit den Auswirkungen der liberalen Wirtschaftsordnung der Europäischen Union leben zu lernen", denn " es gibt Entwicklungen, die vor der Reisebranche nicht haltmachen." (FAZ, 5.11.1992). Zugleich sind die frühen 90er Jahre der Zeitraum, in dem die "Gründergeneration" der Reiseindustrie, die nach dem 2. Weltkrieg im Zuge des (westdeutschen Wirtschaftswunders die stürmische Entwicklung des Tourismus mitverantwortet und mitgestaltet hat, den jüngeren das Feld überläßt. Zusätzlich erfordert das ständig wachsende Umweltbewußtsein auch [Seite der Druckausgabe: 6] im Freizeitbereich ein Umdenken bei der Entwicklung oder Umgestaltung von Ferienzielen. Umweltsünden werden von potentiellen Urlaubern immer häufiger durch Abwanderung geahndet. Veränderungen des Freizeitverhaltens, wie von H. Opaschowski, dem Leiter des B.A.T.-Freizeitforschungsinstitutes, unlängst vorgestellt und in die Zukunft fortgeschrieben, verändern die Reisegewohnheiten schon heute und werden es in Zukunft weiterhin sehr spürbar tun. Die Freizeitgewohnheiten werden von den Lebensgewohnheiten geprägt, und so ist es nicht verwunderlich, wenn Untersuchungen aufzeigen, daß für zwei Drittel aller deutschen Urlauber Sauberkeit und für 50 Prozent Gemütlichkeit Werte sind, die die Auswahl des Urlaubszieles beeinflussen. Naturbelassene Umwelt spielt für fast die Hälfte der Urlauber bei der Planung eine Rolle, allerdings nur, sofern die persönliche Freiheit des reisenden Individuums dadurch nicht beeinträchtigt wird. Jeder zweite Urlauber lehnt It. Opaschowski Reiseziele ab, wenn sie mit welchem Verkehrsmittel auch immer schlecht zu erreichen sind, seien sie auch noch so attraktiv. Fast ein Viertel der Urlauber sind Massentouristen aus Überzeugung, sie lieben das Gewühl, volle Strande und Show. Für die Freizeitforscher liegt die Erklärung für das "Mallorca-Syndrom" in den Lebensgewohnheiten der Großstädter und im Wunsch vor allem von Singles und jungen Leuten, im Urlaub in die Menge einzutauchen. Die rastlose Suche nach neuen Ferienzielen führt zu Massenbewegungen an den Wochenenden und im Urlaub. Als Ergebnis einer repräsentativen Tourismusbefragung zeichnet sich ab, durch welche Wünsche der touristische Markt im Jahr 2000 beeinflußt werden wird. Schöne Ferien in schöner Natur, Ruhe und Rummel, Urlaub in Eigenregie als Garantie für Flexibilität und Individualität, ein hohes Anspruchsniveau bezogen auf Qualität und Leistung. Sonnig soll's im Urlaub sein, der Trend zu kürzeren und dafür häufigeren Reisen setzt sich fort und Club-Urlaub erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Für ein Viertel der Urlauber werden sich die Urlaubswünsche zu Hause realisieren: exotische Restaurants, tropische Badelandschaften und Feste fremder Kulturen lassen sich - zumindest in den Großstädten - zu Hause erleben. An die Stelle des traditionellen Familienurlaubs wird Ausspannen, sich Sonnen und Ruhen u.U. ohne die eigene Familie treten. Für den Natur-, Abenteuer- und Kultururlaub werden wachsende Märkte vorhergesagt. [Seite der Druckausgabe: 7] Einen sogenannten Traumurlaub in künstlicher Ferienwelt anzubieten, wird zur Herausforderung klassischer Ferienlandschaften. Illusionen zu bieten, nach denen die Menschen in der immer erlebnisärmeren Arbeitswelt vermeintlich geradezu ein Bedürfnis entwickeln, soll ein touristischer Zukunftsmarkt werden; in den Vereinigten Staaten von Amerika ist man über das Stadium der Disney-Welten längst hinaus: eine Kreuzfahrtgesellschaft bietet Fahrten auf einem "lllusions-Liner" an, die die Passagiere zwischen Florida und den Bahamas im Schiffsinneren durch die Jahrtausende reisen lassen. Für die Zukunft des Tourismus in Thüringen sind in diesen Szenarien einige erfreuliche und richtungsweisende Aspekte enthalten. Da die Entwicklung von Investitionen abhängt, kann man den Wunsch der Reisenden nach Komfort, Gemütlichkeit und Sauberkeit bei der Planung berücksichtigen und auf Qualität setzen. Bei dem Wunsch nach Spontaneität kommt Thüringen die geographische Nähe zu großen Agglomarationen entgegen. Natur- und Kulturerlebnisse gehören zu den Stärken des Landes, Trubel und Massentourismus werden auch im Jahr 2000 nicht für alle Urlauber die erstrebenswerte Ferienform ausmachen.
3. Reiseverhalten
Das Reiseverhalten der Deutschen hat sich mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze verändert. Beiderseits der Grenzen war das Interesse am anderen Teil groß. Daraus ergab sich, daß das Jahr der Grenzöffnungen nach Osten, 1990, ein Ausnahmejahr darstellte. 69,2% der Deutschen über 14 Jahren haben 1990 eine oder mehrere Urlaubsreisen von mindestens 5-tägiger Dauer unternommen, 55,3% haben wenigstens eine Urlaubsreise angetreten; 1991 waren es immerhin noch 66,8% bzw. 54,6%, Die Zahl der Urlaubsreisen insgesamt sank von 54,6 Mio. 1990 auf 51,7 Mio. 1991. Das beliebteste Urlaubsziel der Deutschen ist nach wie vor Deutschland. 1990 führten 42,4% der Urlaubsreisen nach Deutschland (1991 37,3%). Das Ergebnis des Ausnahmejahres 1990, als 75,2% der Urlaubsreisen der "neuen" Bundesbürger zu inländischen Reisezielen führten - hingegen nur 31,7% der Reisen "alter" Bundesbürger -, normalisierte sich 1991: 54,6% der Reisen "neuer" Bundesbürger und 37,7% der Reisen "alter" Bundesbürger führten zu Zielen innerhalb der erweiterten deutschen Grenzen. [Seite der Druckausgabe: 8] Dabei büßten vor allem Ziele in den neuen Ländern, die von den "neuen" Bundesbürgern 1990 besonders begehrt waren, nämlich Mecklenburg-Vorpommern mit 15,5% Reiseanteil und Thüringen mit 8,4% Reiseanteil, deutlich an Zuspruch ein. Dorthin reisten von den neuen Bundesbürgern nur noch 9% (Mecklenburg-Vorpommern) bzw. 2,5% (Thüringen). Diese Entwicklung konnte auch durch das gestiegene Interesse der "alten" Bundesbürger nicht ausgeglichen werden; Reisen aus den alten Bundesländern in die neuen stiegen für Mecklenburg-Vorpommern von 0,8% (1990) auf 1,1% (1991) und Thüringen von 0,5% (1990) auf 0,6% (1991). Am Rande sei bemerkt, daß ehemalige DDR-Bürger 1991 verstärkt Reiseziele in Osteuropa ansteuerten (6,8% 1990, 11,1% 1991). Osteuropa behauptete so die Spitzenstellung in der Präferenz bei den Auslandsreisen. Eine für die nähere Zukunft nicht unbedeutende Erklärung hierfür bietet die Höhe der durchschnittlichen Reiseausgaben. Nur 501,- DM gab der Durchschnittsurlauber aus dem Osten für die Haupturlaubsreisen 1990 aus, der Westler dreimal so viel. Trotz der sich abzeichnenden Wirtschaftsentwicklung - Rückgang des Wirtschaftswachstums und damit einhergehende Auswirkungen auf Arbeitsplatzsicherheit und Einkommen - wird Deutschland den Titel "Weltmeister des Reisens" für's erste weitertragen (die Deutschen reisen zwar nicht am meisten, aber sie geben pro Kopf das meiste Geld für Reisen aus) - verfügbares Einkommen und Freizeit sind auch weiterhin vorhanden. Die allgemeinen Reisedaten von 1991 lassen sich nicht fortschreiben, zu stark waren sie von den Auswirkungen politischer Ereignisse - Golfkrieg - und Naturkatastrophen geprägt. Sowohl Reiseveranstalter und Vermittler von Fernreisen als auch inländische touristische Regionen haben 1992 von dem Nachholbedarf von 1991 profitiert. Für die Erwartungen an das Reisejahr 1993 muß ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern und ein fühlbarer Abbau in den alten Bundesländern zugrunde gelegt werden. Folge wird eine weitere Polarisierung des Freizeit- und Urlaubsverhaltens sein. Es wird weiterhin viel gereist werden, die Anprüche der schon immer reisenden Vermögenden werden wachsen, die sozialen Schichten, aus denen sich Zuwächse rekrutieren lassen, werden ihre Ansprüche einschränken, preiswertere Ziele wählen und/oder ihre Reisehäufigkeit und -dauer reduzieren. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999 |